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RR OTTS
7 act“
Aush harchill
Bien Wagen hen.
Vet. Ger IE A. 244
Gelammelte Werke
von
Charles Sealsfield,
Erſter Theil,
Der Cegitime und die Republikaner.
Erſter Theil.
—-9->
Stuttgart.
Verlag der J. B. Meplerfchen Buchhandlung.
1845.
Der Segitime
und
Die NRepublikaner.
Eine Geſchichte |
aus bem legten amerikanifchsenglifchen Kriege.
Don
Charles Sealsfield.
In drei Sheilen.
Erfter Theil
Dritte durchgeſehene Auflage.
>
Stuttgart.
Derlag ver J. B. Metz ler'ſchen Buchhandlung.
1845.
Der Segitime
und
Die Nepublikaner.
— —
Eine Geſchichte |
aus bem lebten amerilanifchsenglifchen Kriege.
Bon
Charles Sealsfielbd,
In drei Sheilen.
Erfter Theil
Dritte durchgeſehene Auflage.
— >
Stuttgart.
Derlag ver I. B. Metzler'ſchen Buchhandlung.
1845.
Ich zittere für mein Boll, wenn ich der Ungerechtigfeiten gedenke,
deren es fich gegen vie Ureinwohner ſchuldig gemacht Hat.
Sefferfon.
Vorwort
3ur gefammelten Ausgabe der Werke des Verfaffers des
„Legitimen und ter Republikaner” ıc.
BZwölf Jahre find verfloffen, feit „ber Legitime
und die Republitaner” dem beutfchen Publikum zu⸗
exit vorgelegt worden. Jüngere Geiſteskinder haben
fih im Verlaufe dieſes Zeitraumes an den Erftling
angefchloffen, die allmählig zu einer ziemlich zahl-
reichen Familie angewachfen. Mehr oder weniger
erfreuten fich alle einer günftigen oder ausgezeichneten
Aufnahme.
Zwar fiel das erfte Vortreten bes Verfaſſers
einigermaßen auf. — Ohne Namen, ohne Empfeh-
fung irgend einer literariſchen Notabilität, den
beifälligen Zuruf einer befreundeten Coterie ober
den Nachbrud einer einflußreichen buchhänbleri-
—d Yl 9
schen Firma — fremd — von fernen Geftaden,
kam er fo ziemlich in Yankeeweiſe, gleichfam einen
neuen Markt für feine Produkte fuchend. Auch
ſtutzte man über die neue Erfcheinung, verlor fich
in Mutbmaßungen, aber gaftfreundlih — wie es
von einem deutſchen Bublitum nicht anders zu
erwarten ſtand — beurkundete fein Empfang jenes
wohlmollende Entgegenfommen, das die Stamm⸗
Nation der tonangebenden Völfer in beiden Hemi⸗
fphären fo würdig charakterifirt, und das ihn jeden-
falls, wenn nicht entfchieden, Doch mitbewogen has
ben mag, vorzugsweife Ihr die Refultate feiner
Anfchauungen‘ und Beobachtungen von Menfchen
und bürgerlichen Gefellfchaften in ben Kindern feiner
Muße darzulegen. |
So folgtedenndem „Legitimen” ein zweiter, von
dem erften mwefentlich verfchiedener Verfuch — ans
jheinend von geringer Prätenfion — aber in ber
That die Vorhut eines größeren Werkes. Wir
meinen die „trandatlantifshen Reiſeſkizzen,“ wie
—d VII 6
fie in ber eriten Auflage, und die „Lebensbilder aus
der weftlichen Hemiſphäre,“ wie fie in diefer gefam-
melten gegenwärtigen Auflage betitelt find.
Sie gefielen als lebendig und frifch hinge⸗
worfene Genrebilder des amerifanifchen Lebens und
Treibens, ald glüdliches Catching the manners
as they fly, als beftimmt und fcharf charakterifirende
Randglofje zum am wenigften verftandenen, aber
wichtigften Volks⸗ und Gefchichtäbuche des moder⸗
nen Völkerlebens, an dem fich bereits jo mancher
vielgepriefene Staatsmann, fo mancher berühmte
Stubengelehrte ben befchränkten Kopf zerbrochen,
in feinen Prophezeihungen zu Schanden geworben.
In einigen kritiſchen Blättern wurde ber
Wunſch ausgefprochen, unverweilt die Fortfeßung
diefer zwei Bändchen, oder doch ähnlicher Genre-
bilder mehrere zu erhalten; der Verfaſſer zog es je⸗
doch vor, feine Lefer auf neue Gebiete zu führen,
den „Viren“ und mit biefem bad wirre Treiben in
Merico — ferner die „Lebensbilder aus beiden He-
miſphaͤren“ dazwiſchen treten zu laſſen, und dann
vn
erft den Faden diefer „transatlantifchen Reifefkiggen“
mit „Ralph Dougbby, Pflanzerleben, die Far⸗
bigen“ weiter zu fpinnen, und mit „Natban” zu
fchließen.
Diefe Bände, befonderö der letztere, fanden
‚ eine audgezeichnete Aufnahme. In achtungswerthen
Zeitfchriften wurde es mit Dank anerkannt, daß
ber Derfafler den Lefer aus ber troſtloſen Idioſyn⸗
craſie gewoͤhnlicher Phantaſiegebilde heraus — und
in eine neue und praktiſche Welt eingeführt, beſon⸗
ders aber daß er dieſe neue praktiſche Welt nicht,
wie dieß zur Gewohnheit geworden, von ihren
ſchlimmen gehäſſigen, ſondern ihrer beſſern Seite
— ihrer weltgeſchichtlichen Bedeutung aufgefaßt
und dargeſtellt. Er gab darauf die „neuen Land⸗
und Seebilder, das Cajütenbuch“ und „Süden
und Norden.“
An den drei letzteren Schriften wurde einiges
ſehr geprieſen, anderes eben ſo ſehr getadelt. Man
fand die „neuen Land⸗ und Seebilder“ häufig zu em⸗
— -
— R-
pfindfam, zu fafelnd, am „Gajütenbuche,” daß es fein
Roman fey, an „Süben und Norden,” daß die Phan⸗
tafie zu üppig ausſchweife.
Der Verfaſſer hat es bisher vermieden‘, über
die Orundfäße, die ihn bei dem Entwurfe diefer
Schriften geleitet, nähern Aufichluß zu geben. Im
Bemuptfeyn, daß er, wenn nicht eine neue Bahn
eröffnet, doch bie bisherige zu erweitern geftrebt,
war ihm vor allem daran gelegen, nicht ſowohl diefe
von ihm eingeichlagene Bahn zu rechtfertigen, als
dem Publikum im Allgemeinen, dem Kunftrichter
insbeſondere, Gelegenheit zu geben, ihre Urtheile
unbeftochen durch feine Kunftanfichten auszufprechen,
mit einem Worte, diefem Urtheile nicht durch Dies
tiren des feinigen vorzugreifen.
Darum vermied er es fo viel ald möglich lange
Einleitungen voranszufenden, ließ höchitens nur
ein und das andere über bie nächiten Beranlaffun-
gen „der feine Tendenzen im Allgemeinen fallen,
fich einzig dahin ausfprechend, daß jeber befondere
— Xx—
Stoff auch eine beſondere Form bedinge; darum
unterließ er irgend eine kritiſche Autorität, eine
bedeutende“ fchriftitelleriiche Perſönlichkeit in An⸗
fpruch zu nehmen, gab diefe Werke ohne Namen
— in leichten Funftlofen Rahmen, um, wie er
in feinem Nachworte zu „Nathan“ fagt, fie dem
Urtheile eines Jeden bloß zu ftellen.
Dieß ift num fo ziemlich und zwar in einem
Umfang gefcheben, wie es, feit Walter Scott,
Fenimore Cooper, Lytton Bulwer, höchſtens
nur bei Dickens der Fall geweſen. Zwar haben
fih in Deutfchland erft die Kunftrichter der jüngern
Generation ausgeiprochen; die älteren, bie das
Höchfte bereits in ihren Zeitgenofien Göthe und
Schiller erblidt zu haben glauben, vielleicht auch
den Jahren entrückt, oder burch Verhältniffe be-
engt find, in welchen fich freiere moderne Volks⸗
zuftände ſchwer mit ungetrühten Augen fchauen laf-
fen, — feine unmefentliche Bedingung bei Leſung
oder Beurtheilung eines folche Zuftände fchildern-
— æ—
ven fchöngeiftigen Wertes — haben weder Zeit noch
Raum zu einer Würdigung erübrigt. Im deutfchen
Publikum ſelbſt haben diefe Schriften aus Urfachen,
die außer fehriftitellerifchem Bereiche find, fich
nur langſam Bahn gebrochen; dafür haben fie fich
jedoch ein andered — und zwar das Stammiver-
wandte jenfeits des Oceans — um fo überrafchender
gewonnen. Sie haben fich da das Bürgerrecht mit
Einemmale erworben, find in den Händen nicht bloß
yon Taufenden, fondern von Hunderttauſenden,
Bürgern der Vereinigten Staaten — deffelben Lan-
des, deſſen foziale Zuftände der Verfafler darge-
ſtellt. Auflagen aller Art — in Büchern, in
Heften, in Journal⸗Bogen — find da ausgegeben
worden; dem Verfaffer Liegen buchftählich Tifche
— Körbe voll amerikanischer Journale vor, alle
mehr oder weniger mit Kritifen über diefe Schriften
angefüllt, alle den Berfafler entweder mit unverbien-
tem maaßlofem Lobe, oder gleich unverbientem
gehäfftigem Tadel — ja maliciöfem Hohne über:
ſchũttend.
4 II»
Begreiflicher Weile ift es aber in einem Vor⸗
worte nicht am Orte, auf eine Wiberlegung lei⸗
denfchaftlicher oder böswilliger Urtheile einzugeben:
Diefe wird wohl in der dem Berfafler. ohnehin
durch fehriftitellerifche Convenance gebotenen kritiſchen
Beleuchtung ſeiner literariſchen Wirkſamkeit früher
oder ſpaͤter von ſelbſt erfolgen. Gegenwärtig glaubt
er nur dahin fich ausfprechen zu müflen, daß wenn
ihn einerfeits die fhiefen, ja mitunter gehäffig bös⸗
willigen Urtheile amerikaniſcher Kritifer unangenehm
berührten, er andrerfeitö in eben dieſer Teidenfchaft-
lichen Gehaſſigkeit, und wieder gegenfeitig leiden⸗
Ihaftlichen Partheinahme die Beruhigung fand, daß
diefe Werke nicht unwürdig ber Beachtung er-
fannt worden, da fie ohne fein Zuthun nicht nur
überfeßt und in verfchiedenen Auflagen verbreitet,
fondern Lieblings⸗Lectüre des Volkes der Vereinig⸗
ten Staaten geworben. Es freut ihn dieſes von
Seite des in politifcher Beziehung unftreitig aufge⸗
Härteften Volkes ber Erde abgelegte Zeugniß um
fo mehr, al8 er es num achtungsvoll ber deutſchen
—ı XI >
Nation darlegen kann, bie es zuerſt war, welche
dieſe feine Schriften würdigte, ſich zuerſt in dem
humanen Sinne, der Sie vor allen Nazionen ſo
ſehr auszeichnet, ausſprach.
Er glaubt nun auch die Ertlatung beifügen
zu muͤſſen, daß dieſe Schriften, ſo wie ſie, mit Aus⸗
nahme eines einzigen, zuerſt in Deutſchland heraus⸗
gegeben, ſo auch groͤßtentheils in deutſcher Sprache
geſchrieben worden.
Einzig „der Legitime und die Republikaner“
wurde zuerft in den Vereinigten Staaten zu Philadel-
phia bei Carey & Lea im Jahr 1828 in zwei Bän-
den unter dem Titel „Tokeah or the white Rose“
herausgegeben, aber blos der erſte Theil in ber beut-
ſchen bei Orell und Füßli in Zürich 1833 erfchiene-
nen Auflage unverändert belaffen, der zweite Theil
hingegen gänzlich umgearbeitet. Ferner erjchienen
son den transatlantifchen Reifeftizzen „die Nacht
an den Ufern des Tenneſſee“ (A night on the banks
ofthe Tennessee) in dem New: Morker belletriitifchen
Sournale „The mirror ;” die übrigen, obwohl ur⸗
—9 XIV
fprünglich englifch niebergefchrieben, wurden zuerft
von derfelben Buchhandlung Orell und Füßli im
Frühjahr 1834 und folglich als deutſche Original-
Werke herausgegeben.
Dielen folgte in demfelben Jahre ber gleich-
falls einzig und allein in deutfcher Sprache heraus:
gegebene ‚ obwohl noch in der engliſchen concipirte
„Virey,“ ferner bie bereits in deutſcher Sprache nie⸗
bergefchriebenen „Lebensbilder aus beiden Hemi⸗
fphären,” welchen ſich im Jahre 1835 der dritte Band
der „transatlantifchen Reiſeſtizzen“ — auch der britte
Band der „Lebenshilder aus beiden Hemifphären“
betitelt — anfchloß. Diefe, fo wie die fpäter im
Jahr 1836 bei Friedrich Schultheg .in Zürich her⸗
ausgekommenen Bände IV. V. VI, Pflanzerleben, „Die
Farbigen“ und der das Werk ſchließende, Nathan,“
ferner die „neuen Land⸗ und Seebilder“ I. IL III. und
IV. Band, „das Cajütenbuch“ II Bände, die von der
J. B. Metzler'ſchen Buchhandfung verlegten drei
Bände „Süden und Norden,” wurben ohne Aus⸗
— I»
nahme in beutfcher Sprache niebergefchrieben und
find ſonach als deutſche Original⸗Werke zu bes
trachten. ot '
Der Berfafer glaubt diefe Erflärungen um
ſo mehr geben zu müffen, als die Heberfeßungen bei-
nahe aller feiner Schriften ins Engliſche und deren
Herausgabe in den DBereinigten Staaten beveiis
mehrere Journale, namentlich das „Ausland,” das
„Buch der Welt“ und. die „Erheiterungen,” zu
Rüdüberfehungen veranlaßt haben, welche Die recht⸗
mäßig erworbenen Anfprüche feines Verlegers beein⸗
trächtigen, und fo heilige Eigenthumsrechte verletzen.
Er erwartet, feine dießfaͤllige Erklaͤrung werde kuͤnf⸗
tigen Eingriffen dieſer Art ein Ziel ſetzen.
Von den obbenannten Werken erſcheinen in
gegenwaͤrtiger geſammelter Auflage: „Der Legitime
und die Republikaner,“ „der Virey und die Ariſto⸗
kraten oder Mexiko im Jahre 1812,“ die „Lebens⸗
bilder aus beiden Hemiſphaͤren,“ die aber, um fer⸗
nere Irrungen zu vermeiden, nach dem Wunſche
der Verlegers, „Morton ober bie große Tour“ be⸗
— II»
titeft find, und‘ die „transatlantifchen Meifeffiggen,”
mit ihren vier Fortfeßungs- Bänden, „Pflanzerle-
ben, die Farbigen und Nathan,” welche, wie in bem
Nachworte zur erften Auflage angekündigt worden,
fowohl in der zweiten als biefer gegenwärtigen brit-
ten Auflage, unter dem GefanıntisTitel „Lebens-
bilder aus der weſtlichen Hemijphäre” herausgege-
ben werben. Auch die übrigen Werke des Verfaſſers
follen feiner Zeit in diefe geſammelte Ausgabe auf⸗
genommen werben, bag „Cajütenbuch“ nicht auöge-
nommen, das, obwohl vor einiger Zeit an eine
anbere Buchhandlung übergegangen, nach weni-
gen Jahren biefer Sammlung gleichfalls angefchlof-
fen werben wird.
Der Berfafler hat es bisher vorgezogen, nach
ber in England und den vereinigten Stanten belich-
ten Sitte im Verborgenen zu wirken. Es war ihm
dieſes Verborgenſeyn Tieb geworben. — Er hatte ge-
hofft, nach dem Beiſpiele des großen Sir Walter
Secotts, Washington Irwings und Anderer
—d XV —
mehr, noch ferner fein winziges Scherflein unge-
kannt und unbeachtet geben zu Tönnen; allein bie
dringenden Aufforberungen feiner Verleger, ihre
rechtmaͤßig erworbenen Anſprüche nicht der Ge⸗
fahr eines Nachdruckes auszuſetzen, haben ihn
veranlaßt, aus dieſer Verborgenheit — fo un⸗
gerne er es auch that — herauszutreten. Und
ſo tritt er denn aus diefer heraus und nennt
fi) mit der Erflärung, daß er einzig und allein der
Berfaffer ſämmtlicher obgenannten Schriften iſt —
daß diefe Schriften, wie gefagt, mit Ausnahme der
erſten Hälfte des „Legitimen“ und der Skizze „Eine
Nacht an den Ufern des Tenneſſee,“ als deutſche
Original-Werke, bie in ben lebten zwei big
drei Jahren aber in den ‚Vereinten Staaten von
Amerila, England und Frankreich erfchienenen
Ausgaben als Ueberſetzungen zu betrachten
find. Ä
Mit diefer Erklärung verbindet er zugleich
ben Ausbrud des wärmften herzlichſten Dankes für
die — er darf es wohl jagen — beiſpiellos gaſt⸗
Der Legitime. L 2
—, XVII e—
freundliche, ausgezeichnete Aufnahme, die ihm higher
geworben — eine Aufnahme, bie ihn nie bedauern
lafien wird, feinen ſchwachen Kräfte der deutſchen
Hation gewidmet zu haben. —
Baden, den’ 15. Juli 1845.
Charles Sealsfield.
/
BYorwort der Berleger
zur erften Auflage.
Die folgenden Blätter find ung von einem hochashibaren,
in den Vereinigten Staaten angeflebelten Manne mit dem
Antrage zugefandt worden, fle dem Drude zu übergeben.
Wir beeilen uns daher, unfern Lefern diefes aus einer
transatlantifchen Fever gefloflene Geiftesprobuft mit der Er:
Härung des Einfenders vorzulegen, bie wir mit feinen eigenen
Worten geben und deſſen Willen wir bei der Gorrektur
möglichft berüdfichtigt haben:
„Sie erhalten Hiemit ein Werk, deſſen deutſche Vearbeitins
mir die angenehmſten Stunden verurſacht hat. Ich habe
ſelten ein ſo reines Vergnügen genoſſen, als mir bei dieſer
Arbeit zu Theil ward. Nur derjenige, der feit längerer Zeit
mit den Berhältniffen diefes großen und glüclichen Landes
befannt ift, Tann den Meiftergriffel, der diefe Blätter
gezeichnet hat, gehörig würdigen. Ich glaube Ihnen ferner
bemerfen zu müflen, daß ein Theil dieſer Blaͤtter bereits in
den Vereinigten Staaten (natürlich in engliſcher Sprache)
erſchienen, das uͤbrige aber noch im Manuſcripte vorliegt,
2".
—d XX 9
welches ver geehrte Verfaſſer mir gütigft zur Verdeutſchung
zu überlafien bewogen ward. " Wann er diefes ſelbſt publi-
ziren wird, Tann ich nicht beſtimmen; doch vermuthe ich, daß
es noch geraume Zeit anftehen werde. Sollten Sie in
diefer meiner Verdeutſchung Amerilanismen finden, ſo
bitte ich ſchonend umzugehen, da es ohne diefe ſchwer ſeyn
dürfte, dem Geiſte, der durch das Engliſche weht, vollkommen
Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, oder dieſelben rein dem
Leſer wiederzugeben. Dieſem dürfte ver Styl anfangs auf⸗
fallen; aber er wird ſich um ſo beſſer daran gewöhnen, als
er ihn zugleich mit dem Tone und der Sprechart der großen
Republik, deren Sitten hier zum Theile geſchildert werden,
vertraut macht und ihn gewiſſermaßen mit ihren Worten
fprechen lehrt.“
A.J. Smith Esg. Dauphin Oy. Pa.
Die ſchmerzlichen Empfindungen, mit welchen wir
zufammen M—e und dad Krankenlager des würdigen
Staatsmannes verließen, auf dad er. unter der Laft
falfher Beſchuldigungen geworfen und ſo der glor⸗
reichen Bahn, für die er geboren, ſo ſchmaͤhlich ent⸗
riſſen worden war, hatten Sie damals weniger em⸗
pfänglich für die Leiden eines Volkes gemacht, das
ſelbſt in feinem gegenwärtigen Zuſtande politiſcher
und moraliſcher Entartung eine ſo großartige Beto⸗
nung verräth. Sie haben jedoch meine Erwartung,
daß die damaligen Eindrücke nicht ganz ſpurlos an
Ihnen vorübergehen würden, auf eine herrliche Weiſe
gerechtfertigt, und die Hoffnung, daß dieſes unter⸗
drückte und gemißhandelte Geſchlecht endlich vor
21
feinpfeligen Einwirkungen gefichert, in feinen neuen
Wohnfitzen beftehen werde, ift mir nun lebendiger
denn je geworden. Auch ich bin Ihrer, fo Eräftig auf
der Rednerbühne und in Ihren Schriften geäußerten
Meinung, daß diefes Volk, wenn nod länger im
Kampfe mit der Selbftjucht unfrer Grenzbewohner,
ganz vernichtet werben würde, daß es fo nicht be-
ftehen könne, und daß, im Kalle feines Bleibens, höch—
ftend nur die fogenannten Häuptlinge und ihre An-
verwandten mil einigen wenigen flärfern Charaftern
fih zu unferer Cultur auffäwingen und unfern
Bürgerthun gewonnen werden Fünnten, hingegen
der Neft unvermeidlich immer tiefer und tiefer finfen
und zu jenem Auswurf herabgewürbigt werben müßte,
der fo manche Länder der alten Welt beläftigt. Ich
flimme mit Ihnen vollkommen darin überein, daß die
Ueberrefte dieſes intereffanten Volkes nur dadurch
gerettet werben können, daß fle wieder auf den ihnen
zufagenden Boden ihrer Urwälder verpflanzt und durch
unmittelbare Berührung mit verwandten Stämmen
ihre erfchlaffte Nationalität aufgefrifcht und ihre aus⸗
gearteten Sitten veredelt werden; vorzüglich aber,
daß fle aus der unglüdjeligen Berührung mit ver
— 3 —
laſterhaften Selbſtſucht unſerer Sauatters und Krä-
mer gerifjen werben.
Aber beklagenswerth bleiben nice deſtoweniger die
Schickſale dieſes unglücklichen Volkes, und groß die
Leiden, welche bie ſtärkern Seelen unter demfelben
fühlen müfjen, bei der Trennung von dem Lande, in
dem fie und ihre Väter geboren wurden. Ich babe
neuerlid) eine Abtheilung dieſer Ueberzügler in ber
Nähe des Dazoo gefehen, wie fte jo eben über ven
Miffifippi gefeßt wurden. Die Aermern waren durch⸗
gängig in ihren gewöhnlichen Stumpffinn verfunfen,
äußerten weber Freude noch Schmerz, obgleich Die Ver⸗
pflegungsanftalten auf dem Ueberzuge vortrefflich wa⸗
ten, die Hauptlinge und die beſſern Familien ſchienen
unter der Laft ihres Sammers zu unterliegen. Es war
ein ſchmerzvoller Anblick, fie hinüberftarren zu fehen
auf das öſtliche Ufer nes Mifftfippi; Mehrere ftredten
ihre Hände darnach aus. Auf dem Zuge aus ihren hei⸗
mathlihen Wäldern, erzählten mir die Commifſſaire,
wandten fie ſich jede tauſend Schritte und ſchauten zu⸗
rück auf die Berge und Fluren, die ſie verlaſſen, und
wurden jede Stunde düſtrer und troſtloſer. Einige
trugen die Gebeine ihrer Eltern als den köſtlichſten
— —
Schatz mit fih, um fle ver Erde ihrer neuen Wohn-
fige zu übergeben.
Die Scene war um fo melancholifcher, ald man fi
des niederſchlagenden Gedankens nicht erwehren konnte,
daß während wir unfer and den Auswürflingen und
Abenteurern der alten Welt öffnen, die letzten urſprüng⸗
lichen Beflger des Bodens, die ſich gleichſam angeklam⸗
mert haben an ihre heimathlichen Wälder, nachdem
bereits alle ihre Nachbarn gewichen find, hinausge⸗
ſtoßen werden ſollen in die wilde Nacht der Steppen,
durch die Selbſtſucht der Kinder und Kindeskinder
derſelben Väter, die fie gaſtfreundlich einſt in ihre
Hütten aufgenommen.
Wahrlich, ver große Weife hatte Urfache, feine trüße
prophetifche Mahnung auözufprechen. — Und je länger
ich über das Schickſal dieſes bejammernswerthen Ge⸗
ſchlechtes nachdenke, deſto mehr fange auch ich an zu
befürchten.
Ich habe mich feit jener Reiſe viel mit diefem Volke
und feinen Sitten und Einrichtungen beichäftigt, und
mir ſchien es eine nicht undankbare Arbeit, die Ge⸗
müther unferer Mitbürger durch eine gefchichtliche Dar⸗
ſtellung eines der großen Charaktere aus dem Zeite
5
abfehnitte, wo dad Mipverhältniß, in dem fie zu ven
Unfrigen zu ftehen anfingen, auffallender wurbe, auf
eine würdige Weife anzufprecden. — Die einfache
Erzählung, die wir-in jener Nacht unter dem Dache
des greifen Häuptlings anhören mußten, daͤuchte mir
felbft ald Tradition würdig, der Vergeſenheit ent⸗
riſſen zu werden.
Eine Execurſion nad) der Hauptſtadt führte mich i in
die Citybibliothek, und ih fand zu meinem nicht ges
ringen Bergnügen die Schidlfale des Mannes, fo wie
fie und erzählt wurden, nicht nur beflätigt, ſondern
auch mehrere bedeutende Aufihlüffe über ven Kampf
und die Leiden dieſes gewaltigen und lebten großen
Charakterd viefer Nation. Er war vie leitende Haupt-
perfon in den zwei legten Jahrzehnten des verflofienen
und dem erften des gegenwärtigen Sahrhunderts, —
wie Sie in ver History of the state of Georgia pu-
blished at Savannah 1802, und in dem Account of
the Indians of the Southern States especjally of
Georgia finden werden. — In der Franklin-Library
in Philadelphia müfjen dieſe beiven Werke unfehlbar
jegn. Mehrere minder bedeutende Blugfehriften er-
wähnen feiner gleichfalls.
—5 6 0
“ Ueber die beſte Art der Darſtellung war ich einige
Seit umentſchloſſen. Fuͤr eine Geſchichte Hatte ich
nicht Hinlänglih Maße, da eine ſolche natürlich die
feines Volkes mit hätte einbegreifen müffen und die
vielen Berfuche unferer litergrifchen Dilettanten dieſes
Geſchichtsſtudium voluminds zu machen drohen.
Sch ſchwankte zwifchen einer biographiſchen und ro⸗
mantiſchen Darſtellung und entſchloß mich zu letzterer,
die mir um ſo geeigneter ſchien, als die ſeltſame Ver⸗
kettung des Geſchickes dieſes merkwürdigen Mannes
mit einer Menge geſchichtlicher Perſonen und beſonders
der edlen Dame, die gegenwärtig in den höchſten
Kreiſen eines benachbarten Landes ſo verdienter Maßen
glänzt, ſeinem wirklich großartigen Charakter ein
ganz romantiſches Gepraͤge verliehen und mir zugleich
einleuchtete, daß dieſe Darſtellungsart zur geſchicht⸗
lichen erhoben werben könne, wenn die Quelle ge-
wiffenhaft angegeben und der Leſer ſo in ven Stand
geſetzt wird, felbft zu urtheilen, in mwiefern der Autor
dem Urbilve feines Helden treu geblieben ift.
Ueberhaupt habe ih für ven wahrhaft geichicht-
lichen Roman — deren wir leider nur fehr wenig
gute befigen — eine große Vorliebe. Für alle Stände
—7 >
find fie ein weit einflußreicheres Bildungs⸗ und Auf-
Härungsmittel, als biöher geglaubt wurde, und un=
berechenbar find die Wirkungen, die ein gutes gefchicht-
liches, auf Quellen gegründetes, mit Wahrheit und
ohne Uebertreibung gefchriebenes Buch diefer Art auf
eine empfängliche und nicht gänzlich überfättigte ober
üßerraffinirte Nation Haben muß.
Ihnen, der mit den indianiſchen Sitten und Cha=
raktern durch lange Beobachtung fo innig vertraut
geworden iſt, darf ich kaum bemerken, daß da, wo
meine eigenen Beobachtungen des Muscogeevolks⸗
charakters nicht auslangten, ich diejenigen ſtammver⸗
wandter Nationen zu Hülfe nahm, wobei mir die
neulich erſchienenen Schriften unſeres Agenten Colonel,
Me. Kenney, beſonders feine Tour zu den Chippewas,
Mores Account of the Indians und andere mehr, zu
ftatten famen. Was die in dem Buche felbft vor-
. kommenden Charaktere betrifft, jo werden Gie Feine
Schwierigkeit Haben, die meiften wieder zu erkennen.
Einer verfelben, wiſſen Sie, hatte leider zu viele Wich-
tigfeit in einen Zeitpunfte erlangt, der allerdings
bedenklich genannt werden mochte, doch inmerhin
— 8 >
nicht von der Art war, um die Anwendung ſolcher
deſperaten Mittel zu rechtfertigen.
VUebrigens werden fle mir, nach den Nachtſcenen
in Hawkset tavern, nicht zumuthen, daß meine Ab⸗
ſichten fich fo weit verſteigen, die lotterieſüchtigen
Bürger eines gewiſſen Staates *) von ihrem Ent-
ſchluſſe zurüdzubringen. Nein, die Lofe find bereits
auögetheilt, ja geworfen; aber felbft dann werbe ich
mich Hinlänglih belohnt fühlen, wenn viefe Blätter
beitragen, der genrüdten Nation Sicherheit in ihren
neuen Wohnflgen zu erwerben und fle mit einer
weniger gewiffenlofen Douane zu umgürten, als die
war, welche Bisher ihr Loos vergällte, ihre Eriftenz
verfümmerte und ihr Dafeyn vergiftete. Es wäre
traurig, wenn wir nicht ernftlich bedacht wären, end⸗
ih zu verhüten, daß Logans Worte in ihre ſchreck⸗
liche Erfüllung geben.
Alerandria La, den 30. September 1831.
*) Georgiens; die Länder ver Indianer find bereits großen-
theils durch bie Lotterie ausgefpielt.
00
Erfies Kapitel,
Haben wir Teufel Bier, und fpielt Ihr uns Poffen
mit Euern Wilden und Indianern?
‚Shakespeare.
An ver Eiafe,. bie. fich vom Städichen Cooſa
nach der Hauptſtadt von Georgien, Milledgeville, hin⸗
abwindet, und nahe dem Platze, wo gegenwärtig der
Gaſthof gleichen Namens den ermübeten Reiſenden
zur Ruhe einladet, ſtand vor beiläufig dreißig Jahren
unter einem Velfenvorjprung, auf welchem einige
Dutzende rother Cedern und Fichtenbäume murzelten,
ein rauh ausfehenves, mäßig großes Blockhaus. Vor
demfelben erhob ſich ein Gerüft, das aus zwei manns⸗
vielen Balken befand, verbunden durch Querpfoſten,
zwifchen welchen ein ungeheurer Schild Hin und ber-
ſchwebte, der bei näherer Beflchtigung eine groteöfe
Bigur im grelfften Farbenſchmucke wahrnehmen ließ,
— 10 —
deren Diadem von Federn, Tomahawk, Schlachtmef-
fer und Wampum wahrjheinlih einen indianischen
Häuptling bezeichnen follte. Unter dem Schild war
mit Buchſtaben, ägyptiſchen Hieroglyphen nicht un
ähnlich, gefrigelt, entertainment For man And
beast*). Zur rechten Seite des Haufes, oder vielmehr
der Hütte, und näher dem Bahrmwege, waren von
Balken gezimmerte. Verſchläge, vom Wege nur durch
eine breite Kothpfübe getrennt, und mit Haufen von
Stroh una Heu angefülkt „aus denen hie und da
Veberrefte ſchmutzigen Bettzeuges hervorſchauten, und
fo errathen ließen, daß dieſe Gemächer nicht nur für
das Fiebe Vieh, fondern auch jene Reiſenden beſtimmt
feyen, vie ihr Unftern bemüßigte, bier Ruhe und
Nachtlager zu juhen. Ein paar Kuh- und Schwein-
ftälle bildeten das Ganze dieſer Sinterwälpler- Anfle=
delung. |
Es war eine ftürmifche Dezembernacht, der Wind
heulte furchtbar durch den ſchwarzen Fichtenwalb, an
defien Abhange die Hütte gelegen war, und das
*) Einkehr für Mann und Thier.
—, 11 ⸗—
ſchnell auf einander folgende Krachen ver Baum-
fämme, die der Sturm mit bonneräßnlichem Getöfe
zur Erde brachte, verkündete einen jener wüthenden
Orkane, die ſo häufig zwifchen den Blye Mountains
von Xenneflee und dem flachen Mifftfippilanve ihren
Zug nehmen, und auf diefem — Wälder, Hütten und
Dörfer mit fih führen. Mitten in diefem tobenden
Sturme. ließ fi ein leiſes Tappen an dem Fenfter-
laden der oben befchriebenen Hütte vernehmen, dem
bald darauf ein ſtarkes Pochen oder vielmehr Heftige
Schläge folgten, vie die. Balken, aus welchen bie
Hütte gezimmert war, in ihren Orundfeften erſchüt⸗
terten. Nicht lange nach dieſer Aufforderung öffnete
. fi die Thür zur Hälfte, ein Kopf ftredte fich heraus
in bie finftere Nacht, als wollte er ven Grund recog⸗
nosciren, während in demfelben Augenblicke ver Schaft
eines Karabinerd vorrückte, zweifelöohne um dem
Inwohner die fernere Mühe des Deffnens zu erfparen.
Zu gleicher Zeit trat eine lange Geſtalt heran, riß
die Thüre weit auf, und fehritt mit ſtarken Schritten
in die Stube, wo fie vor dein Feuerplatze ihren Sitz
nahm, hinter ihr drein eine Gruppe von Wefen, die
æ12 —
halb ſchreitend halb trabend ihrem Führer in einer
Linie und im tiefſten Schweigen folgten.
Es dauerte ziemlich lange, bis beilaͤufig zwanzig
dieſer Nachtgeſtalten in vie Hütte eingedrungen waren.
Ms ver Zug fein Ende erreicht hatte, ſchloß fich die
Thüre wieder; ein Toloffaler Dann näherte fich dem
Seuerplage, wo ein dicker Klotz noch gliminte, warf
einige Scheite darauf, und zündete einen ver Pechſpäne
an, bie in einem Haufen nahe lagen, dann, auf ven
Schenktifch gemeſſenen Schrittes zutretend, ergriff er
ganz ruhig ein Talglicht, und feßte e3 angezündet auf
den Tiſch.
Das kunſtloſe — beinahe rohe Innere ver gütte,
fo ganz dem Aeußern entfpreihend, ließ fich nun deuh⸗⸗
licher im düſtern Schein des Talglichted — und bes
allmählig auflodernden Feuers erfehen. Auf einem
Stuhle vor dem Feuerplage faß der Mann, ver zuerft
eingetreten war, eine blutbefleckte Wolldecke über ven
ganzen Leib geworfen, fo daß Geficht und Geflalt
verhüllt waren. Hinter ihm auf dem Lehmboden
kauerte eine Gruppe von zwanzig Indianern aufihren
Hüften, ihre Schenkel in einander verfchlungen, ihre
Gefichter gleichfalls in ihre naſſen Wolldecken gehüllt,
Ben
an denen große Blutfleden anzudeuten fohienen, daß
der Charakter der Expedition, von ber. fie kamen,
ziemlich blutig, geweſen fen.
Gegenüber dem Feuerplatze ſtand in ber Ecke der
Schenktiſch, hinter deſſen Gitterwerk ein Dutzend
ſchmutziger Flaſchen und noch ſchmutzigere Gläfer und
Krüge aufgeftellt waren. _ Drei blau angeftrichene
Faßchen mit ber. Ueberferift French Brandy, Gin,
Monongebala ſtanden eine Stufe tiefer. -Ein Haufen
von Hirſch⸗, Biber⸗, Bären- und Fuchsfellen zur
linfen Seite reichte beinahe bid zum Geländer, und
zeugte von lebhaftem Verkehr mit ver Eupferfarbigen
Mare. Zunächſt dieſen erhob ſich ein ungeheured
Simmelbett, umringt von drei niedrigern Bettftellen
und einer Wiege, ober vielmehr einem Troge, ein
Fragment von einem hohlen Baume, an deſſen Ende
Stücke von Brettern genagelt waren. In biefen ver
fhievenartigen Behältniffen genoß die Familie des
Gaſtgebers, den lauten ziemlich groben Lungentönen
nach zu urtheilen, einer unerſchütterlichen und voll⸗
kommenen Ruhe. Die Waͤnde der Stube zeigten die
rohen und unbehauenen Baumſtämme, deren einzige
Der Legitime. J. 3
— 1 0—
Ornamente breite Streifen von Lehm waren, melde
die Zmifchenräume augfüllten.. |
In diefer Stube nun, die, nach ihren mannigfalti-
gen Beftimmungen zu ſchließen, ver Lefer ſich ziemlich
geräumig vorftelen muß, ſah man den Wirth befchäf:
tigt, die Stühle und Bänke, die die Einpringer ohne
weiteres über den ‘Haufen geworfen. hatten, wieber in
Ordnung zu.bringen, und dieß ganz in ver ruhigen
Falten troßigen Manier, die einen hätte vermuthen
laſſen ſollen, feine Gäſte ſeyen eher Nachbarn, als fo
eben von einer blutigen- Expedition. zurüdgefehrte
Wilde, vielleicht gefommen, feinen und der Seinigen
Bälge als Zugabe zu ihrer Expedition mit ſich zu
nehmen. Nachdem er den Iesten Stuhl an feinen
Ort geſtellt, feßte er fich ſelbſt zunächft dem Manne,
ver als Führer der Bande ven Plab im Vordergrunde
genommen hatte.“
Einige Minuten mochten fo Beide gefeffen ken, als
ver Letztere fi aufrichtete, und einen Theil feines
Hauptes entblößte, deffen andere Hälfte mit einem
Stüde von Calico verbunden war, an dem kleine
Knoten gerommenen Blutes gleih Franſen hingen.
Der Hinterwäloler marf einen Seitenblid auf den
—d 5 ⸗—
'
Indianer ,. wandte jedoch fein Auge. in der. noͤchſten
Sekunde dem kuiſternden dener m. J
„Hat mein weher Bruder keine Zunge?’ nahm
endlich der Indianer das Wort, „oder läßt ex fie
werten, um ſie deſto beffer zu kruͤmmen 24
Die lebten Worte waren in einem tiefen, höhniſchem
Kehlentone gefprochen. PH
„Er will anhören, was der Häupfling fagen wir. |
erwiederte muͤrriſch trocken der Umerikaner. 5
„Gehe und rufe Dein Weib,“ ſprach ver Indianer
in demſelben tiefen Baßtone.
Der Wirth erhob fi, wandte is gegen das
gewaltige Chebette, und fprach, nachdem er die Vor⸗
hänge auseinander gethan, mit feiner Frau, die im
Bette aufgejeflen, und wie es fehlen, eher neugierig
als ängftlih, der Fommenden Dinge geharrt hatte.
Nach einem kurzen Zmweigefpräch Fam das Weib aus
ihrem Hinterhalte. Sie war eine berbe Dame, breit
ſchulterig und vollgewichtig, mit einem Zuge in ihrem
eben nicht jehr zart geformten Gefichte, der deutlich
ausſprach, daß fle nicht leicht außer Baflung gebracht
werben könne. Ihr Veberro von Linſey⸗Woolſey,
g*
—H 16 ⸗—
für täglishen und nächtlichen Gebrauch beſtimmt, hob
ihre geivaltige Geftalt noch mehr heraus,:als fie feſten
Schritted und Beinahe aufgebracht neben ihrem Ehe⸗
manneheranfhritt, Die drohende Ruhe ihrer Befucher
jedoch, ihre bIntigen Köpfe und Wolldecken, nun erhellt
durch die hochaufſchlagende Flamme, erfchienen fo üble
Vorbedeutungszeichen, daß dad gute Weib ſichtlich
zuſammenſchrack. Ihre erſten Schritte, die raſch und
zuverſichtlich auf die Indianer gerichtet waren, be⸗
ganñen zu wanken, und mit einem unwillkürlichen
Schauder drehte fie’ ſich nach der Seite, wo ihr. Mann
wieder ſeinen Sitz genommen hatte. Eine Minute
verging in düſterm Schweigen.
Der Indianer erhob nun fein Haupt, ohne. jedoch
aufzublicken, und ſprach im firengen Tone: „Höre,
Weib, was ein großer Krieger Dir jagen wird, deſſen
Hände offen find, und der Das Wigwam feined Bruders
mit vielen Sirihhäuten füllen wird. Für dieſes
wird er bloß wenig von feiner. Schwefter verlangen,
und dieſes Wenige mag fie leicht geben. Hat meine
Schweſter,“ frug der Indianer mit erhöhter Stimme,
einen Blick auf das Weib richtend, „bat fie Milch
für eine kleine Tochter ?«
—ı 11 —
Das Weib ſah den Indianer verwundert an.
„Will ſie,“ fuhr biefer fort, „ein Weniges von
ihrer Mid einer Hleinen Tochter geben, bie ſonſt
wegen Mangels ſterben würde ?«
Die Züge des lauſchenden Weibes heiterten ſich in
dem Maße auf, als es ihr klur zu werben anfing, daß
der Indianer etwas von ihr wolle, und es alfo in
ihrer Gewalt ſtände, eine Gunft zu gewähren ober
auch zu verfagen. Sie dehnte fich non der Seite ihres
Chemannd dem Indianer zu, und ſchien mit Sehn⸗
ſucht nähere Aufſchlüſſe über eine fo fonverbare Zus
muthung zu · erwarten.
Der Indianer, ohne fle im mindeſten eines Blickes
zu würdigen, öffnete die weiten Falten feiner Wollvede,
und zog ein wunderſchönes Kind, in foftbare Pelze
gehüllt, hervor.
Das Weib ſtand einige Augenblicke wie erſtarrt
über die liebliche Erſcheinung; Verwunderung und
Erſtaunen ſchienen ihre Zunge gefeſſelt zu haben.
Neugierde jedoch, dieſes liebliche Weſen näher zu
beſehen, und vielleicht Muttergefühl, lösten nun auf
einmal biefe.
„Guter Gott!u rief ſie, während ſie beide Sände
—H 18 —
ausſtreckte, dad Kind zu empfangen.” „Guter Gott!
Was für ein Tieblich, wunderlieblich Fleined Ding, und
guter Eltern Kind muß es auch noch ſeyn, Ihr könnt
euch drauf verlaſſen. Schwoͤren wollteih. Schaut
nur einmal die Felle und die feinen Spigen. Habt
Ihr in eurem Leben fo etwas gefehen? Wo habt Ihr
das Kinn her? Armes, kleines Ding! Ja wohl will
ichs füttern. Es ift ja fein rothes Kind.”
Die Dame fchlen guter Luft zu ſeyn, ihrer Ver⸗
wunderung noch eine Weile freien Lauf zu laffen; ein
bebeutfamer Wink ihres Mannes jedoch ſchloß ihr
den Mund. Der Häuptling, ohne fie der geringften
Aufmerkfamkfeit zu würdigen, entfaltete das blaue
Fuchspelzchen, freifte es dem Kinde ab und ſchickte
fich an, es aus dem Ueberröckchen zu ziehen. Es war
ihm nach einiger Mühe gelungen, dem Kinde auch
diefes abzuziehen; allein ein drittes, viertes und fünftes
erfhien, in welche vie Kleine gleich wie ein Seiden⸗
wurm in feine Cocons eingehüllt war. Der Indianer
verlor mit einem Male vie Geduld, und fein Schlacht⸗
meffer ergreifend, ſchnitt er dem Kinde die drei noch
übrigen Kleidchen vom Leibe, es dann nadt ber
Wirthin hinhaltend.
— 19
nBingefleifchter- Satan! Treifähte das ſchaudexnde
Weib, indem ſie das Kind mit rat aus jeinen
Händen riß. ann
Halt!“ ſprach der Indianer, kalt: und anbeweglich
auf den Hals des Kindes blickend, von. dem ein
goldnes Kettchen. mit einer kleinen Medaille hing.
Das Weib, ohne ein Wort zu ſagen, ſtreifte die Kette
dem Kinde über das Köpfchen ab, warf ſie dem In⸗
dianer ins Geſicht, und eilte ihrem Bette zu.
„Der Teufel iſt in dem Weibe,“ brummte ver
Wirth, nicht wenig, wie es ſchien, über ihre Heftigkeit
beunruhigt.
„Der rothe Krieger," ſprach der Indianer i in uner⸗
jhütterlicher Nuhe, „wird mit Biberfellen die Mil
feiner Heinen Tochter bezahlen; aber er will behalten,
was er aufgelefen bat, und die Thüre muß ſich öffnen,
wenn er um dad Kind anruft.
nAber,“ verfebte der Wirth, dem ed nun auf ein=
mal einzuleuchten ſchien, daß eine nähere Erklärung
nicht überflüſſig feyn dürfte, „aufrichtig gefagt, ich
gebe nicht vieldarum, und behalte dad. Kind, obwohl
ich, Gott fey Dank, deren felbft erklecklich habe. Aber
follten nun die Eltern fommen, oder der weiße Vater
—I N —
von dem ‚Rinde hören, was dann? Der rothe Häupt«
ling weiß, feine Hände reichen weit.“
Der Indianer hielt eine Weile inne, und ſprach dann
in einem beveutfamen Tone: „Des Kindes Mutterwird
nie wieber fommen. — Die Nacht ift fehr dunkel. —
Der Sturm braußt ſehr ſtark. — Morgen wird nichts
von den Fußſtapfen ver rothen Krieger zu ſehen ſeyn. —
Es ift weit zu ven Wigwams des weißen Vaterd. —
Hört er von den Kinde, dann hat mein weißer Bruder
ihm Davon gefagt. — Nimmt er es, ſo wird der rothe
Häuptling die Kopfhäute ver Kinder feines weißen
Bruders nehmen.“
„Dann nimm Dein Kind wieder zurüd, ich will
nichts damit zu thun haben,“ ſprach der Hinterwäldler
im entſchloſſenen Tone.
Der Indianer zog ſein blutiges Meſſer, und warf
einen erwartenden Blick dem Bette zu, hinter deſſen
Vorhängen das Kind verſchwunden war.
„Wir werden dafür Sorge tragen, Niemand ſoll
etwas davon erfahren; kreiſchte das erſchrockene Weib.
Der Indianer ſteckte ſein Schlachtmeſſer wieder ruhig
in den Gürtel, upd ſprach: „Die Kehlen ver rothen
Männer find trocken.“
— N.
Bon dem Bette herüber Heß fh ein Gemurmel
hören, das dem: hriftlihen Wunſche nicht unähnlih
Hang, jeber Tropfen möge ven Bluthunden zu Gift
werden: der Wirth jedoch, weniger von der rachedür⸗
fienden Menfchlichkeit feiner Ehchälfte befeelt, eilte
ziemlich jchnel dem Schenktifche zu, um ven Forbes
zungen feiner Gäfte Genüge zu leiſten. Der Häupt⸗
Uing trank fein halbes Gillglas Whisky figend und
auf einen Zug aus, dann ging es in der Runde herum.
Nachdem die ſechste Flaſche geleert war, erhob Erſterer
fich plötzlich, warf ein ſpaniſches Goldſtück auf die
Tafel, öffnete die Vorhänge des Bettes, und hing
dem Kinde eine Hulskette von Korallen um, bie er
aus feinen Wampumgürtel gezogen hatte.
„Die Mufcogeed werben die Tochter eined ihrer
Krieger erkennen,“ ſprach er, feinen Bli auf dad Kind
beftend, dad nun ruhig am Bufen ver Wirthin in
feinem neuen Flanellröckchen Tag. Noch einen zweiten
Blick warf er auf das Kind und dad Weib, und dann
wandte er fi ſtillſchweigend ver Thüre zu, und vers
ſchwand mit feinen Gefährten, in der finftern Nacht.
„Der Windftoß ift vorüber;u ſprach der Wirth,
der den Indianern durch die Thüre nachgefehen hatte,
— 2
als ſie ſich hinab zu ihren Virkenkanoes an dem Cooſa
ſtahlen.
„Ums Himmeswillen! Wer iſt dieſer eingefleiſchte
rothe Teufel?« unterbrach ihn ſein Weib, tiefen Athem
holend und unwillkürlich aufſchaudernd.
„Huſh, Weib! halt Dein Maul, bis der Coofa
zwiſchen Deiner Zunge und ven Rothfellen iſt. Es
ift fein Spaß. Ich verſichere Dip. «
Mit diefen Worten ſchloß er die Thüre, und näherte
fich mit dem brennenden Lichte dem Bette, wo fein
Weib nem Kinde die Bruft gab.
- Armes Ding, *fpracher, „könnteſt Du, Du würdeft
wahrlich eine Geſchichte kund thun, vor der einem die
Haare zu Berge ſtehen möchten. Ja und ſie mag uns
auch unſere Haut koſten. Es iſt nicht alles wie es ſeyn
ſollte. Dieſe rothen Teufel waren auf einer Skalp⸗
Erpedition. Das iſt nun fo gut als richtig. Aber wo
fie waren, das weiß ver Himmiel. Wohl, wären fie
nod dem Spanier über ven Hals gekommen,“ fubr
der Mann fort, wechfelmeife ven Säugling und das
Goldſtück betrachtend, wich feherte mich den Henker
drum, aber ſo —“
Mit viefen Worte warf er ſich wieder ins Bette.
—,B e—
Aber es verging eine lange Stunde, ehe ver Schlaf
über ihn kam. Der Vorfall ſchien ihm Rube und
"Haft geraubt zu haben.
Capitain John Copeland, dieß war der Name und
Charakter des Schenkwirthes zum Indianiſchen Häupt-
ling, von dem wir bisher unfre Lefer unterhalten
haben, war einer jener befugten Zwiſchenhändler,
bie feit zwei Jahren ſich in dent Lande der Creeks unter
dem Patronate ver Eentralregierung, und unter dem
unmittelbaren Schuße des unter den Indianern refl-
direnden Agenten, niedergelaffen hatten. Er hatte
fih von öſtlichen Georgien mit feinem Weibe und
vier Kindern überfiedelt, ſich mit Hülfe von fünfzig
Dollars die Sammlung obenbenannter Branntwein-
faͤſſer angefjafft, feine Familie mit zwei neuen Spröß-
lingen, feine Habe aber bereits um dad Zwanzigfache
vermehrt, und befand fich nun, ein Mann zwiſchen
dreißig und vierzig, fo wohl, als ed nur immer einer
feyn konnte, der, um in ver Landesſprache zu reven,
breitfäulterig und vierfhrötig, in feinen eigenen
Schuhen fand. Niemanden über ich, Jeden, ver
nicht Bürger war, unter ſich achtend, verband er
klugermaßen gerade fo viel Kneipenwig mit feiner
— —
volutionskrieges und ber erſten zehn darauf folgenden
Jahre hatte man fie auch in Ruhe gelaffen. Die Bürger
Georgiend, Taum im Stande, fih der auswärtigen
Feinde zu erwehren und ihre eigenen Felder zu pflügen,
hatten ſich weislich gehütet, vie ſchlummernden Wilden
zu wecken. Die achtzehn Jahre jedoch, die ſeit der
Beendigung des Freiheitskampfes verfloſſen waren,
hatten allmählig die tiefen Wunden geheilt, die Krieg
und Verheerung viefem Staat gefchlagen; mit der
beinahe verboppelten Bevölkerung war auch pad Be⸗
dürfniß geftiegen, fich im üppigen Weften auözubreiten.
Die rüftige Jugend begann daher fehnfüchtige Blicke
auf die fetten Wallnuß⸗ und Ahornnieverungen zu
werfen, die jich in den herrlichen Thalweiten ver Cooſa⸗
und Deoneeflüffe erſtrecken. Nicht Iange währte es,
und die Ueberzügler Tamen häufiger und häufiger mit
Wagen und Pferden, Weibern und Kinvern, ihren
Rindern und ihrer Habe, um fi} die beſten Stellen
des Landes auszufuchen, ohne fi um Nechtätitel oder
Beſitzthum im mindeſten zu kümmern. Diefer rechtlofe
Zuftand hatte nur wenige Monate vor dem nächtlichen
Ereigniffe Beranlaffung zu einer ernften Streitigfeit
wegen des Befitzes ver Ländereien am Oconeefluſſe
—9 97 —
gegeben. Zwar wurde dieſe noch durch Vermittlung
der Gentralregierung beigelegt, aber. der Vergleich,
weit entfernt die Gemüther zu beruhigen, hatte vielmehr
einen giftigen Stachel in den Herzen der Indianer
zurüdgelafien. Derfelbe Häuptling der Creeks, der
fi hatte verleiten laſſen, diefen herrlichen Landſtrich
abzutreten, war feiner Abftammung nach gemifchter
Race, und feine Mutter eine Amerifanerin. Diefer
Umftand würde fhon allein Hinreichenn geweſen feyn,
das Mißtrauen der Indianer in einem hohen Grabe
aufzuregen, felbft wenn fi nicht ein bedeutender
Stamm dieſes Volkes durch den Vertrag beeinträchtigt
gefühlt Haben würde; Iehteres war jedoch wirklich in
einem fchreienden Grade ver Ball gewefen, und gerade
der Hauptflamm dieſes ausgezeichneten Volkes, mit
einem Abfömmlinge der alten Mikos oder Könige
der Deoneed, war durch diefen Vertrag mit feinem
ganzen Stamme land- und heimathlos geworben.
Diefer Milo nun fland im Rufe, der bitterfle Feind
der Weißen zu feyn. Seine Unbeugfamfeit und Hart-
nädigfeit waren zum Sprichworte geworben. Sein
Einfluß, hieß es, fey unbefchränft in feinem Stamme,
und überwiegend im Rathe der ganzen Nation, bie
18 —
nun für den Beſitz ihres noch übrigen Gebietes mit
Recht beforgt- wurde.
Gekränkt und gedrückt i in feinen Nechten, wie ver
heimathloſe ftolze Wilde ſich fühlen mußte, benurfte
es nur wenig, um bie glimmenve Flamme der Uns
zufriedenheit zum Ausbruche zu bringen. Ein Krieg,
fo hoffnungslos er für die Unterbrüdten am Ende
auch feyn mußte, war jedoch eine füschterliche Geißel
für die zerftreuten weißen Anſiedler in diefen Hinter⸗
wälvdern. Der Tod war das ©eringfte, was fie von
PMenfchen zu erwarten hatten, deren Rache und Blut-
durſt durch eine lange Folgenreihe von Unterdrückungen
ſo furchtbar aufgeregt waren. Der Capitain hatte
daher ziemlich ſtarke Gründe zum Nachſinnen erhalten,
und vertraut, wie er war, mit dem grauſamen Cha⸗
rakter des Volkes, unter welchem er lebte, mußte
ihm die zweideutige Ruhe, die ſeit einiger Zeit herrſchte,
mehr als bedenklich erſcheinen. Die Nachtſcene er⸗
ſchien ihm wie eine Andeutung, und ſeine Beſorgniß
war in voller Stärke erwacht. Welches der Entſchluß
war, den er gefaßt hatte, werden wir bald ſehen.
Bweites Kapitel.
Berwegener Hund, geh’ vu zurüd, wenn ich's befchle.
Shake epeare.
Die erften Strahlen der Morgenſonne fanden unf ern
Capitain mit Zurüſtungen zu einer Reiſe beſchäftigt,
die darin beſtanden, daß er ſtatt der Linſey⸗Woolſey⸗
Hofen — lederne anthat, feine Mokaſſins hervor-
ſuchte, an den rechten Fuß einen verrofteten Sporn
ſchnallte, über beide ein paar Leggings *) warf, die
einzeln einem mittelmäßig großen Manne fehr wohl
ale Diantel gedient haben könnten, und ſchließlich
fih zur wohlbefegten Tafel nieberließ, alles in ver
ſyftematiſchen Ruhe des Hinterwälblers: Leute, vie
befanntlih langſam zu einem Entſchluſſe fommen,
aber wenn viefer gefaßt iſt, eben fo befonnen als
unbeugjam ihn verfolgen, weder Hinberniffe jeheuen,
noch Furcht Fennen, und in der größten Gefahr noch
immer ein Mittel fehen, ven Wit zu ſchärfen, anftatt
fi dadurch abjchreden zu laſſen.
*) Schenteltücher, die beim Reiten um die Kniee herumge⸗
wunden werben. Dan findet fie vurchgängig auf dem Lande.
Der Legitime. I. 4
— 0 ⸗
nSende Tomba hinauf zu ben Cherodeefen mit
den Bälgen; Ihr Ik⸗wan Sa geht hinab zum Spanier;
er bat mir verfprochen fie mitzunehmen. Und haltet
Euch bereii für morgen Nacht, follte ich nicht bis zu
biefer Zeit bei Kaufe feyn; Hoffe der Deputy- Agent
ift daheim. Sollte mir nicht lieb ſeyn, wenn ich ihn
verfehlte.“
„Wann darf ich Dich surhdertwarten, Mann?u
fragte jein Weib. |
„Das ift mehr gefragt, als ih für jetzt beant-
worten kann. Vielleicht daß ich auf einige Tage oben
bleiben muß; komme ich nicht innerhalb zwei Tagen,
dann gehft Du zu den Eherodeefen. Du weißt, die in
Penſylvanien find auf — gegen den alten Adams.
Wollte, daß den Tory der Teufel holte! Sollten die
Nothhäute es verfpürt haben, fo verlag Dich darauf,
daß fie ſich die Confuſion zu Nutzen machen, und 's
hier losgeht. Thue auf alle Fälle, wie ich Dir geſagt.
Sie ſind rege, und wir müſſen uns ſputen, ſonſt
hängen unſre Bälge nächſte Woche in ihrem Council⸗
Wigwam.“
Mit dieſen Worten nahm er feine gewichtige Reit⸗
peitfche, mit der er wirklich einft einen Dammhirſch
—d 31 &—
zu Boden gefehlagen, von der Wand, ſteckte eine ge⸗
waltige Piſtole in ſeine lange Rokiſche/ und beſtieg
ſeinen Gaul.
Die Straße oder vielmehr der Pfad, den unſer
Capitain nun einſchlug, und der zur Wohnung des
Deputy⸗Agenten Capitain Mc. Lellan führte, Tief zu⸗
vörberft durch einen langen Fichtenwald. Der Grund,
eine fanft anſchwellende Anhöhe, war bedeckt mit einer
lchten Schichte Schneed, der nach dem Hagelflurme
gefallen war. Die tiefe Ruhe, die über die ganze
weite Landſchaft Hingebreitet, die ſchwarzen ſchlank
ſich erhebenden Fichtenflämme, deren bunfelgrüne
Zweige mit prachtvollen Schneeguirlanden behangen
in der Morgenſonne gleich Millionen von Brillanten
blitzten, die kalte ſcharfe Morgenluft, die durch den
Wald blies, alles das begann allmählig auf pas Blut
unſers Hinterwäldlers zu wirken, der im mäßigen
Schritte forttrabte, noch immer über die Nachtſcene
brütend und fie mit den verſchiedenen Aeußerungen
früherer Befucher zuſammenhaltend, — eine Geiſtes⸗
arbeit, die ihn häufig in ein Brummen ausbrechen
machte, aus dem die Worte „D—n them,“ zu ent»
nehmen waren.
4*
— 2
Sp mochte er’ einige Stunden fortgetrabt ſeyn.
Das Hochland ſenkte fih allmählig in eine breite
Thalweite, überwachen mit Wallnußbäumen, zwi«
ſchen denen fi bie und da ein Fichter Punkt zeigte, aus
dem einzelne Hütten, .aus Baumſtämmen aufge-
zimmert, hervorſchauten. Kleine Wälfchkornfelver
und Tabaköpflanzungen ſchloßen fi im Hintergrunde
an die Häuschen und bildeten nicht unangenehme
Nubepunfte. Der vorurtheilsfreie Reiſende ‚bürße
diefe Wohnungen des Friedens, die fo ruhig unter
den gewaltigen Baumftammen gleihfam mie hinges
zaubert lagen, Tieblich gefunden haben. Wir felbft
haben felten etwas Anziehenderes als diefe Woh-
nungen geſehen, deren wir und mehrerer in Arkanſas
erinnern, und bei veren Anblicke e8 uns immer war,
als ob fie den Füllhorn des Genius der Cultur bei
feinem erſten Durchfluge durch Diefe Gegend gleichfam
entglitten wären. Gapitain Copeland, zu dem wir
nah diefem Turzen Ausfluge wieder zurückkehren,
ſchien jedoch, ſeinem Brummen nach zu fehließen, nicht
biefer philantropifchen Meinung zu ſeyn. Er hatte
fich mittlerweile dem Oconee genähert, an deſſen
relzenden fern die Wigwamd immer häufiger er
—H 33 e⸗—
fbienen. Diefe Landſchaft hatte bereits damals einen
ziemlichen Anſtrich von Cultur. Die Hütten waren
bier geräumiger und nicht unähnlih den Wohnhäu⸗
fern der weftliden Grunpbeflter. Dan fah Ställe
für das Vieh, und ziemlich große Strecken von Wälfch-
korn⸗ und Tabaföpflanzungen. Mehrere waren ſelbſt
umringt von Obfigärten. Die Stirn unſres Hinter»
wäldlers fing an fi zu runzeln, als er feitwärts
nad) den Pilanzungen und Wohnhäufern fehielte,
deren mehrere das feinige an Umfang und Wohnlich-
feit übertrafen. |
nDer Teufel weiß, was Obriſt Hawkins im Sinne
hat mit feinen Zimmerleuten, Webern, Schmieden
und den taufend andern Leuten, die er dieſen Roth⸗
häuten zuführt. Er wird doch nicht dieſe rothen Teufel
für immer in Georgien behalten wollen? Verdammt,
wenn fie — und es flieht darnach aus;« murmelte er
nach einer Paufe, während welcher er ziemlich ſcheel⸗
fühtig auf ein Wohnhaus hinabblickte, das nahe an
feinem Wege lag.
nSie Haben ihre comfortabeln Wohnungen und
Wälſchkorn⸗ und Tabakspflanzungen, mehr glei
freien Männern denn verfluchten Nothhäuten, ſelbſt
+3»
Hanf brechen ſie;“ fuhr er in demſelben mürriſchen
Tone fort, als ſein Blick einer Gruppe von Mädchen
begegnete, die hinter dem Haufe um angezündete
Feuer ihren Hanf Iuftig ſchwenkten. „Ich vermuthe,
‚im einigen Jahren werben ſie's auch verfuchen ihren
Whisky zu brennen. Immer zu, mein Oberft Haw⸗
find. Es ift noch nicht aller Tage Abend geworden.
Rothhaut bleibt Rothhaut, und ich möchte eben ſo
wohl verſuchen, meine Neger weiß zu waſchen, als
dieſe verraͤtheriſchen Seelen zu ordentlichen Menſchen
zu machen.“
Unſere Leſer werden leicht einſehen, daß die An⸗
ſichten unſres Capitains von denen des erwähnten
philantropiſchen Oberſten Hawkins ziemlich verſchie⸗
den waren. Und die Wahrheit zu geſtehen, gerade
dieſe Anfichten waren es, die nicht nur unter feinen
Mitgenoffen im indianischen Zwiſchenhandel, fondern
bei den weftlichen Anflenlern überhaupt vorherrſchend
zu werden anfingen. Bereits in diefen frühern Zeiten
begann man mit unfreundlihem Auge auf die natür-
lichen und wahrhaft Iegitimen Beſitzer dieſes Landes
zu fehen; man gewöhnte fih, fie ald einen Auswurf
zu betrachten, deſſen man ſich nicht früh genug ent⸗
35 -
ledigen könne. Man war nichts weniger al8 geneigt,
ihre Fortſchritte in den verſchiedenen Zweigen ber
Landwirthſchaft und mechanifchen Gewerbe günflig an⸗
zufehen, da eben diefe den feften Entſchluß zu beur-
kunden ſchienen, im Lande zu verbleiben.
Wir fprechen von Georgien, und unfer apitain,
ein Bewohner dieſes Staated, theilte natürlih eine
Meinung, die um fo allgemeiner geworden war, als
fie mit dem Intereffe der Mehrzahl fo innig harmo⸗
nirte. Obriſt Hawkins war Daher nichts weniger als
ver Liebling eined Mannes, der mit vielen guten
Eigenfhaften auch mehrere zweineutigen Charakters
verband, und ufter den legtern eine angeborne Ab⸗
neigung gegen die rothe Nace, die er, jeinen eigenen
Ausdrud zu gebrauchen, grimmiger als die Polecatd
haßte. Diefe gute Meinung behielt er jenoch, wie,
leicht zu erachten, für fih, und ſelbſt gegenwärtig
entfchlüpfte fie Ihm nur in abgebrochenen Damns.
So hatte er beiläufig zwanzig Meilen zurüdgelegt,
und war an den Abhang eines Bergrüdens gefom-
men, von dem er eine weite Ausficht zurüd auf die
Niederung hatte. No einmal warf er einen Blick
über bie liebliche Gegend, ala wollte er feine Erbittes
36 ⸗—
zung kräftigen, und gab dann ſeinem Klepper den
Sporn. Ein dichtes Gebüſch von Hundsholz, Hickach
und wilden Lorbeeren lag vor ihm, deſſen weit um
ſich greifendes Gezweige ſeinem Geſichte allmälig be⸗
ſchwerlich zu werben anfing.
Er haͤtte bereits ein Duzend mal den Schnee, den
es in vollem Maße über ihn fehüttete, abgeworfen,
als fich plößlich ein leichtes Rauſchen im Lorbeerges
büſch hören Tieß, das ihn flugen machte. Einen
Augenblid hielt er inne, feine grauen Augen auf das
vernächtige Gebüſch gerichtet; dann z0g er ſich be⸗
hutſam zurück, und mit der einen Hand in feine Taſche
nad der Piftole fühlend, mit der ahbern die gewich⸗
tige Reitpeitfche ergreifend, harrte er der Dinge, die
da fommen würben.
„Ja fie find mir auf der Bährte, ich wollte wetten; «“
brummte er mit einem zweiten Blick auf das Dickicht,
das feine buſchichten Augenwimpern fträuben machte.
„Verdammt, daß ich nicht geftern geritten.”
Bereits war ed zu ſpät. Die Iehten Sylben bed
Monologs waren ihm kaum über bie Zunge, ald das
Gebüſch ſich öffnete, und eine lange wirklich ab-
ſchreckende Geſtalt aus dem Gezweige hervortrat, und
—91-
fich vor ihm auf eine Art aufrichtete, . die ein’ Hefferer
Chrift als er. unfehlbar für ein. Gefpenft gehalten
haben würde. Sein Pferd prallte zurück, und der
Reiter war nahe daran, aus dem Sattel geworfen
zu werben. Es war ber Häuptling von geftern, der
vor ihm fland, die Hälfte feines Hauptes noch immer
mit dem Stüde Tuch verbunden, fo daß nur Ein Auge
zu fehen war, deſſen flarrer Blick fi mit dem Aus⸗
drude der tiefften Beratung auf den Capitain
beftete.
„Ein mächtiger Krieger,“ fo ſprach der Indianer
nad einer langen Pauſe im Lone des bitterfien
Haſſes, „hat feine Rede einem Hunde vorgeworfen,
der nun geht, Unfraut in ven Pfad zu fäen, ver
zwifchen ven weißen und den rothen Männern liegt.
Hat er auch die Häupter Derjenigen gezählt, die er in
feinem Wigwam zurüdgelafien? Wenn er zurüdfehrt
vom weißen Zwifchenhänbler, vürfte er e8 leicht ge=
leert, und die Kopfhäute feines Weibes und feiner
Kinder bereits getrocknet im Rauqhe ber rothen Maͤn⸗
ner ſinden.“
Ein rauhes Hohngelächter erſchallte zugleich aus
dem Gebüſche, deſſen Zweige ſich öffneten, um zwei
— 38 —
Reihen von drohenden Geftalten hindurch zu laſſen,
die ſich zu beiden Seiten dem Sprecher anfchloffen.
Gegenwart ded Geiſtes war eine Tugend, die zu
üben unfer Siuterwälbler feit den zwei Sahren feines
Verkehrs hinlänglich Gelegenheit gehabt hatte. Mit
einem Geſichte, dem der vollendetſte Diplomatifer
unſrer Zeit faum deutlicher den: Stempel naiwerer
Berwunderung hätte aufdrücken können, wenn er
arger Weiſe auf einem Geitenpfade ertappt wird,
erwiederte unfer Gapitain:
„Und was ift ed weiter? Kann ein ehrlicher Mann
nicht einmal um einige Ellen Flanell für ein Nacht»
röckchen reiten, wenn ein großer Säuptling fein
Pflegekind rein ausgezogen, gleich einem Straßen-«
— Räuber wollte er jagen, verſchluckte jedoch das
Wort Flugerweife.
Des Haäuptlings Auge hatte an dem Sprecher ge⸗
hangen, als wollte er ihn mit ſeinem Blicke durch⸗
bohren. „Braucht die Tochter des Kriegers Kleider?“
fragte er endlich.
„Alberne Frage!« erwieberte ver Kapitain mit der⸗
felben gleichgültigen, beinahe ſtupid⸗naiven Miene.
„Betfi hat blos einen Ueberrod, und den braucht fie
— 39
ſelbſt. Ich gebe eine Gill Whisky, wenn das arme
Ding bis zu meiner Heimkehr nicht erfroren tft.“ .
„Der rothe Krieger wird Kleider fenden, erwiederte
der Häuptling, ver fi fofort zum nächſtſtehenden
Indianer wandte, dem er einige Worte in die Ohren
flüßlerte, worauf Diefer mit einem Sage im Gebüfche
verſchwand.
„Wohl, wenn Ihr das Zeug, weßhalb ich ausge⸗
ritten, zu ſchicken denkt, ſo erſpare ich Mühe und
Geld. Vergeßt aber, nicht die Schuhe und Strümpfe
oder Mocaffind, was Euch gut dünkt,“ ſchloß Eapi-
tain Copeland, feinen Saul wendend, um aus ber
gefährlichen Nachbarſchaft zu kommen.
Der Indianer gab jedoch ein Zeichen, das s ipn hal⸗
ten machte.
„Der Pfade,“ ſprach er, ‚bie von dem Wigwan
des weißen Mannes zu feinen Brüpern führen, gibt
es viele, und feine Zunge ift fehr gefrümmt; aber
die Augen und Ohren des rothen Häuptlings find
weit offen. Daß nicht er oder fein Volk auf dieſen
Pfaden von den rothen Männern gefunden werde;
fonft nehmen fie feine und feiner Leute Kopfhäute.“
„Aber zum Teufel," lachte der Eapitain, „Ihr
— HM ⸗—
werbet mich Doch nicht mit Weib und Kindern zum
Gefangenen in meinem eigenen Haufe- machen wollen,
wenn ſo viel auswärts zu thun ift, Rum einzufaufen,
Felle abzuliefern, und taufend andere Dinge?“
„Der weiße Mann mag Rum holen, um den
rothen Dann zu betrügen und feine Kraft zu ertöbten;“
verfegte der Indianer mit bitterm Lachen, „aber er
wird feinen weißen Bruder, zu dem er nun wollte,
nicht ſehen, 5i8 der Mond dreimal gewechſelt. Auch
dann vergeſſe er nicht, feine Zunge zu bewahren.“
Der Indianer kehrte ihm nun den Rüden und ver⸗
ſchwand im Gebüfche. Unſer Capitain aber blickte
dem Wilden einige Sekunden nad, murmelte einige
Damns, und gab, nachdem er aus voller Bruft Athem
geholt hatte, gleich einem, ver einer drohenden Gefahr
entgangen, bevächtlih feinem Gaule den Zügel —
um unverrichteter Dinge wieder nach Haufe zu kehren.
Auf dem Heimmwege hatte er volle Zeit, über ven
fonderbaren Häuptling nachzudenken. |
Daß die Indianer etwas Gräßliches im Schilve
führten, fchien außer Zmeifel. Aber mo der Donner-
ſchlag einfallen follte, und wie ihn zu verhindern,
war mehr als er fagen konnte.
41 —
Me. Lelkın Nachricht zu ſenden, daran durfte er
gar nicht denken. „Und follte ich auch,“ fo ſchloß er,
im Stande fegn, ihm einen Wink zu geben; was
dann? Bon Die. Lellan zum Oberſten Hawkins find
es noch gute zweihundert Meilen, und bis die trau⸗
rige Poſt ihn erreicht, iſt der Schlag gethan, und
unſre Bälge und vom Kopf geſchunden,“ ſetzte er
leiſer hinzu. „Es wundert mich ohnehin, daß ber
meinige noch an Ort und Stelle iſt, “ murmelte er,
ſich unwillkührlich kratzend. „Aber,“ ſchloß er ferner,
„würden die Rothhäute das Kind mir übergeben
haben, wenn fie und zu ihren. Opfern außerfehen
hätten? Nein. Er hätte ed an den nächſten beften
- Baum geſchmettert.“
So ſchloß Eapitain Copeland, und fein Schluß
war, wie wir bald erfahren werden, fo ziemlich rich⸗
tig. Zwar kitzelte ihn noch immer der Gedanke an
Capitain Me. Lellan, und oft warf er feine ſcharfen
Balfenaugen links und rechts; aber'mittlerweile war
er zu. Haufe angelangt, und die Stimme feines Weibes,
das glücklicherweiſe nicht ganz fo patriotiſch dachte,
brachte ihn bald von den Gedanken an einen zweiten
Verſuch zurüd, und flimmte ihn zum weniger patrio⸗
— 2
tifchen, aber unter den hegenwaͤrtigen Umſtaͤnden
ratbfamern Entfchluffe, in Geduld das Weitere abzu-
warten. Der Umſtand, daß der Indianer baf darauf
fein Wort hielt, und ein ziemlich ſtarkes Bündel mit
Flanell und Calicozeugen und artigen Kinderſchuhen
fandte, trug nicht wenig dazu bei, ihr zu beruhigen.
So vergingen unferm Bapitain der nächfte und die .
folgenden Tage, ohne daß er fich befonbers den Kopf
zerbrochen hatte. Ohnehin waren ſolche Ereigniffe
nichts Seltenes, und wenn gleich die lebte Nachticene
fich von früher ähnlichen durch etwas ihm unerklärlich
Mofteriöfes unterfchieb, fo ließen ihm doch feine Stube
vol Kinder, feine Feld⸗ und Hausarbeiten und Säfte
ziemlich wenig Zeit übrig, darüber nachzudenken, menn
auch feine angeborene Apathie ihn dazu gereizt hätte.
Im Verlaufe von einigen Wochen erfuhr er zu feiner
größern Beruhigung, daß der Sturm ausgebrochen,
aber glücklicherweife nicht den Bälgen feiner Mitbür⸗
ger, fondern ihrer Bundesgenofjen — der Choctaws
ver jech8 Gebiete — gegolten habe, die näher dem
Miſſifippi zu wohnten, und von den vereinigten
Stämmen der Creeks überfallen und beinahe ver-
nichtet worden waren. Eapitain Gopeland ſchloß bie
43 e—
Zeitungsnachricht mit dem gemüthlichen Wunſche:
„Mögen die Rothhaͤute ſich alle einander den Hals
umdrehen und ſchinden; um fo weniger laſſen fle ung
zu thun übrig!“ Ein Wunſch, der, obgleich echt
georgifih, zum Leidweſen unſres Wirthes von bet
Gentralregierung nicht genehmigt wurde, auf deren
Befehl und Vermittlung bald darauf der Friede zwi⸗
ſchen den beiden Stämmen wieder hergeftellt wurde.
Die wienergefehrte Ruhe gab unferm Hinterwälb-
ler auch feine vorige Freiheit zurüd, und mit diefer
zugleich die günftige Gelegenheit, von dem fonderbaren
Nachtereigniffe ven Schleier zu Lüften. Wirklich ver-
ſuchte er dieſes, obgleich wir und gebrungen fühlen,
beizufügen, daß diefe Verſuche, nach den Aeußerungen
des Eapitaind zu fehließen, nichts weniger als günftige
Refultate herbeiführten, da er nur mit Widerwillen
berfelben gedachte. Alles, mad man von ihm erfuhr,
war die Vermuthung, daß fein Pflegekind wahr⸗
ſcheinlich einer fpanifchen oder franzöſiſchen Pflanzer-
familie am Miſſiſippi angeböre. Mehr Eonnte over
wollte er nicht fagen, und dad mürrifehe Damn, mit
bem er jedesmal eine foldhe Frage beantwortete,
ſchreckte jenen Neugierigen von fernern Berfuchen ab,
— 4
fih für dad Schickſal eined Kindes zu intereſſiren,
das ohnehin allem Vermuthen nach, von einer Race
abflammte, die zu fehr im Rufe paffiven Gehorfams
fieht, um einer befondern Achtung von einem frei⸗
heitsſtolzen Hinterwäfoler zu genießen, ſelbſt wenn
Die ewigen Zwiſtigkeiten mit den fpanifchen Behörden
eine nähere Berührung möglich gemacht hätten. Unfer
Bapitain fchenkte noch ferner Rum und Whisky aus,
nahm dafür Hirſch⸗, Elend= und Biberbälge ein, und
einen frifhen Familienzuwachs jedes Jahr ausge⸗
nommen, ereignete ſich nichts, das beſondern Auf⸗
zeichnens werth geweſen wäre.
So waren beinahe ſieben Sommer verſtrichen. Die
oben beſchriebene Hütte hatte ſich in dieſer Zwiſchen⸗
zeit in ein ziemlich geräumiges Haus verwandelt, von
dem man die Ausſicht über den ſich ſanft durch üppige
Niederungen dahin ſchlängelnden Cooſa hatte, deſſen
Ufer bereits, mit aufblühenden Pflanzungen beſetzt,
der Gegend einen gewiſſen Anſtrich von Sicherheit
und Wohlſtand gaben. Unſer Wirth war allmählig
ein gewichtiger Mann geworden.
Es war an einem herrlichen indianiſchen Sommer⸗
abende, als unſer Capitain mit ſeiner Familie und
— —
feinen Nachbarn an der Abenbtafel ſaß, vie, der
Anzahl der. Schuͤſſeln nad. zu fließen, eine feierliche
Beranlafiung hatte. Der Tif bot eine genußreizende
Mannigfaltigteit. hinterwaͤldiſcher Delikateſſen dar,
die, im Vorbeigehen ſey es bemerkt, auch von feinern
Gaumen nicht verſchmäht worden ſeyn dürften. Wilde
Truthühner, die deliciöſe Bärentatze mit Faſanen,
Wachteln und Hirſchſchenkeln, mit Kuchen aller Art,
und Confituren namenlos, machten die Auswahl
ſchwer. Oben an ſaß eine dünne ſchmächtige Geſtalt,
deren jugendlich blafje Gefichtszüge und enthuſtaſtiſch
frommer Blick einen methodiſtiſchen Prediger ver⸗
riethen, den Eifer für die Verbreitung des Evange⸗
liums in dieſe Gegend gebracht hatte, und der, nad
dem nachahmungswürdigen Beifpiele feiner Glaubens⸗
genofien, dad Lehramt ver Kanzel mit dem der Schule
verband. Der fromme Eiferer Hatte regelmäßig, wäh-
rend der zwei Jahre feiner Miſſion, vier Donate
hindurch bei den drei Sauptflämmen ber Creeks zu-
gebracht. Die Zeit, die er für die Obercreefö be⸗
flimmt hatte, war nun verflofien, und er war fo eben
im Begriffe, feinen Nachbarn und Mithürgern Lebe⸗
wohl zu fagen, und die nahe indianiſche Nieverlaffung
Der Legitime. L 5
nn)
—, 46 ⸗
Cooſa, wo er fish aufgehalten, für immer zu yerlaffen.
"An feiner Seite faß das kleine Maͤdchen, das ſechs
Winter vorher auf eine fo jeltfame Weiſe ein Mit«
glied dieſer Familie geworden war. Es lag etwas
ungemein Zarted und zugleich Edles und Berflän-
diges in den kindlichen Zügen dieſes Mänchens, vefien
Mare Augen finnend und, wie ed ſchien, wehmuths⸗
voll an den leidend hektiſchen Geſichte des Predigers
hingen. Der Prediger ſelbſt war ſichtlich eingenom⸗
men von ihrem lieblichen Weſen, und hatte ſich viel
während des Effens mit ihr beſchaͤftigt. Bereits einige
Mal Hatte er zu fprechen verſucht, immer aber war
Gapitain John Copeland ihm in die Rede gefallen.
Er ſchien etwas auf ven Herzen zu haben. Er winfte
endlich dem Mädchen fich zu entfernen, und dieſe ver⸗
ließ an ver Sand ihrer Geſpielin die Stube.
‚und fo wollt Ihr denn nicht von meinem Vor⸗
ſchlage Hören, Capitain?“ begann der Prediger. „Ich
kann Euch nicht ſagen, wie tief mir das Schickſal des
armen Weſens zu Herzen geht. Sie hat ſich ſeit den
"vier Monaten, die fie meine Schule beſucht, in
mein Herz orventlich eingeniftet. Die Trennung von
ihe wird mir wirklich ſchwer. Ich will fie gerne in
14 —
meine Objorge nehmen. Ohnehin iſt fie zu zart ge⸗
baut, um jemals eine ruͤſtige Arbeiterin zu werben,
und es wäre ja ſchrecklich, wenn fle ven Iubianetn in
die Hände fallen ſollte.“
n Alles wahr,“ ſprach ver Capitain, „aber dann Sat
ber Indianer jedes Jahr regelmäßig feine zehn Biber»
oder DBärenfelle für Koft und Wohnung gefanbt,
nebft ver. Kleidung, und Ihr ſeht, ihr Anzug ift nicht
der‘ ſchlechteſte. Obwohl blos ‚ein Mother, fo kann
ich doch nicht über fein Eigenthum verfügen. «
„Und Ihr Habt nie wieder von Bi gehört?“ fragte
der Mifflonair. .
„Ich ſah ihn noch zweimal,“ eriwieherte ver Gapi«
tain m einem Tone, dem man ed anfah, daß er mit
ber Sprache nicht recht heraus wolle. — „Beide
Male war er in feine blaue Wolldecke gehüllt, und
ein drittes Dal ſah ich fein Geſicht, jedoch nur in der
Berne. Wollte, ih wäre hundert Meilen weit von
ihm gewefen. War juſt fo eine Weiberneugierbe;s
fuhr er fort, feine-Worte mit einem bebeutfamen
Blick auf feine Frau begleitend. -„Ich wollte hinüber
jum Oberften Hawkins, um mit ihm des Maͤdchens
halber zu ſprechen, und es vielleicht in Die Zeitungen
5*
48 —
zu ſetzen. Ob ich nun gleich hinab nach New⸗Orleans,
hinauf⸗nach Naſhville und, wohin ich wollte, frei
gehen durfte, und, mein Weib audgenommen, keine
Seele ein Sterbenswörtchen von meinem Vorhaben
erfahren, der Rothe, obgleich ich, einen bodeutenden
Umweg genommen, wußte genau wo ich hinzielte.
Er Heß mich vierzig Meilen auf der Straße nach
Milledgeville forttraben, und. ſchoß bann meinen |
Gaul nieder, wie einen Hund. Ia, ich Habe Mistreß
Copelands Neugierve theuer bezahlen müffen.“ -
„Und Feiner von den: Indianern. vermochte Euch je
Auffhlüffe zu geben? Ihr fagt, er felbft habe dem
Kinde die Korallen umgehangen. Iſt Tein geheimes
Zeichen an der Schnur?“
„Die Wahrheit zu geſtehen, je weniger davon ge⸗
ſprochen wird, deſto beſſer; « erwiederte der Capitain.
„Das Kind iſt eine Franzöfin oder Spanierin, vers
laßt Euch darauf. Wenn Ihr aber gerade Luſt habt
mehr zu erfahren, ſo iſt ſo eben Gelegenheit dazu vor⸗
handen. Es liegt einer der Creeks draußen in dem
Schoppen.“
aJIch muß ihn ſehen,“ erwiederte der Prediger, der
ſogleich, ohne auf das Kopfſchuͤtteln des Capitains zu
BB»
achten, feinen Sig verließ und mit einem Glaſe Rum
vor die Thüre trat.. Der Indianer Tag im. tiefen
Schlafe auf dem Strohe, neben ihm fein Carabiner.
Kaum war der Brebiger vor den Wilden hingetreten,
als dieſer die Augen: auffchlug und auf die Beine
fprang. Der Prediger winfte ihm in ven Garten zu
folgen, und nahm das Heine Mädchen, dem ex liebe⸗
voll einen Kuß auf die Stirne drückte, in feine Arme.
Einen Blick warf der Indianer auf das Mädchen,
einen zweiten auf bie Glaskorallenſchnur, und dann
begann ein fieberartiges Zittern durch ſeine Glieder
zu beben. Allmaͤhlig zog er ſich erſchrocken vor dem
Kinde zurück, und flog endlich mit dem Schreckens⸗
rufe „Hug!« wie ein Pfeil über die Hecke. In weni⸗
gen Sekunden war er im Walde verſchwunden.
Der Miſſionair kehrte betroffen in das Haus zurück.
"Wohlen, Mister Lovering!“ ſprach ver Capitain
mit gerunzelter Stirne. „Habt Ihr noch immer Luſt
zu dem Kinde?“
„Sa wohl,u erwiederte ver Prediger. „Und wenn
Ihr einverftanden ſeyd, fo will mit dem } Agenten
fprechen.
„Nein, damit bin ich nicht ainberſtanden;⸗ erwie⸗
By
derte der Capitain trocken. „Wenigftend nicht, fo
lange i Hier bin. Mein Wort muß ich halten, fo
Iange nämlich, als ich noch am Cooſa bin. Aber die
Zeit meines Bleibens hier ift die Tängfte gewefen. Ich
fehne mid) nah einem ruhigern Plate, und wenn
mi) nicht alles trügt, fo find die Creeks wieder in
Bewegung. Es wird flürmifch hergeben, verlaßt
Eu darauf. Man fagt, ver Häuptling der Oconees
feg wieder einmal rege, und daran, fih mit dem
ſchrecklichen Tecumſeh zu verbinden. Zwei foldhe
Menſchen Eönnten die Welt in Flammen fegen.“
adJda, das find Beide gefährliche Männer; « erwie⸗
derte der Prediger.
„Wenn ich unten am Mifftfippi bin, ver nun, Gott
fey Dank, uns, und nicht dem miferablen Spanier
gehört, dann mögen fie thun, was fie wollen.”
„Ja wohl!« bekräftigte Mistreß Gopeland. "Das
arme Ding, fie wird nie zur Arbeit taugen. Sie ift
fo linkiſch, ald wenn fie nicht dazu geboren wäre.
Sie mödhte vielleicht eine gute Hand zum Nähen und
vergleichen feyn, oder für eine Mäpchenfchule, denn
fie näht artig, und fehreibt und Tiest Eu wie ein
Schulmeifter. “
— 51 2
Die gute Fran war fo chen im Begriffe ſich eines
Weitern über die Faͤhigkeiten ihrer Milchtochter zu
‚verbreiten, als ein durchdringender Angſtruf som
Garten her erſchallte. Im nächften Augenblic rannte
ber Gegenſtand ver fo eben ftatt gehabten Unterhaltung
bleich und zitternd in Die Stube, und auf den Prediger
zueilend fiel fie vor ihm hin, feine Kniee mit jammern⸗
den Klagetönen umfaflenn.
Die unnennbare Angft ded Kindes Gatte die An⸗
weſenden mit Verwunderung und Beftürzung erfüllt.
Ste hlickten ‚mit figrrem Auge und offenem Munde
nad) der Thür, ald das Kind mit dem Ausrufe: „da
ift er!“ zuſammenſank. Gin langer hagerer Indianer
trat in vemfelben Augenblice in vie Stube, warf
einen durchdringenden Blick auf die Anweſenden, und
ließ fih dann auf einen Stuhl niever. Seinem An⸗
zuge nach zu ſchließen, war er ein Häuptling erflen
Ranges. Seine Geftalt, obwohl ſichtlich abgemagert,
war colofjal, und verrieth ungemeine ‚Stärke. An
feinen Schläfen und nadten Armen lagen Muskeln
beinahe fingerdick, die feinem Wefen mehr. dad An⸗
fehen einer bronzenen Statue, als eines Lebenden
gaben. Dad Merkwürdigſte an diefem impoſanten
— 52 —
Manne war jenoch dad, nad der alten Weile ver
Mikos oder Könige der. Dconees, mit einem. Diadem
von Federn gefrönte Haupt. Seine Stirne war äußerft
ſchmal, endete jedoch zu beiden Seiten in zwei unge-
heuren Backenknochen, die zwiſchen dem dünnen Kinne
und den äußerſt ſchmalen Lippen zwei tiefe Höhlen
bildeten, die den trockenen, beinahe verwitterten Zügen
des fleiſchloſen Gefichtes einen unnennbaren Ausdruck
von Tücke, Starrſinn und Intelligenz gaben. Der
Anzug dieſes merkwürdigen Mannes beſtand in einer
Weſte von gegerbter Hirſchhaut, die ſeine ungemein
breite Bruſt vollkommen bedeckte, einem Jagdhemde
von Calico, welches darüber geworfen war, und dem
Lendentuche, das in bunten Farben gewirkt vom
Wampumgürtel herabhing, und die Schenkel und
Kniee entblößt Tieß. Seine Mocaffind waren reihe
lich verziert. In feiner Rechten hielt ex einen Cara⸗
biner, und in feinem Gürtel ftad ein Schlachtmeſſer,
reichlich mit Silber eingelegt. |
„Tokeah!« rief der Miffionair aus, den. feine
Wanderungen im Gebiete ver Indianer mehr mit den
verſchiedenen Stämmen und ihren Häuptlingen befannt
—9.53 6
gemacht hatten, als der flationäre Schenkwirth zum
Indianiſchen König e8 werben konnte.
Der Lebtere wollte fo eben fein Glas zum Munde
Bringen ; aber feine Trinkluſt fehlen ploͤtzlich ver⸗
fhwunden, als ein Name genannt wurde, der mit dem
des töntlichften Feindes feiner Landsleute gleichlautend
geworben war. Er feßte das Glas auf den Tiſch,
md überblidte ven Häuptling vom Kopf bis zu den
Süßen. |
„Sechs Sommer und ſechs Winter,⸗ ſprach Dieſer
nach einer langen Pauſe, „ſind gegangen und wieder⸗
gekommen, ſeit der Miko der Oconees ſeine Tochter
bei ſeinem weißen Bruder gelaſſen hat. Er iſt nun
gekommen, ſie in ſein Wigwam aufzunehmen.“ |
„So ſeyd Ihr e8 denn, der und in jener baugen
Nacht. die arme Roſa hinterlaflen hat, wie fie unfer
Prebiger hier nennt? Warum Habt Ihr mir jedoch
Euern Namen nicht wiſſen laſſen, oder das Kind abe
geholt? Es Hat und manche bange Stunde verurfacht.
Wenn es nun abhanden gefommen wäre?
nDie weißen Männer verlairgen blos nach ven Thier-
fellen und ven Ländereien des rothen Mannes; wenig
iR ihnen an einem Häuptlinge und feinem Wohlge⸗
— —
fallen gelegen,“ erwiederte der Indianer mit einem
hittern verachtungsvollen Rachen. „Wenn dad Kind
verloren gegangen wäre, fo würden Eure Kinver mit
ihren Schöpfen dafür. bezahlt Haben. — Und nun wil
der rothe Häuptling nehmen, was ihm gehört.“
„Ihr nennt doch nicht Roſa, veren Eltern Ihr wahr⸗
Tcheinlich gemordet, Euer eigen?“ ſptach der Prediger
mit einen Muthe, der ſelbſt ven Hinterwälbler ſtau⸗
nen machte.
Der Indianer warf einen Blick der tiefften Verach⸗
tung auf ven Redner. „Wo würde nun die weiße
Role, wie Du fie nennft, feyn, wenn vie Sand To⸗
keahs wicht ven Arm aufgehalten hätte, der ihren
Schädel an einem Baumſtamme zerfchmettern wollte?
Wer bat für fie gejagt, als ſie noch auf ihren Händen
und Füßen herumkroch? Wer hat für fle die Biber-
felle gefanbt, und hat jelbft Waſſer getrunfen? Geh,”
fuhr er mit fteigendem Abfcheu fort; „Ihr ſeyd Hunde!
Eure Zunge ſpricht von Dingen, von deren Euer
Herz nichts weiß. Ihr fagt ung, wir follen unfere
Nächften lieben, während Diefe und unfre Zelle, unfer
Vieh, unfer Land nehmen, uns in die Wüſte treiben. «
„Der Miko ver Oconees,“ erwiederte unerſchrocken
⸗
55 —
der Mifflonär, „wird ficherlich eine arme chriſtliche
Waiſe nicht von ihren Pflegeeltern reißen wollen?
Der weiße Bater würde böfe ſeyn, und er wird gern
bezahlen. “
„Nicht nöthig,« rief Mistreß Copeland; „wir wol⸗
Ien fie gerne umfonft behalten. Wo zwölf Mäufer
effen, wird auch das vreizehnte nicht verhungern. * -
„Sa, ficher nicht, fügte Capitain Copeland etwas
langſamer hinzu; — bielt jedoch inne, als er be-
merkte, “daß der Indianer ihm Rolz ein Zeichen des
Stillſchweigens gab.
"Der Miko der Oconees,“ ſprach Diefer mit würde»
vollem Tone, „wird nie wieder den weißen Vater
ſehen. Sein Pfad ift lang‘, fein Gerz fehnt fich nad
Sreibeit; er will fle fuchen, da wo der Weiße noch
nie feinen Fuß hingeſetzt hat. Er braucht feine Tochter,
fein Wild zu kochen, und fein Jagdhemde und feine
Mocaffins zu nähen.» Nach diefen Worten öffnete
er die Thüre und eine Anzahl Indianer mit zwei Mãd⸗
chen traten in die Stube.
„Canondah!“ rief der Miſſionär, ſeine Hand
dem indianiſchen Mädchen darreichend. Die In⸗
dianerin näherte ſich dem Prediger, kreuzte ihre
— >
beiden Hände über ihrem Bufen, und ſentte demüthig
das Haupt.
„Und fo wilft Du uns denn wirklich oerlaffen Tu
fuhr der Mifflonär fort.
Das Mädchen gab keinen Laut von ſich. Der
Häuptling machte ein Zeichen, worauf das zweite
Mädchen die bebende Roſa in ihre Arme hob, und
ihr einen Teppich umwarf, deſſen untere Zipfel fie
dem erſtern Mädchen in die Hand gab, während fie
die obern über ihre Schulter zog, und dann verfnüpfte.
Zugleih wand fie ein breites Band um die Hüften
des Kindes, das fo, höher gehoben, feine Arme um
den Hals feiner Trägerin zu winden genöthigt und
zum Aufbruche bereit war.
Der Miſſionär und das Weib des Capitains Gatten
mit thränendem Auge zugefehen, wie Die von Schrecken
erſtarrte Kleine gleich einem Schlachtopfer lautlos fi
binden Tieß. Erfterer trat nun zur Trägerin heran,
und ſprach im milden, zitternden Tone:
„Canondah, Du bift immer ein edles Mädchen ges
weſen; eine Perle. — So empfehle ich denn Deiner
ſchweſterlichen Liebe und Sorgfalt dieſe zarte Pranae
— Willſt Du ihr Mutter kon 30
—d 57 —
Die Indianerin nidte.
Und dieſes Buch,“ fuhr der Prediger fort, ihr eine
Taſchenbibel einhänbigend , „ſey Dir und Roſen ein
Andenken an Euern Lehrer, Trage ihn, der Dich er⸗
löſet hat, ftet3 in Deinem Herzen." Dann, feine
Hände auf beider Mädchen Häupter legend, gab er
ihnen den Segen.
Beide verließen mit ihrer Bürde und den India⸗
nern nun die Stube ; der Häuptling war allein zurück⸗
geblieben. - oo.
„Der Milo der Oconees,« ſprach er mit Würde,
fih von feinem Sige erhebend, „hat. bezahlt für die
Mid, die dad weiße Weib feiner Tochter gegeben.
Er geht nun. — Sein Pfad ift lang, fein Weg rauh;
aber fein Herz tft müpe der Weißen. Möge.er fle nie
wieber ſehen.“
Nachdem er diefe Worte gefprochen, wandte er den
Anweſenden ven Rüden, und verließ die Stube.
Ein langer Athemzug entfuhr gleichzeitig ven Gä⸗
ften. Gapitain Copeland war der Erfte, der den Ge⸗
brauch feiner Zunge wiederfand, und ſich von feinem
Erſtaunen wievererholte. Es ergab ſich aus feinen Aeu⸗
Berungen, daß er, im Ganzen genommen, nicht ganz
58 >
unzufrieden war, fich einer Sorge überhoben zu ſehen,
die ihm, nach feiner Verſicherung, mehr fhlaflofe
Nächte verurfacht hatte, als irgend etwas In feinem
Leben. ’
Die Geſellſchaft erfhöpfte fi ein paar Stunden
in Muthmaßungen über die. Pläne des Häuptlings,
und trennte ſich dann, wie es bei foldden Gelegenheiten
zu geben pflegt, herzlich froh, für einige Tage etwas
zum Tiſchgeſpräch mitzunehmen. Ein paar Monate
hindurch bereicherte der Bapitain feine Unterhaltung
mit dem gefürchteten Indianer und feinem wunder⸗
- Schönen Pflegekinde. Allnählig jedoch ſchwand dad
Interefie und endlich auch das Andenken an dieſe
Greigniffe in den wechſelvollen Schickſalen, die dieſen
Landſtrich trafen.
Wir felbft verlaffen nun Georgien und die Familie
unſeres Taufhhändlers, um den Faden unferer Ges
ſchichte in einem fernen Lande, und nach Verlauf von
mehrern Jahren, wieder anzufnüpfen.
‚Drittes Copitel,
Wo her? und wer bift Du?
Milton.
Am nördlichen Ende des Sabinerfeed, und mitten
aud den Rohr- und Enpreffenfümpfen, vie fih von
diefer Seite her dem See zufenten, erhebt fich zwifchen
den beiden Flüffen Sabine und Natchez eine fchmale
Zandzunge, die, in vemjelben Maße, als die beiden
Flüſſe ſich von einander entfernen, anſchwellend, eine
fanft auffteigenve Anhöhe bildet, zu deren beiden Sei-
ten die zwei Blüffe ihre Elaren und lieblichen Gewäffer
dem bunfelgrünen DVerftede ver Cypreſſen und des
Palmetto, und dann dem oberwähnten See zuführen,
der felbft wieder dem Buſen von Mexiko fich öffnet.
Beinahe ſcheint es, ald ob die Natur in ihrer Laune
den Einfall gehabt hätte, vie Grenzſcheidung der beiden
mächtigen Staaten, die der erfigenannte dieſer Flüſſe
bildet, recht augenſcheinlich zu ſetzen. Ein ſchwarzer
undurchdringlicher Wald bevedt das rechte Ufer bes
Sabine, fo dicht verwachſen von ungeheuern Dornen,
daß felbft der verfolgte Dammhirſch oder Sawannen⸗
—H W —
wolf nur felten tiefer einzubringen vermag. Der Grund
ift überzogen mit einem undurchdringlichen Teppiche
von Schlingpflanzen, unter deren verrätherifcher Hülle
gefleckte und ſchwarze Klapperſchlangen, Kingsheads
und Copperheads ſich umherwinden, auf wilde Tau⸗
ben, Spottvögel, Paroquets oder ſchwarze Eichhörn-
chen lauernd. Nur ſelten iſt dieſes undurchdringliche
Dunkel durch eine Lichtung unterbrochen, und wo eine
ſolche ſich findet, iſt es ein Chaos modernder Baum⸗
ſtäämme, entwurzelt durch einen ver häufigen Torna⸗
dos, und über einander gefchichtet, als ob fie zu einem
fünftlihen Feſtungswerke beſtimmt mären. Diefe
wilde Ueppigfeit erreicht ihren höchften Grad in ber
Nähe der Chprefiennieverung, nimmt aber auf ber
andern Seite des Sumpfes einen fanftern Charakter
an, und der verirrte Schiffer fieht fich wie durch einen
Zauberſchlag in eine der entzückendſten Landfchaften
Mexikos verfeßt, wo die hängende Myrthe, und ver
prachtvolle Tulpenbaum, und die Balma Chriſti mit
ber dunkeln Mangrove wechſeln, und auf der ſchwellen⸗
den Anhöhe der Eottonbaum und die Sycamore ihre
grünlih ſilbernen Zweige über einen Wiefengrund
des zarteften Grüns ausbreiten. Der.ganze Wald ift
—d 61 —
gleich einem ungeheuern Gezelte, mit dem Jasmin
und der wilden Rebe durchwirkt, die aufſchießt vom
Grunde, ſich am Stamme-aufhängt und zum Gipfel
hinanranft, wieder herabfleigt, um dem nächften
Stamme ſich zuzuwenden, und fo von der Mangrove
zur Myrthe, von der Magnefte zum Papaw, vom
Papaw zum Tulpenbaum kriechend, eine große, end⸗
Iofe Laube bildet. Der breite Gürtel felbft, auf wel⸗
chem der Natchez feine Gewäller dem See zufenbet,
bietet dem Auge ein üppig wallendes Feld fäufelnder
Palmettos dar, das vom Walde beiläufig eine halbe
Meile dem Ufer zuläuft, wo die Mangrove und Cy⸗
prefie ihre trauernden Zweige tief in die Fluthen
tauchen. Der Winter nähert ſich dieſem entzückenden
Verſtecke nie; aber lang anhaltende ſchwere Regen⸗
güſſe füllen während der ſogenannten Wintermonate
Flüͤſſe und Suͤmpfe, und bereiten fo ein furchtbares
Tagewerf für die heiße mittäglihe Sonne. Dann
hört man ein Gebrüll aus dem erſtickenden Dunft-
meere, deilen Grauen erregender Ton Thiere und
Menſchen ferne hält.
Der Herbft jedoch ift eine prachtvolle Jahreszeit in
diefer parabieflihen Gegend, und beſonders jener
Der Legitime. 1. 6
6 —
Spätherbft, der indianifhe Sommer genannt, der
auch im Norden der großen Republik, gleich dem Ab⸗
fchievsläckeln einer Holden Schönen, mit Wonne
empfangen wird.
. &3 war einer diefer herrlichen Indianer⸗Herbſt⸗
nachmittage. Die Sonne, prachtvoll und golden, fo
wie fie nur in diefer Gegend und zu dieſer Jahreszeit
zu fehen, neigte fich bereitö Hinter die Gipfel ber
Bäume, welche das weftliche Ufer des Natchez um⸗
gürten, ihre Strahlen fpielten bereits in jene Mannig⸗
faltigfeit von Tinten, die im Weſten fo fehr bewun⸗
dert werben, und nom Hellgrünen in die Gold⸗, von
der Purpur= in die Drangefarbe verſchmelzen, je
nachdem die Strahlen von der Myrthe, Magnefle,
der Palma Chrifti oder einem ver hundert Pracht⸗
gewächſe zurückgeworfen werben. Kein Wölfchen war
am Himmelözelte zu fehen, balfamifche Düfte wehten
dur die Luft und füllten vie Atmoſphäre mit einer
zitternd elaſtiſchen Wolluft, die die Sehnen zum üppi⸗
gen Leben fpannt. Die leiſe Stille war nur felten
durch einen plappernden Paroquet oder einen pfeifen«
den Spottuogel unterbrochen, oder das Geräufche
vom Auffliegen einer Schaar Waſſervögel, nie zu
— 63 —
Tauſenden am breiten Waflerfpiegel des Natchez ihr
Weſen trieben und zum Winterzuge ihr Gefieder
pußten.
Auf dem ſchmalen Pfade, den die Natur zwifchen
dem Walde und dem, erwähnten Palmettofelde recht
eigentlich felbft gebahnt zu haben fchien, ſah man eine
weibliche Geftalt einem offenen Walvplägchen zutan⸗
zen, das, gebilvet durch eine entwurzelte Sycamore,
ſich am äußerften Ende des Pfades befand. Als fie
vor dem Baumſtamme angelangt war, lehnte ſie ſich
an einen der Aeſte, um Athem zu holen. Ihre Haut⸗
farbe verrieth indianiſche Abſtammung. Sie war ein
gereiftes Mädchen von etwa zwanzig Jahren, mit
einem äußerſt intereſſanten, ja edeln Geſichte. Die
wohlgeformte Stirn, das ſchwarze, beinahe ſchelmiſche
Auge, die fein geſchnittenen Lippen, ſo wie die Um⸗
riſſe der beweglichen Züge überhaupt, verriethen eine
freie, muntere Stimmung, während hinwieder die
söndfche Adlernaſe ihr einen Anſtrich von Entſchloſſen⸗
beit und Selbſtſtäͤndigkeit gab, mit denen ihre Hal⸗
tung und Anzug übereinzuftimmen ſchien.
Diefer Anzug erhob ſich weit über das gewöhnliche
Eoftüm indianiſcher Maͤdchen, und zeichnete fi eben
6*
—H HS
fo durch Einfachheit als Geſchmack aus. Sie trug
ein Kleid von Balico ohne Aermel, das ihr bis auf
die Knöchel reichte. Ihre Haare, flat ang und ſtraff
herabzuhängen, wie es gewöhnlich bei Inpianerinnen
der Fall iſt, waren in einen Knoten geſchlungen, den
ein eleganter Kamm am Scheitel fefthielt. Ein paar
goldene Ohrringe und Bracelets von demfelben Mes
talle, Halbftiefeln von Scharla und der Aligators⸗
Haut vollendeten das zierliche Aeußere diefer intereffan-
ten Geftalt. Bon ihrem: Gürtel herab hing ein
ziemli langes Tafchenmefier, und in ihrer Sand
trug fie einen großen leeren Handkorb. Ihr Gang
konnte nicht Gehen, noch Laufen genannt werben; es
war ein drolliges Hüpfen oder vielmehr Springen.
Immer nach zehn oder zwölf Sätzen hielt fie inme,
blickte auf ven zurüdgelegten Pfad mit Sorglichkeit
zurück, und hüpfte wiener vorwärts, um wieder auf
dieſelbe Weife zurückzuſchauen.
Keuchend hatte ſie nun ihren Standpunkt am Cot⸗
tonbaume genommen, während ihr Auge ſpähend auf
den Pfad gerichtet war.
„Aber Roſa“ — rief fie zuletzt in der indianiſchen
Sprache, und mit einem Ausdrucke leichter Ungeduld,
6
: während fie wieder zehn oder zwölf Schritte zurück⸗
tanzte und fich einem zweiten Mädchen näherte, das
die Windungen des erwähnten Pfabes nun ſichtbar
werben ließen. |
„Aber Rofa,“ wieberholte fie, „wo bleibſt Du
denn ?a und mit diefen Worten fprang ſie auf daß
Mädchen zu, ſank auf ihre Schenkel, Ereuzte fie, und
umſchloß, fo ſitzend, mit beiden Armen das vor ihr
fiehenne Mädchen mit einer Schnelligkeit und Ge⸗
lenkigkeit, die den Windungen einer Schlange abge⸗
lernt zu ſeyn ſchien.
„Ach die weiße Roſe,“ klagte fte, „iſt nun nicht
mehr diefelbe. Sieh, wie dad Grad auf dem Pfade
wächöt, den Dein Fuß fo oft betreten. Warum ift
meine weiße Roſe betrübt?* -
Die Hagende Stimme der Indianerin war fo rüh⸗
send, ihr ganzes Weſen, alö fie ihre Arme un ihre
Freundin fhlang, fo flehend, Liebe und Aengſtlichkeit
waren fo unverhohlen in ihrer Miene zulefen, daß es
wirklich zweifelhaft ſchien, ob das Intereffe, das fte
an ihr nahm, von nüherer Verwandtſchaft oder den
lieblichen Reigen des Gegenſtandes entjprang, den file
>
nun fo rührend liebkosſte, und ver kaum aus dem
Kindesalter getreten zu ſeyn ſchien.
Das herrliche ſchwarzbraune Auge, das feurig⸗
ſchmachtend und doch wieder ſo kindlich zart, von
ſeidenen Augenwimpern beſchattet, nun auf der flehen⸗
den Indianerin ruhte, und wieder aufblickte, und in
die Ferne ſchweifte, gleichſam als ſuche ſie etwas Na⸗
menlofes, das Erbeben des zarten Buſens, die Wan
gen, angehaucht von einer roſigen Tinte, die Form
ſelbſt ſo zart, beinahe Luftgeſtalt, und doch ſo elaſtiſch,
| fhienen der werfüngten Liebesgöttin anzugehören ;
wieder jedoch gab ver kindlich ruhige Blick, die edel
geformte Stirne, der zoflge Saum am Munde, ver
ein paar Korallenlippen eher anzubeuten ald zu zeigen
ſchien, und ein gewifles Etwas dieſer Geftalt einen
Anftrich von fo reinem Abel und würdevoller Be—
fonnenheit, ver auch ven leifeften finnlichen Gedanken
verfheuchte und unwillkürlich mit achtungsvollem
Entzüden erfüllte. Ihr dunkelblondes Haar ftel in
langen Locken um einen ſchneeweißen, herrlich geform⸗
ten Naden. Ein grünfeidenes Kleid umhüllte ihre
Glieder, und reichte züchtig bis zu einem Paar der
Fleinften Füße, vie je eine weibliche Geftalt trugen.
—9 67 e—
Sie Hatte Scharlahmoraffind, wie die Indianerin.
Um ihren Hald war ein weißes Seiventuch in einen
Knoten geichlungen, und in der Hand trug fie einen
Strohhut. -
Diefes Tieblicde Kind war die nämliche Roſa, deren
Bekanntſchaft wir ſieben Jahre zuvor in der Schenke
zum Indianiſchen König gemacht haben. Ihr Blick
ruhte liebevoll erwiedernd, nun ſinnend mehmüthig,
auf ihrer Freundin; eine Thräne drängte ſich in ihr
Auge, und ihr Haupt neigend, preßte fie einen Kuß
auf die Lippen des indianifchen Mädchens, indem ſie
dieſes umſchlang.
Eine geraume Weile hörte man die beiden Mäd—⸗
hen ſchluchzen. Endlich ſprach die Indianerin in
einem klagenden Tone:
„Sieh, Canondah's Buſen iſt offen für Roſa's
Wehe.“
„Deine theure Canondah!« lispelte das ſchöne
Kind, und ein friſcher Thränenſtrom entſtürzte ihrem
YHuge..
„D fage Deiner Canondah, bat die Inbianerin,
„was Dein Herz betrübt. Sieh,“ ſprach fie, und ihre
Stimme nahm num einen melodifch wehmüthigen Ton
—) 68 —
an, „sieh, dieſe Arnıe haben die weiße Roſa getragen,
als fie noch ſehr Elein war. Auf diefen Schultern
hing fie, als fie über den großen Fluß fegte. Auf
dieſem Bufen ruhte fie gleich einem Waſſervogel, der
auf dem breiten Spiegel des Natchez fi fonnt. Ca—
nondah iſt der Spur der weißen Rofa, wie die Hirſch⸗
mutter ihren Jungen, Tag und Nacht gefolgt, fie vor
Schaden zu bewahren; und num fie groß und zur
weißen Rofa ver Oconees gewachſen ift, will fie ihr
Herz verichließen. O fage Deiner Canondah, was Dei-
nen Bufen hebt und Dich erblaffend zittern macht?“
Roſa, mit diefem Namen wollen wir nun das lieb⸗
liche Kind bezeichnen, fah einen Augenblick ihre Freun-
din an und fprad) dann in leifem Tone:
„Was mir am Herzen liegt? Weiß e8 Canondah
nicht? Wohl hat die arme Roſa Urſache bange und
ängftlich zu ſeyn!“
„Iſt es der große Häuptling der Salzſee, der ihr
dieſen Schmerz verurſacht?“
Roſa erblaßte, fie trat zurück und bedeckte dad Ge—
ſicht mit ihren beiden Händen, laut ſchluchzend.
Die Indianerin fprang von der Erde, und ihren
Arm um den Leib Roſens gefhlungen, zog fie das
—9 69 6—
weinende Mäpchen fanft einem Cottonbaume zu, an
deſſen Stamm eine Nebe fi hinangewunden hatte,
die bis zum Gipfel aufiteigend zahlreiche Beftong herab-
fenfte, an denen die Trauben in üppiger Reife hingen.
„Traurig ift der Pfad eines Oconeemädchens,“
brach die Indianerin nach einer langen Pauſe, wäh⸗
rend welcher fie nie Trauben einfammelte, aus. „Wenn
die Krieger auf die Jagd gehen, verfeufgen wir Aerm⸗
ften in ven Wigwams unfre Tage oder pflügen Korn.
O! wäre doch Canondah ein Mann. «
„Und El Sol?“ lispelte Roſa mit einem melan«
choliſchen Lächeln. „Canondah ſollte nicht klagen.“
Die Indianerin hielt ihr mit der einen Hand den
Mund, und drohte ihr mit der andern. „Ja,“ er⸗
wieberte fie, „El Sol ift ein großer Häuptling, und
Canondah verdankt ihm ihr Leben, und fie will fein.
Wildpret bereiten und fein Jagdhemde weben, und
ihm mit leichtem Herzen folgen, und die weiße Roſa
wird horchen, was ihre Schweiter ihr in das Ohr
fingen wird. EI Sol wird bald im Wigwam ber
Deoneed ſeyn, und dann wil ihm Canondah fanft
ind Ohr liöpeln. Er ift ein großer Häuptling, und
ber Miko wird feine Rede anhören: er wird Die Ge⸗
70 —
ſchenke, die ver Häuptling ver Salzfee gefickt, zurück—
fenden, und dann wird bie weiße Nofa fein Wigwam
nie ſehen.“
Die Leptere fehüttelte ven Kopf zweifelhaft. „Kennt
Canondah ihren Vater fo wenig? Der Sturm mag
wohl das ſchwache Rohr beugen, aber nie ven ſilber⸗
nen Stamm des dicken Baumes. Entwurzeln mag er
ihn, brechen in feinem Sale, aber nicht beugen. Der
Miko,« feßte fie mit einem hoffnungslofen Seufzer
hinzu, „fleht den Häuptling Der Salzfee mit den
Augen eined Kriegerd.und nicht mit denen eines Mäd-
end. Er hat ihm Roſa verheißen, und Deine arme
Schweſter“ — ein leichter Schauder Durchzitterte ihre
Geſtalt — „wird eher fterben als“ —
„Rein, nein,“ fprach die Invianerin, „Roſa muß
nicht fterben. EI Sol liebt Canondah, und der Mifo
der Oconees weiß wohl, daß er ein größerer Krieger
ift, als der Häuptling des Salzſees.“
„Aber horch! mas ift das?« rief fie, auf einmal
ihr Ohr in der Richtung des Fluſſes hinhaltend, von
dem ber ein entfernteß Getöfe gehört wurbe.
v„Was tft dieſes?“ wienerholte Rofa.
—d 71 —
- „Bielleiht ein Alligator Ober ein wäre verfehte
die Indianerin. |
Das Getöfe, obgleich ſchwach, war 10% immer zu
Sören. „Canondah!“ rief num Roſa mit fihtbarer
Unruhe; „Du willſt doch nicht wieder die große Waſſer⸗
ſchlange jagen?“
Ihre Worte waren jedoch vergeblich. Die India⸗
nerin brach mit der Schnelligkeit eines Hirſches durch
das dichte Rohr, und war in wenigen Augenblicken
verſchwunden. Es blieb Roſa nichts übrig, als ihr
durch Dad krachende Rohr hindurch zu folgen. Wähs
rend fie ſich mühſam durch Die zahllofen Stämmchen
hindurchwand, hörte ſie einen Auf; es war jedoch
nit die Stimme Canondah's. Ein Fall, wie der
eines ſchweren Körpers ind Waffer, folgte bald dar⸗
auf, begleitet von einem kurzen heftigen Umherſchlagen
im Schlamme, und dann war alles wieder ruhig.
Roſa Hatte ſich athemlos durch das dichte Rohr
hindurch gevrängt, und mar nad) einem unbefchreiblich
mühfamen Laufe envlih am Ufer des Fluſſes ange-
langt. Ihr Auge fuchte die Indianerin zwifchen ven
Cypreſſen und Mangroven, die bis in den Fluß hinein
fanden. |
—_n-
„Roſa!« rief viefe. /
„Sanonvah!“ [halt das Mädchen im Tone bitteren
Vorwurfs, als Erſtere auf einen Alligator hinwies,
der röchelnd ſich noch "im Schlamme umherſchlug.
„Warum thuſt Du mir dies zu Leide? Soll Roſa ihre
Schweſter verlieren, weil ſie thöricht ein Mann ſeyn
und das Jagen nach der Waſſerſchlange nicht auf⸗
geben will?“
„Sieh doch!“ erwiederte die Indianerin, indem nf
auf eine tiefe Wunde im Naden des Alligator wies
und das blytige Meffer triumphirend ſchwang, nich
begrub es bis zum Hefte in feinem Halfe. Die Toch⸗
ter des Mifo der Oconees weiß die Wafjerfchlange
zu treffen; aber,” fügte fie gleichgültig hinzu, „Ile war
noch jung und bereits erftarrt, denn das Waffer be»
ginnt fühl zu werden. Canondah ift blos ein ſchwa⸗
ches Mädchen; aber fie Eönnte den weißen Süngling
lehren, die Wafferfhlange zu tödten.“
Als ſie die letzten Worte ſprach, fiel ihr Blick auf
einen Eyprefienbaum, der wenige Schritte vom Rande
des Waſſers in der Untiefe ſtand.
„Der weiße Jüngling?“ fragte Rofa.
Die Indianerin legte ihren Zeigefinger bedeutſam
3
“auf den Mund, wufh dad Blut von Meſſer und
Händen, und trat dann unter ven Baum. Pit ver
Iinfen Hand bog fie die herabhängenden Zweige aus⸗
einander, während fie ihre flache Rechte vorſtreckte,
al8 Friedens⸗ und Freundſchaftszeichen, und dann
auf das Ufer hinwies, auf das fie Tangfam, ihren
Blick auf vie Cypreſſe gerichtet, zufehritt. Die Zweige
öffneten fich jebt, und ein junger Mann näherte fi
vorfiähtig dem Rande des Waſſers, waͤhrend ſeine
Hände nach dem zunächſt ſtehenden Rohre langten.
„Wie kam Dieſer hieher?« fragte leiſe Roſa die
Indianerin, ihre Augen auf den Jungling gerichtet.
Die Indianerin wies ſchweigend auf ein Boot,
das zwifchen vem Rohre ſtecken geblieben und das
der Jüngling offenbar hindurch zu zwaͤngen bemůht
geweſen war.
Dieſer hatte ſich bereits dem Ufer bis auf wenige
Schritte genähert, als er zu ſchwanken und dann zu
finten anfing. Canondah kam noch gerade zu rechter
Zeit, um ſeinen Fall ins Waſſer zu verhüten. Sie
fing ihn in ihren Armen auf und zog ihn dem Ufer
zu, an befien Bank fie ihn Iehnte. Die Urfache ver
Schwäche des Fremdlings zeigte ſich nun indem Blut-
{4A
firome, der feinem Schenkel entquoll. Der Alligator
hatte ihn in der Mitte deſſelben mit feinem Nachen
angefaßt, und ihm eine tiefe Wunde beigebracht. Kaum
war die Indianerin verfelben anfichtig geworden, als
fie auf das Ufer an die Seite Roſas fprang, und ihr
mit den Worten: „Dein weißer Bruder iſt von ber
Waſſerſchlange gebiflen, und Du fiehft, Canondah hat
bloß ihr Kleid an,“ das feinene Tuch vom Halfe löste,
dann mit eben ber Schnelle unter den Kräutern auf
der Erde herumfuchte, ein Büfchel ausriß, eine junge.
Palma EHrifti über ihrem Knie brach, und das zarte
Fleiſch, das unmittelbar inter der Rinde dieſes Bau
mes liegt, ablößte. - Hierauf fprang fie hinab in ven
Fluß an die Seite des Fremdlings, verftopfte zuerft
die Wunde mit ven weichen Faſern, belegte fie mit
den Kräutern, und verband fle dann mit dem Hald-
tuche. Das Ganze war dad Werk eines Augenblides,
und fo ſchnell und beflimmt waren 'alle ihre Bes.
wegungen gewejen, daß Roſa mit Erröthen fich ihres
Bufentuches verluftig fand, nachdem dieſes bereits um
den Schenkel des Fremdlings gewunden war.
| „And nun Deine Hände, liebe Schwefter;“ ſprach
die Indianerin zu Roſa, die noch immer auf der Ufer»
{+15
bank ſtand, mit ihren Händen den Bufen bedeckend,
deſſen leichtes Beben eine Eleine Bewegung zu ver
rathen fehlen. Die Imbianerin war ein wenig unge⸗
puldig geworden. Sie deutete ſchweigend auf ven
jungen Dann, fapte ihn felbft um ven Leib herum,
und, unterflügt von ihrer Freundin, hoben fie ihn
beide auf das Ufer.
So ſchnell und beſtimmt alle Schritte ver Indiane⸗
rin bisher geweſen, ſo forgfam. und ernft ſchien fie
nun auf einmal zu werben. Sie hatte faum den Jüng⸗
ling ans Ufer gebracht, als fie nochmals in den Flug
hinabftieg, und das Boot forgfältig unterfuchte, dann
kopfſchüttelnd zu dem Fremdling trat, einen durch⸗
dringenden Blick auf ihn warf, und wieder nem Boote
zurannte. Plößlih wandte fie fi zu Nofa, und
flüfterte dieſer einige Worte zu, die eine Todtenbläfle
über die Wangen des Mädchens brachten. Auch viefe
nähertefich dem Jünglinge. Ihr Blick hing forfchend an.
feinen leidenden Zügen und feinen gebrochenen Augen,
die den höchſten Grad von Erfchöpfung verriethen.
Er fohien feiner Auflöfung nahe zu feyn. Seine erd⸗
fahle Geſichtsfarbe, feine eingefallenen Wangen und.
Augen verrietben vielleicht wochenlange Entbehrungen.
76 —
Er glich mehr einer von den Wogen ans Meeresufer
geworfenen Leiche, als einem Lebenden. Seine Haare
waren vom Seewaſſer gebleicht, hingen in Flechten
um Stirne und Nacken, die Farbe ſeiner Kleider war
kaum mehr zu erkennen. Uebrigens ſchien er noch ſehr
jung; ſeine Züge, ſo viel ſich entnehmen ließ, waren
nichts weniger als unangenehm, und ungeachtet der
ãußerſten Erſchöpfung noch immer anziehend.
Ste hatten fein Haupt an den Stamm einer &y-
preffe gelehnt, durch deren Zmeige vie Strahlen ver
Sonne auf feinem Gefichte fpielten, feine leidenden
Züge gleichſam verklärend.
„Unſer weißer Bruder,“ ſprach die Indianerin im
leiſen, beinahe ſcheuen Tone, „iſt im Canoe des
Hauptlings der Salzſee angekommen; ; aber er iſt feiner
ſeiner Krieger.“
„Es iſt vielleicht, was ſie einen Matroſen nennen,“
bemerkte Roſa.
„Nein;« ſprach die Indianerin im beſtimmten
Tone. „Sieh nur einmal ſeine Hände, ſie ſind
kaum ſtärker als die meinigen, und zart, wie die
eines Mädchens; das Salzwafſer hat ſie bloß gelb
gefärbt.“
—— 77 —
„Bielleicht iſt er ein Bote,“ wisperte Roſa, auf
eine Weiſe, die jedoch Zweifel auszudrücken ſchien.
Die Indianerin ſchüttelte wieder den Kopf. „Sieh,
er kömmt von der Salzſee durch den großen See, der das
Waſſer unſers Stromes trinkt; aber er weiß nicht
einmal ein Boot durch dad dicke Gras zu bringen.
Er wähnte, die große Waſſerſchlange fen ein fauler
Baum, und trat auf fie, und fie begrub ihre Zaͤhne
in feinem Fleiſche. Dein weißer Bruder iſt dem Häupt⸗
fing der Salafee entflohen.“ Sie ſprach diefe Worte
mit einer Beflimmtheit und Zuverfiht, als wenn fie
den Fremdling auf feinem abenteuerlichen Zug be⸗
gleitet hätte.
„Und würde Canondah zugeben, daß Ihr Bruder
in der Falten Nacht erftarre, oder daß das Fieber ihm
fein Leben raube, ihm, der Ihr und den Ihrigen nie
etwas zu Leide gethan hat?«
„Meine Schweſter ſpricht wie eine Weiße, Canon⸗
dah iſt aber die Tochter des Miko;“ entgegnete die
Indianerin ein bischen trotzig; doch erfaßte ſie Roſas
Hand, ihre Züge hellten fich auf, und fie fügte im
leiſern Tone hinzu: „Canondah will die Stimme
Der Legitime. I. 7
— 78 —
ihrer Schweſter zu Gunſten ihres weißen Bruders
hören. Wir müſſen thn aber in den hohlen Baum
bringen.“
Beide Mäpchen Soßen nun den Jüngling, und jebe
einen feiner-Arme erfaſſend, fehleppten fle ihn durch
das dichte Rohr. Während die voranfchreitende Roſa
ihn durch das Palmetto hindurchzuziehen verfuchte,
bemüßte fich die Indianerin vorzüglich feinen Fall
zu verhüten. Es war ein langfamer und mühfamer
Zug. Blutverluft und frühere Erfchöpfung hatten
die Kräfte des jungen Menſchen fo ganz aufgerieben,
daß fie ihn kaum mit Anftrengung aller ihrer wife
aufrecht erhalten konnten.
„Roſa!« ſchrie die Indianerin plötzlich, ‚vente an
die Squaws, an den Miko; die Spuren werben no
nah Monden zu fehen feyn. «
Roſa hätte wohl mit ihrer ätheriſchen Geftalt durch
- die zahllofen dicht aneinander gereihten Stämmen
bringen können; allein ver ſeitwärts nachgefchleppte
Fremdling brach mit jedem Schritte einige Rohre.
Ste waren no nicht zur Hälfte des Palmettofelnes
gelangt, als feine gänzliche Auflöfung nahe ſchien.
Ale Kraft war von ihm gewichen, und beide Mäd⸗
70 0
hen vermochten nur mit äußerſter Anftvengung, ihn
den Ueberreſt des Feldes hindurchzuſchleppen.
Keuchend und ſtöhnend waren ſte endlich am Rande
angelangt, Roſa war im Innern niedergeſchlagen, un⸗
fähig ſich zu erheben; die Indianerin hatte noch fo
viel Kraft, ihre Laſt aus dem Palmetto zu ſchleppen,
und ſank dann gleichfalls erfchäpft auf pen Hafen hin.
Die Ichten Strahlen der Sonne vergolveten noch
die Sipfel ver höheren Bäume, die untern Zweige
ſchwanden bereits in das mattere Zwielicht, als Noſa
zur Inbianerin trat, und fie mit den Worten: „vie
Sonne fleht tief;” aus ihrer Bewußtlofigkeit aufregte.
Die Indianerin fprang auf, und beide Maͤdchen trip⸗
pelten tiefer in ven Wald, da mo der Boden fi
gegen den Sabine zu fenkt. Bor einem ungeheuren
Cottonbaume hielten fie. Mehrere riefenflämmige
Weinreben, in deren gewaltiger Umarmwrg biefer
Tolofjale Stamm abgeflorben war, ummanben noch
immer mit ihren glaͤnzendrothen Ranken den herr⸗
lichen Koloß, deſſen Inneres mit feinen modernden
"Baden, ausgehöhlt vom Zahne ver Zeit, in tauſend
fantaſtiſchen Geſtalten fich darſtellte, und, einer gothi⸗
ſchen Kapelle nicht unaͤhnlich, ſo geräumig war, daß
7 °
—H 80 8
zwanzig Menſchen darin Platz fanden. Die Sorg⸗
falt, mit ver dieſe Höhle gereinigt war, und eine
nachbarliche Salzquelle, verriethen, daß fle den zur
Nachtzeit jagenden Indianern als Anſtandspunkt
diente. Canondah näherte ſich vorſichtig der Oeff⸗
nung, trat behutſam ins Innere, und kehrte mit der
Nachricht zurück, daß fie leer fen. Beine Maädchen
eilten nun einer Cypreſſe zu, von deren Aeſten fie
einen Bündel ſpaniſchen Mooſes riſſen, und das fle
in der Höhle zum weichen Lager bereiteten. Die
Indianerin rollte noch mehrere morfche Blöcde vor
den Eingang, wahrſcheinlich um ihn gegen ven
nächtlichen Befuch von Bären ober Banthern zu ver-
wahren. '
„Gut,“ fagte fie, al diefe Vorbereitungen beendigt
waren, ihren Arın um Rofa fehlingend, und dem
Fremden zueilend.
Die Indinnerin, ohne auch nur einen Augenblick
zu veriveilen, ſchob ihre Linke unter den beiden Schen-
feln des Verwundeten hindurch, und winkte ofen,
ihre Hand zu faſſen, währenn ihre Rechte dem Ver⸗
wundeten zur Lehne diente. Mofa erröthete.
„Scheut ſich die weiße Roſe, ihren Bruder zu Be⸗
— 1
rühren, für befien Leben fle ja eben gebeten?“ ſprach
fie mit einem fanften Vorwurfe.
‚Das Madchen, ſtatt aller Antwort, faßte die Hand
der Indianerin, und die Beiden hoben ihre Bürde
auf die ſo eben angezeigte Weiſe mit verſchlungenen
Händen, und trugen fie der Baumhöhle zu, in welcher
fle fie niederließen.
Die Indlanerin bog ſich über ihn herab und wis⸗
perte: „Wenn die Erde in Dunkel gehüllt iſt, wird
Canondah zu ihrem Bruder kommen, und dann wird
fle Balſam in feine Wunden gießen.”
Ihre Worte jedoch waren, wiezu erwarten ftand, un⸗
gehört verfehollen, und, ein leiſes Athmen ausgenom⸗
men, gab der Fremdling kaum mehr ein Zeichen des
Lebens.
Noch waren die Baumgipfel in glänzenden Purpur
geröthet, während über die Tiefen das Dunfel heran-
308, als Die beiden Mädchen wieder an den Ort kamen,
wo fle die Trauben eingefammelt hatten. Haſtig ihren
Vorrath aufraffend, ſchlugen fle den engen Pfad ein,
den fle gekommen waren, und auf welchem wir ihnen
nun vorzueilen gedenken, um unfere Leſer in eine neue
Welt einzuführen.
—) 2 e⸗—
Biertes Kapitel,
Daß ih vergeſſen könnte, was ich war,
Oder nicht gebenten, was ich nun feyn muß!
Shakespeare.
Nicht ferne von dem Schauplatze des ſo eben er⸗
zaͤhlten Abenteuers öffnete ſich eine weite Lichtung,
pie, beiläufig drei Meilen laͤngs dem Ufer fich er⸗
ſtreckend, eine halbe Meile vom Fluſſe gegen den Wald
zulief. Dieſe Lichtung war Palmettofeld geweſen,
‚das, wie bereits erwähnt, ſich längs dem rechten Ufer
des Fluſſes ungefähr eine halbe Meile gegen- ven
Wald hinziehend, von ven Eoloffalen Stämmen viefer
Urwaͤlder gleich einem Rahmen eingefaßtwird. Augen
ſcheinlich Hatte man dieſe Lichtung durch Verbrennen
des Rohres bewirkt, an deſſen Stelle ein Teppich des
üppigflen Wiefengrunvdes mit prachtvollen Baum-
gruppen getreten war, zwifchen welchen irreguläre
Hecken von Myrthen, Mangroven, Palmen und Tuls
penbäumen fich Hindurchfchlängelten, das Ganze einem
Parke mit feinen Baumgruppen und PBflanzungen
ähnelnd. Hie und da ließen fih Rauchwölkchen fehen,
83 —
die ſich durch die ſilbergrünlichen Aeſte ver Sycamore
und Cottonbäume hinaufſchlängelten und auf das
Daſeyn menſchlicher Weſen ſchließen ließen, und bei
näherer Beſichtigung fand man unter den Baum⸗
gruppen eine oder mehrere Hütten friedlich an einen
Baum gelehnt, und von Eleigen Wälſchkorn⸗ und
Tabafpflanzungen eingefäumt. Weiter hinauf nahm -
ihre Anzahl allmählig zu, fo daß ihrer nicht weniger
- denn fünfzig feyn morhten.
Es war Feine befondere Orbnung in ihrer Auf⸗
ftelung over Bauart bemerklih. Man jchien bei ihrer
Errichtung weniger ven Geſchmack ald einen gewiflen
Hang zur Inpolenz berückſichtigt, und fich beim Auf⸗
bau nichts weniger al3 hart angefirengt zu haben.
Man Hatte ſich die einfachften Baumaterialien ges
nügen lafien, roh, wie fie die Natur barbietet. Sie
waren aus den Eleinen Aeſten von Cottonbäumen ge=
zimmert und aufgerichtet, die Lüden ausgefüllt mit
Tillandſea oder ſpaniſchem Mooſe. Statt ver Clap-
boards*), mit denen. weftlich von dem Allighany⸗
gebirge häufig die Wohnungen Aärmerer Landleute
*), Dachdauben.
6
die ſich durch Die Ülbengeirlichen UA, , <, PUR
und Cottenbãume Gemeine un „u
Daſeyn menjchlichet Bei übiier in u
nägerer Beflhtigung em me z-.
gruppen eine ober mehmer yaur
Baum gelehnt, und ver Aue Urater,
Tabafpflanzungen eingeiium: Leo uns au
ihte Anzahl aUmäglig zu, u me m. m —
denn fünfzig ſeyn mochten
Es war keine beſonden Ira —
ſtellung ober Bauart bemerfich Susan...
Errichtung weniger den Geier ai Mi
Hang zur Indolenz beriligug. zu ic
Br}
“u
— 8
gedeckt find, hatte man bier das Palmettorohr genom-
men: eine Wahl, die dem Ganzen einen ungemein
zarten Anftrich von Länplichkeit und Einfachheit gab.
Die Wohnungen felbft waren größtentheils. ohne
Fenſter und erhielten. ihr Licht durch die Kaminöffe
nung oder bie Thüre, flast welcher eine Buffaloehaut *
vom Thuͤrpfoſten herabhing, die während des Tages
auf das niedrige Dach zurückgeworfen wurde. Der
Hauptreiz dieſes Doörfchens lag jedoch nicht ſowohl in
ſeiner Bauart, als den vielen Baumgruppen, unter
welchen die niedlichen Hätten zu niſten ſchienen: eine
Mafregel, die wahrfcheinlich die große Hitze während
der Sommermonate in einer Gegend nöthig machte,
bie bekanntlich der Scheidepunkt zwiſchen ver nörhlichen
und ſuͤdlichen Hälfte der weſtlichen Welt bildet. Die
außerordentliche Reinlichkeit des Dörfchens war nicht
weniger bemerfungswertß‘; und teug viel dazu. bei,
ven -günftigen Eindruck zu vermehren. Es war wirk⸗
lich ein Tiebliches Plätzchen, mie noch aus feinen
Ruinen zu erfehen ift. Der Wafferfpiegel des Natchez,
der hier gewaltig der See zuſchwillt, der Rahmen
” Eine Wildbüffelhaut.
—) 85 —
yon dunkeln Enprefien und Mangroven, mit denen
beide Ufer eingefaßt, und deren Eolofiale Schatten fi |
auf dem Wafler vertauſendfachen, die zahlreichen
Baumgruppen, unter denen die Wohnungen gleich fo
vielen Einfeveleien hingezaubert, und endlich ber
breite Gürtel ſelbſt, begränzt auf beiden Seiten durch
bie prachtvoll wogenden Palmetiofelder, auf der
hritten durch einen Wall riefiger Urbäume, gaben dem
Ganzen einen Anftrich entzückender Abgeſchiedenheit.
Die Bewohner dieſes abgeſchiedenen Fleckchens duͤrf⸗
ten vielleicht, mit einigen Ausnahmen, weniger rei⸗
zend, im Ganzen genommen jedoch kaum minder
interefſant geweſen ſeyn. Vor den äußerſten Hütten
war eine Gruppe glaͤnzend dunkelfarbiger Weſen zu
erſehen, die man auf den erſten Anblick ungezweifelt
für eine Herde Affen gehalten haben würde, ſo drollig
waren ihre Bewegungen. Bald hüpften fie über
Heden und Stauven, gleich einer Herde dieſer Thiere,
wanden ſich dann gleih Schlangen und rollten den
Abhang zum Fluſſe Hinab, mit einer Behenvigfeit
und Schwungfraft, der fein menfchliched Auge zu
folgen ſchnell genug gewefen wäre. Weiter ind Dörf⸗
hen hinein, fah man Züge von erwachjeneren Jungen
— ⸗—
in ihren Eriegerifhen Uebungen begriffen. Sie ftell-
ten den Spähertang dar. Während eine Anzahl auf
dem Rafen gleich einem Schlangenfnäuel fortkroch,
hatten fi andere in weiter Ferne in horchender
Stellung zur Erde geworfen, ihre Köpfe tief in ven
Boden eingedrüdt, lauſchend auf die Bewegungen
ihrer Gegner, denen fte ſich windend zuletzt näherten,
plötzlich auffprangen und über fie herfielen. Als
dieſes Triegerifche, und die Wahrheit zu geftehen, bie
Sinne Außerft fhärfende Spiel einige Male wieder⸗
holt worden war, formten fie ſich in die fogenannte
indianifche Reihe, und rücten zum wirklichen Kampfe
mit drohenden Geberden auf einander los. Ihre
ftumpfen hölzernen Tomahawks ſchwingend, und
ſchreckliche Siehe einander zumeſſend, bewegten fie
fih, flohen, praliten an, krümmten ſich unter den
Hieben over wichen ihnen aus mit ven plumpeſten, un⸗
geſchlachteſten und hinwieder graziöfeften Wendungen.
Nicht die mindeſte Neugierde over Theilnahme von
Seite der übrigen Bewohner des Dörfchend. Die
größte Apathie und die größte Kraftäußerung bilde⸗
ten bier durch ihre Ungezwungenheit nur um fo größere
Kontrafte. Vor den offenen Hütten faßen einige
— 7 —
Squaws mit ihren Töchtern, Wälſchkorn aushülſend,
Hanf brechend over Tabakspflanzen fihichtend ; die Kin⸗
der hingen an ven Außenwänden auf einem langen:
hohlen trogartigen Bretchen ober einer Rinde ausge⸗
ftreit, ihre Hände und Füße mit Buffaloeriemen an
das hohle Bret geſchnallt, mit Feiner andern Be⸗
kleidung als einem Streifen Calico um die Hüften:
bie gewöhnliche Art viefer Indianer, ihre Kinder das
ganze Leben hindurch in der aufrechten Stellung zu
erhalten, die fle.und ihre Befleger fo ſehr charakteriſirt.
Nicht ferne vom obern Ende der Nieverlaffung
flanden zwei größere Hütten, die man auf den erften
Anblick für Hölgerne Schulgebäude oder religiöfe
Berfammlungspläge in unſern Hinterwaͤldern Hätte
nehmen Tönnen.
Beide waren gleich ven übrigen an Sycamorebäume
gelehnt, zeichneten ſich jedoch ſowohl durch ihren
größern Umfang, als ihre geſuchtere Bauart aus,
und waren von Lauben von Palmen und Mangroven
umgeben, mit ziemlich großen Raſenplätzen vor den
Ahüren. Bor einem biefer Eleineren Häuſer, und
mitten auf dem freien Raſenplatze, Fauerte eine Gruppe
von etwa fünfzig Männern am Boden, in bite
—) 88 —
Rauchwolken gehüllt, die Tabakspfeifen von drei bis
fünf Fuß Länge entftiegen, mit denen alle verfehen
waren. Ihre Kleidung beftand in einem Jagdhemde
von Galico, das, vorn offen, die nadte Bruft bis
zum Wampumgürtel ſehen ließ. Ihre Lendenhemden,
am Wampumgürtel befeftigt, reichten bis an die Kniee,
. und an einem Niemen,. der quer über die Schultern
- hing, war ihr Tabaksbeutel befeftigt. Ste trugen ihr
volled Haar, und Keiner hatte den fogenannten Scal- .
pingluft*). Obgleich vie Verſammlung bloß zufällig,
und die Unterhaltung mehr eine vertrauliche fehlen,
fo hatten die Männer doch augenfcheinlich ihre Pläße
nad ihrem Range eingenommen. Der innere Halb»
zirfel nämlich war von ven eltern beſetzt, während
die Jüngern einen zweiten und dritten Halbkreis bil⸗
deten. In der Mitte dieſes Bogens faß ein alter Mann,
auf den die Blide der Verſammlung mit einem
befondern Ausdruck von Vertrauen und Ehrfurdht
gerichtet waren, und deſſen merfwürbiges Aeußere,
verbunden mit diefer ausgezeichneten Achtung , das _
Oberhaupt des Volkchens andeutete.
*) Skalpierzopf.
—) 89 —
Es ließ fich nicht leicht etwas Intexeſſanteres denken,
als viefen Dann, veffen Körper aus nichts ald Haut
und Knochen zu befteben ſchien. Alle fleiſchigen grö⸗
bern Theile waren aufgetrocknet, und nichts übrig
gelaſſen, als Sehnen und Adern. Sein offenes Jagd⸗
hemde ließ eine Bruſt erblicken, die, viel breiter als
die der übrigen, einem verhackten Brete glich, und
ein gräßliches Hautrelief von Narben und Wunden
darbot. Auf dem Geſichte ruhte finflerer floifcher
Ernſt, mit einem Ausdrucke von Neflgnation, der
feinen ftolzen vertrockneten Zügen ein ſeltſames Ge⸗ |
präge fiäwerer Kämpfe und furchtbarer Seelenleiven
gab. Steben Iahre von Verbannung und der Sturz
feined Stammed hatten dieſe Veränderung im Mifo
ber Oconees hervorgebracht. Sein Haupt war .auf
die Bruft gefunfen, und er faß vertieft in Gedanken.
„Sp Hat demn unſer Volk abermals eine Hälfte
feined Landes verloren,“ ſprach ein alter Indianer,
der im inneren Halbzirkel faß, mit einer Betonung,
die zwiſchen Frage und Bemerkung die Mitte halten
follte. , |
Der alte Mann, den wir fo eben befehrieben, hielt
eine Weile inne, und ſprach dann, ohne feine Stellung
— 0 >
zu verändern, im tiefen Keblentone, und mit einer
Mürde, die jenen Zweifel zu verbieten ſchien.
„Ein EIE kann vreimal über unferes Volkes Land
zwifchen Sonnenauf- und Untergang jagen.“
Dem Indianer, der die Frage gethan, entfuhr en
tiefed Rlaggeftöhn; bann griff er in den Tabaksbeutel,
nahm einige Blätter zwifchen pie Finger und den Dau⸗
men, und fehnitt fle in Eleine Teilchen, die er in bie
flahe Sand fallen Tieß, einigemal mit der andern
rieb, und dann in feine Pfeife flopfte, er zündete ſo⸗
fort diefe mittelft eined Schwammes an, ſetzte fle auf
pie Erbe, und huͤllte ſich in eine Rauchwolke.
„Und der heilige Grund wurde gefärbt mit dem
Blute der rothen Männer?« fragte ein Zweiter.
nDie Gräber der Erfchlagenen find zwanzig Mal
mehr, ald der Männer ver Deonees, die nun mein
Auge fieht, « erwiederte ver Miko in demſelben Trauer⸗
tone. „Ihre Leichname lagen auf der Erde gleich den
Blättern der Bäume, und bie langen Meſſer und bie
Gewehre der Weißen waren tief in ihr Blut getaucht.
Nie werden die Creeks im Stande feyn, die Tomahawks
aus dem Grunde zu graben. Aber,“ fuhr er fort, fein
Antlitz erhebend, vefien Züge einen befonveren Aus⸗
9 1 —
druck annahmen, während feine ſchwarzen feurigen
Augen Blitze ſchoſſen, „Tokeah Hat es feinen Brü-
bern vorausgefagt, als er vor fleben und vor ſieben⸗
mal fteben Sommern zu ihnen geſprochen. Seht, das
waren feine Worte: Der weißen Männer find nur
wenige, ihre Stärke tft die der Weinzebe, bie ſich um
unfre Bäume winbet. Ein einziger gut treffender
Hieb des Tomahawks, und die ſchwache Ranke iſt
vom Baume gehauen, und er iſt befreit von der wu⸗
chernden Schlingpflanze. Laßt ſie aber nur zehn Jahre
wachſen, fo wird fie ihre Sprößlinge um die Bäume
winden, mit ihren verrätherifchen Armen fie umſchlin⸗
gen, und fie langfam tödten. Seht in dieſen Neben
ven weißen Dann; ſchwach ift er gekommen, ſchwach
war er no, als Tokeah zuerft feinen Tomahamf ge=
fhwungen; aber er hat fich ſeitdem gewunden und
gekrümmt wie die Rebe, und wie die Rebe hat er ſich
über unfre Waͤlder und Thäler verbreitet, und zahl-
reich wie die Neben find die Weißen geworden, und
werben, jo wie biefe unfre Bäume, uns erfliden mit
ihrem Feuerwaſſer, und uns ertödten mit ihren langen
Mefjern, und aufefien mit ihrem nimmerfatten Hun⸗
ger. Und alles Korn unfrer Felder und Wild unfrer
92 —
Walder wird nicht zureichen für ihre ewig leeren Ma⸗
gen, und der rothe Mann wird weichen müſſen vor
ihnen. Es iſt geſchehen,« ſprach ver alte Mann mit
feierliher Stimme. „Nochmals hat fie der Miko vor
fieben Sommern gewarnt. Es war feine letzte War⸗
nung. Damals hat er ſeine Boten zum großen Te⸗
cumſeh geſandt, das Band der Einigung zwiſchen
beiden Völkern wieder anzuknüpfen. Seine Boten
haben vie Galumet*) mit dem großen Häuptling ge⸗
raucht, und er bat verfprochen Toszufchlagen, wenn
die Muscogeed das Kriegögefchrei erheben würben.
- Aber unfre Brüder unter ven Muscogees haben ihre
Augen und Ohren vor dem Miko verfchlofien, und
Tokeah ald einen betrachtet, der damit umging, den
Samen ver Zwietracht zwifchen feinen-Brübern und
. den Weißen zu ſäen. Ja!« ſprach er mit Würbe nad
einer kurzen Baufe — „Tokeah hat geſucht, vielen
Samen ver Zwietracht zu ſäen, er hat ſich bemüht,
die verrätherifche Freundſchaftskette zu brechen, welche
die Rothen mit ven Weißen nicht verband, fondern
fie feffelte an diefe. Ia, er wollte ven Samen der
N) Pfeife des Friedens.
e
—H 93 6 —
Zwietracht fäen, auf daß die Saat feine und ihre
Feinde vertilge, fie vertilge für Immer von dein Lande
unfrer Vorfahren, auf dem wir nun heimathlofe
Flüchtlinge find. Aber die Muscogees wähnten im
Miko einen Berräther zu fehen, und die falfche Zunge
feiner Brüder, bie das Feuerwaſſer ver Dengheefe
und ihre Korallen mehr liebt, als die Freiheit, bat
feine Reden dem weißen Vater verrathen, und Tokeah
hatte das Land feiner Väter zu meiden, wollte er
nicht ven Feinden feines Geſchlechtes ausgeliefert wer⸗
den. Der große Geift hat vie rothen Männer ver-
blendet, fo daß fie ihre wahren Brüder nicht mehr
erkennen Eonnten, und im Mifo der Oconees ihren
Feind jahen. Sie haben zugegeben, daß die Dengheefe
fi über das ganze Land verbreitet, und, nachdem fie
zahlreicher getoorben als der Buffalve auf ven Fluren
der großen Cumanchees, haben fie, nie Thoren, das
Kriegögefchrei erhoben, und wurden — gefchlagen
und vernichtet.“
Ein dumpfed Stöhnen erhob ſich in ver Verſamm⸗
lung und dauerte eine geraume. Weile. Der Sprecher
fuhr fort. -
„Ihre bleichenden Gebeine find nun mit Erde be⸗
Der Legitime. L 8
9 4 —
deckt, und ihr Blut ift vom Regen weggewafchen;
aber ihr Land ift von ihnen genommen, auf ihren
Fluͤſſen ſchwimmen nicht mehr ihre Canoes. Die
Roſſe der Weißen laufen num auf breiten Pfaden
durch ihre Wälber, die angefüllt find mit Krämern,
und abflerben durch ihre verwäüftenden Hände. Was
ihre Kugeln und ihre langen Mefier übrig gelaflen,
wird ihre gefrümmte Zunge, ihr Feuerwaſſer vollends
aufreiben. Tokeah hat ihn gejehen, ven heiligen Grund,
er hat fie gefehen, Die verbrannten, zerftörten Dörfer
Teines Volkes, er hat alfo gefehen feine Brüver, fie
gefehen, wie fle vor den Häufern mit gemalten Schil⸗
"dern lagen, Schweinen gleich, ihre Gewehre und To⸗
mahawks mit Kothe beſudelt, ſie ſelbſt vie Zielfcheibe
der Verachtung und Beſchunpfung der ſchwarzen
Sklaven.u
Die legten Worte waren mit einer beinahe ſchmerz⸗
lichen Wuth mehr herausgeſtoßen als ausgeſprochen.
Ein dumpfes Geheul entfuhr der Verſammlung. Der
alte Mann fuhr fort:
aDurch die Wälder, in denen Tokeah als Häupt⸗
ling, als ein mächtiger Miko gejagt, hat er gleich
einem Diebe im Dunfeln ſchleichen müſſen, wenn die
—d 8 6>
Sonne hinter ven Bergen war. Sein Bolt, vie Blüte
des rothen Geſchlechtes, hat er im unflathe, in
Pfützen ſich wälzen geſehen.“
Als er dieſe Worte geſprochen, ſiel ſein Haupt wie
der in ſeine beiden Hände, und eine lange Pauſe er⸗
folgte.
„Und hat ber. große Miko nicht zu feinen Brüpern
geredet?“ fragte der zweite Indianer.
Der Häuptling erhob fein Antlig und betrachtete
den Sprecher einige Augenblicke mit einem würbe-
vollen Ausdrucke.
„Hat mein Bruder vergeſſen,“ ſprach er endlich,
„daß unſre rothen Brüder jenſeits des großen Fluſſes
ſelbſt das Band zerriſſen haben, welches Tokeah und
feine Männer an ſie knüpfte, und daß ſie ihn und die
Seinigen verriethen, und fie zwangen, dem Lande
ihrer Väter den Rücken zu wenden? Nur ein Thor
wird zweimal fprechen. Seine Brüder haben ihre
Ohren verfehlofien vor fieben Sommern, als es noch
Zeit war, einen Schlag zu thun; und nun hat ber
Miko feinen Mund verfehlofien. Seine Zunge war
gebunden, ald er das Grab feiner Väter zum legten
Male fah; denn fein Herz war mit feinen treuen
8*
— 96 ⸗—
Mannern. Aber nicht lange, und die Muscogees
werden von den Weißen aus ihrem noch übrigge⸗
bfiebenen Befitze getrieben werben, fo wie ſie die
Hirſche und Elke über den großen Fluß getrieben.
Ste werden fommen, um ihre Wigwams auf dieſer
Seite des großen Fluſſes aufzufchlagen; dann wird
Tokeah ‚feine geöffnete Sand ausfireden, um fie zu
empfangen. Sein Wigwam wird für fie bereit ftehen.
Seine Männer haben Fülle von Wild und Korn, und
ihve Mischen wiſſen Jagdhemden zu weben. Er wird
theilen mit den Ankommenden, was er beſitzt, und
dann wird die gebrochene Kette des Verbandes wieder
geſchloſſen werden.“
Der laute achtungsvolle Zuruf, mit dem die Worte
des Sprechers ‚aufgenommen wurden, ſchien eine
ſchmerzliche Wirkung auf ihn hervorzubringen; ohne
ein Wort zu erwiedern, neigte er fein Haupt auf feine
Bruft und verſank wieder in tiefed Sinnen.
Die Sonne ſank nun in einer Fluth von Glorie
den weſtlichen Rücken des Natchez hinab, der breite
Gürtel des öftlichen ſchimmerte noch in taufend pracht⸗
vollen Tinten. Allmählig ſchmolzen die gold - und
purpurfarbenen Gipfel der Bäume in graued Hell⸗
—, 97
dunkel, der fllberne Wafferfpiegel des grauen Natchez
daͤmmerte ins Dunkelblaue — die Natur fehlen ſich
zur Raſt begeben zu wollen — ruhig, friedlich, pracht⸗
vol. Der Miko warf einen letzten Blick auf die zitternd
zaubernden Strahlen, als fie ermattend in einander
verſchmolzen; allmählig zogen ſich feine Schenkel aus
ihrer Ereuzweifen Verſchlingung von einander, und
die Ferfen auf ven Boden flemmenn, erhob er fi
langfam ohne Anftrengung und ohne feine Hände zu
gebrauchen. Sein Aufftehen war dad Zeichen des
allgemeinen Aufbruches. Alle erhoben fich auf diefelbe
Weiſe, und es fhien einen Augenblick, ald wenn fie
aus der Erde gewachien wären.
Der Häuptling ſchritt nun auf pas hinter der Laube -
ſtehende Häuschen zu, das fi, wie bemerkt, durch
größern Umfang, fomwie dadurch außzeichnete, daß es
mit Tihüren und Zenflern verfehen war. Nachdem er
eingetreten, ſchloß er die Thüre hinter ſich. Das In⸗
nere befland aus zwei Stuͤbchen, bie von einander
dur einen Teppichvorhang getrennt waren. Der
Fußboden und die Wände waren mit Matten über»
zogen. Längs den Wänden Tief ein niedriger Sig,
einem Divan nicht unähnlich, und ganz mit ſpaniſchem
— 8 >
Mooſe ausgefültt, und gleichfalls mit einer Matte über-
zogen. Zunächft ver einen Wand ftand eine Tängliche
Tafel von einfacher Funftlofer Arbeit. Auf derſelben
Seite hing ein Earabiner von amerifanifcher Arbeit,
und daneben ein zmeiter ſehr ſchön gearbeiteter doppel⸗
läufiger Stuger und eine Jagdflinte. Gegenüber
waren indianiſche Waffen in zierliher Ordnung ge=
reiht. Köcher von Dammhirſch⸗ und Alligatorfellen,
Bogen, Schlahtmeffer und Tomahawks. In ver
Mitte war eine ziemlich große, Tunftreich verzierte
Taſche zu fehen, die einer Jagdtaſche nicht unähnlich
und auf Wampumart reichlich gewirkt, wahrſcheinlich
die myſteriöſe Medizin des Häuptlings enthielt, bie
befanntlich von Vater auf Sohn übergeht, und welcher
der amerifanifche Wilde, als Symbol der Gewalt,
eben fo viele Ehrfurcht bezeugt, als die europäifchen
Völker den Sceptern, Tiaren und Kronen ihrer geiſt⸗
lichen und weltlihen Herrfcher vor Alters erwiefen.
Die Dämmerung, bekanntlich kurz in dieſen Gegen⸗
ben, war bereitö in Dunkelheit übergegangen, als
zwei weibliche Geſtalten in die Stube traten.
„Meine Töchter find ange ausgeblieben ,« fprach
der alte Dann, ver ſich auf dem ermähnten Tilland⸗
4
—H 99 —
feafite .niebergelaffen hatte, feinen Kopf in beiden
Händen ruhend. on
"Sie haben die Trauben gefammelt, die Vater fo
fehr liebt,“ erwiederte eines der Mädchen.
Canondah, denn es war fle, die mit Roſa zurüd
gekehrt war, nahm nun ein irdenes Geſchirr, füllte
es mit Trauben, und ſetzte e8 mit zwei andern, beren
eined getrocknete Hirjchfehinken und das andere ge⸗
röftete Maiskörner enthielt, vor ihren Vater. Sie
goß dann eine Flüffigfeit aus einem irdenen Kruge
in einen Becher, und reichte viefen gleihfall8 dem
alten Mann, ver, nachdem er einen Zug gethan, ihn
wieber zurüdtftellte, hierauf einige Stücke vom Hirſch⸗
ſchinken ſchnitt, und eine Hand vol geröfleten Kornes
nahm. Sein Mahl war eben fo ſchnell geendigt, als
die Vorbereitungen dazu Turz waren, und in wenigen
Minuten räumte Cauondah wieder die Tafel.
„Sind meine Kinder nicht hungrig?“ fragte er
feine mit Wegtragung der Gerichte befchäftigte Tochter.
„Ste haben von ven Trauben gegeffen.”
„Gut!« verfeßte der alte Mann, und legte fein
Saupt wieder in feine vorige Stellung. Das Mäd⸗
hen hatte kaum dieſe Bewegung bemerkt, als fie vor⸗
100 æ—
waͤrts glitt, und, vor dem Häuptling niederfinkend,
ihre Hände auf ihrem Buſen faltete. Er hatte die
ſeinigen auf ihre Schultern gelegt, gleichſam als ſeg⸗
nete er ſie. So wie ſie die Berührung fühlte, brach fie
in eine Art melopifchen Sumfen® aus, dad dem Tone
entfernter Blasinftrumente nicht unähnlih war. All⸗
mählig jedoch wurde ihre Stimme lauter und ftärfer,
wirbelnd überging fie in die wilden leidenſchaftlichen
Töne ihres Volksſtammes, und wieder in die fanftern
ber weiblichen Bruft. Als fie eine Weile in ihrem:
improviftrenden Gefang fortgefahren, ſchien fich ihre
Begeifterung dem alten Manne mitzutheilen. Er
beugte fich herab zur Sängerin, und feine Stimme
pereinte fich mit ver ihrigen in den gemöhnlichen tiefen
indtanifchen Kehlentönen. Plötzlich hielt fie inne,
und fragte fingend in den melodiſchſten Tönen nad
der Urſache der Schmermuth ihres Vaters.
„Darum,“ fang fie, „ift ver Blick des Miko der
Oconees trübe, fein Angeſicht verfinftert? Er ift ferne
von den Gräbern feiner Väter, aber ver große Beift
ihm nahe; feine Wolken ſchwimmen beſchützend über
feinem Saupte, ihn verbergend feinen Seinen, auf
daß fie ihn nicht fehen mögen, bis er erflehen wird in
—H 101 8
feinem gerechten Zorne.* Und fie brach aus in eine
melancholiſche, wild prachtvolle Phantafte, beſtngend
die Großthaten der Mikos der Oconees auf dem Kriegs⸗
pfade und auf der Jagd; dann ſang ſie den Ruhm
ihres Vaters, ſeine Wunden und Thaten, malte die
Schlachten, die er gegen die Cherokeeſen und die
Weißen geliefert, die Gefahren ſeines Zugs über den
großen Fluß, ſeine kindliche Frömmigkeit, die ihn
nicht ruhen ließ, bis er wieder die Gräber feiner Bä-
ter gefehen hatte, und ihren Ton herabfiimmend, rief
fie den großen Geift an, feinen Pfad von Dormen
auf ver bevorſtehenden Jagd frei zu halten.
Es war nicht ein eigentlicder Gefang, fondern viel-
mehr eine Improvifation; aber- die reiche Melodie
und die außerorventliche Biegfamfett ihrer Stimme,
bie von den tiefften Tönen zu den höchſten hinauf-
wirbelte, und wieder das ſeufzende Lüftchen oder ven
heulenden Sturm nahahmte, und zuleßt gleich einer
begeifterten Seherin Troſt wie aus höheren Sphären
ſprach — alles dieß gab. ihrem Belange eine unbe⸗
ſchreibliche Wirkung.
„Meine Tochter,« ſprach ver alte Mann, „Hat ver⸗
—, 1 ⸗—
geffen, zum Lobe des großen Häuptlings der Cuman⸗
chees zu fingen: “
„Sie will ihre Töne in fein Ohr wispern, wenn
"er im Wigwam ihres Vaters ſeyn wird ;« erwie⸗
derte ſie.
»But!a war die Antwort.
„Und Hat die weiße Rofa feine Zunge, den Ges
fang der Oconees zu fingen?“ fuhr‘ er nach einer er kleinen
Pauſe fort.
Canondah wandte ſich und fühlte mit ihrer Sand.
Keine Rofa war da. Sie ftand auf,‘ ſuchte herum. in
der dunkeln Stube, die weiße Rofa war nicht zugegen.
»Sie ift unter vem großen Baume,“ fagte fle, in-
dem fie ſich langſam, und wie es fehlen, mit einem
ſchweren Herzen anſchickte, fie aufzufuchen. |
Als Roſa mit Canondah ind Zimmer getreten war,
zog fle fich zum Vorhange zurüd, der, wie bereits
gefagt, beide Stübchen von einander trennte. Da blieb
fte angftlich harrend eine Weile ftehen, wahrfchein-
fi in der Hoffnung, der Häuptling würde ſogleich
nach feinem Mahle fich zur Ruhe begeben.
Als Canondah jedoch fi vor ihm nieverließ, und
in die wohl befannten Töne des Nachtgefanged aus⸗
— 18 —
brach, ſchien fie ihre ganze Befonnenheit zu verlieren.
Sie ſchwankte vorwärts, rannte zurück — fle zitterte
und bebte. Endlich eilte fie raſch durch die Tihüre in
bad: zweite Stäbchen, legte ihr Seidenkleid ab und
warf fi in ein leichtes Calicoröckchen, nahm dann.
eine Wolldecke, warf fle über einen Korb, und flahl
fih ins erfte Gemach. Bitternd war fle an der
Schwelle angelangt, bebend Hatte ſie dieſe übers
ſchritten. Ihre Bruft ſchlug Taut, ihre Kniee fihlotter-
ten, als fie fich der Wand näherte und die myfteriöfe
Taſche berührte, und endlich durch die Dunkelheit bis
zur Thüre forttappte.
Die Bewohner des Dörfchens waren bereits in
tiefen Schlaf begraben, die Gipfel der Bäume glänz⸗
“ten im filbernen Mondlichte gleich Niefengeftalten,
währenn die Nachtvünfte von dem nahen Wafferfpiegel,
ähnlich den Geiftern der Vorwelt, in ungeheure Lei⸗
chentücher gehüllt, über vie Hütten wellenförmig ſich
fortbewegten. Nicht eine menfhliche Geftalt war Zu
fehen. Das Mädchen hielt eine Welle inne und eilte
dann raſch, gleich einem erſchrockenen Dammhirſche
vorwärts, dem Pfade zu, der längs ver Niederlaſſung
dem Walde zuführte. Keuchend und erfchöpft war fie
=
5 10 —
. mit ihrer Bürde vor der Baumhöhle angekommen.
Da Hielt fie inne für einen Augenblid, ſah fich furcht⸗
fam um, ob fie gefehen würde, näherte ſich der Oeff⸗
nung und zog fich wieder zurüd. Der Fremde iſt kalt,
und krank und hungrig, wisperte fie finnend. Und
mit einem Sage war fle über einen der Blöcke. Der
Berwimdete fchlief. Sie Fauerte ſich zu ihm herab,
und flreifte das Moos ab, mit dem er bevedt war.
Das Blut floß noch immer in großen Tropfen und
hing in geronnenen Klümpchen am feinenen Tuche.
Ste löste es behutfam ab, fühlte vie Wunde und goß
eine flüjfige Subftanz hinein. Ein Schmerzenfihrei
entfuhr dem Fremden.
„Stille, ums Himmelswillen ttillet⸗ u bat das Mäd⸗
den. „Es ift Balfam, und Balfam aus der Medizin-
tafche des großen Miko. Er wird Deine Wunde heilen.
Aber die Bäume haben Ohren, und der Wind bläst
von unten herauf. Ih bin ed, Canondah ift es,“
wisperte flemit einer Stimme, deren Zittern fie fügen
ftrafte.
„Es ift Canondah,“ mienerholte fie, indem fie noch
einige Tropfen Balfams in feine Wunden goß, fie
dann mit Bandagen ummand und endlich verband.
— 15 —
„Hier,« flüfterte fie, nift der Saft von Trauben.
Hier ift gebratened Fleiſch von unfern Waflernögeln
und Wildpret. Und dieß wire Dich warm halten,“
fuhr fle fort, ihn in die Wolldede hüllend. Noch ein-
mal wandte fie fich, ald fie am Ausgange ftand, und
dann Eletterte fie wieder zurück über den Stamm und
floh. ihrer Wohnung zu. Je näher fie ver Hütte Fam,
deſto langfamer, ſchwankender wurden ihre Schritte.
Als fie in Die Laube trat, ſuchte ihr Auge die Geſtalt
Canondahs.
„Roſa,“ murmelte die Indianerin. „Was haſt Du
gethan? Der Mike hat nad Dir gefragt?“
„Hier,« erwiederte das Mädchen, ihr athemlos die
Phiole reichend.
„Komm!« ſagte die Erſtere, und fie bei der Hand
faſſend, traten Beive in die Stube. _
„Die weiße Mofa hat das Blut von ihren Wangen
verloren; feit den Tegten zwei Monden find ihre Augen
mit Waffer gefüllt. Der Häuptling ver Salzſee
wird file trodinen;“ fprach ver alte Mann.
Ein tiefer Spufzer entflieg der Bruft des Mädchens.
Sie begann zu ſchluchzen und laut zu meinen.
„Die weiße Roſa,“ fuhr der Miko Falt und ruhig
— 16 —
fort, „wird das Weib eined großen ſerlegers ſeyn,
der ihr Wigwam mit der Beute ſeiner Feinde füllen
wird. Ihre Hände werden nie arbeiten dürfen, und
fie wird von allen Squaws beneidet ſeyn.“
Und mit diefen Worten ſtreckte er feine Schenkel
auf die Bank, hüffte ſich in feine Wolldecke und legte
fih zur Ruhe.
Canondah ergriff Roſas Hand und He fanft mit .
ſich in das zweite Gemach ziehend, führte fie fle gleich-
falls ihrem ländlichen Divan zu und drückte fie fanft
auf dieſen nieber.
Roſa legte ſich ſchweigend, aber vergeblich bemühte
fie ſich, ihre Augen zu ſchließen. Die blaſſe, ſterbende
Geſtalt des Fremden ſtand vor ihrem Blicke, und
raubte ihr Ruhe und Raſt. Eine Stunde verging
nach der andern, und ſie war noch immer wach.
Endlich ließ ſich ein Geräuſch in der Vorderſtube
hören, das andeutete, daß der Miko bereits aufge⸗
ſtanden war.
Canondah ſprang vom Lager, näherte ſich Roſen,
bog ſich über das Mädchen, legte ihren Zeigefinger
auf ihre Lippen, und eilte in ihres Vaters Stube.
Der Haͤuptling war mit Anſtalten zu einem weiten
—9 107 —
Auöfluge befhäftigt, der großen Herbſtjagd nämlich,
die bekanntlich bei dieſen Staͤmmen mehrere Wochen
und ſelbſt Monate dauert, und ſich über Landſtrecken
von Hunderten von Meilen ausdehnt. Seine Vorbe⸗
reitungen waren bald getroffen. Er nahm einen großen
Beutel, mit Tabak gefüllt, einen andern mit Blei, legte
beide ſorgfaͤltig in ſeine Jagdtaſche, und hing dieſe
über feine Schulter. Hierauf ſteckte er fein Schlacht⸗
menſſer in feinen Gürtel, und nahm den erwähnten
doppelläufigen Stuger. Ein junger Indianer trat
herein, dem er Bogen, Pfeile und einen Sad, mit
Lebensmitteln gefüllt, übergeben ließ. Seine Tochter
hatte dieß ſchweigend gethan. Sie fland nun mit ges
falteten Händen und erwartete die Befehle ihres
Vaters. Dieſer legte feine flache Rechte auf ihre
Stirne, blidte ihr eine Weile theilnehmend rubig ins
Geficht — dann ſchienen feine Züge ſich zu mildern,
die Augen von Bater und Tochter begegneten fich,
und gleichfam als ob fie ſich verfländigt Hätten, wandte
fich Exflerer der Thüre zu.
An fünfzig Männer waren bereits vor der Hütte
verfammelt, vollkommen gerüftet und bewaffnet. Stille
und ſchweigend waren fie gekommen; kein Laut, kein
—) 108 —
Fußtritt war zu vernehmen geweſen. Kaum war ihr
Häuptling in ihrer Mitte, als fie eben ſo ſtille ſich
an ihn anſchloſſen, und mit einer Heimlichkeit der
Uferbank zueilten, die im Zwielichte beinahe Grauen
erregte.
Die Tochter hatte ihren Vater nic weiter als bis
zur Thüre begleitet, wo ber Wink des Letztern fie
file ftchen hieß. Horchend ſtand fle eine Weile, bis
ver leiſe Waſſerſchlag der Ruderer gehört wurde;
dann ſchloß fie die Thuͤre und eilte ins innere Gemach.
ı „Sie find gegangen,“ ſagte fle.
„Dann laß und zum Fremden eilen,” erwiederte
Roſa.
nDie weiße Roſa,“ ſprach die Indianerin im mil⸗
den aber ernſten Tone, „muß ſchlafen, ſonſt wird ihr
blafſſes Geſicht verrathen, was in ihrem Buſen be⸗
graben iſt. Meine rothen Schweſtern ſind fein und
verſchlagen, ihre Augen weit offen. Sie würden die
Spuren leicht finden, die wir geſtern im Rohrfelde
gelaſſen haben. Ein Mädchen könnte nun den Miko
einholen. Canondah will nach dem Fremden ſehen;
aber ihre Schwefler muß ausruhen.“ Sie preßte ihre
—10 —
Freundin sanft auf das Lager, und verſchwand hinter
dem Vorhange.
War es die ruhige, milde Sprache der Indianerin,
deren Treue und ſchweſterliche Liebe ihr wohl bekannt
ſeyn mochte, oder Müͤrigkeit? Roſa fiel nad wenigen
Minuten in einen tiefen Schlaf.
Fünftes Kapitel.
Geht auf die Jagd, ich will bei ihm bleiben.
i Shalespeare. -
Der Indianer hat, neben vielen edlen und groß⸗
artigen Zügen, die zuſammengenommen ſeinen Na⸗
tionalcharakter bilden, und zwar einen National⸗
charakter, deſſen moraliſche Höhen und Tiefen bei
weitem noch nicht gehörig gewürdigt ſind, einen, ver
ihn minder vortheilhaft Hleivet, und den der Sitten⸗
maler feiner Nation gerne vermiffen würde. Es ift
dieß die auffallend rohe ſelbſtiſche Gleichguͤltigkeit, ober
vielmehr Fühlloſtgkeit, mit der fie ihre Weiber be>
Handeln: eine Fühllofigkeit, vie zwifchen ven unglück⸗
lichen Geſchöpfen und einem Hausthier nur wenig
Der Legitime. 1. 9
9 119 &—
Unterſchied kennt. Vielleicht Find dieſer Fuͤhlloſigkeit
einzig und allein jene ſchwarzen Flecken zuzuſchreiben,
die ihrem häuslichen und öffentlichen Leben den ſo
widerlichen Stempel thieriſcher Grauſamkeit und
Unemyfindlichkeit, und hinwider der ſtupideſten In⸗
dolenz aufdrücken: ein Stempel, der aus einem ins
dianiſchen Sittengemälve bloß eine fortgefeßte Scene
von Grauſamkeiten over eckelhaftem Faulleben bilvet,
nur felten durch eines jener fanftern Neliefe aufgehellt,
vie ein höherer Grad von Achtung gegen dad weib⸗
liche Geflecht nothwendig erzeugen müßte. Die
indianiſchen Völkergefchichten haben auffallend be⸗
wiefen, daß Nationen, wo bloß die eine Hälfte Men⸗
ſcheurechte genießt, Immer nur Wilde oder Barbaren
fegn werben , und daß jene Reibung im geſellſchaft⸗
lichen Leben, mo das Weib dem Manne mit gleichem
Rechte gegenüber ſteht, zur Veredlung des Gefchlechtes
unumgänglich nöthig ſey.
Ein Bolt, Hei dem das Weib auf einer, ihrer
urſprünglichen Wärbe nicht angemeſſenen Stufe fteht,
wird jederzeit mehr oder weniger barbarifch feyn, und
der richtigfte Maßſtab der Aufklärung eines Volkes
wäre wohl das Berhältnig, in welchem die zweite
—9 111 6
Hälfte zur erftern in ihren Privat: und Öffentlichen
Berhältnifien flieht. Des Weibes Beſtimmung iſt
meber die des Laflthieres, noch der Sklavin der ſinn⸗
lichen Begierden des Mannes — ſie ſoll weder das
frivole Spielwerk müßiger Stunden, noch die Abgöttin
feiner thörichten Leidenſchaften ſeyn. Ste ſoll fegn die
Theilnehmerin an vem Wohl und Wehe ihres Mannes
— feiner drückenden fo wie erhebenden Gefühleinnigfte
Vertraute, die Freundin feines Herzens, der Leucht⸗
thurm feines Verſtandes, der ihn auf feinem Lebens⸗
pfade leitet, der ſchutzende Genius feiner Kinder, der
fünftigen Generation. Des Mannes ertönteten Sinn
fol. fte aufregen, und fo wie ſie die beſchützende Bott»
heit des häuslichen Heiligthums it, fol fie wehren
Helfen durch Muth und Feſtigkeit, daß Keine verruchte
Hand ſich an diefem vergreife. Nur die Nation, wo
das Weib diefed errungen, ſich fo hoch empor ge⸗
ſchwungen, — mer fie ift zur Freiheit geboren. Und
nie wird biefe Göttin einfehren, wo fle nicht ihren
häuslichen Heerd unbeſchränkt befißen, und dem Ty⸗
rannenknecht dad Eindringen in ihr Heiligthum wehren
darf und kann.
Es iſt merkwůrdig und unſern Satz ganz beſtͤtigend ,
9 *
—H 112 &—
tote bei jenen wilden Stämmen. und Völkerſchaften,
die allmaͤhlig eine gewiſſe Kufturftufe erreicht, auch
der Zuſtand des weiblichen Gefchlechtes ſich verbefiert
bat. Die Weiber der Cherofeefen find bereit3 mehr
Ehehãlften ihrer Männer als die ver Creeks, und fo
sihtig und beftimmt ift dieſer Maßſtab, daß Die
Gränzlinie der Weiberrechte bei ven verſchiedenen
Nationen. auch die der groͤßern individuellen hrelheit
und nationellen Kultur find.
Das Völkchen, von deſſen Nieberlaffung wir im
vorhergehenden Rapiteleine Schilderung gegeben, war
gerwiffermaßen auf der erſten Stufe gefellfchaftlicher
Kultur. Die Morgenröthe war herangebrochen, es
hatte bereits einen Vorgeſchmack von ven Bortheilen;
bie Ackerbau und die verſchiedenen Künfte des Lebens
biefem gewähren, und obwohl dieß bloße Anfänge:
waren, fo hatten fie doch hereits einen bedeutenden Ein⸗
fluß auf das Wohl und Wehe ihrer Weiber geäußert.
Diefe Weiber waren zwar noch immer ihren Männern
dienſtpflichtig, fie hatten mit ihren Töchtern Korn zu
fäen, zu pflügen, umzugraben, zu ernten, ven Tabak
zu bauen, bie Hirſch-⸗ und Alligatorshäute zu gerben,
und ihren Cotton zu fpinnen; aber eben die gefteigerten
—H 113 ⸗—
Bedürfniffe ihrer Männer, und ein gewiſſes Behagen,
das im friepfertigen ununterbrodhenen Genuſſe der⸗
felben ſich mit eingefhlichen hatte, Tonnte nicht ver-
fehlen, ihren Weibern in-ihren Augen eine größere
Wichtigkeit zu geben, die almählig auch größere Ach»
tung zur Folge Hatte.
Vielleicht trug der Umftand, daß Canondah an der
Spitze der zweiten Hälfte dieſes Völkchens ſtand, das
Seinige dazu bei. Das unbegränzte Vertrauen der
Männer zu ihrem Vater, und ihre tiefe Ehrfurcht konnte
fih natürlicher Weife nicht roh gegen feine Tochter
äußern. Abgeſehen von dieſem Umftande war auch
Canondah ganz dazu geſchaffen, ihr Geſchlecht im
Wigwam in eine höhere Stellung zu bringen, und alle
ihre Handlungen ſchienen zu bemweifen, daß fie dad
unrichtige VBerhaltniß zwifchen den beiden Gefchlechtern
nicht nur erkannt, fondern auch darauf ausging, e8
in’ ein weniger beleivigended umzuwandeln. Das
‚ Mädchen hatte einen Scharflinn, einen Mutterwig,
der umter den rothen Naturkindern nicht felten zu fin=
den iſt .und einen richtigen Takt zur Grundlage hat,
der fie gewöhnlich ficherer Teitet, als unfere durch
Penfionsanftalten verfhraubten Figürchen. Mit uns
—dH 114 &
erreichbarer Gewandtheit Hatte fie gewußt, jeden Um⸗
ſtand zu benußen, der fle auf eine nähere ober ent⸗
ferntere Weiſe ihrem Ziele zuführen Eonnte, eine
gewiſſe wohlthätige Herrſchaft, die fie gleich einem
Netze über die Männer auszubreiten und mit unver-
rüdtem Blicke zum Beften ihrer Schweftern zu ver⸗
folgen mußte. Sie hatte ihre Erziehung in einer jener
vortrefflihen Anftalten erhalten, die der philantropifche
Oberſt Hawkins unfer den Creeks zum Behuf ihrer
fittlichen und bürgerlichen Bildung errichtet, und Hatte
fih in vielen Zweigen ver weiblihen Haushaltung
aufeine Weife vervollkommnet, die flezu einer trefflichen
Hausfrau auch unter civilifirten Voͤlkern gemacht
haben würbe. Sie ſtrickte und wob vortrefflich, ihre
Röcke und Jagdhemden faßen am beften an, ihr Wein
war wohlſchmeckender und feuriger, als der von andern
Weibern oner Mädchen gekelterte: ja fie hatte während
ihres Wohnens unter ven Amerikanern fogar das
Geheimniß, das unfhägbare Feuerwaſſer zu ziehen,
glücklich ihren Wirthen abgelaufht: ein Vortheil,
deſſen Beveutenheit fie vollfommen zu würbigen ver⸗
fland, und den fle, als unverbrüchliches Geheimniß,
nur mit Roſa theilte. Sie hatte hinlängliche Zeit,
115 =
ſich unter den Amerikanern aufzuhalten, um ven um»
geheuren Abſtand zwifchen den Brauen ver Weißen
und den Squaws ihres Volkes zu erkennen, und ihr
zartfühlender Scharffinn hatte fie auch richtig auf den
Weg geleitet, diefem ſchreienden Mißverhältnifie nad
Möglichkeit Einhalt zu thun. — In jener Hütte war
fie zu Haufe, und wenn fie vorbeietlte an einer Thüre,
fo wich fie aud) nicht, bis der Mann fein pflügendes
ober grabendes Weib abgelöst hatte. Sie belohnte
die Willigen mit einer Calabaſſe des deliciöſen Feuer⸗
waſſers, währenn fie e8 dem Muͤrriſchen oder Wider⸗
fpenftigen mit demſelben ſchlauen Lächeln mit reinem
Quellwaſſer füllte. So hatte fie allmählig die Männer.
gewöhnt, die Laften ihrer Weiber zu theilen. Sie
hatte Mittel, Allen zu gefallen und Jeden zu Ienfen.
Die Morgenröthe hatte faum durch den Wald zu
ſchimmern angefangen, als die dunkeln Geſtalten der
Squaws und ihrer Töchter dem Landungsplatze zu⸗
eilten, wo einige Stunden zuvor Ihre. Männer und
Vaͤter ſich eingeſchifft hatten.
Der Fluß bildet da eine kleine Vuht, ‚in welchet
die Marine des Stammes, fünf Palmrinde⸗Canoes,
-d 116 ⸗—
an Strängen von Wattap ruhig vor Anker lagen,
Zu beiden Seiten des kleinen Hafens erhob ſich das
Afer beiläufig zwanzig Fuß Hoch; dieſer Gürtel war
mit Myrthe und Mangrovgefträud übermachfen, durch
pie ein Pfad ſich ſchlängelte. |
Für den Fremdling, der eine ſolche Schaar india⸗
niſcher Weiber zum erſten Male gefehen, dürfte ver
Anblie nicht ohne Interefe geweſen feyn. ‚Die ältes
sten unter ihnen hatten graue Haare, die in langen
Flechten roßhanrartig über ihre Schultern hingen,
ihre mumienattigen Geflchter waren runzlich und bei⸗
nahe vertrosfnet, und wenn ihre Züge einen gewiffen
Stumpffinn verrietben, fo deuteten hinwieder bie
ſchwarz funkelnden tiefliegenden Augen auf eine Wilo-
heit, die zu ſchlummern und nur auf eine Gelegenheit
zu lauern ſchien, um in ihrer ganzen ungezähmten
Wuth hervorzubrechen. Die Mütter zeigten bereits
mehr Milde in- ihren Geftchtszügen; auf fle Hatte
der Verkehr und das, gefellfchaftliche Leben mit ven
Amerikanern offenbar eine humaniſirende Wirkung
geäußert; die Mädchen jedoch waren, durchgängig
wohlgewachſen, viele gragienartig, ihre Kupferfarbe
nicht viel dunkler als die fonnverbrannten Geſichter
— 17 —
ſüdlich europaiſcher Landſchoͤnen, obgleich ihre. Züge
ungleich mehr Ruhe und Beſonnenheit ausdrückten,
und, wären es nicht die hervorragenden Backenknochen
geweſen, welche die meiften entflellten, jo könnten fie
ald Mufter für den Bildhauer gebient haben. Ste
trugen kurze Calicorockchen, die ihnen bis über
die Kniee gingen, um den Nacken jedoch hatten bloß
wenige eine Bekleidung, alle hatten Mocaſſins und
ſilberne Ohrringe. Nachdem die weibliche Partie
ſich verſammelt hatte, theilte die ältefte Squaw ſie in
drei Gruppen, deren jede einen beſtimmten Antheil
an der Arbeit erhielt, von welcher wir nun eine
nähere Beſchreibung geben wollen. Es mar der Bau
eines Balmenrinde-Ganoes.
Die erfte Abtheilung hatte Furze Pfähle abzuſchnei—
den und in der Entfernung von einem und einem
halben Fuße in die Erde zu treiben, To daß ihre An⸗
zahl beiläufig vierzig wurde.
Die zweite nähte Stüde ver Palmenrinde mit
Wattap zufammen, hing fle dann auf die Pfähle,
und befeftigte fle daran fo, daß die Rinde Iofe hing
und den beiden aufrecht gehaltenen Dedeln eines
Buches ähnelte, deſſen Rücken abwärts gekehrt ift.
—dH 118 &—
Die dritte Abtheilung Hatte Querhoölzer zu fehen, um
fo ven Rand auszupreffen und dem obern Rahmen die
Form zu geben, welche dad Gange erhalten follte. Dies
felbe Abtheilung fegte dann die Rippen und. legte bie
Bekleidung in breiten Streifen zwifchen viefe und die
Rinde, während eine Anzahl von Mädchen die Rippen
und Rinde herauspreßten, und fo dem Boote Tiefe
und den Seitenmänden Geflaltung. gaben. Nachdem
das Werk fo weit vorgerüct war, Iegten fie Gewichte
und Steine auf den Boden der Rippen, die früher
im Waffer erweicht worden waren, und dann ließen
fie da8 Ganze trodnen. Währenn ver Arbeit, die
eine Stunde gedauert haben mochte, war däs tieffte
Stillſchweigen beobachtet worden. Es war kein Lachen,
fein Schädern zu hören, fein Umbertreiben zu fehen.
Jede verrichtete pie ihr angewiefene Arbeit, ohne einen
Laut von fich zu geben, und die Einzige, die etwas
mehr Breiheit fich heraus zu nehmen fhien, war Ga«
nondah. Das unruhige Mädchen fhlüpfte unter ven
düftern Wefen mit der Miene eines verborbenen
Kindes umber, wisperte hier einem Lieblinge einen
Scherz ind Ohr, zifchelte dort einer Andern zu, und
Half .einer Dritten, over zwang einer Vierten ein
—, 119
ruhiges Lächeln ab. Als die Weiber ihre Arbeit
verrichtet hatten; trennten fie fich auf biejelbe pille
düftre Weife.
Canondah trippelte aufihres Vaters Hütte zu. Sie
fand Rofen noch immer ſchlafend. Ein liebliches
Lächeln fpiekte um den Mund des reigenden Kindes,
und ihre zarten Lippen bewegten ſich. Die Inpianerin
bog fih herab auf pas entzückende Weſen, und Eonnte
nicht wiberftehen, einen Kuß auf ihren. Mund zu
drüden: Rofa öffnete die Augen. „Canondah,“
ſprach fie, viefelben reibend, „ich hatte einen böfen,
böfen Traum. Wir beide. fanden in einem tiefen,
tiefen Thale, der Fremdling auf dem Berge — er
Tehrte und den Rüden. Haft Du ihn gefehen? Und
iſt er nicht mehr Frank? Und fleht er nicht mehr fo
bleich aus, und zittert er nicht mehr fieberifch? Und
bat er von den Brüchten gegeffen, und von dem Weine
getrunfen?« ‘
„Roſa,“ verfeßte die Indianerin mit einem ſchlauen
Lächeln, „hat nicht fo-viel diefe Tehten zwanzig Sonnen
gefragt. Der Fremde iſt unter dem großen gefallenen
Baume. u *
"Aber wie kam er dahin?“
—— ID ⸗—
«Die Schultern Canondahs trugen ihn.“ .
„Und die Spur, die wir zurüdgelafien, und bie
große Schlange, und das gebrochene Rohr,“ ſprach
das llebreizende Kind, in mädchenhafter Verwirrung
erröthend über die unſchuldige Verſtellung, mit der
ſie ihre Freundin zu täufchen fuchte.
Die Indianerin, die ein Ueberſchuß von ſechs Jahren
vor Rofa ohne Zweifel ein wenig mit den Stratagemen
bekannt gemacht hatte,. deren eined ihre Freundin fo
eben auf fie anzuwenden willig ſchien, brad in ein
lautes Gelächter and. „Seht einmal,“ rief fie, „wie
bie weiße Roſa zu Tügen gelernt hat in Einer Nacht.
Sie fpriht zu ihrer Schweſter von der Fährte und
dem gebrochenen Rohre, um daß fie ſich gerade fo viel
fümmert wie der Mifo um Glaskorallen, während
ihr Herz bei dem Fremdlinge iſt. Canondah wird bie
weiße Roſa daiür züchtigen. *
„Und wundert fih Canondah,« frug die Lebtere
im fanften Tone, „daß ihrer Schwefter Herz bei dem
Anblid eined weißen Bruders höher ſchlaͤgt? Würde
Canondahs Herz nicht auch Elopfen, wenn fie, unter
den Weißen lebend, plöglih einen Bruber ihres
Stammes, ihrer Farbe fühe?«
— IM ⸗—
Die Indtanerin flarrte fie mit offenen Augen an.
Und fehnt fi meine Schwefter zu ben Weißen
fragte fie geſpannt.
Des Mädchens Haupt war auf. ihr Kiffen ge
funten, fie weinte. Die Indianerin fprang an fie
heran und ſchloß fle in ihre Arme. „Canondah wii
ihrer Rofa viele viele Freude machen; aber fie barf
nicht betrübt ſeyn, fle darf nicht zu den Weißen, Ca⸗
nondah könnte nicht ohne fie leben. Aber komm;“ fuhr
fie fort, indem ſie ihr ein Calicokleid Hinhielt, „Mofa
muß heute dieſes nehmen,/ und die Same betrügen
helfen.“
Das Maͤdchen fhlüpfte feufgenb in das Meberröit« j
hen, warf ein Tuch um ihren Bufen, trippelte vor
die Hütte, vor der ein klarer Duell fprudelte, und
fehrte Tieblich wie die Morgenröthe in das Stübchen
zurüd, um mit der Freundin ihr Frühſtück zu verzehren.
Zwei Körbchen mit Trauben gefüllt, Kuchen von
indianifhem Korn und eine Schale Mild. Rofa
fhien mit Ungeduld in ber Hütte zu verweilen; aber
die Indianerin ſchwieg hartnädig flille, und kaum
batte fie ein paar Biffen gegeflen, 1 Nine fr
allein zur Thüre Hinaus.
—, 13 >
Rofa ſetzte fich feufgenn zu einen Kleinen Tiſchchen,
auf dem ihr Arbeitszeug lag: ein. Stüd Seidenzeug,
defien Hierſeyn wohl Befremden erregen Eonnte.
Es war ein Stüd -andgefuchten Gros. de Naples,
das bereits zu einem Kleive zugeſchnitten war. Drei
Stunden mochten verflofien ſeyn, als die Inbianerin
zurüdffehrte; ein zufriedenes tie fpielte um ihren
Mund.
. „Wir haben ein Cande gebau, während Roſa
ſchlief, “ ſprach fie, „und Fe muß mitgehen, und unſre
erſte Fahrt fehen.“
Beide Mädchen gingen ſofort dem Fluſſe zu, wo
ſich die Squaws und Mädchen neuerdings verſammelt
hatten, und bloß auf die Tochter des Häuptlings
warteten, um ihre Urbeit zu vollenden. Sobald vie
beiden Mädchen am Ufer angekommen waren, riſſen
die Squaws die Pfähle, an welche das bereits fertige
Canoe befeftigt war, los, und alle Hände waren bes
Thäfttgt, die Oeffnungen mit Gummi auszufüllen.
In einer halben Stunde war dieſes gethan. Die Alte,
die das Ganze geleitet hatte, überfah nun noch ein=
mal die einzelnen Theile, und als fieihr „Out“ aus⸗
geſprochen hatte, winkte Canondah vier Mäpchen,
1)
— 13
die fogleih das leichte Fahrzeug ergriffen und es
dem Waſſer zutrugen. Sie felbft, mit drei Gefpie-
linnen, hatten fih mit Rudern verfehen, un fie
fptangen, als der Kahn ind Waſſer geſetzt wurde, in
denſelben.
„Roſa,“ rief die Indianerin, ‚if ein wenig furät-
ſam, und muß deßhalb zurückbleiben; aber das nächfte
Mal, wenn das Canoe em bricht, wird ſie mit uns
kommen.“
Das Fahrzeug hatte Pe mzwiſchen, einer leichten
Feder gleich, in ſchaukelnde Bewegung geſetzt. Ein
einziger Ruderſchlag war hinlänglich, es weit in den
Strom hinauszutreiben. Die Indianerin ergriff nun
mit ihren Geſpielinnen bio Ruder.
Nichts konnte der Geſchicklichkeit und Grazie gleich—
kommen, mit der Die Mädchen ihre Ruder handhabten.
Sie faßen im Hintertheile des Kahnes, und, dad
Ruder ind Wafjer ſenkend und ihre Körper vorwärts
biegend, brachten file es ſchnell in eine parallele Linie
wit ihrer Schulter, wandten die Schneive der Strö⸗
mung zu, und gewannen fo bie nöthige Richtung.
Die Art des Ruderns der Eingeborenen in biefen
Gegenden unterfcheinet fih von dem gemeſſenen Ruder⸗
14 ⸗—
ſchlage ber Amerikarier, und iſt der Bewegung ber
Waſſervögel nit unähnlih. So wie die Ente ihren
Fuß mit einem kurzen Stoß vorwärts wirft und dann
zurückzwingt, mit eben fo vieler natürlichen Behen-
digkeit behandelten die Mäͤdchen ihre Ruder. Zuerſt
fuhren fle eine kurze Strecke firomaufwärte, wandten
fich dann und flogen mit Blitzesſchnelle abwärts,
wandten fich wieder, und trieben fo 'eine geraume
Zeit ihr Spiel. Die andern Kähne hatten fich mittler⸗
weile gleichfalls mit Mädchen gefüllt, und die ſechs
Schiffchen fehienen nun ernſtlich Willens, fi in ein
Wettrudern einlaffen zu wollen: Zuerft ſtellten fie
fi in eine Linie, und als mit lautem Rufe von dem
Truppe der Squaws am Ufer das Zeichen gegeben
wurde, ſetzten ſie ihre Hände in Bewegung. Es war
jedoͤch bald zu erſehen, daß das neue Canoe die Ueber⸗
hand gewann. Ehe die übrigen den ziemlich großen
Bogen, den hier der Fluß bildet, verlaſſen hatten,
war es bereits weit in der Strömung, die unmittelbar
darunter anfängt, vorangeeilt. Plötzlich wurde ein
ſcharf durchdringender Schrei gehoͤrt. Noch einen
Augenblick wurde das Canoe von den andern geſehen,
und dann verſchwand es zwiſchen dem Rohre. Bon
— 15 —
allen fünf flieg nun ein gleich durchdringender Schrei
aus, der für die Mädchen und Weiber am Ufer das
Signal zu einem um fo ſchnellern Wettlaufe wurde,
als Aengftlichfeit und. Neugierve die fpornende Ver⸗
anlafjung waren. |
Roſa war finnend da geflanden. Sie hatte wohl
einen Schrei gehört, aber fie wußte nicht woher er
kam. Nun hatte fie ih vom Strudel mit fortreißen
laffen, und war fo viel ald möglich geeilt, mit ven
Vorderſten gleihen Schritt zu halten. Auch war e8
ihr eine Zeit lang gelungen, fo lange nämlich als die
Richtung, die die laufenden Weiber nahmen, nicht
ganz deutlich war. Als aber die Vorderſten die Lich-
tung bereits überfehritten und den befannten Pfad
einfchlugen, begann ihr Herz zu pochen. Immer
langfamer wurden ihre Schritte, ihre Füße ſchienen
ihr den Dienft zu verfagen, und fle mußte einige Zeit
inne halten. Daß es dem Yremdlinge galt, deſſen
war fie gewiß. Aber warum hatte Canondah die
Squaws felbft auf die Spur gebracht? Sie feuchte
zitternd dem Pfade entlang, wo fie endlich, am Cot⸗
tonbaume angelangt, Weiber, Mädchen, Jünglinge
und Knaben verfammelt fand, die Jüngern voll Ver⸗
Der Regitime. P 10
—H 126 &—
wunderung, bie Alten mit finftrer Miene ven Fremd⸗
ling anftarrend.
Ein dumpfes Gemurmel, das ſich erhob. und flärker
und flärfer wurde, fchien eben Fein ſehr günftiges
Vorbedeutungszeichen der Gaſtfreundſchaft ver rothen
Weiber für den Jüngling, der, auf ven Baumſtamm
gelehnt, feine Augen noch immer gefchloffen hatte,
allem Anſchein nad unbeirußt veffen, was un ihn
herum vorging. Der Teppich und dad Halstuch waren
jedoch verſchwunden, und’ feine Wunde lag ven Blicken
der Menge offen.
„Seht,“ ſprach Canondah, die mitten im Kreife
der Squamd und Mädchen fland, „ver Häuptling
der Salzſee hat einen Boten in feinem Canoe gefandt,
und die große Waflerfchlange hat ihn gebiffen.“
Sie warf dieſe Worte mit einer Zuverficht hin, die
allem, was fie fprach und that, jenes beftimmte Ge⸗
präge gab, dem man nicht Teicht winerfprechen konnte.
Mit der nämlichen Offenherzigkeit erzählte fie, daß
fle in ihrem Wettrennen bis zur Stelle gefommen,
wo ber Fremde ed verfucht hatte, fih dem Ufer zu
nähern. Ob jedoch fie felbft ihre Gefährtinnen auf
die zurückgelaſſenen Merkmale feines Zerfußged aufs
—dH 137 &—
merkſam gemacht, ober ob vie drei Mädchen mit ver
den Indianern eigenen Scharffichtigfeit Die Entdeckung
gemacht, war noch immer zweifelhaft.. Diefe erzählten
jedoch ganz unbefangen die gemachte Entdeckung, wie
der Jüngling fih mühſam dur die Palmettofelder
gezwungen, und erfchöpft am Baume nievergefunfen
ſeyn müſſe. Einige des alten Squaws hatten den
Bericht ſchweigend, aber mit einer Miene-angehört,
bie nichts weniger als Ueberzeugung auszufprechen
ſchien. Sie hatten ihre Blicke auf die Erde gerichtet,
und mehrere waren felbft in ven Bruch eingebrungen.
Canondah, ohne fie der geringften Aufmerkſamkeit zu
würdigen, winfte einigen Mädchen eine Handbahre
zu bereiten, und ihre Worte hatten ſogleich die ge=
wünfchte Wirkung. Die alten Squaws, ferneres
Nachſpüren aufgebenn, beeilten fih ven Mädchen
vorzufommen. Sie fehnitten zwei Stamme mit ihren
langen Tafchenmeffern ab, Tegten über dieſe Palmetto=
flangen und belegten fie mit ſpaniſchem Mooſe. Ca⸗
nondah lächelte freundlich den alten Squaws zu, ſie
bedeutete ihnen, den Fremdling auf dieſe Bahre zu
legen: ein Wink, der unverzüglich und mit einer
Schonung ausgeführt wurde, die dem Leidenden auch
410*®
— 1
‚nicht die geringflen Schmerzen zu verurſachen ſchien.
Ehe fih ver Zug in Bewegung ſetzte, hatte fie Roſa
zugeflüftert: „Mein Bruder ift krank und wund, ich
empfehle ihn ver Sorgfalt feiner Schwefter,“ und
dann verſchwand fle mit ihren Gefährtinnen im Pal-
mettofelve, dem Fluſſe und ihren Canoes zueilend.
Roſa, noch immer halb träumend, näherte fi num
der Bahre, bie, von ven Trägerinnen gehoben, ſich
in Bewegung ſetzte. Der Zug ging ſchweigend und
ohne Gefährde dem Dörfchen zu. Vor einer Hütte,
die etwas zurück von den übrigen dem Waldesabhange
näher lag, und deren Herabgelaffene, forgfältig be-
feftigte Buffaloehaut ihr Leerſeyn bebeutete, wurde
Halt gemacht. Canondah fand bereits vor ber Thüre;
auf ihr Geheiß Tießen die Trägerinnen ihre‘ Bürde
nieber.
„Roſa,“ ſprach die Indianerin, „muß hier. warten,
bis Canondah mit den Squaws gefprochen; und ab⸗
wärts tretend, verfammelte fie Die Weiber in einen
Kreis, und eröffnete eine kurze Berathſchlagung in
Hinficht des Fremdlings. Man hatte fie ſchweigend
angehört, und ihr überlaffen, nad) Gutbefinden darin
zu handeln. Sie dankte den Squaws mit würdevollem
120 9
Anſtande für ihr Vertrauen, und befahl dann zweien
der Älteften Weiher die Thüre oder vielmehr die Bufs
faloehaut zu Öffnen, die in das Innere der Stube
führte. Als dieſes geſchehen war, trugen fie ven Ver-
„wunbeten hinein, und legten ihn auf ein dem oben °
befchriebenen Tillandſea⸗Divan ähnliches Lager. Er
zitterte am ganzen Leibe. Ein heftiged Wundfleber,
Hatte ihn ergriffen, zu dem wahrſcheinlich in der legten
kühlen und naffen Nacht das Falte hinzugekommen war.
Nah Berlauf einer halben. Stunde trat endlich
Ganondah wieder in die Hütte, begleitet von einer
grauen‘ Squaw, die mühfam und mit langfanıen
Schritten fih dem Lager des Verwundeten näherte.
Sie befah ihn einige Augenblicke vom Kopfe bi zu
den Füßen, Tieß ſich dann auf das Moos nieder, hob
feine Hände, unterfuchte feinen Puls, und faßte dann
das verwundete Knie, an dem fie die Wunde mit der
Aufmerffamfeit eines praftizirenden Arztes unter-
ſuchte.
„Morgen wird das Fieber verſchwunden ſeyn;
aber,“ ſetzte fie hinzu, und ihr hohles, düſtres Auge
ruhte forſchend auf Canondah — „wie iſt der Saft
der großen Medicin in ſeine Wunden gekommen?“
J
„Der Häuptling der Salzſee,“ verfee Canon⸗
dah bedeutſam.
„Hat feinem Boten doch nicht-von feiner Medlcin
mitgegeben?# Sie beſah mit dieſen Worten neuerdings
die Wunde, und ſchuttelte ſtärker ihr greiſes, rung»,
liches Haupt. „Der Balſam iſt der des Mikos,“
ſprach fie bedenklich; „aber es war weder der Miko
noch ſeine Tochter, die ihn in die Wunde gegoſſen.
Es iſt die verruchte, ungläubige Hand einer Weißen.
Winondah ſieht, daß der große Zauber nicht aus⸗
geſprochen, und daß die große Medicin zum Gifte
geworden. Ihr Blick fiel durchbohrend auf Roſa.
Canondah hatte betroffen vie Testen Worte anges
hört. „Und warum follte der Häuptling der Salzſee
nicht vom Balfam Haben, den der große Geift ven
Bätern des Mifo gegeben? Er ift ein großer Häupt⸗
ling und vor ihm zittern die Weißen.”
Die Alte [chüttelte ihr Haupt. „Der Häuptling
der Salzſee ift ein Weißer; der große Geift Hat
‚ zweierlei Gaben. Den Weißen hat er bie geringern
gegeben, ven auserwählten rothen Männern die bei-
fern; die Medicin des Miko,“ ſprach fie zuverfichtlich,
nift die eines fehr großen Häuptlings.“
— 131 —
nGanonvah,“ ſprach das Mädchen, „hat die Spur
des Boten des Freundes ihres Volkes geſehen, und
iſt ihr gefolgt. Sie hat den Fremdling gefunden und
hat ihn auf den Math ihrer klugen Schweſtern in die
leere Hütte ihres Wigwams geführt. Soll er ver⸗
ſchmachten, weil eine Medicin in ſeinen Adern iſt,
die eine unbekannte Hand hineingoß? Was würde
der Miko, was der Häuptling der Salzſee ſagen?“
„Canondah Hat Recht,« ſprach die Alte; „ſie iſt
die kluge Tochter des großen Miko, und ſieht mit
hellen Augen. «
„Und ihre Hand,“ fehte das Mädchen bedeutſam
hinzu, wift nicht geballt, und ihre Calabaſſen mit
Feuerwaſſer find nicht gefchloffen. «
Ein ſchlaues, beifälliges Lächeln grindte, als fie
diefe Worte hörte, um den Mund der Alten. Sie
nidte mit dem Kopfe und entfernte jich.
Die beiden Mädchen waren allein mit dem DVer-
wundeten in der. Hütte geblieben und faßen nun in
tiefed Sinnen verfunfen. Unſre Lefer mögen die Urs
fache dieſes Sinnens vermuthen. Wirklich hatte dad
raſche Mitleid Roſa zu einer That verleitet, die, ob⸗
wohl fie ihrem Herzen zur Ehre gereichte und einer
— 13
Meißen ganz natürlich vorfommen mochte, in ven
Augen einer Invianerin Hochverrath war. "Sie hatte,
im Drange ihrer Angft um ven Verwundeten, Sand
an dad Heiligthum des Stammes, die myſteriöſe
Mevicin, gelegt, hatte von dem Heiligthume, daß
felbft der Miko nie ohne religiöfe Vorbereitung in
die Hand nahm, frevelhafter Weiſe Gebrauch ge-
macht. Eine ſolche Entheiligung Hatte felbft Canon⸗
dah in Schreden verfebt. Die Bolgen davon konnten
fürchterlich ſeyn. |
Es waren peinlihe Minuten für die arme Rofa.
Dem düftern Schweigen machte die Anfunft der Alten
ein Ende, die, eine dampfende Galabafle in ihrer
Rechten und einen irdenen Becher in ihrer Linken,
fih dem Verwundeten näherte, und ihm, den beide
Mädchen aufgerichtet hatten, ein heißes braumes
Getränke in den Mund goß. Zweimal füllte fie ven
Becher und Ieerte ihn. Dann hüllte fie ihn in die
Wolldecken, und zog fi zurüd, die Wirkung ihrer
Medicin zu beobachten. Es dauerte nicht lange, fo
zeigten fih große Schweißtropfen an feiner Stirne,
auf die fie Canondah mit einem ſchlauen Winfe auf-
merffam machte. Diefe nickte, entfernte fich mit der
—H 133 ⸗—
geleerten Calabaffe, und kam in wenigen Minuten
wieder mit derfelben zurüd.
„Bon den Augen zur Zunge ift e8 nicht weit,“
ſprach das Mädchen, ver alten die volle Calabafſe
entgegenhaltend. „Will meine Mutter ven Weg ver-
längern, fo daß die letzte vergißt, was die erſtern
gefeben ?*
Die Alte grindte die Sprecherin mit einem zweifel⸗
baften Blide an.
„Canondah,“ fuhr das Mädchen fort, wift bie.
Tochter des Miko, fie bewacht feinen Wigwam. Karn
das Auge Winondahs wiffen, was in Diefem vorges
fallen iſt?“
Die Alte ſchwieg noch immer.
»Banondah will ſelbſt mit dem Mifo ſprechen.“
„Die Augen Winondahs haben gefehen, ihre
Nafenlöcher haben gerochen, aber ihre Zunge ift
nicht die eines geſchwätzigen Mädchens. Sie weiß zu
ruhen. Sie liebt die Tochter des Miko fehr. “
„Und Canondah wird die Galabafle noch zweimal
füllen;“ ſchloß das Mädchen.
Ein freudiges Grinſen bezeugte die Zufriedenheit
der Alten, die ſofort die Stube verließ.
9 134 —
. Die Unterbaltung Hatte auf dem Geſichte der In⸗
Dianerin einen Ausdruck von Ernft zurüdgelaffen,
der fih durch ein tiefes, beinahe finfteres Schweigen
beurfundete. Nach einer langen Weile ergriff fie vie
- Hand ihrer Freundin, und Beide verließen nun die
Hütte, um nach der ihres Vaters zu gehen.
„Roſa!« ſprach die Eritere, als fie auf der Moos⸗
banf in ihrem Stübchen wieder Pla genommen
hatten, „Canondah Hat die Augen der Squaws ge⸗
blendet, um ihrer Schwefter ein Freudelächeln abzu⸗
gewinnen. Sie hat den Feind ihres Volkes und des
Häuptlings der Salzſee in das Wigwam ihres Vaters
aufgenommen, den Späher.“
„O meine Canondah,«“ rief Roſa, „ſieh doch, wie
das Auge meines Bruders offen iſt. Iſt ſein Auge
treu, kann ſeine Zunge wohl falſch ſeyn? Sieht er
einem Feinde unſres Volkes wohl ähnlich?“ |
n Deine Schwefter ift fehr jung, und fie kennt nur
fehr wenig unfre Feinde, die Dengheefe. Sie jenden
ihre jungen Männer in die Wigwams der rothen
Männer, um ihre Heerden, ihr Korn, ihre Buffaloe=
felle zu zählen, und wenn fie wieder zu ven Ihrigen
fommen, dann zeigen fie ihnen die Pfade, Die zu der
—H 135 6
Rothen Dörfer führen, und dann kommen fie und
nehmen unfer Vieh und Korn, und lachen ver rothen
Männer.“ Ä '
„Und denkt meine Schwefter,” erwiederte Nofa
fhüchtern, „daß der Fremdling einer diefer Spione
ift zu
Die Indianerin fhüttelte ihr Haupt bedenklich.
Hat er nicht die Augen und Haare eines Yankee? —
Sieh Schmwefter!« fuhr fie nach einer Weile fort,
„Canondah Hat ihre Hand in Freundfchaft dem Frem⸗
den entgegengeftredit, als fie ſah, daß das Herz der
weißen Roſa fih nah ihm fehnte, aber die Tochter
des Mifo hat nicht gehandelt wie fie follte. Sie hat
bie Naht zwifhen den Mifo und ven Srembling
geſtellt, und nun nimmt fie ihn in ihres Vaters Wig-
wam, nachdem diefer ven Rücken gekehrt?“
„Über er würde im Walde geftorben feyn,“ ver-
feßte die Andere. „Sieh, wie der Fieberfroft feine
Glieder ſchüttelt. Die Morgen- und Nachtluft ift
fehr fühle und der Nebel fehr feucht.“
Und der Miko?“ verfegte nie Indianerin gefpannt.
„Wird feine Kauft nicht gegen einen Bruder ballen,
dem feine Tochter ihre Hand entgegenftredt.“
—) 16 —
„Wenn aber feine Tochter eine Thörin gewefen,
und ihre Hand einem Veinde ihres Volkes gereicht,
wird dad Auge des Miko nicht finfter auf feine Tochter
fallen ?”
„Und muß er von dem Fremdlinge wiflen?“ Iißpelte
Roſa ſtammelnd, ale fürchteit fie das Wort auszu⸗
ſprechen.
Ein fluͤchtiges Hohnlächeln flog über die Lippen
und verzog für einen Augenblick das edle Geflcht ver
Indianerin. „Der Miko der Oconees,“ ſprach fle
mit einer leichten Anwandlung von Stolze, „riecht
den Athem eines weißen Mannes zehn Tage, nachdem
er ihn ausgeathmet, und erfennt die Spuren feiner
Zußtapfen zwanzig Tage, nachdem fie dem Grafe
eingebrüdkt find. Canondah mag die Squamd täu-
fen, aber nicht ven Miko. Und hat Roſa, „fuhr fe
fort, ihren Blick auf die Breundin richtend, „hat die
weiße Roſa nicht gefehen und gehört, was der alten
Winondah Zunge und Augen fpraden? Sie follte
nit ihre Hände gelegt haben, wo dad Seiligthum
des Mifo verwahrt iſt;“ ſprach fle mit ernftem Tadel.
»Die Zunge Winondahs ift befänftigt, Aber die der
Squaws gleichen den Eichhörnchen, die in ewig
thörichter Bewegung umberfpielen. Und wenn fie
ihren Männern fagen, was ihre Augen gefehen, werden
die Krieger nicht ind Ohr des Miko wispern? und
ſoll die Tochter Tokeahs vor ihrem Vater als vine
Lügnerin vaftehen? Nein, nimmer!“ fprad fie ent-
ſchloſſen. „Canondah liebt die weiße Roſa fehr, aber
ihren Vater muß fie nicht betrügen. Iſt der junge
Mann ein Späher, abgefandt von Dengheefe, fo
wird ihr Bater fehen.“
„Und mein Bruder?“ unterbrach fie Roſa mit
zitternder Stimme.
„Wird zu fterben wiſſen; « befchloß die Indianerin
feft und beftimmt. „Uber ver Fremdling wird hungrig
feyn und Canondah muß für ihn ſorgen.“ Mit viefen
Worten erhob fie fih von ihrem Sige und eilte aus
der Hütte.
Ganondah war, wie unfere Leſer erſehen, eine
Indianerin im vollen und, wir mögen hinzuſetzen,
edelſten Sinne des Wortes. Sie lebte und webte in
ihrem DBater und ihrem Volke; aber zugleich hatten
ihre angebornen fanftern Gefühle durch die Reibung
mit den Meißen eine beftimmte Richtung erhalten,
und ihre indianifche Natur trat gewiffermaßen ver⸗
- 18 æ—
ſchönert hervor, und ganz mit jener Geiſtesſtärke,
die wir an ihr bereits zu bemerken Gelegenheit ge⸗
funden, und die allem ihrem Thun und Laffen das
Geyräge einer feltenen Berftandesfchärfe gab. Roſa
im Gegentheile war noch mehr Kind, eine fehöne,
dem Anſchein nad) pafflve Seele, die ſich ohne Murren
der Leitung ihrer Altern Freundin überließ, gewiß
nicht aus Geiſtesſchwäche over Indolenz, fondern
vielmehr angetrieben von jenem lieblichen Zartſtnn,
der Andern das fehmeichelhafte Gefühl von Ueber⸗
legenheit fo gerne gönnt. Die Meberlegenheit Canon⸗
dahs, weit entfernt, fie zu verwunden, erfüllte fie
mit Wonne; es war ein Tribut ver Dankbarkeit,
den fie der Indianerin wahrfcheinlich auf dieſe Weife
zollte. Und vielleicht Hatte eben dieſe zarte und in
ihrer age nothwendige Ergebung, mit ver fle fi in
die beſtimmt auögefprochene Leitung der Tochter des
»Miko fügte, mehr als felbft ihre ausgezeichnete Schön-
heit beigetragen, daß fie nicht bloß das Entzücken
der Tochter, fondern auch die Freude des Falten Va⸗
ters geworden war.
Der Mond ftand bereitö Hoch, als eine leichte Be—
wegung des Verwundeten anzeigte, daß er erwacht
- 139 e—
fey; zu feinem Haupte faßen die beiden Mädchen und
die Alte. in brennender Cederſpan verbreitete ein
zitterndes Hellbunfel über dag Stübchen. Die Leg»
tere. hatte Faum die Bewegung am Kranken wahre
geronmen, als fie auf hiefen zueilte, und, fein Haupt
erfaſſend, ihm in die Augen flarrte. Dann fühlte fie
feinen Puld, und den Schweiß von feiner Stirne
wiſchend, beobachtete fie forgfältig bie etwas hellere
Farbe ſeines Geſichtes.
„Das Fieber iſt gewichen, die Wunde weiß Canon⸗
dah zu heilen; « und mit dieſen Worten verließ fie die
Stube. ®
Auf den jungen Mann, der nun zum erſten Male
feit ſechs und dreißig Stunden wieder die Augen
aufihlug, ſchien das triumphirende Grinſen der
verdorrten düſtern Alten nicht den günftigften Ein-
druck hervorzubringen. Canondah jedoch, als hätte
ſie dieß vermuthet, trat ſchnell an ihre Stelle und
rückte einen Stuhl an fein Lager, auf dem einige Er⸗
frifhungen flanden. ine junge wilde Ente, auf
indianifche Weife unter dem Raſen geröftet, mit
friſchen Waͤlſchkornkuchen. Roſa hatte einen Becher
mit Wein gefüllt, ven ihm die Indianerin gleichfalls
—9 10 ⸗—
reichte, nachdem fie ſich auf ihre Kniee nievergefauert
und ihn dann in eine fitzende Stellung gebracht hatte.
Seine Lippen verzogen ſich krampfartig beim erſten
Verſuche und er ſtieß den Becher beinahe mit Gewalt
zurück; aber es währte nicht lange, fo überzog eine
leichte Roͤthe fein Geſicht, und feine Hand griff wieder
nad dem Becher. Hierauf nahm er ein Stüd von
der Ente und dem Kuchen.
Die Indianerin verwandte kein Auge von ihm,
ihr Blick folgte jedem Biffen, den er zum Munde
führte. Beinahe ſchien ed, ald ob das Mädchen et»
was Näheres vom Charakter des jungen Mannes
aus dieſer thieriſchen Verrichtung erſehen wollte; fie
winkte von Zeit zu Zeit Roſen, die in der Ecke des
Stübchens ſtand, und gleichfalls ihre Augen auf den
Eſſenden gerichtet Hatte. Es ſchien als ob die beiden
Mädchen mit Vergnügen ihm zufähen. Wirklich aß der
junge Mann mit fo viel Anftand und Ungezwungen⸗
heit, die wahrfcheinlich von der rohen Gier ihrer
Stammeögenofien, den einzigen‘ Vorbildern, die fie
vor fih Hatten, zu fehr abftehen mochte, um fie
nicht etwas Höheres in ihrem Gafte vermuthen zu
lafien. Obwohl wir in den beiden Mädchen keines⸗
—9 11 —
wegs eine feinere Bildung vorausſetzen können, fo ift
doch in der welblichen Natur jener. fichere Tutt, ver,
wenn nicht verborben oder irre geleitet, nur felten
trügt. Es ſchien, als ob die Mädchen einen tiefern
Blick in die Seele ihres Gaftes gethan hätten. Mofas
Herz ſchlug fihtbar Teichter und ſelbſt Canondah fing
an, ihn mit einem rubigern, vertrauensvollern Auge
zu betrachten.
AS er fein Mahl geendigt hatte, legte fie ihn
wieder auf fein Lager zurüd; dann öffnete fie ven
Berband, den fie um feine Wunden gefhlagen. Ihre
Finger berüßrten kaum vie tiefe Fleifehwunde, und
mit fo vieler Gefchicklichkeit und Schonung verrichtete
fie ihre Aufgabe, daß ihr Patient unter ihren Händen
wieber entfchlief. |
„Der Balfam wird die Wunde in acht Sonnen
heilen;« fprach ſie mit Zuverfiht, blies dann das
Fackellicht aus und ihren Arm um Nofa werfend,
eilten beide Mädchen ihrer Hütte zu.
Der Legitime. 1. , | 41
— 11 >
Sechtes Bapitel.
Ihr Habt geſprochen, ob aber geſcheidt oder nigt,
das mag der Wald richten.
Shakebpeare.
Die auhetordenliche Geſchicklichkeit der Indianer,
Wunden und Fieber zu heilen, denen fie bekannter⸗
maßen ſchon wegen ihres ewigen Kriegs⸗ und Wald⸗
lebens häufig ausgeſetzt find, offenbarte fi auf eine
erftaunenswürbige Weife an dem Sünglinge, ven fein
glückliches oder unglüdliches Geftirn zu einem dieſer
Bölkchen geführt hatte. Das Wund⸗ und Falte Fieber
war bereitö nad) ſechsunddreißig Stunden verſchwun⸗
den, und ed waren noch nicht acht Tage feit feinem
Hierſeyn verflofien, als auch vie Wunde bereits zu
heilen anfing. Seine leichenartig gelbe Gefihtöfarbe
hatte fi in ein friſches Roth verwandelt, das eine
leichte Bläffe angenehm hervorhob, feine matt und
Eraftlos eingefallenen Augen waren munter geworben,
und ſchienen eher zum Lachen als zur Traurigkeit auf-
gelegt zu jeyn. Ein Zug um den Mund verrieth eine
fröhligeharmlofe Natur, und voll aufblühende Baden
— 18 —
einen Träftig lebendigen Frohſinn. Cr Hätte bereits
verfucht, aus der Hütte zu treten und fich im Freien.
umzufehen, wäre ihm dieß nicht von feiner Wärterin
mit der Drohung unterfagt worden, daß das Fieber
wieder kommen werbe, wenn er ſich der feuchten Luft
audfege. So hütete er noch immer fein Stühchen.
Dieſes war von mäßiger Ausdehnung und zeigte dem
Auge die kunſtlos zufammengefügten Stämme des
Eottonbaumes, mit Tillandſea und Gummi ausge:
ftopft, und keiner andern Verzierung als ein Toma⸗
hawk und Schlachtmeffer, die an der Wand hingen.
Eine beiläufig anderthalb Fuß hohe Bank, mit Zil-
landſea bedeckt, Tief an den Wänden ver Stube Hin,
und diente ihm zum Sit und Lager. Ein eben fo
einfacher Tiſch war mit Palmblättern und Früchten
befegt, die mit einer zarten Rückſicht für feinen Ges
nefungszuftand gefammelt ſchienen: Weintrauben und
in Zucker eingelegte wilde Pflaumen und Bananen.
Während fein Auge auf diefen Gaben ruhte, trat
Canondah ein, in ihren Händen einen Teller mit friſch
gebratenen Quails haltend. Sie fehte das Gericht
auf den Tiſch, und eilte dann zur Thüre zurüd, um
die Buffaloehaut herabzulafien, fo daß die Strahlen
11*
—, 14 9
der Morgenfonne, die durch die Definungen einfielen,
die Gegenſtaͤnde im dunkeln Stübchen mehr errathen
als fehen ließen. .
„Guten Morgen!“ ſprach der junge Mann, ver
mit Berwunberung ber Inbianerin einen Augenblid
zugefehen hatte.
Die Begrüßung wurbe mit Stillſchweigen aufges
nommen. Die Inpianerin deutete auf bie Quails,
und ließ ſich dann auf dem entgegenftehenben Sitze
nieder, auf dem fie. ruhig abwarten zu wollen fchien,
618 der junge Mann gegeffen haben würde.
„Mein junger Bruder,” hob fie enplih an, als
fie gewahrte, daß dieſer Feine Miene machte das Mahl
zu verſuchen, „ift im Canoe des großen Häuptling
der Salzſee angekommen. Hat er in feinem Wig⸗
wam gelebt, und die Pfeife des Friedens mit ihm
geraucht?“ Sie ſprach diefe Worte in ziemlich ge⸗
läufigem Engliſch, obwohl in dem tiefen und flarf
hervorſtoßenden Kehltone ihrer Nation.
n®anoe! Wigwam! Pfeife des Friedens!“ wieder⸗
holte ver junge Dann, ver, wie ed fehlen, Keine Sylbe
von dem Ganzen verfland. „Ia, in einem Gange
bin ich geweſen,“ fuhr er halbfroͤhlich fort, „und das
— 145 8
mag der Henker holen! Ih will mein ganzes Leben
daran venfen. Brr!“ murmelte er, „das war Fein
Spaß, wenn man feine acht Tage, oder Gott weiß
wie ange, auf der Salgwelle herumtanzt, und an
feinen Schuhfohlen Mittagsmahl Halten muß. Hole
der TI unfere Schildkroͤtenjagd und Aufternlich-
haberei. WIN in meinem Leben auf keine mehr gehen.
Sag mir nur einmal, liebes Mädchen, wo ich eigent=
lich bin. Die letzten zwei Tage erinnere ih mi
zwifhen Sümpfen und Moräften gemefen zu feyn,
in denen nichts Eßbareres zu fehen war, als Alli⸗
gatoren und wilde Gänfe, die leider Flügel hatten.
Wo ich aber gegenwärtig zu feyn die Ehre habe, weiß
ich wahrlich nicht. u |
Die Indianerin ftugte ein wenig über den fröhlich"
humoriſtiſchen Wortfhwall, der ihm entfahren, und
fie [hin eine Weile dad Gefagte in ihrem Gedaͤcht⸗
niffe zu oronen. Endlich mochte fie damit zu Ende
gekommen ſeyn; ihre Miene jedoch, weit entfernt, im
nämlichen Tone zu erwiedern, drückte eher Miß⸗
fallen aus.
„Mein Bruder hat nicht auf die Frage ſeiner Schwe⸗
ſter geantwortet. — Hat er bei dem Häuptling der
—d 146 6
Salzfee gelebt, und die Pfeife des Friedens mit ihm
geraucht?“
„Das habe ich,“ erwiederte er, ver fie nun zu be⸗
greifen wähnte. „Ich babe bet bem Häuptling ber
Salzſee gelebt; wenn Du, was natürlich, darunter
unfere Nation verftehft; aber was das Rauchen aus
ber Pfeife betrifft, das Habe ich nicht gethban. Wir
rauchen nie aus Pfeifen, das ift nicht Mode bei ung; ;
bloß die Franzoſen und Neger thun 8, Nasty a ani-
mals!« *) fügte er hinzu. i
. „Mein Bruder, verfeßte bie Indianerin eben ſo
gelaſſen, „hat eine gekrümmte Zunge, und er will
ſeine Schweſter zum Narren machen. Canondah iſt
die Tochter des Miko,“ ſprach fie mit Würde.
„Canondah, Tochter des Miko;“ wiederholte der
junge Mann. „Engliſche Worte, aber wenn ich ſo⸗
gleich mit der Kanonenbraut kopulirt werden ſollte,
ich weiß wahrlich keine Antwort zu geben.“
„Wie iſt mein Bruder zum Canoe gekommen, in
welchem ihn ſeine Schweſter gefunden hat?“
„Wie kann ein ehrlicher engliſcher Midſhipman,
N) Schmutzige Thiere.
—) 147 0
der während. ſeines Auflernfuchens von einem franzö⸗
ſiſchen Hunde von Seeräuber überfallen und gefangen
in feine Räuberhöhle geſchleppt wird, zu einem Boote
fommen? Ich nahm e8 während der Nachtzeit, und
machte mich aus dem Staube. Wollte Gott, Tom
und BIN Hätten mitgefonnt; aber ver Spipbube hat
ung einzeln eingefperrt." |
Der junge Mann, in fröhlicher munterer Laune,
ſchien die rhapſodiſche Skizze mehr zu ſeiner eigenen
Unterhaltung, als der Aufklärung der Indianerin zu
geben. |
„Dein Bruder," ſprach wieder die Indianerin, die
aufmerkſam zugehoͤrt hatte, „hat alſo das Canoe dem
Häuptling ‚ver Salzſee genommen, und iſt in der
Nachtzeit aus ſeinem Wigwam gewichen?“
„Das Canoe gehört einem Hunde von Piraten, —
ben wirft Du doch unter dem Häuptling der Salzſee
nicht meinen?“ frug der Britte etwas aufmerffamer.
Die Indianerin fehüttelte ven Kopf und maß ihn
mit einem Blide, der den Humor des jungen Sees
mannes ein wenig herabflimmte.
„Mein Bruder iſt ſehr jung,“ ſprach fie, „um auf
den Kriegöpfab des großen Käuptlingd ber Salzſee
— 18 >
zu gehen. Er follte zuvor Iernen ven Hirſch und Das
Buffalo jagen und die große Waflerfchlange töten,
‚ehe ex in ven Krieg zieht; oder die Töchter feines
Volkes werben über der Leiche meineh gefallenen Bru⸗
ders weinen. u
‚Sie ſprach dieſe Worte n mit einem Ausdrucke, der
Mitleiden und Hohn ziemlich deutlich zu verſtehen
gab, und ſchien auf eine Antwort zu warten.
aAber Du wirſt doch nicht glauben, daß ein engli⸗
ſcher Offizier, ober vielmehr Quafioffizier, damn um⸗
fere Offizierſchaft, mit einem Piraten Krieg führen
wird? — Solche Hunde fängt man und knüpft fie
auf."
Die Indianerin map ihn mit einem veriötigen
Blicke.
„Sieh!« erwiederte fie kalt und vtraͤchtlich nwenn
die rothen Männer auf den Kriegspfab gegen ihre
Feinde ziehen, fo ſchlagen fie vie Krieger und Häupts
linge ihrer Beinde entweder auf dem Schlachtfelde
tobt, oder fie führen ſie gefangen heim, um fie ihren
jungen Männern zu zeigen, daß biefe eben fo bray
werben mögen, wie fle. Aber dann bewachen fie die⸗
felben, daß fie nicht entfliehen können. Dein junger
—d 189 6
Bruder jedoch iſt Feiner ihrer Haͤuptlinge ober Krieger.
Seine Hände find flein wie bie eines Maͤbchens, und
haben nie einen Tomahawk gehoben. Der große
Häuptling hat ihn gefangen mit andern Knaben und
Madchen feines Volkes, und ihn in fein Wigwam
geſandt. Der Häuptling der Salafee ift groß, und.
er töptet Männer, aber er befümmert fich nicht um
Weiber und Kinder. Mein junger Bruder hat eine
ſtarke Zunge, aber fein Arm ift ſchwach.“
„Beinahe. follte ih glauben, daß Du’von dem
Häuptling der Salafee, wie Du den Seeräuber nennft,
mehr weißt, als mir und Die gut feyn dürfte,“ er⸗
wieberte der junge Mann, der nun gefpannt zu wer⸗
ben fihien.
„Der Häuptling der Salzfee ift ein großer Krieger,
und feine Name ift weit bekannt ;* ſprach das Maäd⸗
Ken troden.
„Und wie meit ift es von bier zu feinem Wigwam?⸗
fragte er, den Ausdruck gebrauchend, der von der In⸗
dianerin am leichteſten verſtanden werden konnte.
„Dein Bruder,“ exwiederte pie Indianerin ſpöttiſch,
„it ja von feinem Wigwam in feinem Canoe ange⸗
kommen. Wenn. die rothen Männer ihre Späher und
— 10 —
Spione ausfenben, dann wählen fle ſolche, Die wiſſen,
wie lang der Pfad ift, ver zum Feinde führt. Thun
es die Weißen anders? Canondah ift ein ſchwaches
Mädchen, aber fie iſt die Tochter des Miko.“ Sie
hatte. die legten Worte mit einer Würbe und Bes
fiimmtheit auögefprochen, die zugleich zu fagen ſchienen,
daß feine bisherige Vertraulichkeit nicht am rechten
Orte angewandt fey.
„Aber Du wirft doch nicht glauben, daß ich ein
Spion bin, der ausgegangen, um den Freibeuter aus⸗
zuſpaͤhen?“
„Mein weißer Bruder ſpricht mit der Zunge u uns
ferer Feinde, ober fpricht er mit einer borpelien
Zunge?“
„Wirklich,“ fprach ver Jüngling, wich weiß nicht,
träume.oder wache ih mit Dir, liebes Mädchen. Viel⸗
Teicht biſt Du es, der ich mein Xeben fihulve. Wenn
dem fo, dann nimm meinen aufrichtigen innigen Danf.
Ich bitte um Vergebung, wenn meine Ausdrücke, die
‚Du mißzuverftehen ſcheinſt, Dich beleidigen. Sage
mir nur, wo ich bin. Ich erinnere mich dunkel eines
fupferfarbigen artigen Mädchens, die zu meinem Bei-
ftande kanı, als ich fo eben-vom Alligator gepadt
151 —
wurde, auf den ich, ihn für einen Baumſtamm anſehend,
meinen Fuß ſetzte; und dann ſchwimmt ver meiner
trüben Phantafie eine Tiebliche Goͤttergeſtalt, mehr
Kind als Maͤdchen, die gleich .einem Engel nur im
Traume.mir erihien. Wo iſt das Mäpchen? "Sie ift
eine Weiße, fie wird mich, ich fle eher verfichen. Aber
die Wahrheit zu jagen — obwohl ich die Berhältniffe
nicht Eenne, in denen Du zum Seeräuber fliehen magft
— ich habe Urſache, gegen ihn aufgebracht zu ſeyn.
Wir waren von -unferer Station in Jamaica abge⸗
gangen, um. die Mündungen des Miſſifippi zu ſon⸗
diren. Ich mit einigen meiner Kameraben hatten
von unferem alten Brummbär, ich meine unfern Gas
pitain, Erlaubniß erhalten, nach Schildkröten und
Auftern zu jagen. Wir hatten und ziemlich weit von
der Sregatte entfernt, und waren in.eine tiefe Bucht
eingelaufen, wo wir treffliche Aufterbänfe fanden.
Als wir am beften mit unferen Nechen befchäftigt
waren ſahen wir plöglich eine beivaffnete Yacht vor
und. Was zu thun? Unſere Kutlaſſe und Piftolen
Hatten wir natürlich zurüdgelaffen, und jo mußten
wir und fammt. und ſonders ergeben, wurden dann.
fortgeſchifft, und gelangten in der Nacht in eine Art
— 153. —
Blockhaus, wo wir dann abgefondert und einges
ſperrt wurden, und woher num: ſichenden Fußes
komme.“
Die Indianerin hatte aatütlch von der effkrung
res jungen Britten nur die Hälfte begriffen, und fie
ſchüttelte noch immer ven Kopf.
„Mein Bruder ſpricht mit einer ſehr gefrümmten
Zunge. WIN er fagen, daß er und die Seinigen nicht
auf dem Kriegspfad gegen ven Häuptling der Salzſee
gewefen? Der Häuptling fliehlt nicht jimge Männer.
Warum follte er ihn gefangen haben?“
„Wahrſcheinlich weil er befürchtete, und zwar mit
Recht, daß, wenn wir feinen Schlupfminfel ausfindig
machen, wir ihm auch das Neft zuſammenſchießen,
und ihn auf ven Trümmern aufhängen.“
. "gab ich nicht gefagt, daß mein weißer Bruder mit
einer Doppelzunge fpricht;“ fuhr bie Inbianerin her⸗
aus. „Meines Bruders Volk ift auf den Kriegäpfab
mit dem Häuptlinge begriffen, und er hat ihn mit
den Seinigen in den Hinterhalt Beine, Iſt es
nicht ſo?“
, Mein liebes Mädchen,“ erwieberte der Britte, der
müde zu werden ſchien, ſich nicht verſtanden zu ſehen.
— 153
„Wir find nicht mit ven Piraten im Kriege, obwohi
wir ihn, wenn er in unfere Hände geräth, als ſolchen
aufknüpfen, md das zwar in Ketten; aber wir haben
diefe Ehre des Krieges unferem wiberfpenfligen Bru⸗
der Jonathan angethan, den Dankees. Mit biefem
find wir im Kriege, das heißt nicht eben im Kriege,
aber wir haben einige Schiffe und Truppenkorps ab-
geſandt, fle zu zühtigen. « —
„Meines Bruders Volk ifi nicht auf dem Kriegs⸗
pfabe gegen ven Häuptling ver Salzfee begriffen, und
doch würde ihn fein. Volk beim Halſe aufhängen.
Meines Bruders Volk vervient wie bie Hunde todt⸗
geſchlagen zu werden.“
Des Britten Miene zuckte nieht,
Mein Bruder ſprach von ven Yankee's;« fuhr
. das Mädchen fort. „Hat er. nicht gefagt, daß fein
Bolt, mit ihnen im Kriege begriffen, "fie züchtigen
will? Mein Bruder iſt doch ein Dankee, feine Sunge
ift die eines Danfee ?u |
„Ich habe die Ehre ein Gngländer; zu f eyn, erwie⸗
derte der junge Dann mit jenem ſ elbſtgefaͤlligen Cock⸗
neyſchmunzeln, das ſeine Lippen wie die Schnauze
eines gewiſſen Thieres ſtreckte und zuſammenzog, und
1 ,
ihm jenen‘ albernen Ausdruck gab, den wir fo-oft an
unfern Verwandten zu belaͤcheln Gelegenheit gefunden
haben, wenn ihre Eigenliebe ſich auf recht comfortable
Weiſe gekitzelt fühlt. |
„Ein. Engländer,” wiederholte das Maͤdchen fin⸗
nend. „Der Häuptling unſerer Schule hat' uns vieles
von einem Volke geſagt, daß auf einer Inſel weit
gegen die aufgehende Sonne wohnt. Sie haben einen
Häuptling, der ein alter unſchuldiger Mann ift;« bei
dieſen Worten deutete fe auf vie Stirne. „Die Köpfe
der Männer find vol Nebel, und ſie fin vielfräßig
und hungrig immer. Sie haben ehemals Häuptlinge
in das Land der Yankees gefandt, bis diefe ſie ver⸗
| trieben haben. ‚Gehört mein Bruder zu diefem Volke?“
Der Britte; der bier einen Katechismus hörte, wie
ihn häufig weftlihe Schulmeifter ihren Zöglingen
auf eine feinen Landsleuten eben nicht fehr ſchmeichel⸗
hafte Weife einprägen, antwortete mit einem verlege-
nen Gefihte: „Ich bin allerdings aus einer Infel,
und unfer Häuptling, wie Du unfern König taufft,
bat wirklich fo eine Art Spleen gehabt, und unfer
Oberhaus für Peacocks angefehen; aber ich habe
— I
nicht die Ehre,« fuhr er lachend fort, „meine sans
leute in der Beichreibung zu erkennen.”
„Meines Bruders Zunge bat fich mieber gekrümmt,⸗
fuhr das Mäpchen ſpöttiſch fort. „Gehört er zu dem
Bolt, das viele Schiffe Hat, und gegen welches ver
große weiße Vater den Tomahawk erhoben?“
aJIch denke, ich gehöre ihm an,“ erwiederte der
junge Dann ein wenig verdrießlich.
„Und fein Volk,« ſprach fle mit einem mitleins-
vollen Lächeln, „will die Dengheefe züchtigen ?«
„Sa, das wollen: wir;® fuhr b ber Britte muthis
heraus.
„Arme Narren!“ erwiederte die FZudianerin. „Mei⸗
ned Bruders Volk wird ſich derbe Schläge Holen.
Haben die Dengheeje ihm fein Land weggenommen‘ 24
fragte fle weiter.
„Der Teufel ſollte fie holen, wenn fie ſich fo etwas
in den Sinn kommen lafjen wollten. Sie haben fi
aber angemaßt, und die Herrſchaft der Salzfee, um
indianiſch zu fprechen, ſtreitig machen zu wollen, und
im Grunde auch das nicht; die Wichte haben ſich nur
geweigert, ihre elenden Schiffe von uns vifitiren zu laſ⸗
fen, wozu ſich doch alle Uebrigen, Franzoſen und Ruſſen,
166 >
verftehen müffen, Dann wollen. fle ung auch wehren,
ihre Seeleute allenfalls der Ehre des britiſchen Ni⸗
netails zu würdigen.“
Der Britte Hatte in guter, gehrängt Gemännifge
Sprache, und ziemlich genau, wie wir fo eben geſehen
haben, die Urſachen des zweiten Krieges der Vereinig⸗
ten Staaten mit England angegeben. Das Net
over vielmehr die Anmafung der Briten, amerika⸗
niſche Schiffe zu viſitiren, und die größere Anmaßung,
ſolche Seeleute, die ihmen annehmlich fehienen, von
den amerifanifchen Schiffen zu nehmen, hatte wirklich
die amerikaniſche Nation veranlaßt, ven Fehdehand⸗
ſchuh dem übermüthigen England Hinzumwerfen. Wie
ver Kampf geführt worden, gehört natürlich nicht
hieher; fo viel glauben wir aber verfichern zu pärfen,
daß unfer Verwandter ſich weislich hüten wird, feine
Anmaßung je wieder geltend zu machen.
Die Indianerin hatte mit der geſpannteſten Auf⸗
merkſamkeit dem jungen Britten zugehoͤrt, und ob⸗
gleich fie vermuthlich das Ganze feiner Rede nicht
begriff, fo ließ-fie ihr durchdringender Verſtand ziem⸗
lich den Sinn errathen. |
„Weil alfo die Dengheefe mit ihren großen Canoes
— 157 —
auf der Salzfee fahren wollten, hat dad Volk meines
Bruders ven Tomahawk gegen fle gehoben ?« fragte fie.
„Sa, fo etwas vergleichen!“ war die Antwort.
„Und werben fie den Tomahawk auf ver Salzſee,
in den Waͤldern oder in ihren Wigwams erheben?”
„Das ift eben die Frage. Wir waren abgefanbt,.
bie Mündungen des Mifftfippi zu fondiren, das Heißt,
ihre Tiefe zu unterſuchen, ob fie nämlich größere
Schiffe zulaffen. Das Nefultat war ziemlich ge
nügend. Nur iſt eine verwünſchte Sandbank, bie,
gerade vor der Muͤndung hingepflanzt, uns den Ein⸗
gang vermehren wird. Wäre das nicht, fo gingen
wir gerade nad) New⸗Orleans hinauf, und ſchoͤſſen
ihnen das Neft, wie ihr Washington, über den Kö⸗
pfen zufammen; dad heißt, wenn fie fich nicht gut⸗
willig ergäben.“
„Meines Bruders Volk wird alſo ſeine großen
Canoes verlaſſen , um die Tomahawks im Lande der
Dengheefe zu erheben und ed einzunehmen ?“
„Sa,“ verſicherte der Britte.
„Und mein Bruder, während er mit feinem Bolke
den großen Fluß hinauf ging, iſt vom der.
Salzſee gefangen genommen worden ?*
Der Legitime. L 12
— 158
„Wenn Du mit uf ebrenvollen Benennung den
Piraten bezeichneft, Ia.“
„Und was möchte nun mein Bruder weiter tun? X
„So bald als möglich wieder zu ben Weinigen zu⸗
rückkehren; ſonſt find fie im Stande und ſtreichen mich
aus der Midſhipsmansliſte, und ich bin nahe am
Aoancement. Ich kann nicht weit vom Miſſiſippi
ſeyn. Unſre Armee muß um dieſe Feit gelandet ſeyn.“
„Und wenn mein Bruder den Dengheefe in bie
Hände fat?“
„Sch werde mid) hüten. A
„Die Denaheefe haben alles Land inne, dad zwi⸗
fihen dem großen Strome und ver zweiten großen
Salzfee liegt. Ihre Augen find die des Adlers. Mein
Bruder Tann nicht Durch ihre Nieberlafiungen. Seine
Zußftapfen werben ihn verrathen. Sie werben mei-
nen Bruder - ergreifen und ihn töbten. «
„Einen Mann ohne Waffen? Sie find nicht zu
gut dazu, aber doch traue ich Ihnen dieſe Schlechtig⸗
keit nicht zu; es iſt brittifches Blut in ihnen.“ |
„Sie werben meinen Bruder. als Späher fangen
und ihn beim Halfe an einen Baum hängen.”
Die letzten Worte ſchienen auf den jungen Mann
as0
einigen Cindruck zu machen. Nach einer kurzen Pauſe
erwiederte er: „Sie können, dürfen nicht. Auf alle
Faͤlle muß ich es verſuchen ··
„Mein Bruder,“ brach die Indianerin plbtzlich
aus, „hat ſeine Zunge viel gekrümmt, um der Tochter
des Miko große Lügen aufzubinden. Glaubt mein
Bruder, die Tochter des Miko ſey eine Närrin? Er
ſagt, ſein Volk iſt nicht mit dem Haͤuptling der Salz⸗
ſee auf dem Kriegspfade, und doch würde es ihn an
den Baum beim Halſe aufhängen. Und wieder ſagt
ex, fein Volk iſt mit den NYankees im Kriege und er
wi durch ihr Land und ihre Wigwams. — Mein
Bruder,” ſprach fie im beftimmten, beinahe drohenden
Tone, „Hat fh in dad Wigwam des Häuptlings der
Salzfee geftohlen und iſt von da in das des Miko ges
fommen, um den Pfad feinem Volke, den Yankee,
zuzeigen. Mein Bruder ift ein Späher des Dengheefe.“
— Sie begleitete ihre letzten Worte mit. einem Blicke,
der dem jungen Manne eben nicht jehr ſchmeichelhaft
war, und fland im Begeife, das Stübchen zu ver⸗
laſſen.
Der Britte hatte ihr mit einer Syannung angehört
die feinen jugendlichen, ſeemänniſch Yaunigen Zügen
. 42°
1600 &—
einen Aushrud von DBitterfeit gab. Bel den letzten
Worten fepien er beſonders beleidigt zu feyn, und
bittrer Hohn frielte um feinen Mund. Er verfuchte
zu antworten, ftodte aber und brachte blos ein, Aber
ich muß Dir fagen —“ heraus.
Die Indianerin made ihm trocken ein Zeichen zu
ſchweigen. |
„Mein Bruder ift wech krank und wund. Er hat
bereits zu viel geſprochen. Er muß eſſen, um geſund
zu werden. Der Miko in groß und weiſe; er wird
ſehen.“
Mit dieſen Worten trat ſie aus der Thuͤre, v vor der
ſie Roſa fand. Beide Maͤdchen wandelten Arm in
Arm durch die Hecken und Pflanzungen ihrem Haͤus⸗
chen zu, ohne ein Wort zu ſprechen. Die Indianerin
war augenſcheinlich in tiefes Nachdenken verſunken.
Ploͤtzſich ſtand fie ſtille. |
‚Mein junger Bruder iftfehr jung, und feine Zunge
fafelt wie die eines albernen Mädchens; aber unter
dieſer Narrheit- ift die Schlange verborgen.u Gie
ſah, während fte ſprach, Roſen an, als ob fie von
ihr Beftätigung des @efagten erwartete. Diefe
ſchwieg. |
1 >
„Seine Augen,“ fuhr die Indianern fort, „find
die der Taube, aber feine Zunge iſt die der Raſſel⸗
ſchlange.“
Daſſelbe Stillſchweigen.
„Haben die Ohren der weißen Roſa bie. siefen
Lügen aufgefangen, die ihr weißer Bruber gefagt bat?“
- „Sie hat die Worteihres weißen Bruders gehört,“
erwieberte Diefe; „aber fie hat nicht in fein Gerz ges
blickt. Wie kann meine Canondah ſagen, daß unſer
weißer Bruder Lügen geſagt hattu
nDie weiße Rofa ift gut, fehr gut, Canondah liebt
fie mehr als ihr Leben, und fie iſt ihres Vaters
Freude; aber ſie ſieht nicht mit den Augen Canon⸗
dahs, noch des Milos.u
Ein tiefer Seufzer entguoll dem Vuſen Sofas.
„Sie iſt unglüdlich, wie ihr weißer: Bruder lioelt⸗
ſie vor ſich hin. |
„Roſa ifl die Taube, mein weißer Bruder iſt die
Schlange Er ift ein Späherzu ſprach die India⸗
nerin mit Unwillen.
Roſa ſchůttelte ihr Kopfchen „Wer hat Ganonbap
bieß gefagt?«
„Rojas Augen, « erwieberte bie Inbianerin, „haben
—) 1 —
nür auf pie. weiße Haut und bie zarten Hände meined
Bruders geſehen, aber die Tochter des Miko hat ſeine
Lügen gehört. Iſt er nicht im Canoe des Häuptlings
"ver Salzſee heraufgefommen ? Hat feine Zunge nicht
gefagt, daß er in feinem Wigwam gewefen, ohne bie
Pfeife des Friedens mit ihm geraucht zu haben? If
nicht fein Volk auf dem Kriegspfade gegen ven Haͤupt⸗
Ing? Sagte er nicht felbft, daß es den Häuptling
an eineh Baum hängen wollte, wenn es ihn hätte?
und doch fagt Die weiße Schlange, daß es nicht ven
Tomahawk aufgehoben. Wie Tann er anderd in dad
Wigwam des Häuptling® gelangt ſeyn, denn als ein
Späher? Und ſpricht er nicht mit der Zunge eined
Hankee, und doch fagt dieſelbe Doppelzunge, daß fein
Volk auf dem Kriegäpfabe gegen die Dengheefe be
griffen? Und mit der nämlichen Zunge widerſpricht
er, und fagt, daß die Yankees ihn nicht tödten würden,
und deßhalb,« fchloß fie Höhnifch, „will er durch ihre
Wigwams. Glaubter, Canondah fey eine Thörin ?
Die Erzählung des Britten hatte allerdings etwas
an ſich, dad dem ungefünftelten, mit den Grundfäßen
bes Voͤlkerrechts gänzlich unbekannten Naturkinde
ziemlich unmwahrfigeinlih vorkommen mußte. Sie,
—s 163 —
wie es fich von felbft verfteht, dachte ſich die Verhäft«
niſſe großer Nationen im. winzigen Maßſtabe ihres
eigenen Völkchens, oder höchftend des Stammes ver
Creeks, umd ſchloß eben fo natürlich den Häuptling
der Salzſee oder, befler zu fagen, ven Seeräuber in
diefe Parallele mit ein. So mußte fie nothwendig
die Sprache des jungen Mannes ſonderbar finden,
der in ſeiner ſeemänniſchen Offenheit ganz unumwun⸗
den zu verſtehen gab, daß der Pirate aufgeknüpft
werben würde, während er zur ſelben Zeit die Zu⸗
muthung, daß feine Nation im Kriege mit ihm ftehe,
mit Verachtung von fich wie. Eben fo wenig war
feine Erklärung in Bezug auf die Amerikaner für bie
Indianerin befriedigend. Daß feine Nation im Kriege
gegen die Mengheefe begriffen ſey, war an ſich ſchon
der gegen Weiße mißtrauifchen Tochter des Mikos
auffallend, die bemerkte, daß er die nämliche Sprache
mit diefen rede; aber Daß er ungeachtet des obwalten⸗
ven Krieges noch eine. Art Großmuth von feinen
Beinpen erwarte, und, von ihnen aufgefangen, nicht
getöbtet zu werben fürdite, ging fo welt über die Be⸗
griffe der indianiſchen Kriegsgeſetze, daß ihn dieß allein
— 9 16
in ihren Augen zum Betrüger nothwendis ſempeln
mußte.
Auf der andern Seite mochte unſer Britte nicht
weniger an der Indianerin irre geworden fegn.
‚Ber var diefe junge Wilde, die ſich herausnahm,
ihn wie einen aufgefangenen Spion auszufragen, und
zwar auf eine Weiſe, die ihn unwillkührlich gezwungen
hatte, ihren Fragen Rede zu ſtehen? Woher dieſer
Gertſcherton, ver, bei aller Einfalt, Würde und
Selbſtbewußtſeyn ausſprach? Was hatte fie nad
bem Seeräuber zu fragen? Gehörte fie zu feiner
Bande ? Ihr Mefen widerſprach einem ſo herab⸗
würdigenden Gedanken. „Pſhaw! Maͤdchenneugier!“
rief er ſich zu, „die da gerne etwas zu plappern haben
möchte.“ Und mit dieſem Troſte entließ er für dieß⸗
mal ſeine weitern Gedanken über die ſonderbare
Beſucherin.
—d 165 ⸗—
Siebentes Kapitel.
Ich bin ſo voller Geſchäfte, daß ich Dir nit
gleich eine feharffinnige ‚Antwort geben Kann.
Wenn ich wieder fomme, will ih ein vollkom⸗
mener Hofmann ſeyn. .
Shakespeare.
So waren wieder zwei Tage verfloſſen. Der junge
Mann fühlte ſeine Geſundheit allmahlig hergeſtellt,
des Balfams -wunderbare Kraft hatte fih nun voll
kommen bewährt, und.er Eonnte bereit3 ohne Schmerz
umherwandeln. Immer war ihm dieß jedoch von der
Invianerin ‚ftrenge unterfagt worden. Er hatte ſich
einige Mal ins Dörfehen hinaus gewagt; aber bie
Squaws waren ihm ſtets mit fo unzweldeutigen Bes
weifen feindlicher Geftinnunggntgegen gefoinmen, daß
er immer umzufehren genöthigt gewefen. Die In-
dignerin hatte ihm feine Mahle regelmaͤßig jeven
Morgen und Abend gebracht, hatte jedoch Fein Wort.
weiter geſprochen, und. ein ruhig forſchender Blid,
während. fie feinen Puls unterfuchte, war alles ges
wefen, mas einigermaßen nähere Theilnahme beur⸗
Fundete.
—d 166 &—
Es war in ver Nacht des zehnten Tages jeit feiner
Anweſenheit. Er hatte. fih bereits auf fein Lager
hingeſtreckt und ſo eben zu ſchlummern angefangen,
als plötzlich der Wiverſchein heller Flanimen durch
die Oeffnungen der Buffaloehaut drang. Er ſprang
mit dem Ausrufe auf: „Das Dorf iſt in Feuer!“
flürzte zur Thüre hinaus, durch die Hecken und Ge⸗
büſche ver Flamme zu. Der Wiberfchein der Fackeln
ſiel auf eine ziemlich große, dem Anſcheine nach nied⸗
liche Hütte. Es war die. Wohnung des Miko. So
eben trat eine weibliche Geſtalt aus der Thüre, und
blieb vor derfelben ftehen. Sie horchte eine Weile
und ſchien fi dann der Gegend zumenben zu wollen,
wo er fig im Gebüſche verborgen Hatte. Langſam
wandte fie ſich jedoch der. Ecke zu, von der fie eine
Ausfiht auf den von Mehreren Gundert Pechfackeln
erglänzenden Wafferfpiegel des Fluſſes Hatte. Er
hatte nun Gelegenheit, ſie ind Auge zu faffen. Lang⸗
ſam und leiſe, Schritt für Schritt, als fürchtete er,
die liebliche Erſcheinung möchte zur Luftgeſtalt werden,
näherte er ſich ihr. Bloß eine Acacia Mimoſa trennte
ihn noch von ihr. Es war Rofa. Eine Weile fland
er In Anſchauung verfunfen und dann trat er näber.
—H 167 6
Der Ieife Fußtritt war von ihr gehört worden, fie
wandte fih und ſchwebte auf ihn zu. „Fuͤrchte Dich
nicht, Bremdling ‚“ fprach fle in wohlklingendem Eng⸗
liſch, munfere Weiber und Mädchen führen ven Nacht⸗
tanz auf.“
„Miß! ich Bitte taufenbmal um Dergebung wegen
meiner Zudringlichkeit. — Sie werben vergeben, aber
wirklich alles, was mir begegnet if; ift fo wunderbar.“
Das Mädchen. fah ihn’ mit ihren Elaren Augen
forſchend an. Ihr ängftlich werdender Blick ſchien
beinahe fragen zu wollen, ob es auch in ſeinem Ge⸗
hirn richtig ſey, fo befremdete ſie die ſonderbare aͤcht
engliſche Anrede. Ste faßte feine Hand. „Verge⸗
ben meinem Bruder? Was ſoll ich Dir vergeben,
Du haft mir nie etwas zu Leide gethan?“ |
„So täufeht mich denn meine Phantafie nicht, und
was ih Traum wähnte, u ſich verwirklicht ?u er⸗
wiederte er.
Sie ſah ihn betroffen an. „Hat mein Bruder einen
Traum gehabt?“
Hatte des Mädchens ideale Sthonheit und ihre
leichte Feengeſtalt den jungen Mann in Verlegenheit
—d 168 ⸗—
geſetzt, die ihm in der Verwirrung bie eben erwähnte
Londoner. Formel auf die Zunge brachte; fo war ihre
Antwort und nädjite Frage eben nicht geeignet, dieſe
Verwirrnng zu mindern. Die melancholiſchen Töne
eines Inſtrumentes, die ſich nun hören ließen, brachen
unterdeſſen die Unterhaltung ab. Er hörte befremdet
den ſeltſamen, tiefen grauſen Tönen zu. |
nDie. Nacht iſt fühle und feucht. Die Dünfte ziehen
urehr und mehr vom’ Fluſſe über das Wigwan. Mein
Bruder darf nicht im Freien bleiben, fonft fommt das
Fieber wieder; aber er kann,“ fügte fie nad) einer
Paufe hinzu, „bie Maͤdchen in unſerer Stube tanzen
ſehen.“
Mit dieſen Worten reichte ſie ihm ie Hand,
führte ihn in die Hütte, und durch ven Vorhang in
ihr Stübchen, das ein Eleines Zenfter, welches auf
das Ufer des Fluſſes fah, vollfommen erhellte. Es
erfolgte n nun eine Scene, vie Salvator Roſas Pinfel
eines der ergreifendſten Nachtſtücke geliefert haben
würde. — Rings um die Bucht herum, wo acht Tage
zuvor das Birkencanor gebaut worden, war eine
Schaar von nahe an zweihundert Maädchen, Weibern
und jungen Wilden in einem weiten Ringe verſam⸗
— 10 —
melt. Jever und Jede hielten in der einen Hand eine
lange brennende Pechfackel, in der andern eine
Schelle. Vier erwachſene Iungfrauen: hatten ihren
Pla unmittelbar auf. dem erwähnten Uferkamme,
und fpielten auf indianiſchen Trommeln und Flöten.
Das erfte diefer Inftrumente glich "einem mit
Klappern verfehenen Tambourin. Die jungen Wilden
hielten dieſes Inftrument hoch empor, und fehlugen
mit kurzen dicken Stäben darauf. Das zweite war
eine Flöte mit drei Löchern, die einen ungemein tiefen
melancholiſchen Ton von fi gab.
Die Mufit war anfangs ſchwach und gebämpft;
obgleich kunſtlos und ungeorbnet, fo waren jedoch bie
Töne der Flöte nicht ohne Melodie und den Tönen.
eined Schweizer-Alphornd zu vergleichen. Allmählig
wurben fie in dem Maße ftärker, als die Bewegungen
der jüngern Squaws und Mädchen dad Erwachen
der Tanzleivenfchaft verfündigten. Als nun die Tam⸗
bourind einfielen, gab das Ganze eine zwar wilde
regelloſe, aber nicht unangenehme Mufik. Es erhob
ſich jetzt eines der Mädchen, das mit den lieblichſten
Geberden fich in den Kreis wann und drehte, waͤhrend
auf dem gegenüberftehenden Bogen ein anveres ihr
—d 110 8
entgegen Fam. Beide hatten Tambourins. . Anfangs
wirbelten fie im Kreiſe herum, fi zu den Madchen
herabbückend, und dann mit ſchlangenartiger Ge⸗
wandtheit ſich kreiſend und wendend, tanzten fie in die
Mitte, wandten ſich einige Male im Kreiſe, und fingen
dann den eigentlichen Tanz an. Ihre Füße fehienen fich
nicht ju bewegen, während fe pfeilſchnell nach den
Schlägen des Tambourins im Kreife herumflogen,
und ihre Ferſen hebend ſich immer und immer.und
immer fortbewegten, mit ihren Tambourind die gra=
ziöfeften Bantomimen ausdrückend. Nichts konnte
der Zartheit und dem Anmuthe dieſer Tänzerinnen
verglichen werden, die die natürlichen Leidenſchaften
der Wilden in ſo veredelter und reizender Mimik dar⸗
zuſtellen wußten. Nachdem ſie vielleicht zehn Minu⸗
ten getanzt hatten, nahmen ſie wieder ihren Sitz.
Zwei andere Mädchen folgten, und führten den⸗
ſelben Tanz aus, doch war ihr Geberdenſpiel bei
weitem nicht ſo ſprechend, einfach und graziös, wie
das der erſten. Als ſie geendet hatten, trat ein Knabe
mit einer Federkrone auf ſeinem Haupte ein. Sein
Geſicht war mit den gewöhnlichen Kriegerfarben bes
malt; den Schred, den fle einzuflößen beftimmt
— 111 —
waren, ſuchte er noch durch die wildeſten Verzerrun⸗
gen, deren ſeine jugendlichen Züge fähig waren, zu
ſteigern.
Ein Zweiter, auf dieſelbe wild phantaſtiſche Weiſe
herausgeputzt, folgte ihm, und num fingen Beide den
Kriegertanz an. Zu verſchiedenen Malen warfen fle
fih ver ganzen Länge nach auf die Erde hin, daß
man hätte glauben follen, jeder ihrer Knochen jey
aus dem Gelenke gerifien; dann krochen fie mit un⸗
glaublicher Schnelle herum, krümmten ihre Schenkel,
ſprangen auf und fielen mit wüthenden Geberden auf
einander. Plöglih wandten fie ſich dem Halbkreiſe
zu, wo ihre Gefpielen faßen, riffen ven beiden Trom⸗
melfhlägern ihre Irommeln aus den Händen, und
waren kaum in bie Mitte des Kreiſes zurückgefprungen,
als dieſer fh in zwei Hälften theilte, von denen die
eine gegen die andere zu traben anfing. Squaw gegen
Squaw, Mädchen gegen Mäpchen, trabten einige.
Male vorwärtd, dann rückwärts, ſchwenkten bann
zuleßt ihre Fackeln, ſchüttelten ihre Schellen, und
rannten und trabten fehneller und ſchneller, bis das
Ganze zuletzt ein Knäuel der wildeſten Verwirrung
wurde.
—s 12 —
Der grelle Widerſchein von mehreren hundert date
keln, unter dem Nebelſaume des Fluffes hinabflackernd,
gab dieſem das Anfehen eines glühenden Höllen⸗
fluſſes; die alten Squaws, die mit aufgelösten Haaren
und welfen knochigen Geſichtern in ungeſchlachten
Kreuz⸗ und Querſprüngen ſich umhertrieben und mit
ihren Feuerbränden mehr Kobolden als menſchlichen
Weſen glichen; das durchdringend gellende Geheul, das
die Luft zittern machte, und wieder plötzlich inne hielt,
um die melancholiſchen Töne der Floõte und bie dum⸗
pfen Schläge ber Trommel hervorbrechen zu laſſen,
gaben dem Ganzen mehr den’ Charakter eined Hexen⸗
tanzes, als den weiblicher Weſen. Plötzlich wurde
noch ein wůthender Schrei, wie aus tauſend Kehlen,
gehoͤrt; die Fackeln verſammelten ſich in einen
Klümpen, verloſchen, und tiefe Finſterniß herrſchte.
Märe unſer Britte mit einer mäßigen Doſis Aber⸗
glauben verſehen geweſen, ſo hätte er ſich leicht an den
Ort verſetzt glauben können, ven berechnende Ber-
ſchmitztheit, glänbigen Seelen zum Troſte und Schrek⸗
ken der ſo eben beſchriebenen Scene nicht ganz unähnlich
ausgemalt bat. Und nach dem langen ſchweigſamen
—d 173 —
Dabinftarren zu fehließen, in welches ihn dieſer Auf⸗
triti verſetzt hatte, ſchien es wirklich zweifelhaft, ob
er nicht etwas Diaboliſches im Hintergrunde ſehe.
Die plötzlich eintretende Finſterniß mochte nicht wenig
dazu beitragen, die Sinne des jungen Menfchen zu
verwirren.
„Das find ja verdammte — Bitte um Vergebung,
Miß — das find wirklich furchtbare Geftalten;«. rief
er aus. „Wo find wir nur, um’d Himmelswillen u
„Im Wigwam des Miko;« verjegte das Mädchen.
„Miko? Miko? Was ift diefer Miko?“
„Der Häuptling der. Oconees;“ ligpelte ſie mit
bebenver Stimme.
„Der Miko ift ferne,“ fprach eine Stimme Binter
ihnen, die die Gegenwart der Indianerin verrieth,
maber wirh fein Geruch nicht die Spur des Fremdlings
wittern? Meine Schweſter follte nie vergeffen, daß
. fe zugleich die Tochter des Miko und fein Gaft ifl.«
„Um Gotteswillen!“ rief Diefe, mmein Bruber
muß gehen, er darf nicht länger in der Hütte des
Miko verweilen. Wenn der Milo — u
„Nur ein Wort, diefer Miko ?«
„Dein Bruder,“ ſprach das Mädchen bringenber,
Der Legitime. L 13
„muß wirkli gehen. Meine rothen Schweftern find
fehr mißtrauif, und ihre Augen würben fich ver-
finftern, wenn fie ihn mit Rofa in dem Wigwam
fänden. «
„Wohl! Wohl! Ja, ja gewiß; erwiederte der
junge Mann, ihre Hand plöglich fahren laſſend. „Gute
"Nacht, Gott fegne Did, Du lieblichſtes aller Weſen!“
„Gute Nacht, mein Bruder!“ lispelte fie ihm nad.
Er fing ven Ton ihrer Stimme auf, ald er durch
ven Vorhang eilte. Er rannte durch die äußere Stube,
durch die Thüre, und beinahe über vie Inpianerin.
‚Himmel und Erbe tanzten vor feinen Augen. Er
fuchte feine Hütte, fie war unflhtbar. Der filbers
artige Flor hatte fi über den ganzen Uferkamm
bingelagert. Kein Dad, fein Haus, Tein Licht war
zu erjehen. Alles war in tiefe Nacht begraben. Die
Dünfte, die kalt und feucht von dem Strome herüber
famen, fingen an feine Hige zu fühlen, eine Fieber⸗
fälte begann feinen Rüden herabzuriefeln.
„Mein Bruder,” ſprach eine fanft melodiſche
Stimme ‚während eine Hand die feinige ergriff, wift
zu viel gerannt. Will er nicht in feine Hütte zurück⸗
kehren?“
— 175 —
Er blickte auf, und fah die Indianerin vor fi.
nMeine Schwefter ſcheint mich fehr im Auge zu
behalten ;u erwiederte er nicht ohne Mißmuth.
Sie blickte ihn an, ohne den Sinn feiner Worte
zu begreifen.
„Meine Schritte zu bewachen,“ ar er in dem⸗
felben Tone fort. |
„Unfere jungen Männer find mit dem Miko auf
der Jagd, Canondah iſt die Tochter des großen
Häuptlings;u ſprach fle ernfthaft.
„Du bift aljo die Tochter des Indianerhäuptlings ;«
fragte ex mit etwas mehr Interefle.
Ste nidte und ſprach: „Canondah hat e& bereits
ihrem Bruder geſagt; die Nacht iſt kühle, mein
Bruder muß in das Wigwam, oder mit der friſchen
Sonne wird er das Fieber haben.“ Mit dieſen
Worten deutete ſie vorwärts, und ſchlüpfte voran.
„Hier,“ ſprach fie auf vie Hütte deutend, „wird
mein Bruder Raſt und Ruhe finden; und die Buffa⸗
loehaut aufhebend, Tiep fie Ihn hindurch, und ent-
fernte fich eilends.
„Sie ift die Tochter des Mike, des großen Haͤupt⸗
lUngs der Oconees;« rief der Britte, den die kühle
13*
—d 176 &—
Nachtluft und die drohende Geſtalt der Indianerin
plöplich Aus feiner Nhantasmagorie zurückgebracht
hatte... „Sürwahr! würde nicht geglaubt haben, daß
unfere Schildkröten⸗ und Auſternexcurfion uns die
Ehre ſo hoher Bekanntſchaften zuwege bringen würde,“
fuhr er lachend fort. „Wenn nur der Tom da wäre.
Mas würde der zu dem herrlichen Engel fagen? Wohl,
wohl, Hodges, da Fönnteft Du fo eine Art Roman
fpiefen, und wenn e3 gut geht, von ber Liſte weg⸗
geftrichen werden, ‚oder wenigſtens für vierzehn Tage
alle Sterne am Himmel abzählen. Ich möchte nur
wiffen, was unfer alter Brummbär fagen wird ?«
Glücklicher Junge! in deſſen ächt feemännifchem
Gehirne fid der Capitain und die Fünftige Buße mit
der lieblichen Rofa und Her drohenden Indianerin fo .
traulich paaren Eonnten. Welches Loos Dir immer
zufallen möge, wir werben Dich mit Vergnügen auf
Deiner humoriſtiſch abenteuerlichen Irrfahrt begleiten.
. Der Morgen, der auf die etwas unruhige Nacht
folgte, war fhön und helle. Die Strahlen ver De⸗
zemberfonne goffen über Dorf und Ylur eine milde
Wärme, die Fluß⸗ und Hüttenbewohner neu belebte:
—H 177 e⸗ |
Tauſend wilde Enten, Gänfe und Schwäne trieben
ihr Weſen auf dem prachtvollen Strome, während
Spo:tvögel, Paroquetd und Bluebirds ihre harmo⸗
nifhen Töne aus den Gebüfchen hören ließen. Her⸗
über von dem Waldende hörte man. ven Geſang einer
C haar Märchen, die um eine Heine Heerde gezühmter
Buffalokühe befchäftigt waren; und etwas näher dem
Strome zu war ein großes Feuer zu fehen, um das
ein großer Haufe von Jungen und Mäpchen fich her⸗
umtrieben. Sie verbrannten jauchzend eine Tange,
die, mit Stroh audgefüllte Figur, deren weißes.
Geſicht einen Dankee vorftellen ſollte, und in deſſen
Wamſe zahlloſe Pfeile ſteckten.
Aus der Hütte, in der unſer Midſhipman der ins
dianiſchen Gaſtfreundſchaft genoß, kam Canondah,
ein Körbchen am Arme. Sie hatte ſich bereits der
Wohnung ihres Vaters genähert und ſchien eilig zu:
ſeyn, als die Buffalohaut der Hütte ſich öffnete und
der junge Mann ihr nachgelaufen kam. Sein ſchneller,
feſter Schritt bezeugte, daß er ſich beinahe gänzlich
erholt habe. Das Aeußere des jungen Mannes ver⸗
rieth jenes humoriſtiſch waghalſige und derbe Weſen,
das einen jungen Scefadeten ſo wohl kleidet, in dem
—H 178 —
ver jocofe Geiſt des Matrofen mit dem ernflen, her⸗
rifhen Weſen des Offiziers und den Halb gefchliffenen
Manieren des Landjunfers noch immer.um die Ober-
band ftreiten. Die bleiche Jammergeſtalt war zum
Träftigen „ rothbädigen Sproſſen Sohn Bulls ges
worden, in deſſen muntern blauen Augen fi ein
gewiſſes behagliches Gefühl, mit viel gefundem-
Menfchenverftand, abfpiegelten, während der um fein
Kinn aufgefproffene ziemlich Iange Flaum und die
Aolernafe dem noch immer wettergebräunten Gefichte
einen Ausbrud von Kraft und Männlichkeit gaben.
Mit diefem anziehenden Aeußern jedoch flach feine
Garderobe nur zu ſehr ab, die, die Wahrheit zu fagen,
nichts weniger als einladend war. Zu geſchweigen
bes Halokragens, der feit mehreren Wochen der Seife
entbehrt haben mochte, war feine Jacke ftellenweife
durchlöchert, und ein Stüd Eottontuches verbarg nur
kümmerlich den Schaden, ven die Zähne des Alliga-
tors in feinen Inerpreffibles angerichtet hatten.
Die Indlanerin hatte kaum die Fußtritte des Nahen⸗
den gehört, ald fie fih ummwandte und ihm freundlich
entgegen ging. In ihrer Miene Tag nichts von jener
— 179 86
| Falten Särt, bie früher an ihr ſichtbar geweſen; im
e
Gegentheil, fie war heiter und fröhlich.
„Mein Bruder‘“ rief fle ihm von weitem lachend
zu, „bat ven Schlaf eines Bären, den weder die
Waſſervögel, noch die ſchreienden Squaws aufwecken
können. Die Sonne iſt bereits hoch, und doch hat er
feine Schweſter nicht gehört.“
„Ja bo,“ verſicherte er, mund der beſte Beweis
davon iſt, daß ich mic ſogleich aufmachte, um den
Befſuch zu erwiedern.“
Das Compliment ſchien von dem Mädchen wieder
nicht verſtanden zu werden und ſie drohte ihm lächelnd
mit dem Finger. „Mein Bruder ſpricht wieder mit
einer Doppelzunge.“
„Ich bin gekommen, meiner freundlichen guten
Schweſter meinen Morgengruß anzubieten, « erwies
derte er, ſich die Lippen beißend, „aber was die
Doppelzunge betrifft, ſo muß ich zu meinem Leidweſen
geſtehen, daß ich nur die ſchlichte, ehrliche Zunge von
meinem Alt⸗England ſpreche. Mein weniges Fran⸗
zöflfch habe ich ſeit meinem achtzehnmonatlichenSchiffs⸗
leben ſo ziemlich wieder vergeſſen. u
Die unbefümmert behagliche Weiſe, mit der er
4180 ⸗—
dieſe Worte ſprach, und das ganze Weſen des vollen,
blühenden Jünglings, in dem kein Arges zu ſeyn
ſchien, brachte ſichtlich einen günſtigen Eindruck auf
die Indianerin hervor. Ihre Augen hingen mit Wohl⸗
gefallen an ihm; ſie ſann einige Augenblicke nach,
ergriff plöglich feine Hand und auf feine Hütte deu⸗
tend, ſprach ſie: „Mein Bruder wird da feine Schwe⸗
fter erwarten. * |
Eie flog dann zur Thüre ihres Häuschens, ſtellte
das Körbchen nieder und eilte zur zweiten größern
Hütte, aus der ſie nach einer Weile mit einem ziemlich
großen Bündel kam. Mit dieſem flog ſie der Hütte
des Britten zu. |
nMeined Bruders Gürtel und Hemde find fehr
ſchmutzig und zerriffen;". ſprach fle. „Hier wird er
finden, was ihn beffer kleiden wird.“
„Was ift das, liebe Schwefter?“ verſetzte er, ver
ſich allmählig an ihre Phrafeologie gemöhnte.
n Meines Bruders Schwefter wird wieder kommen,
wenn er dieſes mit feinen unjaubern, häßlichen Klei⸗
dern vertaufht hat;« ſprach Ne, durch die Thüre
ſchlüpfend.
Neugierig unterſuchte er nun das Päckchen. Es
—d 181 —
war ein vollflommener Anzug mit frifher Waͤſche.
Ein Ueberro von blauem Zude, ganz im Schnitte.
brittiſcher Secoffiziere, Bantalons, Weſte und Etie-
feln. Das fonderbare Geſchenk war nicht geeignet,
die Zweifel zu beſchwichtigen, oder ihn über ſeire
Lage aufzuklären. Woher hatte die Indianerin dieſe
Kleidung? Der Seeräuber fiel ihm von Neuem ein.
Durfte er, ein brittiſcher Offizier, von dieſer Kleidung
Gebrauch machen? Sein Auge fiel auf feing abge⸗
tragene Garderobe, die, nur mühſam zuſammenhal⸗
tend, jeden Augenblick eine furchtbare Blöße androhte.
Noth kennt fein Gebot. „Es iſt nicht die erſteKriegsliſt,
durch die ein ehrlicher brittiſcher Midfhipman in eines
Andern Stelle [hlüpfte;= rief er lachend, feine Frag⸗
mente abwerfend und fein neues Coſtum mit den Ken⸗
neraugen eines Newbondſtreet⸗Coſtumers prüfend.
Die Umwandlung war wirklich zu ſeinem Vortheile
auegefallen. Der knapp anliegende blaue Rock, die
eleganten Pantalons, die lichtgelbe, echt brittiſche Weſte,
kleideten ihn trefflich. Mit einer Art komiſchen Ab⸗
ſcheus ſtieß er die Ueberreſte ſeines vormaligen äußern
Menſchen zur Thüre, oder vielmehr zur Bufſalohaut
1 19 ⸗
hinaus, um ſie im. nahe gelegenen Gebüfche jedem
menſchlichen Auge zu entziehen.
Mitten in dieſer Beichäftigung überrafchte ihn
Canondah. Einen Augenblid Hing ihr Auge an dem
wohlgebilveten, nun wirklich ſchönen Fünglinge, und
dann ergriff fie Kächelnd feine Hand, ihn Tafch mit '
ſich fortziehend. Vor der Thüre ihrer Hütte anges
langt, ‚winfte fie ihm bebeutfam, ſchlüpfte dann in
die Stuße und fehrte Sand in Hand mit Roſen zurück,
and flog hernach dem brennenden Scheiterhaufen zu.
Achtes Kapitel.
@s iſt etwas in mir, has mir ſagt, aber
es iſt nicht Liebe, daß ich euch nicht gerne
verlieren moͤchte.
Shalespeare.
Die betroffen ſtaunende und Halb verlegene Miene,
mit der er ſich ihr näherte und die erſt allmählig in
den franfen gentlemäniſchen Anftand überging, die
“einer guten Erziehung und gutem Umgang eigenthüms
ih find, Hatte feinem ganzen Wefen einen fo zarten
Anſtrich von Aufmerkſamkeit und Ueberraſchung ges
4183 —
geben, daß das Mädchen bis zur Ragelſpitze er⸗
röthete. Es war das erſte Mal, daß fie auf eine fo
zarte Weiſe den Triumph ihrer idealen Schönheit
genoß und das wohlthuende Gefühl fremder Aner⸗
kennung ſchien ihren Buſen zu heben und ihrem ganzen
Weſen eine veredelte Geſtalt zu geben.
„Ein herrliches Bild,“ ſprach er endlich mit Feuer
und Rührung, „ſchwebt meinem trüben Blicke vor.
Es iſt ein Engelsbild, das mich liebend umſchlang,
als mich das Ungethüm in feinen Rachen faßte. Es
kam, als mich die Nacht des Todes umfing und
wärmte mich, als Fieberfroft meine Glieder ſchüttelte.
Es hat mich gepflegt und heilenden Balſam auf meine
Wunde gegoſſen. Wahrlich Miß, wäre es nicht heller
Tag, ich glaubte zu träumen.“
Sie hatte ſchweigend ihr Auge auf die Erde ge⸗
heftet.
„Sie ſind es denn,“ fuhr der Jüngling fort, „der
ich mein Leben, meine Geſundheit danke, die mich
gepflegt, die mich liebreich gewartet ?«
nDer Arm Rofas ift ſchwach, mein Bruder,“ fiel
fie ein, ihm mild und vertrauens voll ing Auge blickend,
afie würde ihren Bruder nicht aufrecht erhalten haben
— 194 —
können. Es ift Canondah, die Dich aus dem Rachen
der Waſſerſchlange gerettet. Es iſt ſie, die Dich in
die Baumhöhle, in dieſes Wigwam getragen. Sie
iſt es, die Winondah vermochte, das Fieber zu ver⸗
treiben.“
„Die Indianerin!« rief der Jüngling. „Diefelbe,
die mich fo unbarnıherzig auf die Kolter ſpannt, jeden
meiner Schritte belauert 24
Der Blick des Mädchens ruhte beinahe wehmüthig
auf ihm. „Canondah iſt die Tochter des Mifo, ſie
ift die Mutter der Oconees, fie iſt der Troſt und bie
Hoffnung. Aller; aber der Mifo und fein Wolf find
roth;“ ſprach dad Mäpchen bebenſam und unwill⸗
kürlich ſchaudernd.
„Ich verſtehe; « fprach der Britte.
„Sie ſind ſehr gut, aber ſie haben vieles von
unſern weißen Brüdern gelitten.“
„Den NYankees?« verſetzte der Jüngling. „Aber
wie kommen Sie, Miß, hierher; darf ich bitten, mir
hierüber Aufklärung zu geben?“
„Der Miko nahm Roſa aus der Hütte des weißen
Zwiſchenhändlers.“ *…
„Aber Wer iſt dieſer Miko, dieſes Dörfchen hat
15 —
voch gar Feinen wilden Anflrih. Beinahe Alles, mas
man bei ung flieht. — Wo find denn die Männer?“
„Sie find mit dem Häuptlinge auf die Herbftjagb
ausgezogen. *
Die Augen des Britten zuckten, feine Miene heis
terte ih auf. „Können Sie mir fagen, theure Miß,
wo wir find ?“ fuhr er. zutranlich fort, ihre Hand er⸗
greifend.
Es ſchien beinahe, als ob das Zartgefühl des Mäd⸗
chens das Selbſtiſche, das in ſeiner Frage lag, geahnt
Hätte. — Sie ſah ihn mit ihren Elaren Augen forſchend
an und ſprach: „Wir find weit von den Weißen. Weit
vom großen Yluffe gegen die untergehende Sonne.
Mir hatten vierzig Tage biefen überfehritten und noch
Immer waren wir nicht am Ziele.“
Der junge Mann fchüttelte fein Haupt. „Verzeihen
Sie, da3 kann nicht feyn. Ich war bloß acht Tage von
dem Blockhauſe des Piraten weg und die Golfſtrö⸗
mung konnte mi unmöglich fo weit vom Miſſiſipi
weggetrieben haben. — Wiffen Sie nit den Namen
dieſes Fluſſes ?«
Sie verneinte es. „Am jenſeitigen Fluſſe ober⸗
186 —
halb wohnen die Coshattges und weiter oben bie
Sabine-Indianer.® |
„Sabine ? dann find wir am Sabine.“
„Der andere Fluß mag fo heißen. Hier,“ fuhr fie
fort, „find wir ringsum eingefchlofien. Nur auf vem
Strome oder von jenjeitd gelangt man zu und. Auf
diefer Seite würbe auch der Wolf vergebens zu und
zu dringen verfuchen. Mein Bruder muß nicht auf
Flucht denken.” u |
Der junge Mann war in tiefes Nachdenken ver-
funfen. „Sabine, murmelte ex, „dad iſt bie Grenze
der Vereinigten Staaten gegen Mexico. Zu Lande
höchftens vierhundert Meilen, nicht unmöglich —
„Mein Bruder,“ wiederholte fie, „muß nicht auf
Flucht denken. Der Miko ift gut, wenn Du,“ fuhr
fie zögernd fort, mein Beind der Yankees biſt. — Er
wird Dir mit Freuden die Hand reichen, wenn —*
„Wenn?“ frug ver Jüngling gefpannt.
„Wenn Du nicht ald Späher gefommen biſt;« fuhr
fie zoͤgernd heraus.
„Späher, Spion? Pfui! — Wie können Ste, Miß,
ſo Arges von mir denken ?“
Das jungfräuliche Kind Hatte ihn mit ven Klaren,
—, 187 &—
ruhigen Augen kindlicher, aber tief dringender Uns
ſchuld angefehen.
„Mein Bruder,“ ſprach fie mit naiver Einfalt und
einer Miene, die um Aufklärung zu bitten fchien,
„mein Bruber fagt, daß fein Volk nicht im Kriege
gegen ven Häuptling ver Salzſee begriffen und e3 Ihn
do an einen Baum hängen würde, im Ball es ihn
in feine Hände bekäme.” |
Ein unwillkührlich ironifches Lächeln überflog ˖ den
Mund des Britten bei Anhörung dieſer ſonderbaren
Rede; aber ein Blick auf das Mädchen, das in edler
Einfalt und natürlicher Würde vor ihm ſtand, machte
ihn über ſeine Gemeinheit erröthen. „Wir find, und wir
find nicht im Kriege mit dem Seeräuber, Tiebe Miß,“
fprah er. „Nicht im Kriege, weil der eigentliche
Krieg bloß zwifchen zwei Nationen, die legitime Re⸗
gierungen haben, geführt werven kann; was Sie aber
ben Häuptling nennen, ift bloß ein Seeräuber, ein
Seedieb, ein Elender, der mit dem Auswurfe bes
menſchlichen Geſchlechtes Schiffe plünbert, Weiber,
Kinder und Männer ermordet. Gegen ſolche Räuber
ziehen wir nicht in den Krieg; wir ſenden aber Schiffe
—d 1880
and, fie aufzufuchen und einzufangen, und dann wer⸗
den fie zum Lohne ihrer Verbrechen gehängt.“
Der junge Mann hatte nicht bemerkt, wie das
Mädchen während feiner Erflärung leichenblaß ge⸗
worden war. „Der Häuptling der Salgjee ein Dieb ?«
fuhr fie erſchrocken heraus.
„Wiffen Sie dieß nicht?“ erwiederte er. „Ex ift
Schlechter ald ein Dieb. Er ift ein Räuber, ein Mör-
der; mit einem Worte ein Seeräuber.”
Erſt jeßt bemerkte er mit VBermunderung den Eins
druck, den feine Worte auf fie gemacht Hatten. Sie
war todtenblaß geworben. Zitternd verdeckte fie ſich
mit beiden Händen dad Geſicht, fie ſchwankte und
eilte der Thüre der Hütte zu Ehe fie jedoch dieſe
erreicht hatte, Tank fie bewußtlos auf der Schwelle
nieder. Er war zugerannt, um die Tiebliche Geftalt
vom Sinfen zu bewahren, als ein Schrei des Ent»
feßens fi hören ließ und die Indianerin mit einem
Sprunge an feiner Seite fland. Ohne ihn nur eines
Blickes zu würdigen, umfaßte fie ihre Freundin mit
beiden Armen, vrüdte einen zärtlihen Kuß auf ihre
Lippen und trug fie in ihre Wohnung.
Der junge Britte hatte den beiden Mädchen mit
—, 189 ⸗—
der Miene eines Mannes. nachgefehen, der einer
fürchterlichen Entdeckung auf die Spur gekommen.
Sein Huge-hing mit Scheu an ver Thüre, als ob fle
ein ſchauderhaftes Geheimniß verfejlöffe. Unwillkür⸗
lich wandten fich ſeine Schritte zuerſt langſam und
dann ſchneller und ſchneller, als ob er der furchtbaren
Entwickelung entfliehen wollte, die der befremdenden
Scene folgen müſſe. Verſtört eilte er in ſeine Hütte
und warf ſich auf das Lager. Es lag etwas Gräß-
liches in dem namenloſen Schmerze, der in dem Buſen
des Mädchens bei feiner Erflärung rege geworden.
Ein erfütterndes Geheimniß! Dieſe Theilnahme in
einem ſolchen Weſen für einen ſolchen Menſchen —
war grauſenhaft.
Wer iſt dieſes Mäpchen,, frug er fich, die ſo herr⸗
lich, gleich einem rettenden Genius, zwiſchen mich und
die unbeugfame Wilde tritt, mir gleich einem verfäß-
nenden Engel Troft und Hoffnung verhält? Schön
ift-fie, wie vie Liebesgöttin, als fle zuerfi den Wellen
entjtieg; jener Zug in ihrem Gefichte die evelfte Un⸗
ſchuld und fleckenloſe Tugend. Woher ver Untheil,
den fie an biefem verborrten franzoͤſiſchen Hunde
nimmt? Die Geliebte vielleicht — — Mein, nein, uns
Der Legitime. J. 14
—190 ⸗—
moͤglich! Dieſes Auge kann unmöglich täuſchen. —
Doch, was kümmert das mich? fuhr er in feinem käl⸗
tern brittiſchen Phlegma fort. — Was iſt fie mir?
— Eine liebliche Erſcheinung, die heute geſehen,
morgen vergeſſen iſt. — Sie dat dich jedoch gerettet
— und wahrlih, James, Fönnteft du — ja, ih
wollte. —
Dem Selbitgefpräche machte die eintretende India⸗
nerin ein Ende. j
Ernft und prüfenn fchritt fie auf ihn zu. Ihr Blick
war beinahe feierlih. Sie hob ihre Hand auf und
winkte ihm, als fie bemerkte, daß die Speifen noch
unberührt flanden. Er war aufgeflanven, um ihr
‚entgegen zu kommen.
„Mein Bruder muß effen,“ ſprach fie; „wenn er
es gethan Hat, dann will ihm feine Schwefter etwas
in dad Ohr wispern.” Mit diefen Worten ließ fie
ſich am entgegengefegten Ende des Ruhelagers nieher.
wISch Habe Keinen Hunger, meine Schweſter,“ er⸗
wieberte der junge Dann, vund bin bereit, Dich an⸗
zubören. Wie ift der weißen Roſa?« fragte er in
fihtbarer Verlegenheit.
„Meine Schwefter,“ erwieberte die Indianerin, „ift
—d 191 6
Trank; aber fle ift nicht krank wie mein Bruder, fle
iſt franf im Herzen. Mein Bruder kann die weiße
Roſa geſund machen. Sie iſt Canondah ſehr lieb,
mehr als ihr Leben.“
Sie zitterte, fie ſuchte augenſcheinlich nach Worien,
allein ſie konnte keines hervorbringen. Sie war ſicht⸗
lich ſehr angegriffen. Ihr Buſen hob ſich, ihr ganzes
Weſen drückte die innigſte Theilnahme für ihre Freun⸗
din aus.
Der Jüngling ſah ſie mit Verwunderung an.
„Will mein Bruder fie geſund maden tt fragte
fie leiſe.
„Und meine Schweſter frägt?“ erwiederte er. „Was.
in meinen Kräften fteht, will ich gerne thun.“
nMeln Bruber hat etwas in das Ohr. der weißen
Roſa geflüſtert, das ſie krank gemacht hat.“
„Das thut mir leid; Hätte ich auch nur entfernt
ahnen können, daß dieſes liebliche Weſen an dem Un⸗
geheuer den leiſeſten Antheil nimmt, nie würde ein
Wort über meine Zunge gekommen ſeyn.“
. Die Indianerin ſah ihn kopfſchüttelnd an. Sie
trat einige Schritte zurück und ſprach forſchend:
„Würde mein Bruder es gerne fehen, wein ber
414°
5 19 >
Häuptling der Salzſee die. weiße Rofa in fein Wig-
wam führte?u 2.
Gott bewahre! rief der junge Mann. „Dieſes
wüfte Ungeheuer das engelreine Weſen.“ Er ſprach
‚Die Worte mit Heftigkeit, mit Abſcheu.
- Das Mädchen fuhr freudig auf, feine Hand orgrei⸗
:jend.. „Mein Bruber hat wohl geſprochen. Mein
Beuder Hat etwas in das Ohr ver weißen Roſa ge-
flüftert. Sat er Feine Lüge geſagt?“ |
„Lüge?“ entgeguete er raſch. „Mein, liebes Mad⸗
chen, kein Gentleman fagt eine Lüge. «
„Und ver Häuptling der Salzfee ift ein Dieb, ein.
Näuber?“ fragte-fie. Sie blickte ihn an und nickte.
„Er ift ein Panther ver Salzſee, ver rothe Hund, die
Mocaffinihlanget« Ihre Augen blikten vor Wuth
und Verachtung.
„Er ift wirklich ein Dieb, mit allen den, Seinigen,
ber Auswurf des Menſchengeſchlechtes, ver raubt,
fliehlt, more. Er iſt wogelftei und wenn wir ihn
heute erwifchen, fo hängt er morgen in Ketten ;u ſprach
der junge Mann.
„Und mein. Bruder ift fein Yankee?“ fragte fie.
„Nein,“ ſprach er, ſich ſtolz in die Bruft werfenn.
— 18 —
„Bott fey Dank, ich habe die Ehre ein Engländer u
ſeyn; von der Nation ‚'die den Ocean beherrſcht und
ale Könige und Kalſer in ihrem Felde Hält und tcia⸗
ſenð Schiffe auf allen Meeren hat.“
Der Ausdruck des jungen Mannes, der Indianerin
gegenüber, hatte jene hier ziemlich alberne Brahleret
angenommen, ber fich jedoch auch der ſonſt verriünftige
Britte fo gerne und nie mehr als dann überlaͤßt, wenn
e& fein Vortheil zu erheifehen feheint, Bremben eine
recht große Idee von feinem Lande und fo gelegen»
heitlich von fich felbft beizubringen.
Diesmal fhien die Indianerin nicht ohne Vergnů⸗
gen die Lobpreiſungen ſeines Landes anzuhören.
„Mein Bruder,“ ſagte ſie „iſt kein Spaͤher, dieß iſt
nicht die Zunge eines Spähers. Nein, mein Bruder
iſt ein junger Krieger. Und will er dem Miko ſagen,
daß der Häuptling der Salzſee ein Dieb m
„Und der Miko weiß dieß nicht ?“ fragte er.
Die Indianerin verneinte es. | |
Wenn der Miko es mir erlaubt, dann will ich ihm
bald Beweife liefern. Der Seeräuber wird es nicht
lange mehr treiben. Sein letzter Streich hat das
5 1 6
Map gefült. Wahrſcheinlich iſt ex bereits einge-
fangen. u | '
9Mein Bruder,“ erwiederte fie, „wird den Miko
fehen, ver Mio wird die Palme feiner Hand öffnen, -
und ihm ein Wigwam "geben und Roſa zur Squaw
ſchenken. Er wird meinen Bruder lehren, die Waſſer⸗
ſchlange tödten und den ſchlafenden Bären und den
ſchnell fpringenden Banther ſchießen. Mein Bruder
wird ein großer Krieger werben. Und Rofa, * flüſterte
ſte ihm zu, „wird einſt ſein Wilpret kochen und ſein
Jagdhemde nähen und der Dieb ſoll ſie nicht haben. “
Mit diefen Worten eilte fe ſchnell von dannen.
nBerfluchte Robinſonade!« fehrie der Britte, als
die Indianerin den Rücken gekehrt hatte und ein lautes
Hohngeläähter entfuhr ihm.. „Glaubt fie mich zum
Erfage für den abſcheulichen franzöflfchen Hund zu
nehmen? Wahrlich James, du müßteft dich trefflich
in den Mocaffind und Wampums, roth bemalt, aus⸗
nehmen. Ind Wigwam ziehen! Wildpret Eochen!
Nein, es iſt zum toll werden!“
Und wahrlich für einen jungen; kaum zwanzigjaͤh⸗
rigen Midſhipman, der die Liebe höchftens aus Ro—
manen, ober von einer gewiffen, eben nicht fehr an⸗
— 15 —
ziehenden Seite Tannte, mußte der Vorſchlag, fein
Leben in einem indianiſchen Wigwam zwiſchen Wil⸗
den zuzubringen, eben nicht ſehr erfreulich klingen.
Ihm, der ſo voll Eifers und Verlangens brannte,
ſtch gegen die VYankees auszuzeichnen und ver für feine
nächſte Waffenthat die Lieutenancy ſchon in ver Tafche
zu haben glaubte, einen ſolchen Antrag Zu thun!
Nein, es hätte die vier Gehirnkammern eines weifern
Mannes in Aufruhr bringen können. Die Gemüths⸗
flimmung , in. welcher ſich daher unfer Britte nad
diefem Antrag der Indianerin befand, war trotz ſeiner
luſtigen Exclamationen nichts weniger als die beſte.
Bisher hatten ihn körperliche Leiden, vie ihn auf
fein Kranfenlager und feine Hütte beſchraͤnkten und
ſein maͤnnlicher, ‚auf eigne Kraft vertrauender Sinn,
von jenem beängftigenden Nachdenken abgehalten.
Die Iehten at und vierzig Stunden jedod waren
allmaͤhlig auf feinen Kopf Sturm gelaufen, der eben
nicht fehr geeignet war, ihn zu einer ruhigen Anfchaus
ung feiner Lage kommen zu laſſen. Das myſteriöſe
Berhältniß des Miko zum Seeräuber, und im Hintere
grunde ein ſchwarzes Gebeimniß, das vor feiner Phan⸗
tafle heraufpämmerte, erfüllten ihn unwillkuͤrlich mit
—d 195 ⸗—
Grauen und brachten feine Lebensgeiſter in eine nicht
weniger als angenehme Spannung. |
‚Seine Lage war wirklich nicht beneidenswerth.
Sie war, wenn glei nicht fo ganz unerhört unter
feinen abenteuerlichen Landsleuten, doch von Allem,
was er gefehen over gehört, fo gänzlich verſchieden,
die Geſchoͤpfe, mit denen er umringt, ſo ſonderbar,
daß er immer mit ſichtbarer Angft feinen Mund auf⸗
that, aus Furcht, mißverftanden zu werben. Er hatte
fich gewiſſermaßen einen ganz neuen Ideenkreis zu
bilden, um ſich mit ihnen verſtändigen zu können,
aber in dieſer Bemuͤhung das Ziel ſchrecklich verfehlt.
Se tiefer er fich mit ihnen eingelaſſen, deſto mehr
hatte er ſich verwickelt, und alle feine Mühe, ven Fa⸗
den aus biefem Labyrinthe herauszufinden, war ge⸗
fHeitert. Was er zudem während ver legten Tage
gefehen und gehört, war wahrlich nicht berechnet,
feine Lage beſonders erfreulich zu machen. Die Wild-
heit der Weiber bei ihrem Tanze, das höhnend Giftige
der Jungen, die mißtrauiſch durchbohrenden Blicke
der alten Squaws, mit dem furchtbaren Erbeben
Roſas bei dem bloßen Namen des Milo, waren eben
Teine guten Borbebeutungszeihen für den guten
—dH 197 6
Empfang des Häuptlings. Es war allmählig, daß
biefe Umſtände und Bilder ſich feinem Gedaͤchtnifſe
und feiner Phantafie vordrängten und eine Verwir⸗
rung in feinem Kopfe anrichteten, die ihn die ganze
Nacht wie wahnfinnig im Dörfchen umbertrieb. Erft
gegen Morgen murbe er ruhiger; feine Verflandes-
feäfte traten allmählig in ihre Verrichtungen, und,
die wilden Phantafieſtücke abſondernd, gelangte ex
wenn nicht zu einem Elaren, doch ruhigen Anſchauen
feiner Lage. Erſt als dieſes Geſchaͤft in feiner Seele
fo weit geviehen, entfehlief er.
Die Furze Ruhe hatte ihm zu einiger Veſonnen⸗
heit verholfen; der junge Mann ſchritt am Morgen
feftern Schritteß der Hütte der Mädchen zu. Seine
Miene fehien anzukündigen, daß er einen. Entſchluß
‚gefaßt Habe. Worin viefer beſtand, werben wir
bald fehen. . .
100 I
Ueunntes Kapitel.
Mich dünkt, ich bin ganz betäubt, und verliere
meinen Weg unter ven Dornen und Gefahren diefer Zeit.
Shakespeare.
Die beiden Mädchen kamen ihm auf ver Thür⸗
ſchwelle entgegen. Die Indianerin war ungemein
heiter, in Roſa war keine Veranderung vorgefallen.
In ihrem Geſichte ſpielte ein milder kindlicher Ernſt
mit ruhiger Ergebung und ſanfter Würde. Sie blickte
den jungen Mann freundlich an.
„Mein Bruder,« lachte ihm die Indianerin entge⸗
gen, „iſt ernſt wie Wineachi, wenn er die ſiebente
Pfeife fih vollgeſtopft hat, und bleich. Hat mein
Bruder einen böfen Traum gehabt?“
nBiele, meine Schwefter;" erwieberte er.
„Die weiße Rofa wird fie deuten,“ ſprach die In⸗
dianerin mit einem vielfagenvden Lächeln, indem fie
zugleich die Thüre öffnete, und Beide in die Stube
ſchob, die ſie verfhloß und und dann fehnell ind Ge⸗
büfch forttrippelte.
mUnfere Schwefter fcheint fehr gut aufgelegt zu
— 19 ⸗
feyn, * fprach der funge Mann, ver in ziemlicher
Berlegenheit dem Manoeuvre der Indianerin zuges
feben hatte. -
„Sie weiß es,“ erwiederte dad Mädchen, „daß
Roſa e8 liebt, ihren Bruber zu ſehen.“
Der junge Mann blickte fie an, als wäre er aus
den Wolken gefallen. Es hatte ſich jedoch fein Zug in
ihrem Wefen verändert. — Derfelbe unſchuldig Flare
Blick, eine Art natürliche Hoheit, die unverholen die
Veifeften Regungen des Herzens geftand. Ste hatte
ihn duch den Vorhang ihrem Stübchen zugeführt,
und fein flüchtiger Blick fiel nun auf die Einrichtung.
Das Ganze war fo freundlich‘, fo niedlich, und Bei
der Eunftlofeften Einfachheit fo geſchmackvoll und
reinlich, daß feine Verwunderung mit jedem Augen
blicke flieg.
Wie in der äußern Stube, fo befanden PB au
hier zwei an den Wänden hinlaufende Sige, oder
vielmehr Ruhelager, auf veren einem fle fi mit un«
endlicher Grazie nieverließ‘, ihn bitten, daſſelbe auf
dem entgegengefegten zu thun. An den Wänden hin⸗
gen die Kleider ver Mädchen, unter denen einige fehr
elegante und ſelbſt Eoflbare Anzüge. Ein Arbeits⸗
— 200 >
käſtchen ſtand am Fenſter. Beinahe glaubte er ſich
in eine Devonfhire-Cottage Altenglands verfeht.-
„Aber ums Himmelswillen, Miß,“ ſprach er, „wo
haben Sie, ich bitte tauſend Mal um Vergebung,
dieſe prachtvollen Anzüge, dieſe koſtbaren Geſchmeide
in dieſer Wildniß her?“
Sie ſah ihn betroffen an. Die Brage war wirklich
ächt ſeemaͤnniſch.
„Vom Häuptlinge der Salzſee;« erwiederte fie
mit leiſer ſtockender Stimme.
„Vom Haͤuptlinge der Sale‘ und fommt ber
hieher 2u |
„Er kömmt, wenn feine Leute Wälfchkorn, Wild-
pret oder Tabaf brauchen, und dann bleibt er mit
ihnen oft viele Tage im Wigwam.“
„Und. die ſchöne Rofa Hat fie auch einen Tauſch⸗
handel mit dem Seeräuber?« fragte er in gleicher ſee⸗
männifcher Weife, und nicht ohne Spott.
Sie warf einen furchtfamen Blick auf ihn, und
erwiederte dann bittend, beinahe demüthig: „Der
Pfeil des Schmerzes figt tief im- Herzen Deiner
Schwefter, mein Bruder. Du mußt ihn nicht noch
tiefer prüden. Sie muß die Geſchenke des Häupt«
— 1 —
lings der Salzſee — des Diebes,“ ſprach fie mit
Abſchen, „annehmen. Der Miko hat es geheißen.“
Sie brach in einen Thränenſtrom, begleitet von einem
lauten Schluchzen, aus.
„Mein Bruder,“ ſprach vie Indianerin hinter der
Tapete, „muß ſanft ins Ohr der weißen Roſa ſprechen.
Sie iſt ſehr zart. Siehe, ſie hat ihm Wein und eine
Wolldecke in den hohlen Baum gebracht, und hat bei
ihm gewacht, als er ſchlief; die Roſen find beinahe
von ihrem Gefichte gewichen.
„Roſa!“ fammelte der Jüngling, auf fle yuftüee
send; das haben Sie für mi gethan?“ Seine
Stimme verfagte ihm den Dienf. Er faßte ihre
: beiden Hänbe.
„Aber Canondah!“ bat Roſa mit unterdrũdtem
Vorwurfe.
„Mein edles Maͤdchen Vergebung; rief der Süng-
ling, ſich vor ihr niederlaſſend und ihre Hand ergreis
fend. Wie habe ich fo viele Güte um Sie verbient ?«
Es zuckte fieberifch durch feine Glieder. Er zitterte,
ber Angſtſchweiß brach auf feiner Stirne and. Ploͤtz⸗
lich fuhr er mit feiner Hand Über diefe Hin, ſprang
Auf und ſtuͤrzte durch die Thüre.
202 6
Gin Tornado tobte in ihm, der das Schifflein
feines Verſtandes in ven Abgrund zu ſenken drohte.
Er rannte durch das Dörfchen wie ein -Rafender.
Die Indianerin unterbrach abermals feine wilden
Träume, ald er am Walvesrande Halb rafend auf-
und. abtobte. Beinahe hätte er fie rauh wegen dieſer
abermaligen Zubringlichfeit angefahren; aber in ihrer
Miene lag etwas fo Gebieterifches, ihr Blick ruhte
fo finfter, beinahe feinpfelig auf ihm, daß ihm dieß
für.jegt feine Zunge band.
nUnfere Krieger,“ ſprach das Mäpchen, mmachen
ihre Squaws Felder pflügen und Korn ſäen, und bie
Zabaköpflanze bauen; aber fie ſtoßen ihnen nicht den
Stachel ihrer gekrümmten Zunge in die Herzen. Mein
Bruder ift fein Krieger, aber er liebt gleich ver
Schlange mit feiner Zunge zu vergiften, und den
Biftzahn in meiner armen Schwefter Bufen zu floßen,
die ihm das Leben gerettet hat. Mein Bruder ift eine
alte boshafte Squam, ein Dankee;“ ſprach fie mit
Abſcheu, ihm den Rüden kehrend.
nHalt!“ rief der Jüngling ; wich bitte Dich, vergib
meiner unvorfichtigen Zunge. Ih will — 4
„Mein Bruder mag. die Thränen trocknen, die er
03 ⸗
ind Auge der weißen Roſa gebradt hat. Sie ifl
Canondah theurer, denn ihr Leben. — So ſprechend,
deutete fie auf bie Hütte ihres Vaters, waͤhrend fie
ſelbſt einen andern Weg einfchlug,
Mehanif folgte er ihrem Winke. Es war nicht
Rohheit oder Bosheit gewefen, die dem jungen See⸗
mann die unbefonnene Frage auf die Zunge gebracht
Hatte. Es war vielmehr ein Ausbruch feiner jungen
feemännifhen, etwas tollen Natur, verbunden, mit
einem gewifien Spleen, einer üblen Laune, vie eis
nem jungen, ſelbſt gebildeten Seeoffizier‘, ver feit
einiger Zeit bloß den Umgang roher Schiffägefellen
ober. kurz befehlender Oberen genoſſen, nicht felten
entwifcht. Die Symptome von tiefer Scham waren
deutlich hervorgetreten, und felbft feine plößliche
Entfernung würde demjenigen, der den Seelenzuftand
des jungen Menſchen gekannt hätte, dafür gebürgt
haben. — Er eilte ver Wohnung Roſas zu.
Mit dem Tieblichen Kinde war eine bedeutende
Beränderung vorgefallen. Das elegMrte Seidenkleid,
das ſeidene Halstuch waren durch ein einfaches Calico⸗
kleid erſetzt. Selbſt ihren Kamm hatte fie abgelegt,
und ihre Haare hingen in natürlichen Locken um ihren
[
— m 6—
glaͤnzend weißen Naden.. Ihre Bracelets lagen neben
ihr auf dem Sopha. .
„Können Sie, Miß, meiner unari verzeihen ?«
bat er herzlich.
„Mein Bruder Hat Recht,“ ‚erwicherte fie, „und
Roſa Hatte Unreht, bie Geſchenke des Diebs zu
nehmen. u
„DBergebung, nochmals Vergebung ; bat er, ber
den Sinn ihrer Rede nicht verſtand, und in ſeiner
Verwirrung die Veränderung in ihrem Anzuge nicht
bemerkt hatte.
„O, Roſa hat keinen Groll in ihrem Herzen, aber
mein Bruder wird fie nicht mehr bitter anfehen, fie
will auch nie wieder vom Diebe etwas annehmen. «
„ind gibt es Fein Mittel, Sie von dem Piraten
zu befreien?“ fragte er theilnehmend. „Sprechen Sie
aufrihtig; was in meinen Kräften ſteht, will ich
gerne thun.«
Ihr Auge flammte freudig auf.
„Der Mit iſt ſehr gut gegen die Freunde der
rothen Männer;“ ſprach fie. „Sieh, er hat dem
Soediebe eine Hütte gegeben, und Fülle von Wälfch-
korn und Wildpret; ; aber er liebt den Seeräuber fehr,
—d 5
und fein Yüge Heitert fi auf). wenn er im Wigwam
if; der Seevied,« ſetzte fie leiſer hinzu, „führt jedoch
auch Krieg gegen die Yankees, die Todfeinde des
Miko. Mein Bruder ſagt, daß bie Säife feines
Volkes vor dem großen Fluſſe „liegen, daß feine
Brüver gegen die Nankees in ven Krieg ziehen. Der
Mike, wird Dich freundlich dafür aufnehmen.“
. nDer Mito ift alfo im Kriege gegen die Yankees
begriften 24 fragte der Britte raſch.
„Sie Haben ihm viel Boͤſes zugefügt, fle Haben
ihm das Erbtheil feiner Väter genommen, ihn ver-
trieben.”
„Und er rächt ſich auf indianiſche Weiſe, und
ſtalpirt fie, wo er fie findet ?« |
Sie ſchüttelte das Haupt. „Der Miko ift ſchrecklich
und furchtbar, aber er ift auch gerecht und gut;«
ſprach fie gerührt. „Er ift weit gegen vie unter
gehende Sonne gezogen, um nie wieder die Weißen
- zu fehen.“
„Und wie tft er mit dem Seeräußer bekannt ge=
worden?“ fragte er immer gefpannter. „Die India⸗
ner find doch fonft nicht große Freunde vom Sal
waſſer.“
Der Legitime. J. 15
= u — — — —
26 —
„Vier und zwanzig Mal hat ſich der Vollmond
erneuert,“ ſprach dad Mönchen gehehmnipvoll, „als
der Seedieb auf dem Fluſſe in einem großen Boote
herauffam,« fir wies anf. den Naichen „Er hatte
viele wilde Männer bei fi, häßliche Menfchen,
ſchwarz „braun und gelb. Sie ſtürzten, gleich böfen
Weſen, aufd Ufer. Als fie aber das Dorf und bie
Hütten gefehen, zogen fie fih auf einmal zurück und
fammelten fi in einen großen Haufen, der, ſo wie
die laute Stimme des großen Diebes gehoͤrt wurde,
ſich in mehrere kleinere theilte, die das Wigwam von
allen Seiten, die des Waldes ausgenommen, um⸗
ringten. Einer dieſer Haufen war vor die Hütte des
Miko gezogen. Der Häuptling jedoch war bereits
mit allen den Unſrigen in jenem Walde, mo er ſich
im Hinterhalt gelagert. Es vergingen ung viele
Stunden in banger Ungft, als der Seeräuber ohne
Waffen auf ven Wald zufam, die flache Hand aus⸗
ſtreckend, und um Frieden und Freundſchaft bittend.
Sonderbar!u ſprach fie, „ver Milo, der jenen Weißen
mehr als die Wafferfchlange haßt, empfing den Diet,
führte ihn in fein Wigwam, und ſchloß Freundſchaſt
mit ihm. Auch die Weiber Eamen aus dem Walde,
—— 0 —
um für die wilden Menſchen Speife zu bereiten; aber
die Krieger und jungen Männer blieben mit uns
zurüd. u. Eu u |
Ste beſchricb ven Befuch, oder vielmehr ven Ueber⸗
fall des Seeräubers auf eine fo kunſtlos lebendige
Weiſe, der Schauder und Schricken malte fig fo
wahr ta ihragı ſchönen Geflähte, daß der junge Mann _
ihr in der, höchften Spannung zugehört hatte,
nDie Sonmesa fuhr fie bewegt fort, whatte fich
bereits Hinter die Baumgipfel verſteckt, als von ber
Hütte Mi⸗li⸗machs her ein ängflliches Geſchrei ertänte.
Es Tam von feiner Tochter, die zwei Diebe mißhan⸗
delt hatten. Der große Dieb war fehr aufgebracht.
Ale feine Männer mußten in einen Haufen zufammen-
treten, wo fie eine kurze Berathichlagung hielten.
Als fie fih trennten, faßten ſechs Männer vie zwei,
die an unferem Maͤdchen Böfes gethan Hatten, und
Banden ihre Hände und ihre Augen. Dann führten
fie diefe einige Schritte an das Ufer des Fluſſes, wo
er fi gegen die Wigwams zu biegen anfängt. Dort«
— fie hielt inne, und fuhr nach einer Weile fort —
„mußten die zwei Unglüdlichen nieverfnieen, und bie
ſechs fürchterlichen Männer ſchoſſen auf fie, bis fie
15°
—. 8
tobt zur Erde fanfen. Der Seeräuber nannte es
Execution. Des Morgens war er mit den Seinigen
verfhmunden. Nah zwei Wochen Tam er wieber.
Er brachte viele Beuergewehre für die Mänmer, Woll-
decken und Anzüge für die Weiber; und Diefe Kleider
und noch andere,“ fle deutete auf die an wer, Wand
hängenden Anzüge, „ſchenkte er Canondah una Deiner
Schwefter. Der Miko Tiebte ihn fehr, und die Unſri⸗
gen fürdhteten fh anfangs, aber bald liebten fie ihn
auch.“ —
Ste war im Begriff mehr zu fagen, hielt jedoch
inne, als fie bemerkte, daß ihr Zuhörer in tiefes
Nachdenken gefunfen. Die kunſtloſe Erzählung hatte
ihn dad DVerhältniß feiner neuen Umgebungen fo
ziemlich deutlich erkennen laſſen. Er befand ſich wirk⸗
U im Wigwam eines Freundes des berüchtigten
Seexäaubers Lafitte, deſſen Kühnhelt ven weftlichen
Archipel, und beſonders den Seebufen von Merico
Thon fo lange zittern gemacht. Er hatte fich ſeine
Schlupfwinkel in der Inſel von Barataria zwiſchen
unzuganglichen Moräften und Untiefen fo gewählt,
daß ihm, im Balle eines Angriffes von der See, noch
immer der Rüdzug durch die Suͤmpfe übrig blieb, in
—— 0 >—
denen er verborgene Pfade und Auswege angelegt.
hatte. So war er wenigftens für die Zeit des Krieges
gegen die Juſtiz des Siaates Rouifiana gefihert, der
ohnedem vollauf zu thun hatte, um den Britten die
Spige zu einer Zeit zu bieten, imo ihre ungetheilte
Kraft fi gegen die Amerikaner wenden Eonnte. Die
Wahl gereichte feinem militäriſch⸗ſeemänniſchen
Scharfblicke wirklich zur Ehre, und ungeſtört' hatte
er bereitö eine geraume Zeit fein Wefen getrieben.
Es war auf einem feiner Ausflüge in Louiſiana
und dad angrängende Merico, daß er bie entzüdend
ſchönen Ufergürtel des Natchez und die Nieverlaffung..
der Indianer aufgefimden. Die reizende Lage des
Dörfhens, die Tieblichen Hütten, wie in einen pracht⸗
vollen Garten Hingezaubert, Hatten ihn mit Ver⸗
wunderung und Verlangen erfüllt, die Bewohner
näher kennen zu lernen. Geſetzlos und graufam, wie
er war, konnten feiner Klugheit die Vortheile nicht
entgehen, die er aus einer nähern Verbindung mit
diefen Bewohnern mwahrfcheinlich ziehen würde, und
diefen Gründen Hatten die Wilden die Schonung und
ſtrenge Mannszucht zu verdanken, die er zugleich zum
Tagsbefehl werben ließ.
20 ⸗—
Als er mit dem Miko bekannt geworden war, hatten
fich feine VBermuthungen begründet, und er trat mit
diefem und feinen Indianern allmählig in einen Ver⸗
ehr, der für beide Parteien äußerſt vortheilhaft ges
worden war. Das Mißtrauen, dad den Wilden gegen
jeden Weißen angeboren ift, Hatte er ſchnell durch die
Execution zweier ſeiner ruchloſen Gefellen beſchwichtigt,
ſo daß dieſe ihm anfangs zwar ſcheu, doch immer noch
mit mehr Zuvorkommenheit, als er erwarten konnte,
‚entgegen kamen. Allmählig waren jedoch die Ver⸗
haͤltniſſe freundſchaftlicher geworden. Die Indianer
verſorgten ihre Gäfte mit auf Handmühlen geriebenem
Maismehl, Wildpret, Buffalofleifh und Geflügel,
wofür die Seeräuber ihnen Feuergewehre, Kleidungs⸗
ſtücke und ſelbſt Luxusartikel brachten. Die zwei geräu⸗
migern Hätten waren duch ihre Beihülfe erbaut, und
mehrere Handwerker unter ihnen hatten fich wochenlang
bier aufgehalten und fle in wohnlichen Zuſtand ver⸗
ſetzt. Ueberhaupt war ver blühende Wohlftand der
Indianercolonie größtentheils dieſem Verkehre zuzu⸗
ſchreiben, bei dem ſich der Franzoſe leichtfinnig⸗frei⸗
gebig betrug. Dieſe Uneigennützigkeit, verbunden
mit dem lebhaft muntern franzöſiſchen Weſen, das
— 11 ⸗—
den Indianer beſonders anſpticht, hatten ihm den
Miko ganz gewonnen, der mit Sehnſucht der jedes⸗
maligen Ankunft des Piraten entgegenſah.
Für den jungen Mann war natürlich dieſes freund⸗
ſchaftliche Verhaltniß weniger beruhigend. Es war
ihm klar, daß der Seeräuber ihn mit ſeinen Gefährten
aufgehoben, um der Entdeckung ſeines Schlupfwinkels
zu entgehen. Er hatte feine Forts, feine Vertheidi⸗
gungsanftalten, feine Schwäche und Stärke gefehen.
War es einem folchen Menfchen nicht natürlih, ihn
in der Stille aus dem Wege zu räumen, und ließ es
Si erwarten, daß der von bitterm Haſſe gegen bie
Weißen befeelte Indianer, der Ihn noch dazu für einen
Danfee Halten mußte, zu feinen Gunften Einſprache
thun würde? Die bloße Möglichkeit, unter den Würs
gerhänden eines Seeräuberd fein junges Leben zu
beſchließen, war ſchon empoͤrend.
„Und pflegt der Seeräuber häufig zum Miko zu
fommen ?4 fragte er.
„Wenn dieſer von der Jagd zurüdgefehrt ift, wird
er mit den Seinigen kommen, Wildpret einzutau⸗
ſchen; « verſetzte fie halb ſchaudernd.
Die Beiden wurden durch die Indianerin unter⸗
—d 212 —
brochen, die durch ven Borhang fhlüpfte, bald Nofen
bald ihren Saft anjah, and ſich nachdenkend vor die
Erftere Hinftellte. Der flehende Blink dieſer fchien fie
einen Augenblick unfchlüffig zumachen. Endlich Eonnte
fie ſich jedoch nicht enthalten, und brach in die Worte
aud: „Bald möchte Canondah zum Narren werben.
Warum dieß, meine Schwefter ?« fragte fie auf dad Ca⸗
licokleid deutend. „Canondah will gerne arbeiten, und
Feuerwaſſer und Kornmehl bereiten, ihr Vater eine
Sonne länger im Bufche bleiben, um die weiße Rofa
der Oconees ſchön geſchmückt zu fehen. Warum wirft
meine Schwefter die Gefchenfe des Mike von fi?”
Ihre Stimme war halb Klage, halb Vorwurf.
„Will der Miko, will.meine Schwefter Roſen im
Gewand des Diebes fehen ?«
„Im Gewande des Diebes?« verſetzte die India⸗
nerin. „Hat nicht der Miko und Canondah dem
Diebe Wildpret und Feuerwaſſer dafür gegeben?
Haben nicht die Yankees unfere Rinder und Kühe
geftohlen, und haben ihre Brüder fle nicht von ihnen
abgetaufcht ?*
„Aber,“ verſetzte Roſa.
„Wenn El Sol in das Wigwam des Miko kömmt,“
— 213 6
feste fle.leifer Hinzu; „dann ſchmückt fih Canondah
zu feinem Empfange, und fein Auge verweilt geme:
aufihr. Meine Roſa muß ven häßlichen Rod ab⸗
werfen, fonft wird fie der weiße Iüngling nicht in
fein Wigwam aufnehmen.“ . .
„Aber Roſa will ja nicht in fein Wigwam;« er-
wiederte Diefe, fich ein wenig flolz und unbewußt
erhebend. „Sie liebt ihn als ihren Bruder. “-
Die Indianerin, ohne jedoch auf ihre Worte zu
hören, wandte fi zum Jüngling, ver einige Säritte
feitwärts in Gedanken verfunfen war. :
„Nicht wahr, mein Bruder Tiebt, die weiße Keſe
geſchmückt zu ſehen?“
Die ploötzliche Frage machte ihn weit auffarren—
„Meine Schweſter hat ihr häßliches Kleid ange⸗
legt, weil es nicht vom Diebe der Salzſee koͤmmt; fie
. glaubt fo meinem Bruder beffer zu gefallen.“
Des Dritten plöglih auf ſie gerichteter Blick über
zeugte die arme Roſa, daß er erſt jetzt das ihm
gebrachte Opfer bemerke.
„Aber Canondah!“ rief das verlehte Mädchen in
peinliher Berlegenheit; „wie kannſt Du doch fo
graufam fegn?«
—d 44 ⸗—
„Grauſam!“ verſetzte pie Indianexin kopfſchüttelnd.
„Meine Schweſter ſpricht nicht, wie ihr Herz denkt.
War es nicht ſie, auf deren Bitte Canondah den
weißen Fremdling durch das Rohr trug und in den
hohlen Baum legte? War es nicht für ſie, daß ſie ihn
in das Wigwam ihres Vaters brachte und die alte
Winondah beſtach, und,” ſetzte fie leiſer Hinzu, „ſich
dem gorne des Miko ausſette Und nun ſie die
Thüre zum Wigwam —
„Um Gotteswillen halte ein!« rief Roſa.
„Banondah,“ fpradh. die Indianerin ernft, „bat
dem Fremdling ein Wigwam gegeben. Ihr Vater
liebt fie fehr! er Hört ihre. Stimme gerne, wenn ſie
ihm die Thaten feiner Vorfahren ins Ohr Tispelt.
Er wird feine Tochter nicht tadeln, er wird dem Diebe
der Salzfee ven Rücken ehren, und Roſa in die
Hütte ihres meißen Bruders führen. Nicht wahr,
mein Bruder wird die weiße Roſa in fein Wigmam
nehmen?“ fragte fie, fi zum Dritten wendend.
Ein unwillkürlich hoͤhniſch⸗ſpottendes bitteres Läs
cheln verzog ven Mund des Letztern bei dieſer ſon⸗
derbaren Aufforderung; raſch ſuchte er ſich jedoch
zuſammen zu nehmen. Allein es war zu ſpät.
—— 25 >
Der Bli des Naturkindes iſt fcharf und richtig,
und er hatte ven beiden Maͤdchen bereits fein Inner⸗
ſtes aufgeſchloſſen. Eine peinliche Stille herrſchte
während einiger Augenblicke. Die Indianerin, die
in ihren Bemerkungen zu Gunſten ihres Lieblings ſo
unzart weit gegangen, ſchlang beide Arme um das
beſchaͤnte, beinahe vernichtete Mädchen, das, bleich
wie eine Statue, keines Lautes, keiner Bewegung
fähig war.
- Der junge Mann war im ſchweigenden Kampfe
vor den beiden Mädchen da geſtanden. Er hatte einige
Male gefucht Worte zu finden. Endlich brach er auß.
„Canondah! Mofa!" begann er mit ſtockender
Stimme; doch die Indianerin ſchien bloß mit dem
Schmerze ihrer Geliebten befchäftigt. Sie winfte ihm
fih zu entfernen.
„Ich muß Euch verlaffen, liebe Mädchen. — . Sie
Stimme der Pfliht, mein Ein, meine Ehre fordert
ed. Alles ift verloren, wenn ich bier bleibe."
Die Indianerin hielt noch immer Nofen mit beiden
Armen umfihlungen, das Geficht der. Legtern an ihrem
Bujen verborgen. Nun jedoch Iegte fle dieſe fanft auf
das Lager hin, und raſch aufſtehend fprach fte:
— 216 —
„Glauht die weiße Schlange, eine Thörin vor fi
zu fehen, weil Canonbah ihre Hand einem Verräther
ausgeſtreckt Hat? Er mag wifien, daß fie ihn dieſe
nicht auf. feinem Pfade reichen wird.“
„Dann muß ich ihn allein, ohne Wegweifer fuchen; *
verfeßte dieſer raſch.
„Hat die weiße Schlange die Läufe des Hirſches,
die Geſchwindigkeit des Eichhörnchens, die Schwimm-
füße des Alligator, daß fie aus dem Wigwam des
Miko zu entfliehen gedenkt?« rief fie hohnlachend.
„Die weiße Schlange iſt gefangen;“ ſetzte fie trium⸗
phirend hinzu.
„Hat es Canondah ihrer Schweſter nicht immer
geſagt?« fuhr fie zu Roſen gekehrt fort, „daß er ein
Späher iſt, der wie ein Dieb zur Nachtzeit ſich ein⸗
gefchlicden, als der Miko ven Rüden wenden wollte.“
"Noch einmal, Canondah,“ verſetzte ver Jüngling,
„ih bin ein Britte, ein Offizier, vom Seeräuber
überfallen und feiner Morvhöhle entronnen. Mein
Entſchluß fteht feft, ih muß Euch verlafjen.“
Er wollte Rofen bei ner Hand faflen; doch die
Indianerin prallte zurüd, als ob fi ihr ein Ver⸗
—H 17 —
‚pefteter genähert hätte, und heftig auf ven Vorhang
deutend, umſchlang fie das Mädchen wieder. Er
entfernte fih ſchweigend und betroffen.
Behntes Kapitel.
Meine gerührte Seele wünſcht Euch vanken
zu können; und weiß es nicht anders zu thun,
als dur Thränen.
Shalespeare
Es war etwas in vem Benehmen des jungen Man⸗
nes waͤhrend ver letzten Auftritte geweſen, das raſch,
vorſchnell, ja herzlos genannt werden dürfte. Selbſt
beim reinften Pflichtgefühl mochte es immerhin nicht
von nöthen gemefen feyn, die Eigenliebe der edlen
Naturfinder, und dieß waren fie gewiß im fchönften
Sinne des Wortes, fo plöglih, fo tief zu verlehen.
Der in feinem Geſichte auögefprochene und dem Britten
ſo eigenthümliche Zug von ſchneidendem Hohne war
im hohen Grade unedel, ſelbſt wenn wir die ungeſtuͤme
Zudringlichkeit Her Indianerin zu feiner Entſchuldi⸗
gung gelten laſſen wollen. Nichts deſto weniger
bürfte es ſchwer ſeyn, den Süngling leichthin zu
—d 18 e—
verbammen, ober rückfichtsloſer Rohheit zu beſchul⸗
digen. Es Liegt nun einmal im brittiſchen Charakter,
und wir müſſen e8 geflehen, auch in dem unfrigen,
jener abftoßende ſtarre Zug, ver ſich fo gerne ifolirt,
und ſcharf in fi felbft einzmwängt, jener fchroffe,
unbeugfame, ariſtokratiſche Sinn, ver fich felbft, und
nur fich felbft im Auge hat. Wir würden ihn ver-
dammen, dieſen felbfifüctigen Kaufmanns» und
Ariftofraten-Zwitterfinn, der im erften Augenblide
gewiffermaßen aus dem Gefichte des Angefchauten
berausmißt, ob er wohl näherer Berührung wuͤrdig
fey, wenn er nicht eine fo achtbare Grundlage und jo
große Dinge bewirkt.hätte. Es liegt dieſem flarren
Gefühl over vielmehr diefer Gefühllofigkeit eine Ber-
ſtandesreife zum Grunde, die nur dur vielfältig
überflandene Kämpfe und Gefahren, durch lange
Anſchauung, durch vielfältig angeflellte Vergleiche -
zwiſchen Wirklichkeit und Taͤuſchung, durch Fräftig
bewirkted Gelingen und erfämpften Genuß von
pofitiven Rechten und Breiheiten erwuchs; ein Ge⸗
fühl, das zur Selbſtachtung geworden, ein bereit.
höherer, edlerer Nationalſtolz, der ſich nicht thöricht
fElavifcher Weife auf gewonnene Schlachten und ben
219 &—
Ruhm eines fogenannten Kriegähelven, fondern auf
pofltives ſelbſt erworbenes Recht gründet, der bereits
in die Klaſſen des Volkes gedrungen, und ungeachtet
des ariftofratifchsFaftifhen Beigeſchmacks, ver ficherfte
Bürge fortſchreitender Freiheit iſt. Diefer pofltive
Sinn iſt es, dieſes Feſthalten ver Stufe ver gefelle
ſchaftlichen Leiter, fie mag nun hoch oder niebrig
feyn, welcher allein wahre Volksfreiheit möglich macht.
Bir wollen es daher dem Britten, ber troß feiner
Jugend, bereits hinlängliche Selbfiftännigkeit Hatte,
um ein fo lockendes Anerbieten mit Feſtigkeit zurück⸗
zuweiſen, nicht zum fehlimmften auslegen; wenigftens
ſchaͤen wir dey jungen Braufekopf, der unummunden
und felbft barſch feinen Widerwillen gegen ein Verhält-
niß, das feine Vermunft mißbilligte, zu erfennen gab,
immer mehr, ald den einjchmeichelnderen und huma⸗
neren Weichling, der, unfähig zu widerſtehen, fi
dem Sinnentaumel überlafien, und den Knoten auf
eine zärtere, aber für die edlen Naturkinder vielleicht
weniger ehrende Weife zu löſen gefucht hätte.
Der unangenehme Auftritt Hatte übrigens bie Ver⸗
hälfnifie, die ſich feit den letzten Tagen zwifchen ven
Dreien angefponnen hatten, ploͤtzlich wieder zerriffen.
200 —
war fand er noch immer fein Mahl jeven Morgen
hinter der Buffalobaut in feinem Stübchen; aber von
der bereitwilligen Hand, die es hingefeßt, war feine
"Spur mehr zu fehen geweien. Obgleich er biefe
Kälte ſelbſt herbeigeführt, fo Hatte ex Doch nichts
weniger ald Ruhe gewonnen; im Gegentheil, er war
num raſtlos und unftät, feine Hütte, das Dörfchen
ihm zu. enge geworben. Er war in dem Walbe, in
den PBalmettofeldern umbergerannt, aber mit ‚jevem
Schritte, mit jeder Stunde war feine Miene důſterer,
ſeine Unruhe größer geworden. 4
Es war in der letzten Nacht der zweiten Woche,
die er bereits hier verlebt hatte. Seipe teübe Phan⸗
tafle Hatte Ihn aufgejagt von feinem Lager und jn ven
Wald getrieben, wo er umhergeſchweift war, bis die
naßlalte Nachtluft und das genehnte geflende Ges
laͤchter der Eulen ihn wieder zurückjagte. Eben Fam
er auf feine Hütte zugerannt, als eine weiße Geftalt
Hinter der Gcke Deortrat u und haftig auf ihn zufehsitt.
Es war Rofa.
„Mein Bruder!" ſprach fie, und ihre Stimme
zitterte, „Canondah iſt. mif unfern Schweflern ge⸗
— 2 >
gangen, ven Waffernögeln Schlingen zu legen. Roſa
iſt zu ihrem Bruder geeilt.“
„Meine theuerfle Schwefter, dieſer Beſuch;“ er-
wiederte ver Jüngling ſtockend.
„Rofa weiß es von der Hütte des weißen Zwiſchen⸗
haͤndlers, daß fle ihren Bruder zur Nachtzeit nicht
feben follte, aber fie liebt ihn fehr und muß ihm etwas
fagen.“
„Doch, meine iheure Rofa;“ flodte er in immer
ſteigender Verlegenheit.
„Die Nachtluft iſt kalt; Tora fie. „Komm und
laß uns in die Hütte treten, die Winde ind verräthe⸗
riſche Boten unſrer Worte.“ |
Sie ſchlüpfte durch die Buffalohaut, ſchloß dieſe
forgfältig an ven Thürbalken, zog dann ein Gefäß
mit Kohlen aus einem Körbchen und zündete eine
Kienfadel an, die fie zwiſchen die Balken ftedite; dann
trat ſie zur Thüre und wirkte ihm, fi auf feinem
Nuhebette niederzulaſſen.
„Mein Bruder ift feiner Schwefter böfe,* ſprach
fie, „Canondah hat ihm Kummer gemacht.“
"Nein, meine Theure, ih bin Dir nicht böfe.
Der Legitime. 1. 16.
—)
Wäre es möglich, das mir angebotene Glück follte —
er ſtockte. |
Sie ließ ihn nicht ausreden.
„Canondah,“ ſprach fle mit fanfter Stimme, „iſt
gut, fehr gut, fie ift die Mutter ver rothen Töchter,
aber fle hat nicht in den Bufen der weißen Rofa
geſehen, fie hat auch ihren Bruder nicht verſtanden.“
„Sa, wohl nicht;” verſetzte er.
„Sie bat die Wangen Roſas mit Schamröthe
überzogen, meln Bruder! Deine Schweſter!« fuhr
fie mit erhößter, etwaß fefterer Stimme fort, „liebt
Dich ſehr, aber ſie liebt Dich nicht, wie Canondah
es meint, ſie liebt Dich wie einen weißen Bruder.“
Das Auge des jungen Mannes zuckte ein wenig;
er ſah fie geſpannt an.
„Mein Bruder,“ fuhr fie in wehmuthsvollem Tone
fort, „Rofa würde die Hälfte ihrer Tage gerne dahin
geben, wenn fie eine weiße Schweiter, einen weißen
Bruder hätte. Sie wollte gerne feine Magd fein
und feine Jagdtaſche füllen und fein Jagdhemde nähen
und feine Kornfelder befäen, obwohl die Equaws
ihrer zarten Hände fpotten. Mein Bruver! Nofa
⸗28 ⸗
hat keine Schweſter, der ſie ihren Buſen öfften
Fönnte. Roſa muß mit fich felbft reden, ober ven
Vögeln des Himmels ihre. Freude und ihren Schmerz
mittheilen.«
„Und Du bift dann auch, anglucliches Mädchen,
eine Gefangene?“ fragte er mit bebender Stimme.
„Rein mein Bruder,“ erwieverte fie, „Roſa ift
feine Gefangene. Die Squaws Tieben fie. Ca
nonah ift ihr eine Mutter. Aber mein Bruber,*
und fie brach in einen Tihränenftrom aus, „ſie find
zoth und Mofas Farbe ift weiß. Im ihrem Herzen
fpricht e8 anders. als in dem meinigen. Sie verjtehen
die arme Roſa nicht, die verlafien, einfam fleht.*
Der Blick, die Worte, die klopfende Bruft, das
teoftlofe Wefen des Mädchens, das nun fo fichtlich
ihm, dem weißen Bruder, ihren Jammer zu eröffnen
fich gedrungen fühlte, hatten ihm durch die Seele
gebohrt. Er ftarrte fie eine Welle mit befünmerten
Blicken an und fprang dann auf fie zu.
nUnglüdliches, verlafienes Mädchen, Du arme
Rofa in der Wildniß!«
„Mein Bruder,“ ſprach fie mit thränenfchweren
Augen, „ist alfo der armen Roſa nicht böſe?“
16*
m
Ä dVoſe, iheures Mädchen! Wer könnte einem
ſolchen Engel böſe ſeyn? Gebiete, befehle, mein
Leben ſteht Dir zu Dienſten. Komm, fliehe mit mir.“
„Fliehen,“ ſprach ſie, das Köpfchen ſchüttelnd,
„und Canondah verlaſſen, die ihr eine Mutter war?
Es würde ihr das Herz brechen. Nein, Roſa darf
nicht, kann nicht fliehen. Es hat ja der alte Miko
für fle gejagt, fle ifk fein Eigenthum. Aber Tann
‚mein Bruder nicht bleiben? muß er von binnen?” .
„Ih muß, oder ich bin verloren;“ ſprach er mit
dumpfer Stimme.
Sie bliskte mit thränendem Auge zum Simmel, —
„Roſa,« flüfterte fie, „weiß e8 — ja, fle weiß es:“
Sprach fie zu fich felbft. „Und fle ift nun hierher ge⸗
eilt zu ihrem Bruder, es hätte ihr fonft das Herz
zerriſſen. Sie bat es nicht mehr aushalten können.
Sie mußte zu ihm, damit er nicht glaube, daß fie «8
ift, die ihn gefangen hält. Sie hat,” flüfterte fie
leiſe, mgebeten, fle Hat geweint, fie hat fi} auf bie
Kniee vor Canondah geworfen; Canondah will nit. -
O fie ift gut, fehr gut, fie ift der Troft Mofas;
aber fie fürchtet fi vor dem Milo und den Ihrigen.“
Das Maͤdchen ſchauerte ſichtlich zufammen, als fie
diefe Worte ſprach. „Der Miko,“ fuhr fie geheim⸗
nißvoll fort, „hat geſchworen, jeden Yankee zu töbten,
. ber ihm in feinem Wigwam nachſpäht.«“
„Aber ich bin Fein Dankee;" erwieberte der Jüng⸗
ling mit einiger Seftigkeit.
Sie fchüttelte dad Köpfchen. „Roſa würde Dir
gern glauben; aber fie Tennt Dich weniger ald Ca⸗
nondah, und meine Schwefter ift Klug 'und hat nie
eine Lüge gejagt. Roſa muß auch ihr. glauben.”
„Unfeliger Irrthum!“ rief er.
„Nicht alle Dankees find Späher,“ verſetzte fie,
„und Du ſollſt nicht für das Boſe, pad Deine Brüder
dem Miko gethan , büßen. * |
„sch bin aber Fein Yankee,“ verſetzte er unwillig,
„ſo wahrichlebe. Glaube mir doch, theure Schwefter.
„Warum will mein Bruder denn nicht den Miko
erwarten?“ .
„Weil diefer mich gewiß nem Seekuber aufopfern
würde. Doch an meinem Leben liegt wenig; aber
mein Eid gebietet, meine Ehre fordert, daß ich ſo
bald als möglich von Euch ſcheide.“
Das Maͤdchen ſchüttelte ven Kopf. „Mein Bruder,“
fpra fie, „muß ſich ſelbſt und fein Volk kennen.
— >
Wenn er vie arme Rofa täufht — fo hat er ihrem
Wehe vieleicht früher ein Ende gemacht;“ fepte fie
leifer Hinzu. „Lebe wohl!”
Sie verlöſchte die Fackel und verfhwand weiſhen
der Oeffnung.
Das Mädchen war wie ein Traumbild gekommen
und wieder verſchwunden. Die ganze Nacht ſtand
das edle Geſicht vor ſeiner Phantaſte und noch ven
Morgen Eonnte er ed nicht aud den Sinne bringen.
Was Hatte ihr geheimnißvoller Beſuch zu beveuten?
Es war ein ſchwacher Hoffnungsſtrahl; aber was
vermochte fle, die felbft Gefangene war und mit dem
Mißtrauen der Indianer fo gut wie er zu Tämpfen
Hatte? Don dieſem Mißtrauen hatte er während ver
legten vier Tage nur zu deutliche Beweife erhalten.
Die Squaws waren beinahe jevem feiner Schritte
gefolgt, und fle und die jungen Wilden hatten ed an
Ausbrüchen ihres gehäffigen, feinnfeligen Weſens
nicht fehlen laſſen. Bon mehrern Seiten her war ihm
das drohende Wort Dengheefe zugerufen worden. Die
Canoes waren von ihrem Anferplage verſchwunden
und auf feinen Irrfahrten im Walde Hatte ihn die
junge Brut nie aus den Augen gelaffen und ein gels
9 >
lend höhnendes Gelächter erfchallte jedes Mal, fo
wie er unverrichteter Sache aus dem Dickicht heraus⸗
fam, in das er kaum fünfzig Schritte einzubringen
vermocht hatte. Die lebten Worte ver Indianerin
waren ihm nun deutlich geworden. Er hatte wirklich
während ber letzten vier Tage Verſuche gemacht, aus
dem Walde zu entfommen. Nun war ihn die Ge⸗
twißheit, daß er Gefangener ſey.
Eine andere ſchlafloſe Nacht war hereingebrochen.
Er lag auf ſeinem Lager mit Unruhe und ſchweren
Träumen kämpfend, als abermals Roſa in ſein
Stübchen trat, eine Kienfackel in der Hand, in deren
Spalte eine Kohle ſteckte. Sie blies ſie raſch zur
lodernden Flamme und trat dann ſchnell zu ihm.
„Erwache, erwache, mein Bruder!“ rief ſie freudig
und froh, und eine fieberiſche Röthe leuchtete auf
ihren Wangen. „Erwache, Canondah wird fogleich
bier fen.”
„Was iſts, theures Mädchen?” riefer, von feinem
Lager. auffpringenv. |
„Canondah wird es Dir fagen;“ rief fie und die
Thränen vrangen ihr in die Augen.
Ihre Stimme, ihr ganzes Wefen zeugte von einer
18 ⸗
Aufregung, einer Leidenſchaſtlichkeit, bie etwas Wahn—
finnartiges hatte.
„Um Gotteswillen, Roſa, was iſts, das Dich ſo
außer Faffung gebracht hat?“
„Canondah,“ ſprach das Mädchen, „o, mein Bruder
darf nun nicht mehr fürchten, er wird — “
„Höre, mein Bruder!“ ſprach die Indianerin, die
raſch zur Thüre herein getreten war, ihre ſtarren,
lebloſen Augen auf ihn richtend. „Höre;“ ſprach fie
mit zagend ſtockender Stimme und einer Peierlich-
feit, die ihr etwas Schredhaftes gab, „Canondah
will thun für ihren Bruber, was das Auge ihres
Vaters und ihres Volkes trüben wird; denn fie Tiebt
die weiße Nofe fehr und fle kann ihre Thränen nicht
länger mehr anfchauen. Sie will ihrem Bruder den
Pfad zeigen, ver über den Sumpf führt und will ihn
über ven Fluß rudern. WIN mein Bruder bei dem
großen Gelite, den fein und ihr Volk anruft, ver⸗
fpredden, daß er nie feinem Volke, unfern weißen
Beinden, den Dengheefen, verrathen will, wo er
gewefen und was feine Augen gefehen? Wil er
verfprechen, daß er ihnen nicht den Pfad zeigen will,
ber zu den Wigwams der rothen Männer führt?“
9 e—
„Gewiß!“ tief der Britte, wich verfpreche es auf
das heiligfte.«
„Dann nimm dieſe Kleider,» ſprach ſie, ihm einen
indianiſchen Anzug reichend. „Dieſe,“ auf die ſeinigen
deutend, „würden bald von Dornen zerriſſen ſeyn.
Der Fußtritt, den die Mocaſſins einprägen, iſt ſehr
ſanft, und in wenig Sonnen, wenn unſer Volk zu⸗
rückkehrt, werden fie es nicht mehr ſehen. Hier iſt
rothe Farbe, fuhr fie fort, wunfere Männer werben
Dir nachſetzen und vielleicht mag es fle auf eine falfche
Spur leiten. Sey ſchnell.“
Der junge Mann ftand noch immer feiner felbft
unbemußt.
„Ums Himmeldwillen jey ſchnell;« flüfterte ihm
Rofa in der Thüre zu. „Die Waflervögel fangen an .
zu ſchreien, e8 tft hohe Zeit.” |
Beide Mäpchen traten vor die Thüre. Er ſchlüpfte
mechaniſch in das Hirſchfellwamms, warf dad Jagd⸗
hemde über fi und mar eben mit dem Gürtelhembe
befchäftigt, al8 die Indianerin eintrat. Ste halfihm,
band die Mocaffins an feine Füße und ſchlang ven
Wampumguͤrtel um feinen Leib.
„Hier ift eine Wolldecke;« Sprach fie, eine folche
— 0
über ihn werfend. „Gier eine Jagdtaſche mit Pulver
‚und Blei, hier eine andere mit Kuchen und Wilppret,
und dieſes Gewehr wird Waflervögel töbten und mit
biefen,* ihm Stein, Stahl und Schwamm reichend,
„wird mein Bruder euer machen, um die Vögel zu
röſten.“ Sie hing jedes Stück um ihn mit einer
Sorgfalt, die jonderbar mit ihrem beinahe lebloſen
Erftarren abſtach.
„Mein Bruder,“ ſprach Roſa, deren Weſen ſich
nun plötzlich in Würde und feierlichen Ernſt verwan⸗
delt hatte, „lebe wohl, und wenn Du einſt eine
glücklichere Schweſter ſiehſt, dann ſage ihr von Roſen
und ſie wird eine Thräne ihrer Schweſter weinen.“
Der Jüngling ſtand noch immer ſeiner ſelbſt un⸗
bewußt. Plotzlich rannte er zur Thüre und umſchlang
das fhöne Madchen. Sie mand fich aus feinen Armen
und ſank hülflos ohnmächtig auf die Erde nieder.
Die Indianerin fprang Hinzu, hob fie vom Boden
und, fie zum Lager tragend, drückte fie einen Kuß auf
ihre Wangen; dann faßte fie den Süngling bei ver
Hand und eilte mit ihm aus der Hütte.
Sie glitt durch die Laube, ſtahl ſich durch die
Becken und Gebüfche und eilte an den Hütten vorbei,
— 31 ⸗
fo ſchnell, fo Ieife, daß ihm der Athem und das
Sehen verging. Gleich einer dunſtigen Nachtgeftalt
ſchwebte fie vor ihm im dunkeln Sternenglanze und
durch den düftern Nebel ohne Ruhe, ohne Raſt, Bis
fle don dunkeln Wald betreten hatte. Ein tiefer Seuf⸗
zer entfuhr ihrer Bruft. Sie ſprach jedoch kein Wort
und eilte ſchnell ind Innere. Es war finftre Nacht im
tiefen Walde. Kein Laut zu hören, kein Lichtſtrahl
zu fehen. Immer tiefer rannte fie. Nun ertönte ein
lautes Getöfe, wie das entfernte Gemurmel eines
herannahenden drohenden Haufens.
nWir find entdeckt,“ rief ver Süngling, „bie Eu⸗
rigen find und auf der Spur.“
"Rein," fprach die Inpianerin im tiefen Tone, „ed
find die Bullfröſche.“
Das Gebrüll wurde ſchauerlicher und fehauerlicher.
Sie näherte fih dem Sumpfe, der umter ihren Füßen
zu beben ſchien im fürchterlichen Gebrülle dieſer
Thiere, zwifchen welchem dann und mann das dumpfe
Stöhnen eines noch nicht ganz erftarrten Auigators
fich hören ließ.
„Nun halte Dich dicht an mich ſprach die India⸗
nerin, nachdem fie beinahe eine Stunde gerannt waren.
— 2 —
Ihre Schritte wurden nun äußerſt behutfam. Sie
ſtreckte einen Buß vorwärts, zog Ihn wieder zurüd,
trippelte eine Strecke weiter und verfuchte den Grund
auf diefelbe Weije. Wieder kam fle zurück und kauerte
fi dann auf die Erde nieder, von ver fie Haufen
von Grad und Lehm weghob.
„Wir find auf ven Stämmen, die die Unfrigen
über den Sumpf gelegt haben. Halte Dich nun am
Zipfel meines Kleides.“
Er faßte ven Zipfel und Beide fehritten weiter.
„Faſſe mich mehr,” rief die Indianerin, „und habe
Acht, ein falfeher Schritt begräbt 2 für immer
im Schlamme."
Sie waren enbli über dem Sumpfe.
„Wirf Deine Wolldecke über den Kopf,“ ſprach
fie, als fie am jenfeitigen Rande des Sumpfes an=
gekommen waren. „Der Wald auf diefer Seite iſt
vol von Dornen. Tritt in meine Fußſtapfen; der
Schlangen find hier viele und ihr Stachel iſt töbtlid.
Bücke Dein Haupt, oder die Dornen werden Dir
Dein Gehirn aufreißen. *
„Was ift das?“ ſchrie der Jüngling, der fort⸗
—, 233 ı—
ſchreitend plößlich fich feine Wolldecke som Leibe 9
riſſen fühlte.
Seine Fuͤhrerin trat zurück. „Es iſt der große
Dorn; mein Bruder muß fein Haupt neigen und feine
Jagdtaſche über Bruft und Kopf halten, fonft werben
ihn die Dornen durchbohren.“
Sie löste feine Dede vom Dorne und fehritt weiter. .
Sie waren nun am Ufer ded Sabine angelangt.
Ohne einen Augenblick zu verlieren, fprang die In⸗
dianerin auf eine hohle Eiche zu.
„Mein Bruder,“ ſprach fie, „muß mir dee das
Canoe ins Waſſer ſchieben.“
Beide nahmen das leichte Schiffchen und trugen ed
ohne Mühe an's Ufer hinab. Ein Stoß brachte es
auf das Waſſer. Sie nahm nun die Ruder und bat
den Britten, ſtille zu figen.
Der Ruderſchlag flörte Hunderte von Schwänen,
wilden Gänſen, Kranichen und Enten anf, bie der
ungewohnte Lärm in allen Richtungen über ihre Köpfe
hinſchwirren machte. Das Canoe glitt jedoch durch
die Fluthen, leicht wie eine Feder, dem Floßthiere
nicht unähnlich. In wenigen Minuten hatten fie das
—) 238 —
öftliche Ufer erreicht, Als fle an's Land gefliegen,
nahm die Indianerin die Hand des Britten.
„Mein Bruder muß nun feine Ohren ‚öffnen, er
darf Fein Wort feiner Schwefter auf ven Boden fallen
laffen. Sieh, die Wiefen auf diefer Seite des Wafs
ſers find leer und der Bäume find nur wenige. Mein
Bruber muß zuerft dem Ufer dieſes Fluſſes entlang
aufwärts gehen, bis vie Sonne fi neigt und bis die
Nacht vorüber ift, dann mag er fein Antlig der aufs
gehenden Sonne zuwenden und dem Winde, der rauh
und kalt ihm ins Geficht bläst. Weiß mein Bruder,
von welcher Himmelsgegend der Wind heult? Die
Bäume werben e8 ihm fagen; fie find rauf auf der
Seite, mo fle angeblafen werden. Der Sümpfe find
nicht viele. Wenn mein Bruder aber zu einem fommt,
muß er wiffen die zu täufchen, vie vieleicht ihm folgen
“ werden.“
‚Sie hielt inne , als ob fle eine Antwort erwartete.
Der junge Mann Tchlen jedoch in Gedanken verloren.
„Meines Bruders Pfad,“ ſprach fie, „muß ges
Frümmt ſeyn.“
Wieder hielt fle inne und dann ſprach fie mit einer
Stimme, deren fanft melodiſcher Ton das Innerfte
>
durchbebte. „Mein Bruder ift nun frei und fein
Pfad liegt offen-vor ihm. Wenn er indie Wigwams
ſeines Volkes kömmt, dann mag er den weißen Mäd⸗
chen zulispeln, daß die Töchter der rothen Männer nicht
weniger großmüthig ſind, als die der weißen. Möge
mein Bruder nie vergeſſen, was die weiße Roſe und
ein rothes Mädchen gethan haben, um ſeinen Pfad
zu öffnen. Es wird vielleicht den Tomahawk ihres
Vaters in ihrem Gehirne begraben;« flüſterte fie mit
hohler, beinahe geiſterartiger Stimme.
Canondah!“ rief der Jüngling in ſtarrem Ent⸗
ſetzen. „Um Gotteswillen, Canondah! was iſt dieß?
Was meinſt Du damit? Droht meine Flucht Dir mit
Gefahr? Nein, nimmer ſoll es das — ich will zurück.
Ich will den Miko erwarten und den Seeräuber.“
Aber das Mäpchen hatte feine Hand fahren laſſen
und war das Ufer binabgeflohen. Cr rannte ihr
nad, aber fle war bereitö im Canoe, daß leicht und
ſchnell über dem Wafferfpiegel hinflog. Ein dumpfes
Lebewohl tönte noch herüber durch ven Nebelfchleiet, und
dann waren nur noch einzelne Ruderſchläge zu hören.
Er rief fie bei ihrem Namen; ſie gab keine Antwort.
Er beſchwor fie ihn mitzunehmen; aber auch der letzte
—) 26 —
Wellenſchlag war nun verflungen. Nichts als »ie
gellenden Töne der Waffervögel waren noch zu hören.
Wir überlaffen ihn nun feinen Gedanken, um zu j
einem Manne zurüdzufehren, den wir bereits eine
Weile aus den Augen verloren haben, und ber als
ein merfmürbig gefchichtlicher Charakter zu fehr unfer
Intereffe in Anſpruch nimmt, um nicht von allen
Seiten beleuchtet zu werben.
Eilftes Bapitel.
Denke, was Du will; wir bemächtigen uns
alles feines Geräthes, feiner Güter, . feines
Geldes und feiner Ländereien.
Shakespeare.
Jener abenteuerliche Geift, ber bie anglosnormäne
nifhe Nation vor allen übrigen Völkern fo fehr aus⸗
zeichnet und fie feit Jahrhunderten in die entfernte=
ften Zonen getrieben, raftlo8 und nimmer ruhend,
trogig und geſchmeidig, habfüchtig und großmüthig,
die ganze Erde mit ihrem Taufmännifch erobernden
Nee überſpannend; biefer abenteuerlich kühne und
verfhlagene Geift Hat fi in mehr als vollem Maße
—) 237 —
auf die Abkömmlinge diefer Nation vererbt, die die
ausgedehnten Streden zwifchen dem Mifftfippi und
dem atlantifchen Meere bewohnen.
Noch find feine flebzig Jahre feit der Gründung
ihres Sreiftaates verfloffen, und bereit wehen ihre
Flaggen auf allen Meeren, brüflt ver Donner ihrer
Kriegsfchiffe vor allen Mündungen, und der finnvolle
Danke ift in allen Seehäfen, die äußerſten Gränzen
des öftlihen Hochaſiens und des indiſchen Archipels,
des Caps der guten Hoffnung und des eifigen Ruß⸗
lands mit einander verbindend, und trotzig ſeinem Ver⸗
wandten die lange geübte Herrſchaft und Handelſchaft
beſtreitend. Beinahe ſcheint es, als ob die Vorſehung
ihn zugleich auch dazu beſtimmt hätte, den Samen
der Freiheit gleich Zugvögeln über die ganze Erde zu
verbreiten und jo die Habfucht zu veredeln, die feinem
waghaljigen Spiele zum Grunde Tiegt.
Es iſt Teicht zu erachten, daß ein fo raftlofer Unter⸗
nehmungsgeift,. der unter taufend Schwierigkeiten
und Gefahren fih den Weg zu ven barbariſchften
und wieder civtlifirteflen Nationen zu bahnen gewußt,
und der eigentlich, feit ver Auswanderung Sir Wal-
ter3 und feiner Genoffen, und der frommen, doch
Der Legitime. 1 ’ 17
—) 138 ⸗
nicht weniger abenteuerlichen Väter von Plymouth,
in Bruder Sonathan nie zur Ruhe gefommen war —
eine fo herrliche Gelegenheit, al8 ihm die Erwerbung
von Louiſtana fo ganz in der Nähe darbot, nicht un-
benügt laſſen werde. Und wirklich war die Umwälzung,
bie diefer Erwerb im Innern der. Staaten zur Bolge
hatte, von einer zweiten Revolution wenig oder nichts
verſchieden, und die Züge der taufend Abenteurer,
die zu Fuß und zu Pferd, zu Wagen und in Fahr:
zeugen aller Art, aufallen Pfaden und Strömen dem
neuen Canaan zueilten, kamen mit ver Auswanderung
der Iöraeliten au darin überein, daß beide ihren
zeitlihen Vortheil hinter höhern Tendenzen geſchickt
zu verbergen wußten.
&3 waren nun bereits mehr als zehn Jahre ver⸗
floffen, feitvem dieſer ungeheure Landesſtrich mit ven
Staaten vereinigt worden war. Diefer Zeitraum
ungeflörten und vollen Beflges, follte man gebacht
haben, würde allmählig ven Wanderungen ein Ziel
gefeßt, und die genauere Kenntniß des Landes jene
fanguinifchen Erwartungen enttäufcht haben, denen
fich Tauſende überlaffen Hatten, ihre liegende Habe
—d 339 —
aufgebend und mit ihrer fahrenden dem neuen Lande
zueilend. -
Allein fo tief ift das unruhige MWanderleben .in
unfer ganzed Weſen verwoben, daß die taufend ge⸗
fheiterten Verſuche nur dazu dienten, es deſto mehr
anzufachen. Der nach der Bereinigung plötzlich, gleich
einem reißenden Strome dem Miſſiſippi zugeeilte
Schwarm von Müßiggängern und mittellofen Aben-
teurern war nun zwar verfioben; aber vie Nach⸗
zügler hörten deßhalb nicht auf, nur mit dem Unter⸗
ſchiede, daß fie, durch Erfahrung gewißigt, das in
der Tiefe bed Bodens fuchten, was Jene auf der Ober⸗
fläche zu finden glaubten, und, weniger fanguinifch,
fi mit ver nörhlichen Hälfte des Staates begnügten,
während Iene den Sünen gemählt und da großentheils
ben Fiebertod gefunden. Es war ein Eräftiger Schlag,
ber num nadhgefolgt am, um das in Beflg zu nehmen,
was, nach ihrer Meinung, mit ihrem. Gelde gekauft
worden war. Hunderte, ja Taufende wanderten
jährlich aus dem fernen Often in Tangen Zügen von
Männern, Weibern, Kindern und Sklaven, um fi -
einen Träftigern Boden und eine offenere Handels⸗
frage zu fuchen; die Waͤlder ertönten von den Schlä⸗
47°?
— 30 —
gen der Aexte und der Donnerflimme des Hinter-
wälplers, und Städtchen und Pflanzungen entfproßten
dem üppigen Boden, fo fehnell und fo zahlreich, als
wenn fle wie die Pilze über Nacht aus demſelben
geſchoſſen wären. In die wildeſten und entfernteften
Gegenden, die noch nie einmenjchlicher Fußtritt, den des
indianifchen Jägers ausgenommen, betreten, und Hun⸗
derte von Meilen von jever Wohnung entfernt, waren
fle gedrungen, ihre Familien und. Habe auf bedeckten
Booten nachfchleppend, die fie mit unfäglicder Mühe
die Ströme hinaufzogen, melche fich auf der meftlichen
Seite in den Miffifippi ergießen. So war bereits zu
diefer Zeit der Grund zu vielen gegenwärtig bedeu⸗
tenden Städten Louifianad gelegt, umd wenn man
den Scharfblid bewundert, mit denen diefe großen⸗
theils ſchlichten Landbewohner die Lagen ihrer Stäpte
gewählt Hatten, fo Tann man dem wahrhaft unges
heuern Unternehmungägeift und der Standhaftigkeit,
die ſich Jahre lang in eine Wildniß verbannen konnte,
um fi durch eigene Kraft eine beſſere Criſtenz zu
gründen, nicht zu viele Gerechtigkeit winerfahten
laſſen. | |
Diefe gelegenheitlichen Bemerkungen bürften nicht
211 '
überflüfftg-feyn, um die Scene zu erklären, die wir
nun unfern 2efern mitzutheilen gedenken.
Wir Haben den Miko mit feinen Kriegern und
Männern am Ufer des Natchez in dem Augenblide
verlaſſen, wo fie in ihre Canoes eingeftiegen waren.
In dieſen waren fie eine geraume Strede ven Fluß
aufwärtd gefahren” Da wo der Natchez, fich gegen
Weſten wenden, beinahe einen Winkel bildet, hatten
fle ihre Fahrzeuge verlaffen und, nachdem fle nochmals
eine ernfte Berathſchlagung gehalten, fi in drei
Haufen abgetheilt und in verfchiedenen Nichtungen
getrennt. Die Beratbfchlagung war durch eine ernſt⸗
lie Einfhärfung des Misko an feine Jungen Männer
befchloffen worden, die darauf hinausging, fie ftrenge
vor jeder Jagdgebietsverletzung zu warnen. Diefe
Warnung war um fo weniger überflüffig, als ver
wilde Sinn der Jüngeren häufig eine Art Ehre darin
fand, jene fingirten Gränzlinien zu überfehreiten,
welche die verſchiedenen Stämme fl zu ihren Jagd⸗
revieren feftgefegt Hatten, und die fo jene immer-
währenden Kriege veranlaßten, die beinahe ftet#
wegen folder Jagpgebietöverlegungen ausgebrochen
waren. Im gegenwärtigen Balle war Borfiht um
fo nöthiger, als das Völkchen, erft vor wenigen.
Jahren angekommen, auf eigenes Jagdrevier weder
durch innere Stärfe noch verjährten Beſitz Anſpruch
machen Eonnte, und auf fever Seite an mächtige
Nachbarn ſtieß. Die buffaloreichen Hochebenen von
Texas, Sonora und Santa Fe waren namlich von
ben Cumanchees feit undenklichen Zeiten angefpro-
hen; in dem zwifchen ven Ozarkgebirgen *) und ben
Arkanfas gelegenen großen Landſtrich theilten fich die
Dfagen und die Pawneeſe des Toyaskflammes ; die
jenfeitö de8 Sabine gelegenen Hochebenen waren von
den ſchwächern Stämmen ver Sabiner und Coshat⸗
taes befefien, die zwar keinen fräftigen Einſpruch
wagen burften, bie aber, eben weil fle hülflos ganz
von der Jagd abhingen, gefhont werden mußten.
So blieb unfern Indianern bloß der lange und ſich
allmählig ermweiternde Gürtel zwifchen dem Sabine
und Natchez, und dem Ouachitta und Redriver übrig,
und ein ſchmälerer, ver von dem letztern Fluſſe ind
Innere Louifianas führt: ein Landſtrich, der, obwohl
er ganz füglih die Bevölkerung eines der Eleinern
*) Sie erheben fich ziwifchen dem Miffifipt und nen Felſen⸗
bergen oder Rockymountains.
—1 33 —
europäifchen Königreiche hätte faffen Tönnen , ven Ins
dianern felbft jehr befhränft vorfommen mochte.
Der Häuptling hatte mit beiläufig zwanzig der be=
mwährteften Krieger den ſchmalen Strich, der fi
zwifchen dem Arkanfas und Rebriver herabzieht, ge⸗
wählt. Bereits waren zwei Wochen ſeit der Tren⸗
nung verſtrichen, waͤhrend welcher er auf ſeinem
Zuge die Wälder und Ebenen durchzogen, die ſich
oberhalb dem Natchitoches gegen ven Ießtermähnten
Fluß herabſenken. Er faß nun fo eben im Kreife der
Seinigen am Abhange eines Felſens, nahe bei einer
Salzquelle, an der er den Morgen auf dem Anftand
gelauert und allem Anfchein nach eine treffliche Beute
erjagt Hatte. Fünf alte Krieger Tagen neben ihm vor
einem euer, über dem ein Keffel hing, ver ihr Mahl
enthielt. lim ein zweite waren Pfähle in die Erbe
getrieben, über denen Querhölzer ſich Freuzten, auf
denen Hirſchkeulen und Vorderſchenkel zum Trocknen
hingen. Fünf bis ſechs jüngere Wilde waren mit dem
Ausweiden der Thiere beſchäftigt, denen ſie die Haut
abzogen, die Vorderſchenkel und Keulen abſchnitten,
und nach einander an die Hölzer hingen. Zahlloſe
Raubvoͤgel, vom Geruche angezogen, ſchoſſen jeden
24
Augenblid aus der Höhe herab, fo wie einer ber
übrigen Theile von ifnen auf die Seite geworfen
wurde.
Das gewöhnliche tiefe Stillſchweigen war auch
bier bemerklich: nur zuweilen waren einige kurze Säge
zuhören. Der Miko, in tiefes Nachdenken verfunfen,
ſchien an diefer Unterhaltung, die zeitweilig zwifchen
feinen Männern ftatt fand, Teinen Antheil zu nehmen
over höchſtens den eines unintereffirten Zuhörers.
Dieſe Unterhaltung beſtand in abgeriſſenen Ausru⸗
fungen oder kurzen Sentenzen, die eben ſo ſchnell
ausgeſtoßen, als wegen Mangels an Ideenverbindung
wieder abgebrochen wurden.
„Wineachi,“ ſprach der dem Miko zunächſt liegende
Wilde, „iſt ſchon lange auf dem Späherpfade.“
„Sein Auge iſt das der Nachteule geworden;«
erwiederte der Nächſtliegende nach einer Weile.
„Die Elennte haben ſich nad den obern Salz⸗
quellen gezogen;“ ſprach ein Dritter.
Wieder eine lange Baufe.
„Mi⸗li⸗mach muß an ver untern Quelle die Hirfche
getroffen haben;# fprach ein Vierter.
„Hugh, Danfee!* ertönte es von den Lippen ber
— 45 >
Jüngern, die fo eben eines der getödteten Thiere ans
faßten, um ed auszuweiden. Sämmtliche Indianer
wandien fi gegen die zwei Wilden, deren Augen
durch die Geweihe eines Hirſches dringen zu wollen
ſchienen. |
Der alte Mann erwachte plötzlich; er richtete feinen
kühn durchdringenden Blick auf die jungen Männer,
die, ſo wie fie das bemerkten, ihm das Thier zu⸗
fhleppten und es vor ihn hinlegten. Sorgfältig un«
terfuchte er den Kopf des Thiered. Es war allem
Anfchein nach Feine Spur einer Verlegung vorhanden;
aber dicht am Stocke des einen Geweihes war eine
leichte Reibung zu ſehen, die von einer Kugel herrühren
konnte. „Die Dengheefe,“ ſprach er, „haben bier
gejagt; ſie ſind keine halbe Sonne von dem Orte, wo
die Deänner der Oconees ruhen.“
Ein zweites „Hugh!“ ertönte von Aller Munde.
n Meine Jungen Dinner müffen warten, bis Dis
li⸗mach kömmt,“ ſprach er, auf das Thier deutend,
und legte ſich wieder, ohne ein Wort weiter zu ſagen,
in ſeine vorige Stellung. Auf einmal ballte er ſeine
Fauſt, und feinen Daumen vor die Lippen haltend,
ſtieß er.einen Tangen. durchdringenden Pfiff aus.
— >
Wieder erfolgte eine Tange Baufe, |
Das iſt die Knyel eines Mankee; nahm der erſte
Wilde wieder das Wort.
„Das Auge war gut, aber das Feuetgewehr war—
kurz; ſprach der Zweite. |
Eine geraume Zeit war wieder verfloffen, ohne daß
eine Bemerkung weiter gehört wörben war. Durch
das Gebüſch Fam trottend ein Wilder auf die Gruppe
zu und Tagerte ſich, ohne ein Wort zu ſprechen, neben
ſeinen Gefährten.
„Haben die Männer der Oconees an ber untern
Salzquelle Hirſche gefunden?“ fragte nach einiger
Zeit der Miko. |
„Ste haben; « war die Antwort.
„Gut; v erwiederte der Miko.
„Will mein Sohn,« ſprach er nach einer Pauſe,
auf den getödteten Hirſch deutend, „dem Miko ſagen,
wo der Yankee ihn gefehlt.“ =
Der Indianer fprang auf, Fauerte fih vor dem
Thiere nieder, und betrachtete aufmerkſam das leicht
verletzte Geweih.
„Es iſt nicht zwei Somen, baß die Kugel ge⸗
—9 47 9
ſchoſſen,“ ſprach der Milo, „die Läufe find nicht
gefhmwollen, und ver Schweiß tft noch im Rüden. «
„Vieleicht die Kugeln der Krieger mit den langen
Meſſern;“ ſprach der ihm zunächſt Liegende.
„Kennt mein Bruder das Blei der Yankees fo
wenig?“ ſprach der Häuptling; „es iſt die kleine
Kugel eines Yankee, der in vie Wälder gezogen.
Mi⸗li⸗mach wird feine Spur finden.”
Der Indianer hieb nun mit feinem Meſſer die Ge⸗
lenfe des Thieres ab, und einen Vorder⸗ und Hinter⸗
lauf in feine, Taſche ſteckend, fragte er: „Welcher
unfrer Brüder hat feinen Pfeil verloren?“
Einer ver Jüngern fprang herbei, und die Beiden
trabten nun tiefer in den Wald.
Zwei Stunden mochten auf dieſe Weiſe verlaufen
ſeyn. Die Wilden hielten ſo eben ihr Mahl, als ein
durchdringendes Pfeifen gehört wurde. Sie horchten
hoch auf. Nicht lange, fo wurde dieſes Pfeifen wieder⸗
Holt, Doc in einer won der vorigen ganz verſchiedenen
Tonleiter.
„Es iſt Mi⸗li⸗mach,“ ſprach der Miko; „er hat
die Spur vieler Weißen.“
—) 18 ⸗—
Ein drittes Mal wurde dieſes Pfeifen gehört, und
wieder mar der Ton verſchieden.
„Es find die Dengheefe mit Aexten, die mit ihren
Sauaws und Kindern in die Wälder gefommen; die
Männer der Oconees werden auch biefe meiden müſ⸗
fen;” ſprach er bitter, und dann feine Sand zum
Munde führend, ſtieß erein. langes, durchdringendes
Pfeifen aus.
Nach wenigen Minuten wurden von mehreren Seiten
ber dieſe pfeifenden Töne vernommen, und bald dar⸗
auf Eanien die übrigen Wilden raſch auf das Feuer
zugefprungen. Unter biefen der abgefandte Späher.
„Sat mein Bruder die Spur gefunden?" fragte
der Mifo.
„Es find Yengheeſe, die gefommen, um dad Jagd»
gebiet ver Oconees für ſich zu nehmen. # j
Ein bitteres Lächeln verzog den Mund des alten
Mannes. nIhre Hand,“ fpra er, „reiht vom
großen Fluſſe bis zur großen Salzſee, und von der ein⸗
geſchloſſenen Salzſee, die das Land der Mexicos be⸗
ſpült, bis zum Lande, das eiſig iſt und dem Vater
der Canadas gehorcht, aber ſie haben nimmer genug.“
Und ſomit erhob er ſich.
wm
Ale waren aufgeflanden, und einen Halbkreis um
ihn bildend, erfolgte eine kurze Berathung. Als
diefe vorüber war, winfte ter alte Dann dem zurück⸗
gekehrten Späher, und Beide gingen denſelben Weg,
den dieſer ſo eben gekommen war.
Die Beiden waren mehrere Stunden durch den
Wald fortgeſchritten, als ſie auf einer Anhöhe an⸗
kamen, von ber fle eine ausgedehnte Ausſicht über
eine zu ihren Füßen liegende weite Niederung hatten,
durch die ein breiter. Strom fih Hinwälzte. Beinahe
am Ende derfelben fliegen die Rauchwolken auf, und
bie Lüfte brachten bie fharf Inallenden Schläge von
Herten herüber. Der alte Mann Hatte eine geraume
Weile: in finfterem Dahinſtarren geſtanden; endlich
fpritt er die Anhöhe hinab. ALS er näher Tam,
ſchlugen menfhlide Stimmen an fein Ohr, die
Schläge der Aexte wurben dumpfer und voller; end=
Lich erblickte ex die Lichtung ſelbſt. Der unglückliche
Geizhals, der den heimlichen Verftec feines mühfam
zufammengefharrten Schaged bei feinem Erwachen
plöglih aufgewühlt erblickt, Tann kaum fo heftig
vor dem feine Exiſtenz vernihtenben Anblicke zurück⸗
prallen, als der Miko bei dem Anblicke dieſer Lichtung.
— 0 >
Sie dehnte ſich etwa über drei Adler aus. Das Erfte,
was feinem Auge aufftel, waren vier Hütten, roh
aus Geftripp und Aeften aufgeführt, in denen mehrere
Kinder lagen. Nicht weit von diefen weineten Pferde.
Ginige vom Raude geihwärzte Weiber fanden und
faßen um zwei Feuer, über welchen Stangenpyramiben
aufgerihtet waren, von denen Keſſel Bingen; andere
-faßen auf ihren Schaufelflühlen, ihre Säuglinge. am
Arme-ganz gemächlich wiegend ; wieder andere waren
bei ven Keffeln beihäftigt. Eine Schaar Buben trieb
fih dur das rauchende Feld, dürre Zweige. und
Geftrippe ſammelnd, das fie unter Klöge und Stämme
ſchichteten und dann anzündeten. Die ganze Lichtung
war eine Rauchwolke, durch die der Indianer hin-
gefchritten, und bereits mitten unter die Amerikaner
gekommen, ohne daß er gejehen worden wäre. Eben
jedoch, wie er fi einem Hauſe zuwandte, beffen
Balkengerüfte bereits aufgezimmert und unter Dach
war, bemerkten ihn die Weiber. Sie flarrten ihn
einige Augenblide, mie e8 ſchien, ängſtlich an, und
riefen dann: „Ihre Männer, kommt doch ber! —
Kommt geſchwinde!“ riefen fie immer ängftlicher.
Was gibts?“ fragte ein gewaltig breitfehultriger
—) 31 ⸗—
Mann, der aus dem Haufe heraus unter den Dach⸗
vorfprung getreten war. „Ah! eine Rothhaut! Hat
die Eu in Schreden geſetzt? Wohl, fie wird nicht
die erfte und nicht die letzte ſeyn.“ Und mit dieſen
Worten näherte fich der Hinterwälbler den Weibern
und dem Indianer. Diefe, durch die Gegenwart des
Mannes etwas beruhigt, kamen mın an den Letztern
heran und. begafften ihn mit einer Neugierde von
Menfchen, denen, in ihrer tiefen Abgeſchiedenheit,
alles erwünſcht kommt, was irgend eine Unterhaltung
zu gewähren verfpriht. Das wirklich audgezeichnete
Aeußere des Indianers jedoch, feine koloſſale, obgleich
verborrte Geftalt und das Ernft gebietende Wefen,
das im feiner Haltung Tag, verbunden mit ber ge⸗
wählteren Kleidung, fhienen vie vprige Aengftlichkeit
zu verbreiten, Sie entfernten fi ſchnell nah vers
fhiedenen Seiten., Auch der Mann hatte unfern
Häuptling ſcharf ind Auge gefaßt, ohne jedoch die
mindeſte Furcht blicken zu laſſen.
„Du biſt keiner der Oſagen, Rothhaut;“ fragte
er endlich Dieſen. | |
Der Häuptling, der feinerfeitö die verſchiedenen
Arbeiten, over, wie e8 ihm erjcheinen mochte, den
—
— 33 —
Gräuel der Verwüſtung aufmerkfam betrachtete, gab
feine Antwort.
„Auch nicht von den Pamneed?' gu fahr der Mann
fort.
Noch immer Feine Antwort.
„Höre! wenn Du in unfere vier Pfähle kommſt,
Roihhaut, fo mußt Du wenigſtens fo höflich feyn,
Antwort zu geben, wenn man Dich fragt;“ ſprach
> per Hinterwäldler.
„Und Wer hat die Dengheefe gerufen?” ſorach der
Indianer.
„NYengheeſe! — Nimmſt Du ung für Yankees? —
Holla, Joe und John!“
„Haͤt die Weishaut,“ fragte nun der Indianer,
feinerjeitö den Ausdruck gebrauchend, der verfpottend
feyn follte, „vom großen Vater Erlaubniß erhalten,
fich hier fein Wigwam aufzurichten?«
Der Hinterwäloler fah ihn mit großen Augen an.
„Ob wir Erlaubniß erhalten, uns hier nieverzulaffen??
Fürwahr für einen Wilden eine Euriofe Frage. Das
muß wahr feyn,* fprach des Dann, „und zu einem
freien Bürger — nein, das ift zu rund! Hört doch
einmal, Männer,“ fuhr er fort, zu Joe und John
— 353 6 |
gewandt, die nun 'heibeigefchritten kamen, „biefe
Rothhaut da fragt alles Ernftes, ob wir auch vom
großen Vater Erlaubniß erhalten haben, hierher zu
kommen?“ Alle drei fehlugen ein lautes Gelächter
auf. „Das ift unfer Land, baar- bezahlt mit unfern
Dollars und dem Boni abgefauft. Verſtehſt Du's?“
Der Indianer hatte, während fein Auge forfihend
von einem Gegenſtande zum andern wanderte, keines
der Worte verloren. Ohne einen der Sinterwälbler
eined Blicke zu würdigen, fehritt er nun dem Haufe
zu. Ein paar Blöde, vie vor dem Dachvorſprunge
lagen, dienten zu Stufen. Er trat über Bis unter
den Dachvorfprung:
„Die Rothhaut ift verflucht keck;« ſprach der Grfe
der Männer. |
„Er fheint ein Häuptling zu ſeyn,“ meinte ein
Zweiter, „und zwar ein großer.”
„Häuptling hin, Häuptling her, groß. ober klein.
Der gibt ihm das Necht, bier in unferm Lande ung
auszufragen? Rothhaut,“ fuhr et fort, „Du möchteſt
gern einen Schnapps. Wenn Du nicht ſo unver⸗
ſchaͤmt wäreft, fo hätte ich ihn Dir bereit angeboten;
Der Legitime. J. 18
—
nun aber mußt Du ihn beaablen,. L Du u haben
willſt.“
Der Hinterwãldler ſtieg / die zwei Vloͤde hinan zur
Oeffnung, die zur künfligen Thüre beſtimmt, bis jetzt
aber noch mit einer Wolldecke verhängt war, und
verſchwand dahinter. ”
Die Männer und Weiber hatten si in eine Gruppe
zufammengezogen und lebhaft mit einander geſprochen;
“ dann entfernten fie fi in verſchiedenen Richtungen.
Nur einige Buben waren zurüdgeblieben, die neu⸗
gierig den Indianer begafften. |
Die Stämme des Haufe waren mit einer Anzahl
von Sherifföwerkäufen, öffentlichen Verſteigerungen
und Anzeigen beflebt, bie beinahe vie ganze Breite
des Haufes einnahmen. ine dieſer Anzeigen: war.
mit großen Leitern und in großem Formate gedruckt.
Des Häuptlings Blick fiel auf diefes Blatt und ſchien
lange daran zu haften. Seine Pfeife aus der Taſche
ziebend, riß er das Papier mit noch einem andern
vom Stamme und löste den Rand ab, um dieſe an⸗
zuzünden.
Der Hinterwälbler war zurückgekommen, ein @las
Whisky in feiner Hand.
2358 —
„Wohl denn, Rothhaut!« ſprach er barſch. „Wäreft
Du ein wenig höflicher geweſen, fo hätteſt Du es
umſonſt; fo mußt Du aber bezahlen.“
Der Indianer zog aus feiner Taſche ein Berpäd
und warf ed dem Hinterwäloler zu.
„Ei, das ift der Stoff;” verſetzte Diefer. „Das tft
aber mehr. Willſt Du für ven ganzen Dollar?“
- Der Indianer fhüttelte den Kopf und ſchnitt den
Singer zur Hälfte.
„Wohl;“ fprach der Hinterwälbler.
Unterdeſſen waren die Joes und Johns mit noch
drei Hinterwaͤldlern wieder gefommen. Ganz unbe⸗
fangen traten fie die Stufen hinan und betrachteten
den Indianer aufmerffam.
„Verdammt! dieſes Gewehr ift beinahe zu modiſch
für eine Rothhaut; es ift nicht aus einer amerikani⸗
fen Fabrik;“ rief Einer, indem er vem alten Manne
den Doppelftußer halb mit Gewalt aus der Hand
wand. u
Die fünf Hinterwäldler betrachteten das Stück
aufmerkſam, und ihre Miene nahm allmählig ven
Ausdruck von Miptrauen an.
Dr Wirth war mit „wei gefülten Vouteillen,
18°
— 350 —
einer Art und einem Tragamboß zurüdgefommen;
die Bouteillen dem Indianer überreichend, nahm er
den Dollar und hieb ihn auf dem Amboß in zwei ’
Stüde, von denen er eines dem Indianer gab und
das andere in die Tafche ftedte.
„Ich bürg euch dafür ‚a ſprach Joe, „diefer Doppel⸗
lauf dürfte die Soldaten im Fort drüben ſtutzen
machen. Ei, und mit Gold eingelegt. Schau doch
einmal her, Bill; den Stutzer dem Wirthe reichend.
Dieſer hatte ihn ſeinerſeits mit Kopfſchütteln bes
trachtet. „Wohl, wohl;« ſprach er endlich mit hä⸗
miſchem Lächeln. „Rothhaut, juſt recht, daß Du
gekommen biſt. Schau einmal her, der Name auf
dem Gewehre iſt um keinen Buchſtaben länger noch
kürzer, als der auf die Proklamation.« Gr wandie
fich zu den auf dem Stamme, wie bemerkt, ange⸗
klebten Papieren. „Wo ift fie aber? fie iſt verſchwun⸗
den. Wo ift fie Hingefommen, die Proffamation?*
„Die Rothhaut hat fie eingeſteckt!« rief ein Buße,
der vor dem Haufe ſtand.
—»Verdammt! da habt Ihr's;“ rief ver Wirth.
„Wohl, Rotbhaut, Dein Stuger muß hier bleiben
und Du au, und Einer von uns muß hinüber auf
®
— 87
das Fort und dem Capitain melden, welchen Vogel
wir gefangen. «
Der Wirth Hatte kaum dieſe Worte geſprochen,
als ſämmtliche Hinterwãldler ſich verloren. Der In⸗
dianer hatte ſein Glas ausgetrunken und ſtellte dieſes
nun dem Wirthe zurück und, mit der Hand nach ſeinem
Stutzer langend, wollte er dieſen wieder in ſeinen
Gewahrſam nehmen.
„Nichts dergleichen,“ ſprach der e Birth; ; „diefer
Sutzer bleibt hier und Du auch.“
Kaum waren diefe Worte geſprochen, ald der In⸗
dianer einen gellenden Pfiff that. Die Hinterwaͤldler
waren wiedergefommen, Jeder mit einem langen
Stutzer im Arme.
„Du fiehft,« ſprach der Wirth, „ed Sitte fein
Widerſtand; und das Beſte tft, Du ergibft Dich gut⸗
willig.”
Er erhielt ein jo fürchterlich gellendes Geheul aus
dem Walde zur Antwort, daß die Weiber und Kinder
ſchaudernd an einander krochen.
„Was ſoll dad bedeuten?“ fragte der Sinter-
"wäholer.
nDengheefe!” ertönte es aus zehn Kehlen und zu
@ Ä
1 |
gleicher Zeit ſtürzten die Oconees gleich Tigern duch
den dichten Rauch und fprangen in gewaltigen Sägen
dem Kaufe zu. Die Hinterwälbler hoben, nichts
weniger ald entmuthigt, ihre Gewehre; doch während
fie fo auf ven Häuptling und die Indianer anſchlugen,
hatte ein zweiter Haufe von Wilden fi um dad Haus
herumgewunden und fich zwiſchen die Männer und
Weiber gedrängt, welche Letztere ſo ganz in ihrer Ge⸗
walt waren.
Der Häuptling war, ohne ſich zu regen, wie ehern
da geſtanden; nun fiel ſein ſtolzer Blick auf den Hin⸗
terwäldler und zugleich ſtreckte er ſeine Hand ein
zweites Mal nach ſeinem Stutzer aus. Noch immer
zögerte Dieſer; ſein trotziger Blick fiel fragend auf
ſeine gewaltigen Gefährten, die feſt daſtanden, ihre
Gewehre fchußfertig haltend; dann ſchweifte fein Auge
auf die düſtre Schaar der Wilden, vie, Hunden gleich,
nur das Zeichen zum Angriff:zu erwarten fehienen.
Die fehreienden und Hände ringenden Weiber und
Kinder jedoch entſchieden.
„Gib ihm fein Gewehr zurüd, Mann; rief die
Eine.
— 39 —
„Um Gotteswillen, denkt an Eure Weiber und
Kinder!a eine Zweite.
„Laß den Mann gehen!« eine Dritte.
„Rothhaut!“ fprach ver Wirth, „ſchau zu, Hier ff
unterdeſſen Dein Gewehr; aber wir werben Dich zu
finden wiffen. “
Als ver alte Mann fi wieder im Beflge feiner
Waffe fand, winkte er flolz ven Sinterwälbern, und
durch fie über die Blöcke auf feften Grund ſchreitend,
trat er in die Mitte feiner Getreuen. Diefe trabten
ſchnell um ihn herum und, einen Kreis bildend, fpran-
gen fle mit einem zweiten Geheul dem "Walde 'zu.
Die verblüfften Hinterwälnler mit ihren zitternden
Meibern und Kindern flarrten ihnen mit offenen
Mäulern nad. |
\
Es gibt Seelen, die, gleich gewiflen Schalthieren,
das, was fie einmal in fih aufgenommen ‚' nte wieder
von fich geben, bis ver Tod es ihnen entreißt; Seelen,
die Miefenleivenfhaften in fi aufgenommen haben,
die fie, fo wie ver Schwärmer feine Göttin, fo als
Idol in ihren Herzen herumtragen; in der tiefften
— u
Gruichrigung und auf ber hödfken Stufe des An⸗
fehens, im bobenlojen Abgrunde des Sammer und
der glänzenden Höhe ver Gewalt, tragen fie biefe
Leidenſchaft mit fi) umher, und fie erflarıt gleichſam
mit ihren mürbe werbenden Knochen und wird alt
und zähe mit ihren verborrenden Sehnen und lebt
und flirbt mit ihnen. Sie erfcheint ihnen bei Tag
und bei Naht und jpornt fie ſchlafend und wachend,
fie Hat fi gleichſam in die Fibern ihres Innern ein-
gefponuen und ift alt und jehnig mit ihnen geworben.
Einfolder Charakter war Tokeah, undeine ſolche Rie-
fenleivenfhaft fein Haß gegen die Weißen. Er wor der
Ichte Sproffe, der legte der Mikos oder Könige der
Oconees, des Hauptflammed der Nation der Creeks.
Seine Vorfahren waren Bebherrfcher der weiten Strek⸗
fen gewefen, die fih vom Oconeefluſſe gegen ven
Cooſa herabziehen. Don dem weiten Gebiete feiner
Abnen war nur wenig auf ihn gefommen, von ihrer
Sreiheitsliebe, ihrem Stolze alles. Bon feiner frühes
ften Jugend hatte er die Weißen als die Räuber feines
Erbtheiles, als die Unterprüder feiner Nation bitter
gehaßt ; jeber neue Eingriff in die Rechte feines Vol⸗
kes hatte dieſen Haß tiefer gewurzelt, fo daß er
— 9.41 6
zulegt gewiflermaßen fein Seyn ausmachte. Es hatte
diefer Haß einen feltfamen Eharafter aus dem Manne
gebilbet. Die tiefften Demüthigungen, der ſchnei⸗
benbfte Hohn dieſer Weißen war eben fo frurlos an
feinem Geſichte abgeprallt, wie ihre zuvorkommendſte
Güte, ihre edelmüthigſten Aufopferungen ihm kaum
ein Lächeln abzwangen. Gleich gefühllos gegen beide,
war er ſich ihnen gegenüber ſtets gleich geblichen.
Kalt, ruhig, ehern dem Anfchein nach, brütete fein
ſtarker Geift in fcheinbar inbolenter Nube dad Ver⸗
erben feiner Feinde. Ä
Bon frühefter Jugend mar er. im fteten ariete mit
ihnen begriffen geweſen. Zahlloſe Schlachtopfer waren
von feinem Tomahamk niedergeſchmettert worden. Als
er ſah, daß ſeine wilde Kraft und ſeine barbariſchen
Tücken nur wenig gegen ihre überlegenen Kenntniffe
vermochten, jo benüßte er die Schulanftalten, die ver
menfchenfreunvlihde Oberfi Hamkins unter feinen
Landsleuten eingeführt hatte und Ternte, bereits zum
Manne gereift, noch lefen und fehreiben, um fo, wie er
ſich äußerte, „einen Haven Pfad zu den abwefenden und
tobten Nathgebern feiner Beinde — ihren Büchern —
zu haben; und ald auch viefe Anftrengung, fo uns
—, 82 —
geheure Selbflüberwindung ihm auch das Ausharren
gefoftet, ihn in nichtö weiter gebracht hatte, machte
‘er einen lebten Verſuch, ſich mit dem kühnen und ge⸗
waltigen Te⸗cum⸗ſeh zur gemeinſamen Feindesver⸗
tilgung zu verbinden. Auch dieſer ſcheiterte; ſeine
Plane wurden entdeckt und vereitelt durch vie üher-
legene Macht und Geſchicklichkeit ſeiner Feinde, die
ihn ſelbſt ſeinem eigenen Volke verdächtig zu machen
gewußt hatten, und Tokeah, ohne den Schlag abzu⸗
warten, der ihn vernichtet haben můßte, verließ mit
etwa ſechzig ihm treu gebliebenen Oconees und ihren
Familien das Land ſeiner Väter, um einen Zufluchts⸗
ort in den Wäldern jenſeits des Miſſiſippi zu ſuchen.
Auch dahin begleitete ihn ſein unbezwingbarer Haß
‚und fein Durſt nad Rache. Er hatte zuerſt bei ven
Pawneeſe des Toyaskſtammes am obern Redriver an⸗
gerufen. Als Dieſe ihm kein Gehör gaben und ſeine
weitausſehenden Pläne verfpotteten, wandte er ſich
an die Ofagen, wo er gleiches Schidfal fand. . An
feiner eigenen Nation verzweifelnd, war er den Sabine
herabgewandert, und da er dieſen Fluß von den In⸗
dianern gleichen Namens beſetzt fand, ſo ging er noch
tiefer. Das ſchwache Völkchen der Coshataes wies
20
ihn auf die Landſtrecke zwiſchen dem Natchez und
Sabine Hin, und da mar es, wo er wirklich Ruhe
fand und wo ihn beiläufig fünf Jahre nachher ver
Seeräuber traf.
Diefer, den fein Verſteck, unfern von den Mün⸗
dungen des Mifftfippi, auf der Infel: Barataria,
nichts weniger als fiher gefchtenen haben mochte, war
wahrſcheinlich in die Wucht des Sabinerfeed und Die
Mündung des Natches mit dem ähnlichen Vorſatze
gedrungen, auf ven Fall eined Angriffd einen zuver⸗
läffigern Schlupfwinfel zu fuchen. So war er bis
zu dem Wigwam des Indianers gekommen. Der
erſte Gedanke, ald er und feine ruchloſen Gefellen
das blühende Dörfchen fahen, war det von Plünde-
rung und Befrievigung ihrer thierifchen Küfte gewefen;
bald hatten ihm jedoch das einfach Edle des Dörf-
hend und die fichtlihen Spuren von Cultur andere
Gefinnungen eingeflößt. Im Vertrauen, ‚daß die
Bewohner Feine eigentlichen Wilden mehr feyn könn⸗
ten, war er dem Walde zugefihritten und hatte ſeine
Hand zur Freundſchaft dargeboten.
Der Indianer hatte das Bild ſeiner Feinde zu
lebhaft vor Augen, um nicht beim erſten Anblicke
—d 268 —
zu erfeben, daß der Fremdling Feiner. der gehaßten
Yankees fey. Er nahm daher willig die ausgeſtreckte
Rechte. Dem Seeräuber war es ſeinerſeits nicht
ſchwer geworden, die ſchwache Seite des Indianers
herauszufinden, und die raſche Erklärung, daß auch
er ein geſchworner Feind der Yankees ſey, beſiegelte
dad neue Freundſchaftsband. |
Obgleich jedoch der Miko die angebotene Allianz
ded Piraten mit ter Gier eines rachedürſtenden
Gemůuthes erfaßte, innerlich triumphirend, daß ihm
das Schickſal einen neuen Bruder zugeführt, der ihm
helfen würde, die Unbilden, die er von den Weißen
erlitten, zu rächen: wenn ſo die Feindſchaft des See⸗
räubers gegen die Weißen Dieſem Anſprüche auf des
Indianers Vertrauen und Freundſchaft gab, ſo waren
doch andrerſeits mehrere Punkte, die ihn wieder
zweifelhaft machten.
Der Indianer hatte auch nicht die entfernteſte Idee
von dem eigentlichen Charakter des Seeraͤubers, oder
den Berhältnifien, in denen er zur Übrigen Welt
fand. Er mähnte ihn das Oberhaupt eines Volks⸗
flammes, wie er jelbft war, ber aus Kriegern, Wei⸗
bern und Kindern beſtand. Von dem deſperaten Leben
—d 35 >
feines Alltirten Hatte er ſelbſt nicht einmal einen Bes
griff. ES. waren ihm zwar, im Verlaufe der zwei
Jahre und bei näherer Bekanntſchaft, gewiffe Um⸗
fände verdächtig vorgefommen; die verſchiedenen
Hautfarben feiner neuen Mlllirten, die aus allen Nas
tionen der Welt zufammengefegt waren, ihr rohes
Weſen und beſonders ihr viehiſches Verlangen nach
den Indianerirmen, das häufig mit blutigen Meſſer⸗
ftihen abgewiefen worden war, hatten ihn allmählig
mehr und mehr von ihnen entfernt, immer jedoch
war er noch über die Hauptfadhe im Dunkeln.
Schroff und: unzugänglih, wie er jevem Gefühle
mar, dem ber Rache und des Haſſes gegen feine
Beinde audgenommen, ſo lebte und webte er doch
dem Wohle und für den Rahm felnes Volkes; für
jeden Einzelnen dieſes Volkes, das er als die Blüthe
der Creeks anfah, würbeer gernfein Leben aufgeopfert
haben. Er war wirklich der zärtlihfte, forgfältigfle
Bater ver Ihm übrig gebliebenen Getreuen, und Diefe
felbft hingen. mit jener blinden Liebe an ihm, die nur
durch Tange Beweiſe von Aufopferung, Güte und
Milde erzeugt wird. Achtung für feine Hohe Geburt,
Gewohnheit, ihm zu gehorchen, mit Ehrfurcht ger
— 6
paart, die fein Weſen Wilden nothwendig einflößen
mußte, waren die Bande, die die Seinigen an ihn
feſſelten; durch raſtloſes Wachen und Schaffen für
ihr Beſtes hatte er feinerfeitö vergolten. Der bloße
Gedanke mit Dieben, Räubern, Moͤrdern in nähere
Berbindung zu treten, fein Bolt in Eine große Familie
mit ſolchen Menſchen zu vereinen, würde ihn empört,
der ftolge Miko jede folche Zumuthung mit der tiefften
Beratung von fi gewieſen haben.
So fanden vie Verhältniſſe zwiſchen dem Indianer
und dem Seeräuber, als ein Umſtand vorfiel, ver,
während ex dem finfenden Miko einen Träftigern'
Stützpunkt verhieß und ihn wieder auf wie Höhe, auf
der feine Vorfahren fanden, zu heben verſprach,
ihm noch mehr die Nothwenvigfeit größerer Vorſicht
in Bezug auf feinen Alliirten einleuchten machte.
Auf dem vorlegten Jagdzuge, den er, geraume
Zeit nach feiner Bekanntfchaft mit dem Seeräuber,
gegen ven Norden zu unternommen, hatte ihn auch
feine Tochter mit mehreren ihrer Gefpielinnen bes
gleitet. Das raſche Maͤdchen hatte fi mit ben Kries
gern zu weit vorgewagt, und war tief in das Jagd⸗
gebiet ver Pawneed des Toyaskſtammes eingehrungen.
—H 37 —
Da wurden fle entdeckt, von einer überlegenen Anzahl
dieſer Wilden angefallen und nad einigem Wider⸗
flande in die Flucht gelagt. Canondah jedoch war
gefangen genommen worden, wurde in dad Wigwam
der Wilden gebracht und verurtheilt, ven Feuertod zu
ſterben.
Bereits waren die Kienfackeln angezandet, ihre
Kleider ihr vom Leibe geriſſen, die blutigen Hände
der Wilden faßten fie bereits an, um file auf den
Scheiterhaufen zu werfen, als plöglich der erfte Häupt⸗
Iing diefes Volkes auf einem Roſſe herbeigeflogen
Fam, ſich durch die heulende Menge hindurchdrängte,
das Opfer vom Scheiterhaufen riß, fie in feine Arme
hob, auf’3 Pferd warf, auf das er felbft nachſprang
und mit ihr durch die flaunende Menge dem Walde
zuflog. Da war ein zweites Roß in Bereitfchaft ge⸗
halten. Diefed mußte das Mädchen befleigen und.
ihrem Netter zum Natchez berabfolgen.
Keiner der Pawnees hatte es gewagt, Einſprache
zu thun oder dem Häuptling nachzuſetzen; feine Ihat
war als eine Art von Infpiration des großen Geiftes,
angejehen worven. Er felbft, der unlängft von dem
großen mächtigen Stamme der Cumanchees zurück⸗
20 0 —
gefehrt, war als ein Wehen höherer Gattung be»
trachtet. Er übergab die ſchöne Canondah unverlegt
‚ Indie Hände des tiefbefümmerten Vaters, der den
Befreier feiner Tochter mit Entzüden umarmte.
Canondah war noch die einzige Freude des allen
irpifchen ‚Sreuben abgeftorbenen Milo. Mit Wonne
ſah er num die wedhfelfeitige Neigung zwifchen feiner
Tochter und dem mächtigen Häuptlinge det Cuman⸗
chees auffeimen. Er hoffte durch fie fein Völkchen
mit den großen Cumanchees zu vereinen. Diefed auf
eine eines Miko würdige Art zu thun und zugleich
ven Eumanchees den Häuptling ver Salafee mit feinen
Kriegern zuzuführen, wütde fein höchſter Triumph
geweſen feyn. Aber ob auch feine Allüürten einer
folgen Ehre würdig waren, wurde ihm allmählig
mehr und mehr zweifelhaft. Schon lange hatte er auf
alle mögliche Weije getrachret, das in ihm aufge⸗
fliegene Mißtrauen durch Thatſachen zu begründen
oder zu entfräften und den eigentlichen Charafter
ſeines Freundes näher Eennen zu lernen. Diefe Gele⸗
genheit war ihm nun zu Theil geworben.
Der große Anfchlagzettel, den er von ven Stämmen
des Hauſes in der neuen Niederlaffung geriffen, ent=
— 9
hielt bie Brokfamation des Gouverneurs von Loui⸗
flana, in welchen die Verbrechen und Gräuelthaten
bes Seeräuber3 von Barataria umftändlich aufgezählt
waren und ein Preid von fünfhundert Dollars auf
feinen Kopf gefegt war.
Die Indianer hatten Taum. ihr voriges Bager an
der Salzquelle wieder Betreten, als der Miko das
Bapier aus feiner Tafche nahm und eifrig den Inhalt
deſſelben zu entziffern begann. Dann erfolgte eine
kurze ernfte Berathichlagung,, worauf das Wildpret
und die Häute auf ven Rücken gepadt und ver Weg
gegen ven Natchez zu eingefchlagen wurde. Nachdem
fie diefen und ihre Böte erreicht, trennten ſich zwei
Läufer von der Schaar, und nahmen eine nordweſt⸗
liche Richtung; die Uebrigen Eehrten in das Wigwam
am untern Natchez zurüd, dem wir und gleichfalls
nad). diefer kurzen Excurfion wieder zumenden.
Der Legitime. J. 19
o ⸗—
BZwölftes Mapitel.
Wie nun, was iſt's? Hab ich, hat fie Szuht
Verſucher und Verſuchte, wer fehlt mehr?
Shafespeare.
Der Morgen nad ver Entweichung des Britten
fand die beiden Mädchen in einer troob bangen
Stimmung. “
Beinahe ſchien es jedoch, als ob fie ihre Rollen
gegen einander vertauſcht hätten. Roſa, die ſanfte,
milde und kindliche Roſa, ſie, die wie eine ſchwankende
Nanfe fi bisher an die ſtärkere Canondah gelehnt
hatte, war nun die Stütze dieſer Letztern — fie, die
vorher furchtſam kaum ihren zitternden Blick aufzu⸗
ſchlagen gewagt hatte, war ſtaͤrker, muthiger, auf ſich
ſelbſt vertrauender geworden. In ihren Zügen lag
etwas Feſtes, Erhabenes ; eine gewiſſe Würde leuchtete
aus ihrem eveln, verklärten Antlige hervor. Sie ſchien
einem furchtbaren Verhaͤngniſſe muthig entgegen fehen
zu wollen. Sie hatte ihre Arme um die Inptanerin
geſchlungen, ihr vie füßeften, ſchmelzendſten Worte
zugelispelt. Sie war ſelbſt hinausgerannt zu den
—9 710
Wilden und Squams, fie zu bitten, zu Canondah zu
gehen; fie Hatte gefehen und mit Feſtigkeit ertragen,
wie ihr Diefe den Rüden gewendet, mit Abſcheu vor
ihr ausgeſpieen und drohend ihr. „falfche Dengheeje«
zugerufen. Und ſie hatte nicht ihren Muth verloren.
Es fhim; als ob «eine übernatürlicde Feſtigkeit fie
befeelte. Nur zuweilen, wenn ihr verflärter Blick
auf die leidende Canondah fiel, dann hob fi ihr
Bufen convulfiviſch, dann zudten ihre Glieder, ihre
Augen fühlten. ſich mit Ihränen, und fie warf ſich
ſchluchzend über ihre Freundin und, ihre Kniee um⸗
faſſend, bat ſie, beſchwor ſie dieſelbe, ihr zu vergeben.
Das erſtarrte Auge der Indianerin blickte fie an,
fie ſah fie aber nicht, ihre wirren Sinne ſchienen um⸗
herzuſchweifen in der Irre. Sie regte ſich nicht, fie
bewegte ſich nicht. Sie faß und ſtarrte wie eine fehöne
Bronzeftatue. Aber bei dem geringften Geraͤuſch,
das von draußen gehört wurde, ſchrack fie zufammen;
jeder Fußtritt der Squaws, ver an ihr Ohr fhlug,
machte fie am ganzen Körper erzittern, und bie Stim⸗
men ſchienen ihr, wie das wilde Fleber, durch Mark
und Bein zu bohren. Alle. Kraft ſchien von ver edlen,
ſonſt fo feften Tochter des Milo gewichen zu ſeyn.
19°
1 m
. &o war ber Tag und eine zweite Nacht vergangen.
Sie mar die ganze Zeit hindurch nicht aus ihrem
Stübchen getwichen. Auch von den Squaws war keine
gekommen, ſie zu ſehen.
Endlich gegen Morgen ließen ſich Männerſtimmen
vom Ufer her vernehmen. Es war der Miko mit
ſeiner Abtheilung von Kriegern und Jägern. Seine
Tochter ſtand auf, ihre Kniee ſchlotterten und ſchlugen
zufammen. Sie hielt ſich am Fenſter; der Häuptling
ſprach mit den Kriegern, denen die Squaws grinſend
ins Ohr wisperten, indem ſie mit ihren knoͤchernen
Armen auf die Hütte deuteten, mo ber Britte ge—
wohnt hatte. Endlich nahte fi der Miko und trat
in die Hütte ein; ihm folgten feine Männer. Seine
Tochter war hinter dem Teppiche hervorgetreten, ihn
zu begrüßen. Ihr Bufen hob fich zuckend; ihre Hände:
auf der. Bruft faltend, erwartete fie ſchweigend die
Befehle des Vaters.
. »Die Männer der Oconees,“ begann er nach einer
Pauſe, während welder fein ſcharf blitzendes Auge
die Tochter durchbohren zu wollen fchien, „haben
ihrem Miko gefagt, daß ver Bote des Häuptlings
der Salzfee in das Wigwam der Oconees der Muss
—d 373 0»
‚eogeed gekommen if. Warum flieht ihn mein Auge
nit?“
Das zitternte item gab Feine Antwort; thr
Blick war auf den Boden geheftet. |
„Hat Canondah fo fehr das Blut ihres Vaters
vergefien, daß fie einen weißen Mann, einen Danfee
in fein Wigwam geführt, ihm den Pfad gezeigt hat,
der von den Dörfern der Weißen zu ihm führt? Der
Miko vachte, er habe eine Tochter, « ſprach ver alte
Mann mit dem fchneidendften Hohne, aber Canondah
iſt nicht die Tochter de Miko der Dconeed. — Geh!“
ſprach er mit unausſprechlichem Abſcheu, wein elen«
ber Seminole hat ihre Mutter betrogen, und fo Leben
einer Betrügerin gegeben.“
Das Mäpchen ſank bei diefer ſchrecklichen Beſchul⸗
digung ihrer Mutter zuſammen, als ob ſie vom Blitze
niedergefehmettert morbe wäre. ‚Sie wand ſich, fie
krümmte ſich wie cin Wurm, fie kroch hin zu des
Vaters Füßen, um fein. Kleid zu berühren; er ſtieß
fie mit unendlichem Abſcheu von fid. .
„Geh!“ fprach er. „Sie hat gejungen in pie Ohren
des Mifo, und ven großen Gelft angerufen, feinen
Jagdpfad rein.zu halten, ‚während fie ven Beind
—,
feines Geſchlechtes in ihrem Buße, in der voͤhle
pflegte. |
Auch keine Sylbe von Entſchuldigung war’ dem
armen, fi am Boden krümmenden Mänchen entfahren.
Die Squaws hatten, wie ſich erachten läßt, neugierig
die verſchiedenen Fußtritte unterfucht, und leicht Die am
erften Abende eingeprägten von den am fpätern Morgen
binterlafienen unterſchieden. Selbft die Liebe zu Ca⸗
nondah Hatte fie von diefer, dem indianiſchen Mip-
trauen ganz eigenthlimlichen Neugierde nicht abhalten
Tonnen. Wahrſcheinlich würden fie jedoch das Ganze
verfchwiegen haben, wenn nicht die. Flucht des Britten
ed ihnen beinahe zum Geſetze gemacht hätte, das
Stillſchweigen zu brechen. "
„Und deßhalb,“ fuhr ver Häuptling fort, der eine
Art Vergnügen darin zu finden fehlen, die Weife
recht bitter aufzuregen, in ver Ihn bie zwei Mädchen
überliftet Hatten, und fo feine Wuth zum höchften
Grade zu ſtacheln, — deßhalb konnte die meiße Roſe
nicht den Nachtgeſang fingen, weil der weiße Späher
ihrer im Walde wartete? Der Miko hat eine Schlange
in ſeinem Buſen genährt, er hat ſeine Biberfelle weg⸗
—d 275 6
geworfen, und die ‚weiße Roſe Hat einen Spion in
fein Wigwam gebracht, ber ihn an feine Feinde ver⸗
ratben wird. In wenigen Sonnen wird er mit den
Seinigen wie die wilden. Panther von ihren Feinden
gejagt werben.”
Ein tückiſchbos haftes dumpfes Geheul ertönte im
Kreiſe ver Wilden. Zwei der Grimmigſten ſchlichen
fih dem Vorhange zu. |
Canondah war beſinnungslos, ſprachlos am Boden
gelegen; aber kaum hatten die Wilden einen Schritt
gethan, als fie wie eine Schlange am Fußboden fi
hinwand, und vor dem Vorhang fi aufrichtend und
ihre Hände -faltenn audrief: „Ich bin es, Canondah
ift eö, die dem weißen Dann ven Pfad gezeigt, die
ihn über ven Sumpf geführt; die weiße Roſe Eennt
ihn nicht. #
Nun that ſich der Vorhang auf, und Roſa erſchien;
die Indianerin richtete ſich auf, und fie ſchützend in
ihre Arme ſchließend, blieben beine Maͤdchen geſenkten
Hauptes vor dem erzürnten Mifo ftehen.
Das Auge des Miko war der fehnellen Bewegung
feiner Tochter gefolgt; er fehlen erflaunt über vie
Berwegenbeit, bie zwifchen tim und dem Opfer feiner
—) 16 —
Wuth einzufchreiten wagte. Als er Nofen anfah,
zudte ein grimmiges Grinſen durch feine erſtarrten
Züge. Seine Hand fuhr nad dem Schlachtmeſſer;
er trat einen Schritt näher und erhob daſſelbe.
„Sch bin es;« rief Canondah entſitzt.
„Nein, ich bin e8, die den weißen Jüngling ins
Wigwam gebracht ;« rief Nofa mit bebenter Stimme.
Der Miko war erftarrt dageſtanden. Allmählig
jedoch hatte der edle Mettftreit um den Tod auf feine
wilde Natur feine Wirkung nit verfehlt. Seine
Züge milverten ſich. „Geh!“ ſprach er endlich mit
den Tone des bitterften Sohnes, „glaubt Canondah,
daß der Mik⸗ ein Narr ift, und daß fein Auge nicht
fieht, wer den weißen Späher ins Wigwam geführt.
Es war der Fuß Canondahs, der den Weg bahnte;
aber e8 mar die betrügerifche Zunge der weißen Roſe,
die fie Dazu vermochte. «
„Wil mein Vater,” fo bat das Mädchen, indem
fle in der demüthigſten Stellung ihre Hände auf ihrem
Bujen kreuzte, „will mein DBater die Zunge feiner
Tochter Idjen?« ..
Eine lange Paufe erfolgte, Wuth und Vater⸗
-
an
gefühl kämpften ſichtbar in dem tief bewegten alten
Manne. Letzteres trug jedoch den Sieg davon.
„Canondah mag reden.“
‚ „Mein Vater! der weiße Jüngling hat geſchworen
auf ſeine Ehre, daß er kein Späher iſt; er hat auch
betheuert, daß er Feiner ver Dengheefe iſt. Ex iſt
von der Infel, wo fie ven thörichten Häuptling haben,
dem das Land gehört, von dem Du gefagt haft, daß
es Falt und eifig iſt. Sein Volk ift auf dem Kriegs⸗
pfade gegen unfere Feinde, die Dengheefe. Er iſt noch
nicht viele Sonnen über die große Salzfee mit den
Eeinigen gefommen, fie wollen den Bater der Flüſſe
Hinaufgehen und die Wigwams unferer Feinde vers
brennen. Der Häuptling der Salzfee, fügte er, iſt
ein Dieb, der ihn, wie er Auftern und Schilofröten
geſucht, mit feinen Brüdern aufgefangen und in fin
Wigwam geführt hat. Er ift aus dieſem geflohen,
und bat acht Sonnen Hunger gelitten. Sein Bolt
wird den Häuptling der Salzſee bei vem Halſe an den
Daum aufhängen. Sieh, Vater, Deine Tochter hat
ihn aus dem Rachen der großen Waſſerſchlange befreit,
und er war ſchon beinahe ganz todt. Die Squaws
werden es Dir ſagen, Winondah hat ihn erſt ins
—d 378 &—
Leben zurüdgerufen. Er wollte fi mit feinen Brüs
dern vereinigen, um Deine Feinde zu züchtigen. Er
ift fein Späher, feine Hände find zart, und er war
ſchwach.“
„Sat Canondah noch mehr Lügen für ihren Vater
bereit?« ſprach Diefer, doch in einem mildern Tone.
„Ihre Zunge ift fehr geläufig geworden. #
Das Mädchen ſchlug verſchämt ihre Augen wieder
zur Erde. Ihre Worte hatten jedoch augenscheinlich
einen tiefen Eindruck auf ihren Bater gemacht. Was er
in ver Broffamation gelefen, flimmte vollfommen mit
der Ausfage feiner Tochterüberein. Er fann gedanken⸗
voll nad. Er war Wilder von Geburt, Gewohnheit
und Erziehung; aber er war nicht blutgierig, nicht grau⸗
fam. &8 war übel verſtandene Selbfthülfe, die ihn auf⸗
geregt hatte gegen feine Feinde. Unter andern Ver⸗
hältniffen, in einer civilifirten Sphäre, würde er ein
Held, ein Wohlthäter von Taufenden, von Millionen
geworden feyn; aber in feinem wilden Zuftande, ge=
ftahelt, verhöhnt, vergällt, wie er fich fühlte, er=
ſtorben, wie ſein edleres Selbſt ſeyn mußte, und
zerfallen mit ſich durch wirkliche oder eingebildete
Unbilden — war es ein Wunder, wenn er das Todes⸗
—) 79 ⸗—
mefler gegen feine eigene Tochter aufgehoben hatte;
er, ber in die Hütte mit ver feften Ueberzeugung ge⸗
treten war, daß der junge Mann ein Emiffär, ein
Spion feiner Feinde 'gewefen? Abgeſchieden von aller
Außenwelt, eine Beute feines angebornen Mißtraueng,
von den trüben Bildern verfolgender Feinde bei Tag
und Nacht gequält, Hatte er, der von den Seinigen
bochverehrte, beinahe angebetete Miko, auch wahr⸗
ſcheinlich feine Wichtigkeit, in derer bei ven Weißen
zu ſtehen gedachte, weit höher angefchlagen, als fie
e8 wirklich war.
Die Tochter, obwohl von verſchiedenen Empfin=
dungen beftürmt, kannte ihren Vater zu wohl, um
nicht die plögliche Veränderung zu gewahren, vie in
ihm vorgegangen war. Roſen umfchlingendg ſprach
fie: „Steh, Vater, der weiße Jüngling hat Roſen
geſchworen, daß er Feiner der Dengheefe ift. Er ift
. ein Engländer. Er ift von den großen Ganoed feines
Volkes. Er war beinahe todt, als ihn Deine Tochter
aufnahm. Würde wohl ein Epäher fo in das Wig-
wam des großen Mifo kommen?“
aCanondah hat genug geſprochen;⸗ bedeutete ihr
der Milo.
280 ⸗
Das Mädchen ſchrack furchtſam zurück.
Erſt jetzt fiel dem Häuptling fein zweites Papier
ein. Er zog es aus ders Taſche, las es aufmerkſam,
und beſprach ſich mit den Seinigen. Das Blatt ent⸗
hielt einen Aufruf an die Bürger Louiſtianas, zur
Vertheidigung ihres Landes zu eilen.
„Sprit die Zunge meiner Tochter Feine Zügen?“
bob er wieder an, ihr mit der Hand winfend, ‚zum
Zeichen, daß ihr geftattet war, zu reden. „Warum
ift der Mann, wenn er vom englifchen Volke ift, ven
Wigwams feiner und unferer Feinde zugegangen?“
„Canondah hat ihm fo gefagt,* ſprach das Mäp-
hen, „aber er.hat erwiedert, daß die Seinigen, bereits
vor dem großen Wigwam wären, wo er ſie mit ihren
großens Canoes finden würde.“
„Wann verließ er das Wigwam der Oconees 20
fragte der Vater. |
„Lange nachdem bie Sonne hinter den Rücken des
Natchez fih verborgen, und nachdem die Waſſer⸗
vögel bereits zu fihreien angefangen., Mein Vater
wird fiine Fußſtapfen finden, und daß feine Tochter
wahr gefprochen;; denn ſie hat noch nie gelogen. *
„But,“ erwieberte der alte Mann, ihr wieber ein
— 31 6-
Beiden gebend, daß die Erlaubniß, die ihre ‘Zunge
gelößt, zurückgenommen ſey.
Die Krieger ſchloſſen nun nochmals um den Häupt⸗
ling einen Kreis, und eine kurze ernſte Berathung
erfolgte, nach welcher er ſchweigend auf ſeine Jagd⸗
taſchen deutete. Canondah füllte dieſe ſchnell und
ſorgfältig, und der Häuptling verließ ſogleich mit
dem größten Theile feiner Krieger das Wigwam.
Das Staunen des verlorenen römifchen Sklaven,
der, verdammt durch dem Löwen zerriffen zu werben,
bereit8 da8 grimmige Thier mit einem gewaltigen
Satze durch das elferne Thor auf ſich zufpringen und
die töbtfihe Tape, die feinem elenden Dafeyn ein
Ende machen foll, erheben, yplößlich aber,. flatt ven
Todedftreich zu führen, die gräuliche Kate zur Erde
Tauern, ihre Tagen freundlich ausſtrecken, feine Füße
leden, und ale Symptome von Unterwürfigfeit und
Freude äußern flieht, — das Staunen dieſes Elenden
fonnte Faum größer feyn, als das der beiden Mädchen
üßer die fo unbegreifliche Milde des Mifo. Canondah
hatte nichts geringeres als plötzlichen Tod wegen einer
That erwartet, die, ſie fah es voraus, ald Verrath
angeſehen werben würde. Da fle mit den Vorfällen
20 e—
unbekannt war, die eine fo plötzliche Sinnesãnderung
in Bezug auf den Häuptling der Salzſee hervorge⸗
bracht hatten, ſo ſtand ſie keinen Augenblick an, dieſe
Milde einem übernatürlichen Einfluſſe zuzuſchreiben.
Die Gefühle Roſas waren nicht minder die der gren⸗
zenloſeſten Dankbarkeit für die überſtandene Gefahr
einer Schweſter, die, für fie und einen weißen Bruder
ihr Leben aufopfernd, plötzlich wie durch ein Wunder
dem Todesſtreich entgangen war. Sie war ihrer
Freundin mit einem fprachlofen, zum Simmel ges
richteten Blicke in Die Arme gefallen, und die beiden
armen Maͤdchen hielten fih umſchlungen, als ob
nichts auf der Erbe fie wieder trennen follte. Gines
beunruhigte fie .allein: der Milo war mit feinen
Kriegern dem jungen Britten nachgefeht. Es war
unmöglich, daß er ihm entwifchen konnte. Wird der
Mifo au den armen Jüngling [honen? Ihn nicht
als Gefangenen zurüdbringen, und vor ihren Augen
den Tod des Tomahawks flerben laſſen?
Es dauerte geraume Beit, ehe fie ihren Gefühlen
Worte gab; zuletzt entfuhr ihr ein Seufzer: „Armer
Bruder!“
Die Indianerin hatte ihre Arme um fie geſchlungen,
—d) 3 9
und fie heftig an fih gepreßt umwunden gehalten,
gleichſam als Hätte fie nun. ein doppeltes Recht auf
fle, die fie vom beinahe unvermeidlichen Tode gerettet,
Kaum hatte jedoch Nofa die Worte über ihre Zunge
gebracht, als fie, einen unwilligen Blick auf fie wers
fend, fie plöglih fahren ließ. „Die weiße Nofe tft
nicht gütig; « ſprach fie mit Bitterkeit. „Ihr Gerz
ift fo ganz und gar von-ihrem weißen Bruder ein-
genommen, daß fie feinen Plab mehr für ihre Schwe⸗
fer Hat. Canondah fürchtet nicht den Tod, fie bat
von ihrem Bater zu fterben gelernt, fie war gebunden
an den Pfahl, die Fackeln waren angezündet, ihr
Auge aber war heiter wie das blaue Gezelt des
Himmels. Nein,“ ſprach fie, und ihr Blick wurde
feuriger, und ihre Miene flolger, „die Tochter des
großen Dconee würbeden Maͤdchen er Pawnees gezeigt
haben, wie fie fterben und ihrer Feinde lachen müjlen.
Aber — ſetzte fle Hinzu und ihr ganzes Wefen nahm
den Ausprud von Abſcheu an — „Canondah wollte
nicht wie ein verrätherifhemSund fterben, nicht daß
ihr Name ein Fluch in dem Munde ihrer Schweftern
als einer Berrätherin, die ven Späher ins Wigwam
geführt und zu feiner Flucht den Pfad gewieſen, mit
—) >
Abſcheu auegeſtoßen würde. Nein,* ſprach fle, „Ca⸗
nondah fiel in die Schlinge der Pawnees, fie warfen
fie auf ihre Pferve, und das Fleiſch aller ihrer Glieder
war mund, und die Buffalofehnen, die fie auf ven
Mücken des Roſſes ſchnürten, ſchnitten tief ein; aber
fie Tieß auch nicht den Teifeften Seufzer hören. Ihre
Seele war bei ihrem Vater, und bei ihren Vätern,
die von ihren Wiefen herabſahen und über den Muth
ijhrer Tochter frohfodten. Zwei Tage war Canondah
in der dunfeln Höhle ver Pawneeſe gelegen, und als
das Licht der Sonne endlich in ihr Geſicht ſchien,
zeigte es ihr auch den Holzſtoß, der aufgehäuft war,
ihren Leib zu Aſche zu verbrennen. Ja, ſie haben
Canondah zum Pfahle geführt, fie haben ihr die
Kleiver vom Leibe geriffen, die Squaws haben ihr
ind Geficht gefpieen. Viele Meffer und Tomahamfs |
ſchwebten über Ihrem Haupte; — aber Du horcheſt
ja nit, Roſa?« ſprach fie, fanft das Maͤdchen
rüttelnd.
„O ja, ich höre ja all; ” verfehte Diefe.
„Und als fo,“ fuhr die Indianerin fort, „alleihre
Kleider von ihr geriffen-waren, und die Squaws fie
ergriffen, um fie auf ven Scheiterhaufen zu werfen,
— 85 —
da flürzte ver große Häuptling von feinem Rofſe und -
drang durch die Krieger. und die Menge, und hob
Canondah an feine Seite. „Sieh,“ ſprach fie, „Ca⸗
nondah iſt fehr ſtark, fie Eonnte die Qualen der Mäd⸗
ben und Squaws erbulben, fie fah dem Tode ind
Geſicht; aber fie war zu ſchwach für bie Güte des
Häuptlings, fie fan in feine Arme, und ihre Sinne
waren von ihr gewichen, und fie wußte nicht was mit
ihr gefehehen war, bis die Sonne hinter ven Bergen
war und Deine Schwefter fich noch immer an ber
Seite ihres Befreiers ſah.“
„Die weiße NRoſe hat den großen Häuptling aſſchen
und Canondah würde nicht gern jetzt ſterben. Sie
hat nicht wohl gethan, den jungen Mann den Blicken
ihres Vaters zu entziehen; aber fle hat die Thränen
der weißen Hofe gefehen, und ver große Geift Hat
fein Geſicht vor ihr nicht in Wolken verhält. Ja,“
ſprach fie, „es ift der große Geift, ver ven Arm des
Miko zurůͤckgehalten, als fein Fuß feine Tochter hin⸗
wegſtieß wie einen Hund, und ſeine Hand das Meſſer
aus der Scheide riß, um es im Buſen ſeiner Tochter
und der weißen Roſe zu begraben. Canondah hat
böfe gethan, aber fie will es nicht wieder thun.“
Der Segitime, 1. 20
28 E
„Und unſer armer Bruder?“ fragte Roſa.
„Der Miko iſt ein großer und weiſer Häuptling.
Sein Auge wird die Spur des weißen Jünglings
fehen, und tief in feine Seele blicken. Wenn er ein
Freund des rothen Volkes ift, fo wird er feinen Skalp
nicht nehmen; wenn er die armen Mädchen betrogen,
fo muß Roſa nicht wegen eined Späherd weinen: *
Als fie dieſe Worte geſprochen, verließ fle die Hütte.
Dreizehntes Kapitel.
Die Noth kann einen Menſchen mit feltiamen
Schlafgeſellen bekannt machen. Ich will mich
hier einwickeln, bis die „Hefen bes Sturmeb
\ erfipöpft find.
Shalespeare.
Der Gemüthözuſtand, in welchem wir unſern
Britten verlaſſen haben, duͤrfte ganz füglich mit dem
des Aſſaffinen⸗Neophyten zu vergleichen ſeyn, der,
wenn die Sage: wahr ſpricht, von dem: Alten vom
Berge eben fo plöglich in feine von lieblichen Houris
bewohnten Gärten eingeführt, als nad) einem Turzen
raſchen Genuſſe wiener in die traurige Naht hinaus⸗
287 0
geſtoßen wurde, und dem von den genoſſenen Selig⸗
keiten nichts anders übrig blieb, als ein wirrer
Sinnenrauſch, ein Chaos von Bildern und Geſtalten,
und eine heftige Sehnſucht, das verlorene Paradies
wieder aufzufinden. |
Bon diefen Affaffinenfeligkeiten nun hatte zwar
unfer Britte, wie unfere Lefer wiſſen, nichts genoflen,
auch hatte ihn feine Sehnſucht felöft au dem Para»
dieſe getrieben; dad Chaos aber, der Tumult in
feinem Innern und dad Verlangen nad denſeits
waren gekommen.
Es ſchien, als ob der eolese Menſch mit dem ge-
‚ meinern in ihm in Streit gerathen, als wenn biefe
zwei Prinzipe ihn wechfelfeitig fortzögen und wieber
zurückriefen. Er war eine Stunde an dem Ufer hin-
aufgerannt und eben fo wieber zurückgekehrt, und in
diefem, Hin- und Herrennen hatten ihn bie erſten
Strahlen der Morgenfonne überraſcht, die, indem
fie Ihm eine neue Scene aufedte, feinen Ideen auch
eine veränderte Richtung gab.
Sp wie Canondah ihm gejagt, fo hatte er das
jenfeitige Ufer des Sabine von Bäumen enthlößt
gefunden. Nur einige Föhren und Gedern krochen
\ 20°
268
kummerlich am hohen Uferrande hin. Doc vor ihm
breitete ſich eine Landſchaft aus, die der flärkfte
Pinfel nur in mattem Umriffe geben, Die gewaltigſte
Phantafle kaum zu fafen vermögen würde. Es war
ein enblofer Raum, in deſſen wellenartige fanfte Ver-
tiefungen er hinabſehen, und deſſen fanftem Anfteigen
er mit den Augen folgen Eonnte. Der fhönfte üppigfle
Wiefengrund, auf dem dad zartgrüne Gras, von ber
Morgenluft angeweht, in fanften endloſen Wellen
hinfloß, und auf dem die in weiter Verne zerſtreuten
einzelnen Baumgruppen wie Schiffe auf ver unüber-
ſehbaren See zu ſchwanken ſchienen. Nirgends war
ein feſter Punkt zu ſehen, und die ganze ungeheure
Landſchaft ſchwamm buchſtäͤblich vor feinem Auge,
fich wiegend und wogend, gleich dem vom ſanften
Oſtwinde angeſaͤuſelten Meeresſpiegel. Gegen Norden
ſchwoll die Ebene allmählig in das Hochland, deſſen
maleriſche vor⸗ und zurückſtehende Baumgruppen ihm
einen Blick in das Innerſte des prachtvollen Pano⸗
ramas gaben, wo die aͤtheriſchen Tinten mit denen
des Horizonts verſchmolzen. Gegen Oſten ſank die
ungeheure Wieſe in Niederungen, aus denen Baum⸗
gruppen mit Rohr⸗ und Palmettofeldern hinüber⸗
—d 289 8
walten, und, fo wie fie von der Luft bewegt in Wellen
ſchlugen, im Sonnenglanze gleich Segeln aufzutauchen
ſchienen. Die tiefe Ruhe, die in der grenzenloſen,
in dem blauen fernen Horizonte ſich verlierenden
Ebene herrſchte, nur durch das Plätfehern ver Waſſer⸗
vögel oder das ferne Geheul der Savannenwölfe un⸗
terbrochen, und die nun prachtvoll aus dem Oſten
gerade herüberſteigende Sonne gaben der Landſchaft
einen unbeſchreiblich großartigen Charakter. Weiter
am Fluſſe hinab flanden einzelne Baumgruppen, in _
denen Hirſche weideten, die ihn mit einer Art Ver⸗
wunderung anfchauten, und zu fragen fehienen, wie
er hierher gefommen, ihn noch eine Weile flarr ans
vlickten und dann, ihre Geweihe ſtolz aufwerfend,
und gleichſam unwillig, ihr Gebiet betreten zu ſehen,
langſam ins Dickicht zurückkehrten.
Erſt allmaͤhlig bemerkte er mit Verwunderung,
daß die ganze Landſchaft mit winzigen zuckerhutähn⸗
lichen Hügelcden von Mufcheln und Foſſilien überfäet,
allem Anſchein nach auch bemohnt war. Bräunliche
Thiere faßen am Buße derfelben der Sonne zugekehrt,
und ihre Frühſtück im zart aufſproſſenden Graſe
haltend.
— 20 ⸗—
Die Gegend, die wir fo eben bejchrieben haben,
iſt, wie bekannt, das weſtliche Louifiana, das vom
Alluvialande des Miſſifippi, Redriver, Atchafalaya
und den unzähligen kleinern aber tiefen Strömen all⸗
mählig gegen Weften anfchwillt und in ven befagten
prachtvollen ungeheuern Savannen endet, wofelbft,
vieleicht die Neifehütte des Jägers ausgenommen,
bis auf den heutigen Tag noch Feine Spur einer
menschlichen Wohnung zu finden ift. Die Bilder,
bie wir hier einzeln unfern Lefern vor Augen gebracht,
um ihnen fo den Eindruck des Ganzen zu geben,
waren dem Süngling natürlich auf einmal in den er⸗
hellendan Strahlen ver Morgenfonne vor den Ge-
fichtöfreiß getreten, und hatten fo, während fle feine
Anſchauung ins Unendliche erweiterten, ihn in eine
Stimmung verſetzt, die der des Seemannes zu verglei⸗
chen ſeyn dürfte, der Nachts fein Schiff in einem zer⸗
brechlichen Boote verlaflen, und des Morgens bloß die
ungeheure See vor fich erblickend, unſchlüſſig ſchwankt,
ob er nicht durch einen raſchen Sturz allem kommen⸗
den Elende entgehen ſolle. Es war vielleicht dieſes
Gefühl feines Nichts und ſeiner Verlaſſenheit in der
ungeheuern Gotteswelt, die vor ihm lag, und von
— 1.
deren Enplofigkeit er nie und nirgends einen fo ans
ſchaulichen Begriff hätte erhalten können, das ihn
plöglich zu einem Schritte prängte, der in der Weg⸗
werfung feiner Exiſtenz, die er zu beurfunden ſchien,
zugleich ven Sieg ded edlern Prinzips wahrnehmen
ließ. Raſch feine Kleider von fi werfend und fie in
einen Bündel fammelnd, flürzte ex fich in ven Falten
Strom, über den er ni einer Viertelſtunde glüdlich
feßte. Die dumpfen Abſchiedsworte ver edlen In⸗
dianerin hatten ihn wirklich zu dem feſten Entſchlufſe
bewogen, in ihr Wigwam zurüdzufehren und fi
dem Grimine des fürchterlichen Miko bloßzuſtellen.
Alles Uebrige war ihm nun Nebenrückſicht geworden
und als folche in ven Hintergrund getreten. Er hatte
ſich wieder in ſeine Kleider geworfen, und begann
nun nach dem Pfade durch das Dickicht zu ſuchen.
War, da er noch im Wigwam als eine Art Gefan⸗
gener fich in Ungeduld verzehrte, ſeine Sehnſucht,
den Ausweg zu erfpähen, groß geweien, jo wurde
fie nun zehnmal größer, wieder dahin zurüdzufehren.
Dieß war jedoch eine Aufgabe, vie auch den Bes
berzteften zurückgeſchreckt haben müßte. Das jenfeitige
Ufer des Sabine ift, gleich dem des Natchez, ein fanft
—d 2 8
anfleigenber Kamm, der ſich unmerklich wieder dem
Sumpfe zuſenkt. Die ſchwarz ihm entgegenflarrenden
Cypreſſen und Cedern ließen ihn einige hundert Schritte
ins Innere und bis zur Rammeshöhe eindringen;
aber wo dieſer Gürtel fi zu ſenken anfängt, da
wurde jeder weitere Schritt eine Unmöglichkeit. Die
Abdachung war mit einer Baumesart überfäet, von
dei er nie gehört. Die Stärfine, zwar nur manns⸗
dick, ſtanden aber dicht aneinander, und flarrten von
armölangen braunen Dornen, die, beinahe einen
Schuh lang aneinandergefeht, dem Auge wie Millio⸗
nen braun angelaufene Bajonette erſchienen. Diefes
Gewirre von zahllofen Stacheln Tieß buchftäblich Kein
Eichhörnchen an einem dieſer Baumſtaͤmme fußen.
Er erinnerte ſich des Pfades, den die Indianerin ihn
geführt, und beſchloß, diefen aufzufuchen. Er fuchte
an jedem Stamme, jedem Geftrippe; allein er hatte
Stunden geſucht und nichts gefunden. Wo er einen
Fußtritt zu finden glaubte, war es ſein eigener ge⸗
weſen. Die Sonne wandte fich bereits gegen Weſten,
und noch immer war er keinen Schritt weiter. End⸗
Un ſchien ihm das Glück zu lächeln, er hatte ven
Verſteck gefunden, wo das Canoe verborgen war.
— —
Doch Hatte er noch lange zu fuchen, bi8. er endlich
eine Spur in den Wald Hinein fand. Diefe Spur
wat fo verworsen, fie führte ihn in Zikzaklinien
num aufwärts den Kamm, nun wieder abwärts, daß
bereits das Dunkel hereinzubrechen anfing, ohne daß
er noch bis zu dem Sumpf gekommen war. Der
Hunger mahnte ihn ernfllih an feine Rückkehr. Mit
dem feften Entfchluffe, am folgenven Tage fein beffe-
res Glück zu verfucden. lud er dad Canoe auf feine .
Schultern, und trug e8 Ind Wafler, auf dem es bei=
nahe ohne Ruderſchlag fanft and jenfeitige Ufer hin⸗
glitt, mo er. bie ihm von ver Indianerin mitgegebenen
Borräthe zurüctgelaffen hatte. Raſch diefe aufraffenn,
üßerfchiffte er nochmals den Fluß, und fing, nachdem
er fein kurzes Mahl gehalten, an, fich feine Lagerftätte
zu bereiten. Die Natur hat dem Dienfchen in dieſer
Himmelsgegend einen kunſtloſen, doch herrlichen
Lagerſtoff im Tillandſea oder ſpaniſchen Mooſe
gegeben, deſſen lange zarte roßhaarartige Faͤden das
weichſte, üppigſte Lager darbieten, und das, aus der
Ferne betrachtet, die Millionen der Stämme, an
denen es herabftackert, wie koloſſale Greiſesgeſtalten
dem Auge erſcheinen laͤßt, deren ungeheure Baͤrte
— 2 &—
tm Winde hin» und herbeiwegt werben. Mit dieſem
zarten Fadenmooſe fülte er nun fein Canoe, trug es
dem Verſtecke zu, das zwifchen ven Aeſten zweier
Cedern fo gewählt war, daß ihm dieſe gleihfam als
Walzen dienten, auf die er ed nur zu heben brauchte,
um vor allen Nachftelungen und Blicken gefichert zu
feyn. Sein Gewehr zur Seite, und im feine Wolls .
decke gehüllt, entfchlief er.
Er Hatte ſonderbare Traumgefichte.
Ein wiverlih vol gepfropftes Ungeheuer, mit plum⸗
pen.höhnifch gierigen Zügen, mit ſchwer grobem Ge⸗
fichte, unter deſſen breiten Fußtritten Fluren veröbeten
und Häufer und Städte verwitternd zufammenfanken;
e8 faßte ihn mit Iangen Inöchernen Händen, veren
Krallen die Welt zu umgreifen ſchienen. In der einen.
biefer Hände hatte es zwei blutige zitternde Herzen,
die e8 ihm hohnlächelnd entgegenfhüttelte, während
bie andere dad Glüd von Tauſenden gierig aufraffte,
und fostichreitend im feinen ungeheuern Schlund
fgüttete. So fhleppte ihn das Ungeheuer durch
enblofe Räume, und warf ihn mitten unter feine
Sreunde und Gefährten, die ernſt und in feierlicher
Stimmung um feinen grauen, aus einem offenen
— 5 >
Bapier leſenden Befehlshaber verfammelt waren; da
fielen vie zwei blutigen Herzen auf vas Papier, und
der graue Bapitän verfiummte, und feine Gefährten
und Freunde wandten ſich ſchaudernd von dem neuen
Lieutenant.
Wieder fland er auf einem enblofen Raum, aus
dem ihm in blauer Ferne die Wimpel des heiligen
Georg entgegenfchimmerten. Diefen gegenüber, hoch
vom Genius der Freiheit emporgetragen, flatterte das
fternbefäete Banner der Staaten, das mächtig heran«
flog gegen den Drachenbekämpfer. Da erfaßte e8 ihn
mit unendlichem Sehnen und Grauen, und nit:
Niefengewalt warf er fi mitten unter die Seinen,
und er riß dad Banner des heiligen George zu ſich,
und flog mit feinen Gefährten vem Kampfe mit dem
Sternengenius entgegen. Als ex aber hinüberblidte
auf den jauchzenden Feind, da tauchten aus ben
Mellen zwei Geftalten auf, vie ihm das Blut im ven
Adern erftarren machten. Hinter ihnen, die mit
durchbohrten Bufen und zerfehmetterten Häuptern auf
ihn zuſchwebten, Fam ver ftolge Feind angeflogen. Da
ermannte er fich wieder und flürzte ſich auf dieſen los,
als er fich von einer eiskalten Sand ergriffen fühlte,
— 20 ⸗
die ihn mit wahnfinnig gellendem Gelaͤchter den zwei
Todesgeſtalten zuwarf.
Der Traum hatte ihn heftig ergriffen. Er ſprang
auf aus feinem Canoe, rieb fich die Augen und wiſchte
fich ven Schweiß von der Stirne. Es war ein Traum.
Draußen war e8 Talte, finfire Nacht. Neben ihm
blitzten zwei gräßlich feurige Augen. Es war eine
Nachteule, die ihn verwundert anfah und dann in
ein ſchallendes, lang ertönendes Gelächter ausbrach.
&r trieb den Uinglüdsboten von fi, und entfchlief
wieder.
Es faßte ihn mit Tigerklauen. @in wildes Unge⸗
thüm fchritt über die Leihen Nofas und Canondahs
auf ihn zu, das Schlachtmefler in den gewaltigen
Klauen und auf fein Herz zielend. Da ivandte er
fih, da rang und Tämpfte er, da faßte er mit Rieſen⸗
Traft fein Gewehr, um e8 auf das blutige Ungeheuer
abzubrüden. Er Iag unter vem Wilden, er Fänpfte
mit ihm den Kampf der Verzweiflung. Er rvaffte
fich auf.
Was Traum gewefen war, hatte fi in Wirklich“
feit verwandelt.
Ein gräßlicher Milder fand wirklich mit feinem
— 27 0
Buße auf feinem Gonve, und ſchwang die Tobesart
mit einem grinfenden Lachen über feinem Haupte.
Ein Hieb und es war um ihn geſchehen. Da erfaßte
.er convulfiviſch fein Gewehr, und, ed. rafch auf des
Indianer Bruft richtend, prallte Diefer. auf die
Seite. W
Die ungeheure Anſtrengung hatte ihn, der noch
im Canoe lag, mit demſelben in dem Augenblicke
überrollt, als das Schlachtbeil auf ihn niederfallen
ſollte. Dieß hatte ſein Leben gerettet. Die Kniee des
Indianers mit der Kraft der Verzweiflung erfaſſend,
warf er Dieſen auf die Erde und ſich ſchnell über ihn.
Das Schlachtmeſſer zuckte in der Hand des giftigen
Wilden nach ſeinem Herzen, aber mit der letzten An⸗
ſtrengung der Verzweiflung die Rechte ſeines Feindes
ergreifend, hielt er mit der Linken ſeine Kehle. Noch
einen Blick des tödtlichſten Haſſes ſchoß Dieſer, dann
verging ihm der Athem, und Ermattung zwang ihn,
den Mordſtahl fahren zu laſſen. Der Britte hatte
ſich nun, das Knie auf den Indianer geſtemmt, über
Dieſen hingebogen; das Meſſer funkelte in feiner
Rechten über der Bruſt des Wilden, der knirſchend
den Tod erwartete. Einen Augenblick ſchien der
— 28
Jüngling in Zweifel zu ſchweben; dann fprang er
auf, trat raſch einen Schritt zurüd, und ſprach:
„Geh', ih will mich nicht mit Deinem Blute be⸗
ſudeln.“
„Mein junger Bruber iſt wirklich ein Freund ver
rothen Männer,» ſprach eine Stimme hinter feinem
Nüden.
Er wandte fi und erblickte einen zweiten Indianer,
das Sfalpiermeffer in feiner Nechten, und bereit, es
in feinen Rüden zu floßen. Auf die Seite ſpringend,
bot er dem zweiten Feinde die Stirne.
„Mein Bruder hat nicht3 zu fürchten ;* ſprach der
zweite Invianer, hinter welchen fich ver Erfte, nicht
unähnlich dem Hunde z0g,. ber, fich einer Unthat bee
wußt, mit eingezogenem Schwanze den Rüden "feine
Herrn ſucht.
„Mi⸗li⸗mach,« ſprach ver Indianer mit einem
firafenden Blick auf Diefen, „hat fih einen Skalp
an einem ſchlafenden Weißen gewinnen wollen ; allein
er bat es Diefem zu verbanfen, daß der feinige noch
auf dem Schäpel figt. Der Miko Hat das nicht ger
wollt.”
—d 299 6
„Ihr der Miko?“ rief der Sinaling, „der Miko
der Oconees?“
Der alte Mann blickte den Fragenden ruhig und
forſchend an, und ſprach mit Würbe: „Mein junger
Bruder hat es gefagt. & Hat nichts zu fürchten, der
Miko hat ihn gefehen, und er ſtreckt ihm feine Sand
zum Friedens⸗ und. Freundſchaftszeichen entgegen. «
„Ihr der Milo der Oconers?« rief der Jüngling
nochmals, die Hand des Indianerd raſch ergreifend
und fie freundlich drückend. „Ich bin Herzlich froh,
Euch) zu fehen, und, die Wahrheit zu geftehen, ich
bin fo eben auf vem Wege zu Euch.“
„Die Mädchen,” fprach der Häuptling, „haben
dem Milo gefagt, daß der Sohn des großen Vaters,
ber die beiden Canadas befitzt, den Schlingen des
Häuptlings der Salzfee entwifcht ift und Zuflucht in
feinem Wigwam gefuht hat. Meine Augen haben
gefehen, und meine Seele glaubt was wahr ift. Aber
mein Bruder hat noch wenig von dem Pfade zurück⸗
gelegt, der zu ven Seinigen führt.“
„Die Usfache davon will ich Euch gerne jagen,“
fprach der junge Mann. „Ihr habt ein herrliches
Mädchen zur Tochter. Möge der Himmel fie jegnen!
— 0 9
Sie und der Engel Rofa haben mich wie Schweftern
gepflegt: Gerne würde ich länger geblieben feyn;
allein eine höhere Stimme ruft, und der muß ich ges
horchen. Als mid ‚aber Eure Tochter jenfeits des
Fluſſes verließ, da entfchlüpften ihr Worte, die es
mir zur Pflicht machten wieber umzukehren.“
Der Hänptling Hatte aufmerffam zugehört. „Was
hat meine Tochter meinem jungen Bruder in die Obren
gelispelt?* fragte er.
„Es waren wenige Worte,“ erwieberte Diefe,
„aber e8 ‚waren fehwere, inhaltsvolle Worte; fie
machten mir es klar, daß die armen Mädchen für ihre
Engelögüte fih Eurem Zorne ausfegen würden, daß
Ihr in dem Wahne, ſie Hätten einen Späher, einen
Dankee, in Euer Wigwam einnefähe, fie vielleicht
tödten würdet. «
„Und mein Bruder?« fragte ver Miko.
„Hielt es für Schuldigkeit umzufehren, um mo
möglich diefe Gefahr von ihren edlen Häuptern zu
Ienfen. «
Der Indianer war nachdenkend eine Tange Weile
geſtanden. Seine Züge Heiterten fi auf. Er ſtreckte
nochmals feine flache Hand aus.
— 1 —
Dieſes Freundfchaftszeichen fchien dem jungen
Manne nicht ganz unwillkommen zu ſeyn, der ver=
legen einer Schaar Wilder zugefehen Hatte, wie fie
maſchinenmaßig hinter ihren Führer traten und fi
in einen Kreis fchloffen. Eine Weile muſterte er die
grimmig dunkeln Geftalten, mit ihren bligend ſchwar⸗
zen Augen und ihren flarf hervortretenden Zügen,
aus denen angeborne Wildheit und Graufamteit un⸗
verkennbar leuchtete.
Des Häuptlings Auge Hatte forſchend auf dem
jungen Manne geruht und ven Einprud gewahrend,
den die plößlich aus dem Gebüfche hervortretenden
Geſtalten auf ihn machten, hatte er gefehwiegen, um
fo, wie es ſchien, dem jungen Manne Zeit zu geben,
ſich zu faſſen.
„Und wünſcht mein Bruder in die Doͤrfer der
Weißen zu gehen?“ o
„Sch wünſche,“ erwiederte Diefer, „fo bald ale
möglich zu ven Meinigen zu gelangen. Ich bin brit⸗
tiſcher Offizier und muß deßhalb fo ſchnell als mög»
lich auf meinen Boften.“
Der Indianer ſchüttelte fein Haupt. „Der Miko,“
ſprach er, „kennt die Söhne des großen Vaters der
Der Legitime. I. 21
— 38 ⸗
Canadas. Er hat mit ihnen die Streitart gegen bie
Yankees erhoben. Ste find große Krieger; aber fie
find Hlinde Nachteulen in unfern Wäldern. Mein
Bruder würde nie zu den Seinigen gelangen und ver-
hungern in der weiten Wiloniß.*
Sein Auge fiel auf vie Landfchaft, von der wir
oben eine Schilderung zu geben verfucht haben.
„Sieh!“ ſprach er, gegen eine Baumgruppe zu
-deutend, die am äußerſten Horizont zu ſchimmern
ſchien. „Mein Bruder wird auf dieſe zugehen; aber
wenn er dahin gelangt ift, wird fein Kopf mit ihm
berumtanzen. Mein Bruder wird fich im Kreife her⸗
umbrehen, wie ber Hund, der feinen Schweif fangen
will. Er wird in Hundert Sonnen nicht feinen Weg
aus den Wiefen finden.“
Das Gleichniß war nicht fehr artig; aber ein bloßer
Blick in die weige Ferne überzeugte ven jungen Dann,
daß der Indianer nicht fo ganz unrecht haben dürfte.
„Eine Frage bitte ich mir zu beantworten ;« ſprach
er. „Eure beiden Kinder haben alſo nichts zu füͤrch⸗
ten und der Miko vergibt ihnen großmüthig, daß fle
ohne fein Wiſſen einen Fremdling in feinem Wigwam
gepflegt und wiener entlaffen haben ?«
30 ⸗—
„Der Miko wird ſeine Tochter mit einem freudigen
Auge dafuͤr anſehen;“ ſprach Diefer.
Und Roſa?« fragte der Jüngling.
„Auch Diefe;u eriwieberte ver Milo.
„Sp bleibt mir nichts übrig, als fchleunig meinen
Weg anzutreten. Wenn ich nur an den Miffifippi
gelange. Auf diefem find bereit3 unfre Schiffe. «
„Deines jungen Bruderd großer Vater bat den
Tomahawk gegen die Dantees erhoben ?« fragte der
Miko plögli.
„Zu Lande und zur See. Wir boffen dieſe Yankees
tüchtig mitzunehmen ;” ſprach er.
„Und wie viele Männer hat er auägefandt‘? “ fragte
ber Indianer wieder.
„Bon Landtruppen beiläufig zwanzig taufend, die
hier gelandet; im Norden find jenoch noch mehr.“
„Und mein Bruder?” fragte der Milo.
"Ih gehöre zur Flotte.“
Der Indianer wurde nachdenkend.
„Der Weg," ſprach er, „ven mein Bruder vor
ſich bat, iff fehr lang, und die Canoes feines Volkes
ſind fehr weit entfernt. Sein großer Vater bat viele
Krieger, aber vie Yankees haben deren noch mehrere.
21°
30 —
Höre! Will mein Bruder die Rede eines alten Man⸗
nes anhören, ber viele Sommer geſehen und deſſen
Haare grau vor Sorgen und Alter geworben find?“
Der Jüngling verbeugte fich, felbft etwas tiefer,.
als er es vielleicht wollte.
„Dann mag mein junger Bruder mit dem Miko
in fein Wigwam zurüdfehren. Seine Krieger werben
mit ihm rauchen, und feine Mädchen werben ihm ins
Ohr fingen. In zwei Sonnen wird der Häuptling
der Salsfee kommen. Der Miko will ihm dann fanft
ind Ohr lispeln, und er wird ihn in feinem großen
Canoe zu den Seinigen bringen.”
nDer Häuptling der Salzſee? Der Seeräuber
mich zu den Meinigen bringen?” ermiederte Diefer
kopfſchüttelnd. „Mein lieber Milo, da irrt Ihr Eu
fehr. Das wird er wohl um fo mehr bleiben Lafien,
als ihn dieſes an ven Galgen bringen würde.“
„Iſt der Häuptling der Salzfee auch mit feinem
Volke im Kriege begriffen ?* fragte ver Miko.
„Nicht im Kriege; aber er raubt und plündert,
wo er etwas findet. Er ift ein Seeräuber, ver, fo
wie er eingefangen, natürlich auch gehängt wird. #
Des Indianers Blick Hatte fich zufehnds verfinftert.
— 05 ⸗—
Der Britte jah ihn betroffen an, ungewiß, ob er nicht
eine unangenehme verborgene Saite berührt habe.
- „Mein Bruder," ſprach Diefer, „hat Net. Er
muß geben; wenn er aber bleiben will, fo ift das
Wigwam des Miko ihm offen; die weiße Roſe wird
fein Wildpret kochen, wenn Canondah die Tochter
des großen Cumanchee geworden, und er wirb des
Miko Sohn feyn.“
. Dießmal brachte ver Antrag Tein höhnifches eäcgeln
auf feinem Geflchte hervor; im Gegentbeile, er faßte
gerührt die Hand des alten Miko und fehlittelte ſie
herzlich.
„Wenn dem Miko der Oconees ſeine Männer bei
dem großen Geiſte geſchworen, daß ſie für ihn die
Streitaxt aufheben wollen, dann müſſen fie ihr Wort
halten, over fie find Hunde;“ ſprach der Britte, die
Phrafeologie des Indianerd gebrauchend. „Chen jo
muß der Sohn des großen Vaters der Canadas
halten, was er geſchworen. Er muß zu feinen Brü-
dern eilen, fonft würde er wie ein feiger Hund von
ihnen ausgeftoßen, fein Name immerbar mit Ver⸗
achtung ausgeſprochen werben.”
—d 306 ⸗—
Diefe Worte, mit Nachdruck ausgeſprochen, ent⸗
ſchieden. . Ä
Der Häuptling niskte beifällig, dann die Hand des
jungen Mannes faſſend, ſprach er: „Halt! mein jun⸗
ger Bruder kam dem Wigwam bed Miko nahe, als
die Sonne Hinter der Erbe und der Häuptling im
Schlafe lag. Er ift in fein Wigwam eingegangen,
ald er auf den. Jagdgründen war. Er hat ed ver-
laſſen ungefehen von ihm, ehe er noch in das Wigwam
zurückkehrte. Seine Bußftapfen dürfen nicht vom
meißen Volke gefehen werden. Will mein junger
Bruder bei ihm, den Die Oconees der Muscogees
den großen Geift und die weißen Völker ihren Gott
nennen, will er bei Diefem verfpredhen, daß er, wenn
ex feine Feinde fleht, ihn dieſen nicht verratben wirb ?«
„Sch babe dieß bereit8 Eurer Tochter verfprochen ; *
erwiederte der junge Mann.
„Will mein junger Bruder es au) dem Mio vers
ſprechen?« fragte Diefer mit Nachdruck.
„Ich verfpreche es feierlich. *
„Wil er verfprechen, daß er nie feinen Mund
Öffnen wi, um zu fagen, daß der Milo und der
Häuptling der Salzfee Freunde gewefen finv?«
—, 37 ⸗
„Ich verfpreche auch dieſes; « verfeßte der junge
Mann nad) einer Eurzen Pauſe.
„Sp mögen denn,» ſprach der alte Dann, feine
beiden Hände auf die Schultern des jungen Mannes
legend „vie Gebeine feiner Väter in Ruhe mobern.
Der Milo wird den Pfad feined Bruders von
Dornen reinigen, und fein Laufer wird ihm ven
Weg der Coshattaes zeigen.“
„Doch mein Bruder wird hungrig feyn,“ fuhr er
nach einer Weile fort, „und fein Weg ift lang.» Er
gab den Seinigen ein Zeichen, und einer der jungen .
Männer leerte feine Jagdtaſche auf dem Ufer. Der
Miko mit dem Jünglinge fegten fh neben einander
und Erfterep reichte diefem einige Schnitte Falten
Wildpretes, während er jelbft ein Weniges verfuchte.
Cine Hand voll geröfteten Wälſchkorns folgte, und
auf dieſes eine Calabaſſe mit wirklich vet gutem
Weine. Das furze Mahl war bald vorüber; ver alte
Mann fland plöglich von der Erbe auf, nickte freund»
lich und verlor fih im Walde. Ihm folgten die
übrigen Indianer, mit Ausnahme des Renners, der
vor ihm fland.
—, 308 9
Nochmals warf der junge Mann einen Blick nad
den dunfeln Geftalten, als fle zwifchen den Bäumen
allmählig verſchwanden, und dann faßte er raſch das
Canoe, um es ind Wafler zu tragen.
Als fie am jenfeitigen Ufer gelandet waren, trug
der Indianer dieſes eine ziemliche Strede abwärts,
wo er es im Gebüfche verbarg; dann Fam er trottend
auf den jungen Mann zu, und, ohne ſich aufzuhalten,
glitt er vor Diefem mit einer Schnelligkeit und Be⸗
hendigkeit über die Wiefengründe hin, mit welcher
Schritt zu halten Diefer Mühe Hatte.
Öefammelte Werke
Charles Sealsfield,
Zweiter Theil,
Der Segitime und die Republikaner.
Zweiter Theil,
Stuttgart.
Verlag dr J. B. Metz er'ſchen Buchhandlung.
1845.
Der Segitime
und j
Die Nepublifanen
Eine Geſchichte
aus dem lebten amerifanifchsenglifchen Krleg.
. Don
Charles Sealsfield.
In drei Sheilen.
Zweiter Theil
Dritte durchgeſehene Auflage.
—
Stuttgart.
Verlag der J. B. Metz ler'ſchen Batherlnng
1845.
3 zittere für mein Bolt, wenn ich ver Ungerechtigkeiten gedenke,
deren es ſich gegen bie Ureinwohner ſchuldig gemacht hat.
Sefferfon.
Bierzehntes Kapitel.
Sebaftians. — Aber bein Gewiffen ?
Antonio. — AG Prinz wo liegt das? Wäre
es ein Hühnerauge, fo müßt’ ih in Pantoffeln
geben; aber in meinem Buſen ſchlaͤgt viele Gott⸗
heit nicht.
, Shalespeare
Das Wigwam am Nachtez bot die folgenden Tage
allem Anfcheine nach wieder denſelben Anblick düſtrer
und melancholiſcher Ruhe oder vielmehr Indolenz
dar, in welcher der Indianer, wenn er zu Hauſe iſt,
ſeine Stunden gewöhnlich hinzubringen pflegt. Das
ganze Dörfchen war im tiefſten Stillſchweigen wie
begraben, und ſelbſt die jüngern Wilden ſcheinen die
Ermuͤdung ihrer Väter zu theilen und fich einem
dumpfen Dahinbrüten zu überlaſſen. So ſchien es
beim erſten Anblick; allein es bedurfte einer nicht ſehr
großen Aufmerkſamkeit, um zu gewahren, daß dieſe
ſcheinbare Ruhe einen Charakter von Aengſtlichkeit
— 6 —
und Spannung hatte, die das ganze Völkchen er⸗
griffen, und die auf irgend eine Peränderung im
Schickſale deſſelben hinwies.
Die langen Schritte, mit denen die Erwachſenen
auf das Councilhaus ſich zuſtahlen und je zu Zweien
oder Dreien, ohne eine Silbe zu ſprechen, ihre langen
braunen Hälſe ängſtlich der Thüre zuſtreckten; bie
ſcheuen Haufen von Weibern und Mädchen, die min⸗
der keck in groͤßerer Entfernung ſich hielten und ſtieren
Blicks die Jungen aushorchten oder auf die Hütte
des Milo Herüber flarrten: dieſe verſchiedenen Symp-
tome ſchienen anzuzeigen, daß irgend etwas Wichtiges
der Gemeinde bevorſtehe.
Es war, wie bereits bemerkt, auch nicht ein Laut
auf der ganzen weiten Fläche zu vernehmen. Keine
Silbe war aus dem Councilhauſe zu hören, kein
Wortwechſel oder Streit. Selbſt die jüngern, be⸗
reits zu Männern heranreifenden Wilden wagten es
nicht einmal fi ver Thüre der Rathsverſammlung
bis zur Gehörweite zu nähern, von der fle, der her⸗
koͤmmlichen Sitte zufolge, bis nach Ablegung ihrer
erften Waffenthat ausgefchloffen waren. Seit der
Miko zurüdgefehrt, mar er, nur fehr kurze Uns
— 7 —
terbrechungen ausgenommen, mit ſeinen Kriegern
und Männern im vollen Rathe verſammelt geweſen.
Dieſe Berathungen hatten bereits zwei Tage hindurch
gedauert. Zu ſeiner Tochter hatte er noch nicht ge⸗
ſprochen; er hatte ihr bloß ſtillſchweigend bedeutet,
fich in ihrem Stübchen zu halten, deſſen Vorhang er
ſelbſt befeſtigt. Das arme Mädchen ſchien ſeit dem
letzten Auftritte all ihren leichten, friſchen, froͤhlichen
Sinn verloren zu haben. — War fle mit ihrer
Schweſter Gefangene? Was war aus Mi⸗li⸗mach
geworben, der nicht wieber zurückgekehrt, und ven feine
Schnelligkeit zum Liebling ihres Vaters gemacht
hatte? War er vielfeicht durch Die Hand des Weißen
in dem Kampf gefallen, den Diefer gewagt, ehe er
getödet wurbe? Aber hinwider hatte fie Feine Trophee,
Teinen Skalp, Feine Trauer im Wigwam bemerkt. —
Rofa , ihrerfeitd, war um vieled gefaßter geweſen —
fle hatte Troft im Buche gefunden, das der Metho-
biftenprebiger Ganonvah gegeben. — Und häufig
Hatte fle ihrer Freundin Stellen daraus vorgelefen, fo
ſehr Diele auch den Kopf gefihüstelt. — „Ganonvah,“
brach fie ploͤtzlich aus, als Nofa ihr eine lange Stelle
von der einſtigen Seligkeit ver Auserwaͤhlten geleſen
— 8 >
hatte, „hat den guten Häuptling der Schule ſehr
geliebt; nie aber hat fle ihn leiden mögen, wenn er
aus dem Buche. vorgelefen, oder ihr fanft ms Ohr
geflüftert, fich mit Waffer befprengen zu laſſen. Sie
ift ſehr froh, Daß fie ihm nicht gefolgt Hat.”
„Der Häuptling hat ed wohl gemeint,u verſetzte |
Roſa, „Canondah ſollte Died gethan haben.“
„Wie ta ſprach die Indlanerin ungeduldig — „Und
wenn der Miko Canondahs Haupt mit dem Toma⸗
hawk geſpalten hätte, fo würbe fie in bie Hölle unter
‚ die böfen Weißen gekommen ſeyn, bie ihre Brüber
getöbtet, und dafür Heulen und zähnflappern.2 —
Sie ſchauderte. „Nein nimmermehr!"
Roſa ſchůttelte den Kopf. „Der gute Gott würde
Canondah unter feine Engel aufgenommen, und fie
ewig felig gemacht Haben, weil fie einen Bruder ge⸗
vet. —
„Engel! 4 wiederholte die Indianerin — „Canon⸗
dah will kein weißer Engel dafür ſeyn, daß fle den
Späher in ihr Wigwam gelafjen hat. Ste will gar
fein weißer Engel jeyn. Canondah würde nimmer
froh unter ven weißen Engeln jeyn, die ihre Brüder
morben und von ihrem Lande vertreiben.
—9-
„Aber im ewigen Leben werben fich ja die Weißen
und Rothen nicht mehr morden, fie werden ſich freuen
und ewig felig ſeyn.“
"Ach fiehit Du," ſprach bie Indianerin, „daß
Canondah Recht und ver bleiche Häuptling Unrecht
hat. — Die weißen und rothen Männer werden ſich
freuen ihrer Thaten, die ſie bier ausgeübt haben,
und wegen welcher der große Geift fie in die Wiefen
verfeßen wird. — Uber fle werden fi nicht mit
einander erfreuen.” — Sie hielt eine Weile inne und
ſchien nachzudenken. „Nein, Canondah glaubt ed
nimmermebr!* ſprach fie lebhaft. „Wie! ver große
Geift, der dem Dengheefe eine weiße Haut gegeben
und dem Dconee eine rofhe, der Ienen ind Land über
die Salzſee gefegt und Diefen an den großen Fluß,
der fie von einander durch dad Salzwaffer und Hohe
Berge getrennt, ſollte fie, wenn fie fih am Kriegs⸗
pfade begegnen und töbten, auf die nämliche Wiefe
zufammenbringen? — Es follte keine abgeſonderte
Wieſen für die Weißen und Rothen haben? — Nim-
mermehr! — Die Weißen und Rothen würden nimmer
vergeffen, mit ihren Augen würben fie fi durch⸗
bohren, wie die wilde Kage und der Wiefenwolf. —
Der Legitime. II. 2
—. 10 ⸗—
„Nein!“ frohlockte fie, „Canondah iſt froh, daß fie
nicht dad Einflüftern gehört. Ste Tann nur glüdlich
feyn, wenn fle in die grünenden Wiefen des großen
Geiftes Tommt, wo ewige Sonne herrfcht, und ihre
Voreltern wandeln und Ganondah wie eine gute
Tochter empfangen werben.“ Sie fehritt raſch und
ungebulbig im Stübchen hin und ber.
Auch in dieſem Punkte war fle ganz Indianerin,
die mit ihrem lebhaft natürliden Geifle und kind⸗
lichen. Gemůthe die trabitionellen Sagen ihred Stam⸗
mes fefthielt. — Roſa hinwider, obwohl in ver
nämlichen Schule auferzogen, war ganz die gläubige
fromme Seele geworben, die fich durch die Lehren
des Evangeliums verevelt. Sie hatte nun dad Bud
auf die Seite. gelegt und ſchien über das, was ihre
Freundin gefagt, nachzudenken, als fie durch ein
gellendes Pfeifen aufgeflört wurde. Beine Mäpdien
flürzten zugleich zum Fenſter, von dem jedoch Mofa
eben fo ſchnell und bleich wieder ihrem Sibe zueilte,
— während bie Inbinnerin haftig den Vorhang an
der Thüre von innen befeftigte.
Es war ein ziemlich großes Boot, ähnlich dem, in
welchem ver Britte gefommen war, das, durch die
11 8
gewaltigen Auberfchläge von ſechs Männern getrieben,
den Fluß heraufglitt. Nebft viefen faßen noch zwei
Männer darinnen. Das Fahrzeug war in der Bucht
angefommen, wg die Canoes mit dem Boote des
Britten lagen. Das Letztere ſchien beſonders einem
der zwei Männer aufzufallen, der es flüchtig beſah
und dann ſeinem Nachbar einige Bemerkungen mit⸗
theilte, die dieſer kopfnickend bekraͤftigte. Derſelbe
flieg auch der erſte an's Land. — Er war mittlerer
Größe, von nichts weniger als flarfem oder üppigem
Gliederbau, mit einem ſi onnverbrannten, braunen
Gefihte, Hohlen Wangen, in denen die Blattern
ſchwarze unangenehm auffallende Narben zurüdge-
lafien Hatten — und fpigiger, etwas gerötheter Nafe.
- Aus diefem ſchmalen Geſicht und den ziemlich tief
liegenden Augenhöhlen funfelten ein Paar dunkel⸗
graue Augen, bie mit dem gewaltigen Schnurr⸗ und
Knebelbart dem Manne kein eben fehr anziehenves
Gepräge gaben. Es fchien jedoch ein gewifles Be⸗
fireben in ihm hervorzuleuchten, fo anſpruchslos und
natürlich wie möglich zu erſcheinen. Nur entglitten
bem Auge zuweilen falſche Seitenblide, und ein
haͤmiſches Lächeln fpielte unwillkürlich über das zu⸗
2 ® .
2»
rückſtoßende Geficht hin, das er bei aller augenfchein-
lichen Bemühung nicht ganz unterdrücken konnte, und
ihm ſo einen widerlichen Ausdruck gab. Er trug
einen kurzen blauen Rock, bis an ven Hals zugefnöpft,
eben ſolche Pantalons und eine Kappe. Er war ganz
unbewaffnet. Einige Worte fprah er noch zu den
Ruderern und feinem Begleiter, der mit ihm an das
Ufer gefliegen war, und dann eilte er in Furzem
militäriſchem Schritte der Wohnung des Miko zu.
Die Rathsverſammlung ging ſo eben auseinander;
der alte Häuptling ſchritt ernſt und langſam feiner
Wohnung zu, während vie Indianer in verfchienenen
Richtungen ihren Wigwams zutrabten. — Es ſchien,
als ob fie ven neuen Ankömmling vermieden. — Au
nicht Einer war in feinen Weg getreten, obmohler
dieſes zu erwarten fehlen. — Er hatte ſchweigend
dem auseinander fliebenden Saufen zugefehen, und
war kopfſchüttelnd in die Hütte getreten.
„Da bin ih, Freund Tokeah,“ rief er mit einem
gezwungenen Lächeln feine Sand dem Miko zuſtreckend,
der auf feinem Lager ruhig mit gefenktem Haupte faß.
„Nicht wahr, ich bin ein Dann von Wort. — Kam
letzte Nacht in die Bucht; doc der Teufel Hole mich,
—9 13 ⸗—
wenn’s mich ruhen ließ; und fo ging es dann friſch
drauf, die ganze Nacht und den Tag hindurch; —
doch Freundchen, ich bin hungrig wie ein Seeadvokat
und troden wie ein Delphin. “ Er fprad engliſch
mit einem flarfen franzöſiſchen Accent, ſonſt aber
ziemlich geläufig.
Der alte Mann klopfte mit ſeinem Finger auf die
Tafel, und Canondah kam aus ihrem Stübchen heraus.
„Canondah!“ rief der Mann, galant auf fie zu⸗
tretend, um ſeinen Arm um ihren Nacken zu legen.
Das Mädchen ſchlüpfte aber, ohne ein Wort als
Willkommen zu äußern, durch die Thüre.
Unſer Gaſt ſchien betroffen. — Eine Weile blickte
er den Alten an; dann ſah er durch die Thüre, die
das Mädchen fo eben verlaſſen hatte.
„Was fol das heißen, Freund Miko?u ſprach er
endlich — „bin ich in Ungnade gefallen? Sollte mir
wahrlich leid thun. Als ich über die Wiefe herkam,
fegelten Eure Leute an mir vorüber, als wäre ih ein
Kaper. — Ihr ſeyd Kalt wie ein Nordweſter, Eure
Tochter fo fteif wie ein gefrorened Schiffstau. —
Apropos. Ihr Habt einen Beju gehabt; der junge
Britte hat, wie ich fehe, bei Euch vorgefprochen.“ Die
— 14 —
Miene des Mannes fiel Tauernd bei viefen Worten
aufden alten Dann, der jedoch einen Zug veränderte.
Bon Wem fpriht mein Bruder?” fragte der
Häuptling.
„Bon einem Gefangenen, einem jungen Denfchen,
der, während ich zur See war, entfchlüpfte.«
„Mein junger Bruder iſt wieder gegangen,” er=
wiederte der alte Mann troden. '
„Begangen?« ſprach der Andere ein wenig be
teoffen. „Ihr wußtet vielleicht nicht, daß er von mir
gekommen. — Hat nicht8 zu jagen,“ feßte er gleich⸗
gültig Hinzu.
„Der Miko wußte,“ ſprach der alte Mann in
feftem Tone, „daß fein junger Bruber dem Häuptling
der Salzſee entwifcht. Mein Bruder Hätte ihn nicht
gefangen nehmen follen.“
„Sonderbar! Würde der Miko der Oconees nicht
den Dankee gefangen nehmen, ver in fein Wigwam
fommt, ihn auszufpähen ?«
„Und war mein junger Bruder ein Yankee?“
fragte der alte Dann, ihn mit einem durchdringenden
Blicke firirend. '
„Das nicht; aber ein Feind“ —
—9 15 —
„Mein Bruder,“ ſprach der alte Dann, „bat zu
viele Feinde — bie Danker'3, die Krieger des großen
Baterd der Canadas.«
Der Mann biß fih in die Lippen. „Pah“ — fagte
er endlich — „Ihr habt die Amerikaner auf der un-
rechten Seite Eures Herzens, und ish Beide.u —
nDer Miko,« fprach der alte Häuptling, werhebt
die Kriegdart, um die Seinigen gegen bie Meißen zu
fhüßen und das Blut feiner erfehlagenen Brüder zu
rähen. — Mein Bruder hat ven Tomahawk gegen
Alle erhoben und befliehlt, wie ein Dieb, Weiber
und Kinder. «
Eine brennende Röthe aberfuhr d das Geſicht ſeines
Gaſtes. Seine Zähne knirſchten. — „Fürwahr,
Miko, Ihr ſagt mir da Dinge, die mein Magen eben
nicht leicht verdauen dürfte.“ — Er maß den Alten
vom Kopf zu den Füßen. — Plötzlich jedoch wieder
ſein voriges Lächeln annehmend, ſprach er, „Thor⸗
heit! Werden uns da einer ſolchen Bagatelle halber
ſtreiten; — Jeder thut, was ihm beliebt und wofür
er haften muß.“
„Als der Miko der Oconees dem Häuptlinge der
Salsfee feine Rechte darbot und ihn als Breund in
— 1 e—
feinem Wigwam aufnahm, da glaubte feine Seele
einen Bruber zur empfangen, ver dem Dengheefe den
Krieg erklärt. Hätte er gewußt, daß Dieſer ein Dieb
it —
»Monſieur Miko Tu unterbrach ihn der Seeräuber
drohend.
„Würde er ihn nicht als Freund empfangen haben.
Tokeah,« fuhr er mit Würde fort, „bat als Miko
den Tomahawk gegen die Weißen erhoben, der Säupt-
ling der Salzſee hat ihn zum Räuber gemacht. Was
ſoll Er, der Häuptling der Deoneed, dem Krieger
des Dengheefe jagen, wenn er in feine Schlingen fällt?
Sie würden Ihn an einem Baume aufhängen. *
Die Wahrheit, furchtlos und beftimmt vom alten
Manne auögefprochen, machte Eindruck auf den See-
raͤuber. Er ging einige Male raſch in der Stube
auf und ab, und ſtellte ſich dann wieder vor den alten
Mann hin.
„Laſſen wir dad, Freund, ich habe die Skalps
nicht gezählt, um die ihr die Schädel der Yankees
betrogen, und Ihr werdet nicht mit mir rechten. Was
geſchehen ift, ift gefchehen. Die Zukunft wird vieles
ändern. Ich meinerfeits bin vollkommen entichloffen,
— 1»
dem wüften Leben zu entfagen, und dann wollen wir
und hinſetzen, und ein parabiefifches Leben, Halb &
Vindienne, hal à Ia frangaise führen. Luſtig und
fröhlich 1 |
- Der alte Mann, ohne eine Miene zu verziehen,
ſprach: „Der Miko der Oconees hat noch nie feine
Hand in dad Blut feiner Treunde getaucht. Er iſt
arm; ‚aber feine Rechte hat nie berührt, was ihm
nicht gehörte. Seine Väter würden mit Kummer auf
ihn herabbliden, wenn er das Band der Freundſchaft
mit einem Diebe knüpfen, der große Geifl würde un⸗
willig fein Gefiht vor ihm verhüllen, wenn er fein
Volk durch einen Bund mit dem Räuber entehren
wolltg.⸗
Der Franzoſe hatte die Worte ruhlgen als es ſich
erwarten ließ, vernommen; nur "yiineiben ante +8 in
feinem Geſichte. Plöglich wandte er A
„Meint Ihr ſo ?« ſprach er erdlich. „Ihr glaubt
alfo befier ohne Lafitte zu fahren. Habe nichts ein-
zuwenden. Hätte ich's nur früher gewußt, würde. ich
mir die Mühe erfpart haben, Eure Grobheiten ans
zuhören, und Euch — fie mir zu fagen. Adieu
Monsieur Miko!“
— 18 —
„Mein Bruder!“ ſprach der Indianer plöglich und '
beinahe erſchrocken aufſtehend, „hat Hunger; er muß
eſſen; Canondah Hat ihm ſein Lieblingsgericht bereitet. «
„Und dann mag ſich Lafitte um ein Haus weiter
umſehen?“ fragte der Seeräuber lauernd. |
„Mein Bruder ift willkommen im Wigwam des
Miko. Seine Hand verfehließt ſich nie, wenn fie fi
einmal geöffnet hat;“ ſprach der alte Mann bes
fänftigend.
„Nun, das -Täßt fich Hören; dacht ich’8 Doch, mein
alter Freund habe eine Art Spleen vom Britten an=
gezogen; hoffe, es wird wieder vorüber gehen. Unter⸗
defien wollen wir fehen, was die Damen machen.“
Er fohritt dem Vorhang zu, wollte dieſen Äfften,
Doch vergebens‘ „Iſt es nicht erlaubt?” fragte er den
alten Dann. |
„Mein Bruder muß ſich eine andere Squaw fuchen.
Roſa wird nicht in fein Wigwam gehen. «
Im Stübchen ließ fih ein fonderbarer Ton hören.
&r Elang wie ein Freudenruf; bald aber ſank er in
ein leiſes Lispeln. Es ſchien das Lißpeln einer Bes
tenden.
Der Seeräuber war verblüfft vor dem Vorhange
—H 19 8
und dem Miko eine Weile geftanden. „Kein Band
Enüpfen, die Thüre vor der Nafe verfähloffen, « brummte
er. „Eh bien, nous verrons.” °
Und mit diefen Worten verließ er die Hütte.
Der alte Mann war, ohne aufzublicken, ruhig
figen geblieben. Zumeilen hatten feine harten Züge
während des Wortwechſels ein verachtendes Lächeln
blicken laſſen; dieß war jedoch nur vorübergehend,
und er behielt ſeinen gewöhnlichen Ausdrud;, nur
zulegt fehlen diefer Mitleiven mit dem Zuſtande des
Seeräubers zu bezeugen.
„Ihr habt doch nichts einzuwenden,“ fragte Diefer,
feinen Kopf zwiſchen die Thüre ſteckend, „wenn ich
über mein Boot disponire? Dürfte Teicht feyn, Daß
ih während meiner Abwefenheit einen Beſuch von
unwillkommenen Gäften erhälte.*
nenn ver Häuptling der Salzfee auf dem Kriegs⸗
pfade ift, fo wird er wiffen, feinen Feinden zu bes
gegnen. u
„Dad iſt einmal vernünftig zeſprochen; 3 erwiederte
Dieſer. |
„Mein Bruder ift hungrig,” ſprach ber mi, auf
5.9 >
feine Tochter weifend, die nun mit mehrern Gerichten
in die Stube trat. |
nWerde Eommen, — der Dienft geht vor.“ — Und
mit diefen Worten ellte er dem Ufer zu, auf dem fein
Gefährte mit verſchränkten Armen auf und ab ging,
ein Heiner aber unterjegter Mann, von deſſen ſchwärz⸗
lichem, olivenfarbigen Geſichte, — in einem unge⸗
heuren ſchwarzgrauen Backenbarte begraben — man
nichts als eine lange glühende Bardolpsnaſe erblicken
konnte. Der Mann, als er des Seeräubers anfichtig
wurde, nahm eine weniger ungenirte Haltung an,
und feine Hände ſanken in die einen Untergebenen
bezeichnende Lage.
„Lieutenant!“ ſprach der Ankommende.
„Capitain!“ war die Antwort —
„Nichts vorgefallen?“
„So wenig, daß ich zweifeln würde, ob wir uns
au im Wigwam des Miko befinden, wenn meine
Augen mich deſſen nicht fo deutlich verficherten. Was
Bat das zu bedeuten, Eapttain? — Um Vergebung.“
„Das wollte id Sie Tragen; u verſette Dieſer
mürriſch.
»Sonft hatten wir bei unſerer Ankunft ven’ fröh⸗
—9H 231 —
lichften Jahrmarkt, Heute ift keine Seele zur fehen.
Die Weiber und Mädchen ſchienen Luft gehabt zu
haben; aber fle wurden von den Männern zurüd-
gewieſen.“ Der Lieutenant hielt inne; denn der Dann,
dem er feinen Rapport mitiheilte, ſchien fihtlich mehr
und mehr verſtimmt zu werden.‘
nWie viele Köpfe Haben wir unten im Sabinerfee?«
„Dreißig — mar die Antwort — die Andern
werden mit dem Aufräumen morgen fertig feyn. «
„Giacomo und George,” befahl der Seeräuber
kurz gebieterifh, „gehen hinab und bringen Diefen
die Ordre heraufzufommen. Zwei bleiben unten und
warten auf den Nachzug, mit dem fie zugleich über
- ven Sabine gehen. Die Mannſchaft kommt mit
Musketen, Bajonetten, Piftolen und Bängern be-
waffnet, und hält ſich, bis auf weitere Ordre, im
großen Bogen zwei Meilen: unterhalb des Wigwam
verborgen. — Sehen fie nicht hinab, und mid) an,“
fuhr er verweifend dem Lieutenant an, der in der
Richtung des Flufſes hingefchaut hatte.
„Wohl, Capitain!“
„Dex junge Britte iſt hier geweſen.“
„So ſehe ich, Capitain.“
> 22 —
. Und der Alte hat ihn gehen laſſen.“
„Aber jo thaten auch Sie, Capitain, mit feinen
Kameraden. Ich hätte es nicht gethan.“ —
„Monfleur. Cloraud Hätte. vieles nicht gethan,“
verfeßte der. Seeräuber fpöttifh; — „wir Eonnten
die Fünf doch nicht einpoͤckeln. Was nun mit ihnen
zu thun, da wir unfere Rechnung abgefchlofien? Uber
dieſer Laffe da hat eine Konfuflon gemacht. -
„Um Vergebung, Gapitain, Hat fi fonft etwas
ereignet?”
. Nichts beſonderes, als daß der Alte unjerer
Allianz mübe iſt.“
„Pah, wir brauchen ihn nicht mehr, und mögen
wohl den Unfrigen eine fröhliche Stunde gönnen.“
Der Blick des Capitains fiel mit einem unnenn⸗
baren Ausdruck von Spott und Verachtung auf den
Mann. — „Deshalb alfo, meint Monfleur Cloraud,
laffe i& die Leute Eommen? — Diefe Stunde wäre
wahrſcheinlich theuer erfauft, Herr Lieutenant! —
Ich haſſe dumme, tolle Streihe. — Das Weitere
werben Sie erfahren.“ Die Berbeugung des Lieute-
nantd verrieth, daß der zügellofe Seeräuber felbft
mit feinem exften Offiziere nichts weniger als auf
— B-
vertrautem Buße flehe, und feiner. Gapitainswürbe
gehörige Achtung-zu verſchaffen wußte. Sein Offizier
wandte fi nun zu den Ruderern, die noch. im Boote
ſaßen, und ertbeilte ihnen die ihm zugefommenen
Ordres. In wenigen Sekunden ſchoß dad Boot den
Fluß hinab.
„Nun wollen wir zum Efien. Laffen Sie Wein
bringen, Lieutenant!“
Der Lieutenant winkte einem der zurucgebliebenen
Ruderer, und Dieſer erhob ſich mit mehreren Bou⸗
teillen in ſeinen Händen, um den beiden Befehlshabern
zur Hütte des Häuptlingd zu folgen,
„Sie laſſen fich nichts merken, Lieutenant, * fprach
fein Chef; „fo ungeswungen ald möglih, felbft
ſpöttiſch. Müflen doch herausfinden, was ner alte
Kauz eigentlih im Sinne hat.“
Beide waren in die Stube getreten, wo fie an der
Zafel Plag nahmen. Diefe war mit einem dampfenden
Haunch vom wilden Büffel beſetzt, dem beliciöfeften
Roaſtbeef, das auch ver Gaumen eined Königs nicht -
verihmähen dürfte. Die Indianern hatte ed mit
Sorgfalt unter dem Raſen gedaͤmpft.
„Ihr werdet mir doch nicht verſagen anzuſtoßen ?*
—ı 4 —
ſprach der Serräuber, drei @läfer fuͤllend, von denen
er eined dene Häuptling: anbot: Ä
„Tokeah ift nicht durſtig,“/ erwiebette Diefer.
„Wohl denn, Rum,“ verfeßte Jener; „Lieutenant
laſſen Sie eine Bouteifle bringen. *
„Tokeah ift nicht burflig; ſprach der Hauptling
lauter.
„Wie es gefällig iſt,“ murmelte te Diefer. „Iſt es
nicht ſonderbar,“ fuhr er, zu ſeinem Lieutenant ge⸗
wendet, fort, „daß der ganze Saft und die Kraft des
Thieres gleichſam in dieſem bukelichten Auswuchſe
eoncentrirt iſt? Wenn die Indianer: auf ihren jen⸗
feitigen Wiefen dieſe Rinder finden, dann möchte
man wahrlich zum Wilden werden. Immer find dieſe
Seligkeiten reeller, als unſere magern Pfaffenlügen.“
Der Lieutenant lachte pflichtſchuldigſt aus vollem
Halſe.
Der Miko war in feiner gewoͤhnlichen Stellung
geſeſſen, hatte ſein Haupt auf die Bruſt geſenkt und
in ſeine beiden Hände geſtützt. Er erhob dieſes,
blickte den Seeräuber einige Augenblicke an, verſank
aber wieder in ſein voriges Hinbrüten.
„Laſſen Sie fich's ſchmecken, Lieutenant,“ mahnte
435
ver Bapitain. — „Solche Leckerbiſſen vürften wir
nicht viele mehr über unfere Zunge bringen. Der
aroße Geift würde fein Angeſicht verhüllen, wenn
wir feine Gaben verfämähen. Aber nun Breund
Miko,« fuhr er zu dieſem gewendet fort, „werbet Ihr
nicht verfagen, auf das Wohl eines Gaſtes ein Glas
zu leeren; fonft müßte Diefer noch heute Nacht aufs
breden. Er liebt ein wenig Stotz; aber zu viel iſt
ungeſund.“
„Mein Bruder,« ſprach der Miko, „iſt will⸗
kommen; Tokeah hat nie fein Tomahawk gegen Einen
erhoben, den er in feine Hätte aufgenommen, : noch
bat er vie Sonnen gezählt, die er in dieſer geblieben.
„Sch bin überzeugt,“ fprach der Franzoſe, „daß
Tokeah mein Freund iſt, und menn irgend eine böfe
Zunge Unkraut auf den Pfad, der zwifchen und liegt,
gefäet Hat, fo wird ver weiſe Miko über dieſes hin⸗
weggehen.“
nDie Oconees find Krieger und Männer,“ ſprach
Dieſer; „fie hören die Rede des Mito, aber ihre
Hände find frei.“
„Ih weiß e8, Ihe Habt eine Art Republik, in
welcher Ihr eine Art erbliher Conſul ſeyd. Morgen
Der Regitime. Il. 3
— 8 >
wollen wir etwas mehr von der Sache fpredhen.
‚ Bohlen, floßt an; Friede und Freundſchaft!“
„Die Hand des Miko,“ ſprach Diefer, „ift geöffnet,
und wird fih nicht ſchließen; aber die Stimme der
Oconees muß gehört werden.“
„Dieſen will der Häuptling der Salzfee etwas in
die Hände drücken, das feine Worte wie Muſik in
ihren Obren ertönen maden fol,“ erwieberte ber
Seeräuber. „Ih babe ganz artige Dinge für die
Männer, Squaws und Maͤdchen mitgebracht. Auch
für Euch etwas, in dem ihr Euch wahrhaft Miko⸗
mäßig, — zum Berlieben — ausnehmen follt.“
- Der Lieutenant hatte ſich zurückgezogen und bie
Nacht war hereingebrochen, der Halbmond ſchwand
eben hinter den wefllichen Baumgipfeln hinab, ver
alte Mann war aufgeftannen, und trat ſchweigend
mit feinem Gaſte vor die Thüre. „Mein Bruder,“
ſprach er mit bewegter Stimme, „iſt nicht mehr jung;
aber feine Zunge iſt närrifcher, als vie eined thörichten
Mädchens, das zum erfienmale Glasperlen an feinen
Hals hängt. Mein Bruder bat Feinde genug; er
bat nicht vonnoͤthen, fi den großen Geiſt noch zu
einem zu machen.“
11
‚ Nun was dad anbetrifft, mit bem wollen wir
ſchon fertig werden, fprach der Seeräuber lachend.
„Mein Bruder,“ fuhr Diefer fort, „hat die Augen
des Miko lange getäufiht; aber der große Geiſt hat
fie ihm geöffnet, um fein Volk vos Dem zu bewahren,
der feiner und der Gebeine feiner Bäter fpottet. —
Sieh," fprah er, indem er auf die Mondesfichel
hinwies, die über ven Gipfeln ver Bäume ſchwebte,
und feine hagere Geſtalt ſchien ſich ins Miefenartige
zu verlängern; „dieſes große Licht fcheint auf den
Ufern des Natchez und es ſcheint über ven Dörfern
der Weißen; weber ver Häuptling der Salsfee, noch
der Milo ner Oconees haben es gemacht; es iſt ber
große Geift, ver es angezündet. Gier! — indem er auf
das Schlanke Palmettofeld hinwies, deffen Säufeln
wohltönenn zu ihnen herũberrauſchte — „ſeufzet der
Athen ver Ahnen des Miko; in den Wäldern, wo er
geboren wurde, heult er im Sturme ; beide find der
Athem des großen Geiſtes — die Winde, die er in.
den Mund unferer Voreltern legt, die feine Boten
find. Der große Geiſt Hat die Haut Tokeah's roth,
die feiner Feinde. weiß gefärbt, ex bat ihnen. zwei
Zungen gegeben, und fie verſtehen ſich nicht; aber ber
3°
— 3
große Geift verſteht fe, und er erhört die Bitten der
weißen und ber rothen Männer; fie liöpeln mit ver
ſchiedenen Zungen,. fo wie bier unfer Rohr lispelt,
und unfre Eiche im Geburtäland des Miko knarret
und kracht. Höre!” ſprach er nun, und wieder richtete
er fih auf lang und langſam, und feine verwitterte
Geſtalt glich einem Weſen jener Welt; „ver Miko
der Deonees hat. Euer Lebensbuch gelefen, er hat
Eure Buchſtaben gelernt, als er bereits zum Manne
geworden; denn er ſah, daß die Verſchlagenheit der
Weißen von ihren todten Freunden kam. Auch dieſes
Buch ſagt, was ſeine Vorfahren ihm kund gethan,
daß ein großer Geiſt, ein großer Vater lebe. Höre
ferner" — ſprach er — „der Milo war von feinem
Volke zum großen Vater des weißen Volkes gefandt
worden, und als er mit den übrigen Häuptlingen
in Die Dörfer kam, wo die Weißen ven großen Geiſt
in großen Council⸗Wigwams verehren, fand er- fie
ſehr gütig,. und fie nahmen ihn und die Seinigen als
Brüder auf.. Tokeah hatte ein Geſpräch mit dem
großen Bater — fich dieß iſt von ihm“ — er zeigte
ihm eine große filberne Medaille mit dem Bilde
Waghingtons. „Er bat ven ‚großen Vater, der ein
9
fehr großer Krieger und ein "weißer Vater war, ge=
fragt, ob er an ven großen Geiſt feines Buches glaube,
und Derjelbe hat ihm gefagt, daß er glaube, und daß
biefer große Geift derfelbe fey, ven die rothen Männer
verehrten. Das mar die Rede des größten und ge=
rechteften Vaters, den die Weißen je hatten. Höre!“
— fuhr er fort — „als der Miko in fein Wigwam
zurüdfehrte, und gegen die untergehende Sonne kam,
da gebachte feine Seele ver Worte bed großen Vaters,
und er hielt fein- Auge weit offen. So lange als ex
die hochaufgemauerten Council⸗Wigwams fah, mo
die Weißen ihren großen Geift anriefen, da wurden
die rothen Männer als Brüder empfangen ; aber
fobald fe diefe Council-Wigwams nicht länger fahen,
und fle gegen ihre eigenen Wälder zufamen, da wur-
den die Antfige der Weißen finfter, weil ver große
Geift fie nicht erleuchtete. Tokeah hat fich überzeugt,
dag die Männer, - die ven großen Geift nicht anrufen,
feine guten Dienfchen find. Und mein Bruder fpottet
des großen Geiftes und lacht feiner Vorväter in den
feligen Wiefen? — Und er will ein Freund der Oco⸗
nees feyn, denen er ben einzig glängenven Pfad rauben
würde? Er will der Freund des Miko feyn, ver unter
— 9
feiner Laſt gefunfen wäre, wenn ihm feine Väter nicht
herüber gewinft hätten? @ch!« ſprach ver alte Dann,
ſich mit Abſcheu von ihm wendend; „er würde dem
Miko und feinem Volke feine letzte Hoffnung nehmen. *
„Gute Nacht!“ ſprach der Serräuber gähnend.
„An Euch ift ein Methopiftenprebiger verdorben.“
&r wandte fih veni Council⸗Wigwam zu, feiner
Wohnung während feines jevedmaligen Aufenthaltes
im Dörfchen der Indianer. .
Tokeah Eehrte kopfſchüttelnd in feine Hütte zurüd.
Kein Nachtgefang hellte die trübe Stimmung des
gepeimigten Greifen auf, und nur das grelle Pfeifen
ber Wache, die vor der Wohnung ded Seeräubers
und am Ufer fi alle zwei Stunden hören ließ, deutete
auf das Daſeyn lebender Weſen im Wigwam.
Funfzehntes Kapitel.
Ich habe Operationen in meinem Kopf,
welche der aͤchte Spaß der Rache find.
Shaketpeare.
„Capitain! Es iſt eine ungewöhnliche Bewegung
im Dorfe;“ rapportirte ver Lieutenant, ver die Thüre
— 3 0 —
des Council⸗Wigwams - geöffnet Hatte, und vor das
Lager des Seeräubers getreten war.
„Wie ſo?“
„Die Wilden rennen und ſpringen, als wenn ein
Schock Teufel in ſie hineingefahren wäre. Sie tragen
Bündel, Lebensmittel, und Waffen; Alles iſt auf
den Beinen. u | .
Der Seeräuber erhob ſich von feinem Lager und
warf fi in feinen Rod. |
„Suchen Sie dad Nähere herauszufinden. Ich
gebe unterbeflen zum Alten. Sollten Sie etwas Ver⸗
dächtiges fpüren, fo wifjen Sie, was zu thun if.”
„Wohl, Capitain.”
„Kaum ſollte ich jedoch benlen,⸗ ſprach der See⸗
räuber halb zu ſich ſelbſt — „er hat mir noch geſtern
vor dem Schlafengehen eine Predigt gehalten, die mir
zum wenigften beweist, daß ihm mein Seelenheil am
Herzen liegt.“
"Aber, Eapitain, bürfte ich umnaßgeblichſt· —
„Pas haben Sie, Sieutenant ? heraus damit!”
„Wir haben noch ein ziemlihes Streckchen vor und
bis wir zu — gelangen.” -
vIch weiß es.“
—23-
nDiefe Berzögerung;u bemerkte. ver Lieutenant
fhüchtern.
"Hat feine guten Urfachen.“
„Wohl, Capitain.“ —
Der Lieutenant verbeugte fh, und fehritt wieder
dem Ufer zu; der Gapitain war nachdenkend auf die
Wohnung ded Miko zugegangen. Er fand Diefen
por feiner Hütte, feinen Blick flarr auf den Fluß ge⸗
richtet. Als erden Seeräuber ſah, ſchien er in etwas
feine Faſſung zu verlieren. Die Begrüßung erwiederte
er herzlicher, als e8 bei feiner Ankunft geſchehen war.
Aber der alte Mann fehlen unruhig, raſtlos zu ſeyn
und es immer mehr zu werben, was feltfam gegen
feinen fonftigen, unerſchütterlichen Gleichmuth und
Starrheit abſtach. Er war mit dem Seeräuber in
die Hütte getreten; Beide hatten fich geſetzt; doch nicht
lange, fo eilte er wieder zur Thüre und, als ob er fi
erinnerte, feßte er fich wiener. — Plöplich erhob er
fih, trat vor die Thüre, ftredte feinen Hals, und
len zu borchen. — Auf ein Mal ertönte das Dorf
von einem langen, fröhlicden Ausrufe, der wie ein
Lauffeuer von Hütte zu Hütte ging, zuletzt in einem wil⸗
den Chorus endigte, in dem Männer, Weiber, Mädchen,
3
Junge und Kinder ihre gellend durchdringenden Stim⸗
men vereinigten. Der Miko war dem Council⸗Wig⸗
wam ſchnell zugeſchritten. Das ganze Dorf war in
Aufruhr. Hinter jener Hecke, aus jedem Gebüſche,
jeder Hütte flürzten Männer, Weiber und Kinder
wie raſend auf das Councilhaus zu; ſelbſt die An⸗
weſenheit des Miko ſchien ſie nicht in Schranken zu
halten. Auf dem jenſeitigen Ufer des Natchez hielten
beilaͤufig dreißig Indianer alle zu Pferde. Mehrere
ſuchten nach einer Furth im Fluſſe; ungeduldig des 35.
gerns, flürzte fich ein junger Mann mit feinem Noffe
in’d Waffer, und alle dreißig folgten Ihm, fo wie fte
in Reihe und Glied ſich an ihn angefhloffen hatten.
‚Die Breite des Fluſſes, gegenüber dem Wigwam,
war betläufig fünfhundert Fuß, und die Tiefe be⸗
traͤchtlich. Doch die rüftigen Reiter fchienen in ihrem
Elemente zu ſeyn, und kaum daß fie aus ihren: Glie⸗
bern brachen, ſchwammen Ne auf ihren Pferden her⸗
über.
Der Seeräuber war hafig an's Ufer gefchritten,
feine Zähne Enirfchten und in feiner Miene war graͤß⸗
liche Wurh zu Iefen. — „Zehn gute Stutzer nur!
murmelte ex dem Lieutenant zu. .
— a
„Vergebung, Gapitain! das find Feine Oconees;
das find Cumanchees, die haben ven Teufel im Leib.
IH kenne fie aus meinen mexikaniſchen Feldzügen.“
Die kleine Schaar hatte die Bucht nun erreicht,
wo die Canoe -auf Wattapſeilen hingen. Mit einem
Schwunge wandten fi} die Indianer auf ihren Pfer⸗
den, und dann fprangen fie beinahe zugleich von dem
Rüden ihrer Thiere auf das Ufer, zogen viele nach,
und ſchwangen fich wieder auf, mit einer Schnelligkeit
und Gewandtheit; die beinahe im Zweifel ließ, ob
Die Babel ver Eentauren nicht verwirklicht war.
Der Vorderſte war bis auf einige Schritte an bie
Oconees herangefonmen, die, ihren Miko an ver.
Spige, vor dem Eonneilhaufe warteten, al& der Kreis
fich öffnete, und Diefer hervortrat, vie flache Hand
weit ausſtreckend.
„Der große Häuptling.ver mächtigen Cumanchees
und der Pawnees des Toyaskſtammes,“ ſprach er
feierlich, „iſt willkommen!“
Der junge Indianer, an den die Worte gerichtet wa⸗
ren, hielt und hörte die Begrüßung mit Aufmerkſamkeit
an, indem er zugleich ehrerbietig ſein Haupt neigte.
ALS der alte. Mann geſprochen hatte, ſprang er.von
— 35
feinem Roſſe und ſchritt, feine flache Rechte ausge⸗
ſtreckt, auf den alten Mann zu. Als er Diefem ganz
nahe gekommen, verbeugte er ſich noch einmal, ‚er-
griff feine Hand und Tegte fie auf Tein Haupt.
Die gegenfeitige Begrüßung war nicht ohne Würde,
und hatte no ein beſonderes Intereffe durch den
Kontraft, der fich bier fo auffallend zeigte. Nichts
fonnte wirklich einen ſtärkern Gegenfaß mit dem ver⸗
trosfneten, hagern Miko bilden, der einem verwitter-
ten Riefenftamnte gleich, ftarr, ſchweigſam und melan⸗
choliſch da ftand, und dem offenen, männlich würde⸗
vollen und doch wieder fo fanften, jungen Hänptling
der Cumanchees. Sein ovales Haupt war mit einem
maleriſchen Hauptſchmucke von Bevern und Fellwerken
bedeckt; feine gewoͤlbte Stirn und blůhendes Angeficht
von leichter Kupferfarbe ſchien die wilde Kriegsfarbe
feiner Gefährten zu verihmähen; feine ausdrucks⸗
vollen, glühend ſchwarzen Augen mit der ebeln
Römernaſe waren im fhönften Einflange mit. feiner
männlich gediegenen Geftalt, die durch feine Kleidung
und Bewaffnung fehr hervorgehoben wurde. . '
Seine Bruft bevedite ein Wamms von blauen
Fuchafellen und von feinem Rüden hing eine Panther⸗
— >
haut herab, die, mit goldenen Spangen an feinen
Schultern befeftigt, eine Form fehen ließ, die Thor⸗
waldfen oder Canova entzückt haben würde. Es war
eine herrliche Geftalt männlicher Schönheit, fret,
rein und unverdorben aufgefproflen in den entzückenden
Fluren Mericod, und in ver Mitte eined mächtigen
Volkes, das außer dem großen Geifte keinen Meifter
erkannte. Ein Dolch mit Griff von gebiegenem Golde
ftad In feinem Gürtel, ein kurzer Stutzer und eine
nem Fuß lange Lanze, an welcher ein Roßſchweif
hing, boten eine Rüſtung dar, die, was Zweck⸗
mäßigfeit und Reichthum betraf, nicht fehöner gedacht
werden konnte.
Als der junge Häuptling fih von feinem Roß
geworfen, wurde dieſes von einem feiner Begleiter
aufgefangen. Es war ein ſchönes Racepferd, gleich-
falls mit einer Pantherhaut behangen, deren vier
Enden mit goldenen Spangen am Nacken und Rüden
befefligt waren. Es hatte weder Sattel noch Steig-
hligel ; zu beiden Seiten hing jedoch an einem Riemen
eine‘ Kapfel herab, in welcher vie Lanze und ber
Stußer rubten.
Aehnlich gekleidet und bewaffnet waren noch vier
—d 3 —
Krieger ded mächtigen Indianerflammes der. Cuman⸗
chees. Sie trugen ihre Haare zu beinen Seiten der
Stirne herabgefämmt, ihre Geſichtsfarbe war eine |
Miſchung der Dliven- und Kupferfarbe. Sie fchienen
ſtolz zu ſeyn und ſelbſt auf. die Pawnees vornehm
herabzublicken. Um den Hals ihrer Pferde hing der
Laſſo, dieſe gefährliche Waffe, mit welcher der mexi⸗—
kaniſche Reiter Feinde, Büffel und Pferde im wildeſten
Galoppe fängt, indem er-mit. wunderbarer Schnelle
und Gefhiclichfeit die Schlinge über den n Kopf von
Menſch oder Thier wirft. |
Der Ueberreſt der Schaar waren Bates des
Toyaskſtammes. Ihr Saar war glatt am Kopfe
weggeſchoren, und bloß ein Buͤſchel war am Scheitel
fiehen gebliehen, forgfältig geflochten. Weber ihren
Schultern hatten fie weich gegerbte, roth. gefärbte
Buffalvehäute,. die, fle mit der haarigen Seite nach
inne gefehrt trugen. Statt des Sattels diente ihnen
gleichfalls eine Buffaloehaut. Jever hatte einen zoll⸗
breiten Gürtel, an welchem fein Hüftenhemb befeftigt
war. Sie trugen Mocaffind von. Elksfellen. Bei⸗
läufig die Hälfte war mit. Musketen und Stußern
bewaffnet, Alle aber hatten ganzen, ein langes
38 >
Schlachtmeſſer over vielmehr Faͤnger und den Toma⸗
hamwk . Sie waren wohlgeforinte und Fräftige Männer,
verglichen mit denen die Oconees, mit ihren dünnen
Armen: und ſchmalen Schultern, wie Rinder aus⸗
faben.
„Mein Bruder iſt drei Mal willkommen!“ wieber-
holte der Miko nach einer Welle, währen welcher
fein Blie mit dem Ausdrucke ver reinſten Zufrieden⸗
heit auffi emem herrlichen Gaſte und Vegleitern geruht
hatte.
„Hat der große El Sol der Worte gedacht, die
ihm Tokeah durch feinen Laufer geſandt?« fragte ver
Miko.
"Er hat offene Ohren, und ein weites Herz mit⸗
gebracht,“ verfeßte der junge Häuptling würdevoll.
„Iſt die Rede des großen Miko für EI Sol allein,
ober mögen. die Krieger ver Cumanchees und Paw⸗
need fie auch anhören?“ fragte er nach einer Baufe.
„Die Säuptlinge und Krieger der Cumanchees und
Barnes find willfommen im Counctil⸗Wigwam der
Droneed. ‚Sie find ihre Brüber.*
Als der Miko dieſe Worte geſprochen, fliegen bie
vier Cumanchees und eine gleiche Anzahl der Pawnees
—9 39 ⸗—
von ihren Pferden und gingen mit den Haͤuptlingen
auf dad Council⸗Wigwam zu. Nachdem viefe mit
den. Kriegern in nie Hütte eingetreten waren, fliegen
auch die Uebrigen von ihren Pferden, und bilveten,
an bie Hälfe diefer gelehnt, einen Halbkreis.
Näher am Councilhauſe Kanden die Oconees, bloß
mit ihrem: langen Schlachtmeſſer bewaffnet, und
hinter ihnen in ehrerbletiger Entfernung die jungen
Männer des Wigwams, gleihfalls in einem Halb
freife. Weit hinter Diefen die Squaws und Mädchen
und Kinder, denen die firengen Regeln indianiſcher
Rangetikette felbft eine nähere Anſchließung an ihre
eigenen Leute nicht geftattete. Das Wigwam hatte
fo allmählig die Geftalt eines Heinen Lagers ange
nommen, in dem die verſchiedenen Truppencorpd in
raſcher Bewegung auf» und nieverfirömen.
An dem Ufer lagen vier Seeräuber auf ihre Arme
"geftügt, während ihr Bapitain und Lieutenant durch
das Gebüfche vem Ufer entlang fich ergingen. Einen
ſcharfen Blick ausgenommen, ven fie zumwellen hinüber
auf die Gruppen der Indianer warfen, ſchienen fie
Beide Fein beſonders Intereffe an ihnen zu nehmen.
Sp mochte beiläufig eine Stunde verflofien feyn,
0
ala die Thüre des Council⸗Wigwam ſich öffnete und
Tokeah heraustrat, mit haſtigern Schritten als ge⸗
wöhnlich dem Ufer zueilend. Er ſchien Jemanden zu
fuchen; und die Seeräuber, ſeine Abſicht errathend,
veuteten ſchweigend auf das am Ufer krumm ſich hin⸗
ziehende Gebuͤſch. So wie der Pirate den auf fich
zukommenden Miko bemerkte, hielt er ſtille.
„Die Häuptlinge der rothen Männer,“ ſprach
Dieſer, „find in die Wohnung gekommen, die Tokeah
ſeinem Bruder eingeräumt hat, um da Rath zu
halten. Will der viuptling der Salzſee ihre Rede
anhören?!
- Diefer nickte bejahend, und Beide gingen durch die
Menge dem Councilhauſe zu. Kaum daß Einer der
Indianer feine Augen erhob, um, wie e8 in civilifirten
Gemeinden ver Fall gewefen feyn würde, aus den Ge⸗
fihtern der beiden gewichtigen Männer herauszulefen,
was die plöglihe, ernfte und fo ungewöhnliche Ver⸗
fammlung zu beveuten habe. Als fie Beide ind In⸗
nere getreten waren, deutete ber Miko ſchweigend auf
den Rubefig. Eine geraume Weile [wiegen Alte.
Endlich begann er in feierlichem Tone: „Häuptling ver
Salzſee! Zwei Mal Haben die Bäume ihre Blätter
—M>
von fich geworfen, und zwei Mal find fie wiener in
ihre Gewänder vom großen Geiſte gehuͤllt worben,
feit Tokeah und fein Volk für Lafitte gejagt, und
ihre Weiber für ihn Korn gefäet und geerntet haben.“
„Das ift bezahlt; zur Hauptſache, wenn es bellebt,
verſetzte der Seeräuber.
Die Indianer ſaßen unbeweglich. — El Sol jedoch
erhob ſein Haupt und blickte den Sprecher neugierig
forſchend an.
⸗Der Miko der Oconees,“ fuhr der Häuptling in
demfelben Kalten Tone fort, „Fann nicht laͤnger für
Pafitte und fein Volk jagen. Die rothen Männer
und die von der Salzfee müſſen verfchienene Babe
einſchlagen.“
„Mit andern Worten,“ unterbrach ihn der See⸗
raͤuber, „Ihr ſchlaget die Vereinigung und Ver⸗
brüderung mit af auß. — Mas er die Unſaqhe
wiſſen? ?4
„Sieh!« ſprach der alte am, er bon feinem
Sitze erhebend, und durch das Fenſter auf einen Cot⸗
tonbaum zeigend, ver die Hütte überſchattete, „dieſer
Baum ſproß vor fieben Sommern aus dem Boden.
Er war ſo zart und klein, daß der Schnabel eines
Der Legitime. IL 4
42 8
Vogels ihn hätte aus der Erbe reißen können, in die
die Winde ven Samen hingeworfen hatten aber dieſer
Heine Samen iſt gewachſen und ifl groß. getworben, und
zehn rothe Männer Eönnten ihn nun nicht aus dem
Grunde reißen. Er würde fle unter feinem Gewichte
begraben. Der Häuptling der Salzſee wird nie ein
Jäger auf den Wiefen werben; er liebt feine Hand
nad Dem auszuſtrecken, was nicht fein ift; fein Durſt
nach frembem Gute ift ſtark geworben, wie der Stamm
des Baumes, und würde alles Uebrige erbrüden.
Er wird nie lernen, mit Wenigem zufrieden zu feyn. “
— Der Seeräuber Tächelte höhniſch; aber feine Züge
ebneten fich ſchnell wieder.
„Der Miko« — fuhr der Indianer fort — „ſpricht
bloß, was die Freunde und Feinde Lafittes fagen.
Sieh," — ſprach er, indem er aus feinem Gürtel
die Proflamation hervorzog, und fie vor dem Piraten
ausbreitete — „der Vater der Weißen hat einen Preis
von vielen Dollars auf feinen Skalp gefeßt. Er nennt
ihn einen Dieb.“
Der Seeräuber hatte mit diplomatiſchem Gleich⸗
muth zugehört. Kaum eine Miene verzog fi in-
feinem Geſichte. „Diefer elenve Beben Papier iſt
—+ Be
denn die Urſache Eurer heimtüdifchen Netirabe,
verfeßte er endlich mit Verachtung. „Diefe elenven
fünfhundert Dollars! wollt Ihr fie verdienen? Hier
find taufend — zehnmal taufend. ” |
Der Indianer fehien beleidigt. „Lafitte,“ ſprach
er, „ift im Wigwam des Miko der Degneed, und er
mag in Sicherheit fchlafen. Die Oconees find arm;
ihr Reichthum ift das Feuergewehr und der Pfeil,
mit denen fie das Buffaloe und den Hirſch jagen; fie
bevürfen ve Reichthums Lafittes nicht; wenig würde
er auch unter ihnen finden. Ihre Pfade müſſen venn
in verfhiedener Richtung gehen.“
„Ich dachte, Tokeah wäre ein Mann,” ſprach ber
Seeräuber, ver fich eine Kaltblütigkeit aufprang, bie
ihm augenfcheinlih ſchwer wurbe. „Ich dachte, er
wäre ein braver Feind, der das Unrecht, das bie
Meißen ihn zugefügt, nicht vergefien hätte ; ich ſehe,
ich habe mid geirrt. — Ein Stück Papier bewegt
ihn, feinen ehemaligen Freund zu verrathen. — Er
ift fein Mann. u
Das Beuer begann in den Augen bed verborrten
Indianers zu glühen, als er biefen beißenden Vor⸗
wurf hörte. Mit- einer- bemunpernäwerthen Ruhe
. 4°
>
jedoch oͤffnete fih fein Wamms, und zeigte die ſchreck⸗
lichen Spuren, die die. Saͤbel und Bajonette feiner
weißen Feinde da zurüdgelafien hatten. „Tokeah,“
fprach er raſch und mit halberſtickter Stimme, „Hat
mehr Hiebe ausgetbeilt, mehr Wunden gefchlagen
und empfangen, als ver Häuptling der Salzſee Finger
an feinen Händen und Bühen hat.- Er lacht der Rede
Laflttes. u
„Warum alfo fuͤrchtet Ihr eine Proklamation, di⸗
Euch nicht ſchaden kann? Was haben wir hier in
Merico mit dem Gouverneur von Louifiana und ſeinen
Yankees zu thun?“
„In Mexico?“ wiederholte der Miko. „Wie meint
mein Bruder dieſes?“
„Wir ſind in der mexicaniſchen Brom Keras,
ſprach ver Serräuber.
Der alte Mann war während feines Aufenthalte
an den Ufern des Natchez in der feſten Meinung ge⸗
weſen, daß er mit ſeinem Volke noch immer im Ge⸗
biete des großen Vaters der Danfees ſey, und dieſer
Wahn hatte den alten Mann Tag und Nacht wie ein bö⸗
fer Traum verfolgt. Der Seeräuber wußte, wie raſtlos
er von diefem Wahne umhergepeitſcht war; aber er hatte
5
mit der wichtigen Entdeckung zuruͤckgehalten, wahr⸗
ſcheinlich um ihn und die Seinigen deſto mehr In fginer
Gewalt zu haben. Auch gegenwärtig ſchien er fle ihm .
bloß mitgetheilt zu haben, um. ihn wo möglich won
feinem Entſchlufſe, ſich mit den Cumanchees zu ver-
einigen, der num ziemlich offenbar geworden war,
abzubringen.
Der alte Mann hatte die Entdeckung mit offenen
Augen und Ohren angehört. Ex holte tief Athem,
gleihfam als waͤre er einer ſchweren Buͤrde fo chen
ledig geworden.
„So lebt alſo der Miko ber Deoneed nicht auf dem
Boden, ben. ber große Vater der Weißen für bie
Seinigen als Eigenthum anſpricht frug er nach
einer Pauſe. | |
„Gewiß nicht. — Ih kann Eu) die Mappe zeigen. A
Der Indianer verſank in fein voriges Nachdenken.
Es war dieſes eine für ihn äußerſt wichtige, erſreu⸗
liche Nachricht. Im gegenwärtigen Falle jedoch kam
fle zu ſpaͤt, da allem Anſchein nad bie Unterhand⸗
lungen auf einen Punkt vorgerückt waren, von dem
der Miko, ſelbſt wenn er es gewollt hätte, nicht zu⸗
rücktreten konnte, ohne eine herabwürdigende Blöße
— 46 ⸗—
zu geben. Selbſt ſein gegenwärtiges Nachfinnen
fehlen bereits aufzufallen, und ber junge Häuptling,
‚der aufmerkfam geworben. war, brachte den alten
Mann bald wieder in feine. vorige Talte, flarre Rühe
zurüd.
„Die Hand ded großen Geiſtes,“ ſprach ex, „liegt
ſchwer auf ven rothen Männern. Er hat fein Geficht
verdunkelt, ihre Tapfern find erfchlagen — ihre Ge⸗
. beine bleichen unbegraben auf der Erde. — Ihr Blut
tft in Strömen geflofien. Es ift Zeit, daß die To⸗
mahawks begraben werden, oder die Kinder der rothen
. Männer werden von ber Erbe verſchwinden. -Sie
haben viele Feinde, fie dürfen diefen DVielen- nicht
noch mehrere hinzufügen — fie dürfen die Kette des
Vereines zwifchen ihnen und den Männern der Salze
fee nicht fehlteßen. «
Der Seeräuber hatte gefpannt ac. Plotzlich
fuhr er heraus:
„Wenn ich Euch. jedoch darthun kann, daß eben
dieſe Feinde um’ — er hielt inne — „Tokeah!“
ſprach er, ſich ſtolz erhebend, „ich bin gekommen,
Euch meine Verbrũderung anzutragen, Gemeinſchaft
alles deſſen, was ich befitze, was mich Jahrelange
— 17
‘Mühe und Arbeit gekoftet. Lafitte, der Schreien ver
See zwischen Europa und Amerika, ver Herr des mexi⸗
caniſchen Meerbufens, bietet Euch mit feinen Braven
feine Freundſchaft und Bruderſchaft an. Lafitte will
fie nicht als eine Gunſt; er bietet ſie Euch als eine
ſolche an. Nicht Er iſt der gewinnende Theil; Ihr
fegb es. — Elende und verächtlihe Gefchöpfe, wie
Ihr ſeyd, Lafitte würdigt Euch feiner Bruderfchaft.
Er wird Euch befhügen; Fein. Danfee fol Euch ein
Haar krümmen. Er fhwört ed. Es iſt ſein letztes
Anerbieten.“
Die Kraft und felbft Bäche, mit ber er dieſe
Worte ſprach, würden einem beſſern Charakter wohl
‚angeftanden feyn. — Die Indianer blickten on übers
raſcht an. |
nDer Miko,“ ſprach der alte gäuptling mit feiner
unerſchůtterlichen Ruhe, „ift von den Ländern feines
Vaters gewichen, weil die verraͤtheriſchen Weißen fi
da nievergelaflen haben.. Seine Seele fehnt ſich nad
dem Volke feiner Farbe; fein Herz iſt mühe ber
Weißen; — aber ver Miko ift nicht von den Wei-
Ben geflohen, um: bie Schlechteſten aus ihnen in
feinen Bufen aufzunehmen. Die Kette, die die Oco⸗
— 8 —
need an das Bolf der Weißen gebunden, muß ges
brochen werden, fobald ver Häuptling feinen Rüden
dem Wigwam ver rothen Dinner zugelehrt hat. *
„Es ift gut,“ verfeßte der Seeräuber mit erfüne
fteltem Gleichmuthe. „Eurem Verſprechen zufolge
erwarte ih, daß die weiße Roſe mir als die Meinige
ausgeliefert werde. Ich forvere fie als mein Eigen-
thum. 4
„Lokeah verſprach die weiße Rofe dem Gäuptling
der Salzfee, dem Freunde der Oconees, dem Feinde
der Yankees — dem Krieger; aber ex bat fle nicht
dem Näuber, dem Diebe verheißen. — Der Miko
hat fie ihm verheißen, wenn der Häuptling der Salz⸗
fee in fein Wigwam ziehen wird; — dieſes ik ihm
nun verfählofien, er muß fih um eine andere Squaw
umſehen.“
Ein tůckiſches Lächeln umkreisje ven Mund des Pi⸗
raten bei Anhörung dieſer Rede. Er ſchoß einen giſti⸗
gen Blick auf ven Sprecher, und trat dann raſch aus
der Thüre. Die Uebrigen blickten kaum auf. Stumm,
wie fie gefefien waren, blieben fie noch eine Weile auf
ihren Pläßen, und ‚verließen dann die Rathöftube.
a40 >
Sechszehntes Kapitel.
Das Heißt wie ein tüchtiger Kerl geſprochen
dem ſein guter Name etwas werth iſt.
S akesſspea re.
Die Sonne Hatte bereits ihre Mittagshöbe erreicht,
als die Häuptlinge dad Council⸗Wigwam verließen,
um bie große Berfammlung im Freien zu halten, zu
der nun alle Vorkehrungen getroffen wurden.
Die Unterhäuptlinge und übrigen Krieger ftellten
fi in zwei Halbfreifen auf, von denen der innere,
kleinere durch die Altern, der äußere durch die jüngern
gebildet war. Alle ſaßen nach gewöhnlicher Indianer-
weile, ihre Schenkel in einander geflochten, in ihren
Gürteln ihre Sfalpiermefler und Tomahawks, ruhig
die Erſcheinung der Hauptperſonen abwartend.
Der Raum gegen dad Council⸗Wigwam, als
Ehrenplag, war ganz den Pawnees überlaffen, bie
alle in.einer Reihe herumfaßen; ein Zeichen, daß fie
indgefammt verfuchte Krieger waren. „So. wie die
zwei Häuptlinge mit. ihren Begleitern aus der Stube
beraußtraten, flanpen Alle auf, und indem fie ven
50 —
Halbring öffneten, gingen Jene hindurch und formten
einen dritten kleinern Halbmond, in deſſen Mitte
Tokeah und EI Sol ſich nieberliegen. Die ernfte,
beflimmte und würdevolle Miene diefer fogenannten
Milden, ihr ſcharf durchdringender Blick, ihre männ-
lichen, obgleich durch Wildheit verftellten Züge und
Geftalten gaben ver VBerfammlung ein Gepräge von
Würde und Bedeutſamkeit, die au die Theilnahme
des Gebilveten um fo mehr angeregt haben vürfte,
als diefe Menſchen zufammengefommen waren, fi
als freie Männer über ihr eigenes Wohl u und Wehe
zu berathen. |
Einer der älteften Oconees aus dem zweiten Halb⸗
Freife brachte nun-bie Calumet. Er trat vor bie zwei
‚Häuptlinge bin, zog den Rauch ein, und bließ die
erſte Wolke, die er im Mund gefammelt Hatte, auf⸗
wärts — dem großen Geiſte zu, die zweite abwärts,
der Muttererve, und die dritte in gerader Linie an
feine @efährten, ihnen fo feinen guten Willen be⸗
deutend. Als er diefe drei Wolken geblafen hatte,
übergab er die Pfeife EI Sol, ver gleicherweife drei
Wolken ausftieh, und fle dann weiter gab. Nachdem
Die Pfeife drei Runden, zur Ehre ber drei Bölkers
— 51 &—
ſchaften, vie ſich vereinigt Hatten, gethan, ſtand
Tokeah von des Erde und begann feine Rede.
. Sie enthielt nichts, das unſern Lefern neu oder
jehr intereffant feyn dürfte. — Es war ein Gemäfbe,
wie es ftch von einem Manne erwarten ließ, deſſen
Pinſel in die verbitterte Galle feined Gemüthes ge-
taucht war,. und in dem jeder Athemzug Rache und
Feindſchaft auödrückte. Er verweilte lange bei der
Schilderung der hinterliſtigen Wege, durch welche
die Weißen ihn und ſein Volk ihres Erbtheils be⸗
raubt hatten, malte die Betrügereien und Erpref⸗
‚fungen, die fi ihre Zwiſchenhändler in ihrem Ver⸗
kehr mit den Rothen Hatten zu Schulden kommen
laſſen, — deutete auf die Schlingen und Ballftride
hin, die ihm und ben Geinigen gefegt und gelegt
worden waren, und die ihn endlich bewogen hatten,
-für Immerbar dad Land feiner Väter zu meiden, und
dahin zu wandern, wo er hoffen Eonnte, daß er fie
‚nie wieberfehen würbe, fein gegenwärtiges Aſyl. Er
glitt etwas Teichter über feine Verbindung mit dem
‚Seeräuber bin, und zwar in Ausdrücken ſo ſchonend
als möglich, erwähnte der Proflamation des Waters
der Weißen, die ihm nicht länger geftatte, mit feinem
— 2 e—
Volke an dem Strome zu. verweilen, zu dem ber
Häuptling der Salzſee durch feine Canoes ven Schlüf-
jel Hätte. Er ging dann über zur Gefangennehmung
feiner Tochter, und malte, mit Rührung im Auge,
die Selbftaufopferung und Gefahr, mit ver EI Sol
fie aus der Mitte ihrer erbodten Feinde errettet hatte,
und wie ber edle Häuptling. die Kette. dargeboten,
die beide Völker für immer mit einander vereinigen
foltte. Er eröffnete der Berfammlung, daß der große
Häuptling zweier Bölkerfchaften ver Sohn des Häupt⸗
lings einer dritten werben wolle, der Sprofie der
Mikos der Dconees, daß die drei: Völker Fünftig
bloß ein Volk ausmachen würben, und ſo vereinigt
ihrer Feinde ſpotten Eönnten.
„Es ift Zeit, fo ſchloß er, „den Ning wieder zu
ergänzen, ben Blindheit zwiſchen ven rothen Völkern
gebrochen; Zeit, die Kinder ver großen rothen Familie
gufammen zu zufen, die. bisher weit von einander
zerfireut waren. Der große Geift hat geſprochen
durch die That des mächtigen Häuptlings der Cu⸗
manchees und Pawnees, er hat die gebrochene Kette
wieder vereinigt. Der Miko hat den Ring erfaßt
und will ihn nie mehr brechen. Die Arme Tokeahs
3
. fangen an fteif, feine Füße ſchwach zu werben; er
hat rund umher um einen Sprößfing geſucht, und
er ſuchte vergebens; — nun hat ihm der große Geiſt
einen gefandt in dem Befreier feiner Tochter. Das
Blut der Mikos wird nicht von der Erde verſchwinden;
es wird, vereinigt mit dem des großen Cumanchees, in
den Söhnen El Sols fließen. Er wird ein Sohn
des Miko, ein Vater der Oconees, ein Haͤuptling,
ein Krieger, ein Bruder ihnen ſeyn. Männer der
Oconees! fehet Hier den Sohn Eures Miov
Die Blicke ver Verfammlung richteten fi voll
Bewunderung und Liebe auf den jungen Mann, der
fich nun gleichfalld von der Erde erhob, und. nachdem
er fih vor dem Miko verneigt ‚ eine Weile inne hielt,
und dann folgendermaßen begann: .
nBiele Sommer find feitvem verlaufen, und El
Sol Hatte noch nicht Has große Tagesgeſtirn erblickt,
welches ver große Geiſt gefhaffen, um. ven zwei
großen Vätern der rothen Dlänner als Fackel zu
leuchten, während fie in ihrem Canoe über vie breite
Salzſee ſchwammen, ald die jungen Männer ber
Pawnees des Toyaskſtammes die großen Berge über-
ſchritten, die zwifchen ihnen und den Wiefen ver
— 4
zothen Männer im weiten Lande des Mericos liegen.
Da bauten fie ſich Hütten, und jagten: Laſſet und
hier bleiben, denn der Büffel und Elennte gibt es in
Fülle. Nachdem fie zehn Sonnen gejagt hatten, fan⸗
den die rothen Dänner des Mexicos ihre Fußſtapfen,
und fie kamen mit umwölkter Stirne und Zeuerges-
wehren und auf fehnellen Roffen. Die Männer ver
Pawnees find Krieger, und fie wandten ihre Ruͤcken
den Feinden nicht zu. Das Kriegsgeſchrei erſchallte,
und zwei Männer ver mexicaniſchen Krieger wurden
erfhlagen, die andern flohen auf ihren fehnellen
Roſſen. Bon Einem der fterbenven Krieger vernahmen
die Pawnees, daß fie Tapfere des großen Volkes ver
Cumanchees waren. Sie kehrten in ihr Wigwam
über die Berge mit den Skalps der Erſchlagenen
zurück. “
„Groß war die Freude ber Pawnees, als die
jungen Männer vor die Häuptlinge traten und Dieſen
die Skalpe ihrer mächtigen Feinde vorzeigten, und
laut war ihr Triumph; aber Ettowah, der groͤßte
ber Häuptlinge, erhob ſeine Stimme , und Alle waren
file. — Männer der Pawnees! fo Tauteten feine
Worte: v nIhr habt zwei Skalpe von den Häuptern
des mächtigften rothen Volkes genommen, das zwi⸗
ſchen der auffteigenden und der niedergehenven Sonne
lebt. Seine Krieger find zahlreicher als die Büffeln,
ihre Roffe flüchtiger als ver -Blig, ihre Rache tödt⸗
lichet als der Biß der Schlange. Nicht lange, fo
werben fie die Berge überfchreiten, und vie. Gebeine
der Pawnees werden auf ihren Gründen erbleichen, .
ihre Wigwams werden in Flammen auffodern ,. ihre
Sfalpe von ihren Schäveln geriffen und im Rauche
ihrer brennenden Hütten getrosfnet werden. Männer
der Pawnees! Das Auge Wacondahs flieht finfter
auf Euch herab, Eure Söhne. find gegangen, wo ihre
Fußſtapfen nimmermehr hätten gefehen ſeyn follen;
fie Haben das Kriegsgeſchrei erhoben, als fe auf
unrechtem Wege waren. Sie find über Berge ge=
drungen, die der große Wacondah felbft als Grenz⸗
Scheide zwifchen den beiden Völkern gefeßt hat. Män⸗
ner der Pawnees! Ihr müflet gerane machen, was
Eure jungen Krieger krumm gebogen; Ihr müſſet die
Rache der großen Cumanchees verföhnen, weil Ihr
Unrecht gethan habt. Es iſt befier, daß zehn unfrer
Männer fterben, ald das ganze Dofk.u u
„Sp fpra der große Ettowah. Laut erſchallte
— 56 9
das Wehflagen unter ven Pawnees, als fie die Rede
ihres größten Häuptlings vernahmen, aber fie Hörten
auf feine Worte, Feines fiel auf den Boden; denn ver
große Häuptling ſprach wahr.“ |
„Die Häuptlinge und Krieger. verfammelten fi
im Rathe, und bald darauf Hörte das Wigwam ven
Todesgeſang aus dem Kreife der Krieger und jungen
Männer. Es mar ver Topesgefang von Blackeagle,
dein rinzigen Sohne Ettowahs, die Stügße. feines
ſchwankenden Alters. Der große Ettowah fah ven
jungen Krieger, feine Ohren fingen ven Todesgeſang
auf, der feinen -Pippen entſtroͤmte, aber er ſeufzte
nicht, er trauerte nicht — ſeine Seele war mit Freude
erfüllt. Bon neun Zungen ertönte noch der Todes⸗
geſang, und zehn Krieger der Pawnees verließen
ihr Wigwam, ihren eigenen Grabesgeſang fingend.
Sie überſtiegen die Berge, und ritten auf die Wis⸗
wams der Cumanchees zu.“
„Die Cumanchees find ein maͤchtiges, aber fie find
mehr, fie find ein großmütbiges und tapferes Volk,
fie find die Blüthe und der Stolz des rothen Ge-
ſchlechtes. — „„Der große Geift verhüte! ſprachen
fie, daß wir Diejenigen tödten follten, die in Frie⸗
— 57 —
den zu uns kommen; unfre Brũder haben nicht zu
fürchten. 24
„Aber zwei Väter unfrer Rieger PR ohne Sim; ;
zwei von Euern fingen Dlännern follen ihnen Söhne
feyn, die Viebrigen mögen in ihre Wigwams zurück⸗
kehren. Blackeagle war Einer der Beiden, vie ges
wählt worben waren, Söhne der Eumenders gu
werden. «
Blackeagle hatte noch nicht ganz zwanzig Sommer
worüber ſchreiten gefehen; aber er war bereitö breimal
auf dem Kriegspfade gegen die Oſagen gemwefen, und
er wußte einen Feind zu töbten und ein wildes Pferd
zu zähmen. Die Cumanchees Tiebten ihn, und ihre
Toͤchter warfen fehnende Blicke nach dem großen Jäger;
aber in. feiner Seele war's Teer und öde, feine Ges
danken waren bei feinem Vater — feinem Volke —
ſeinen Brüdern.“
„Er liebte die Jagd der Büffel md der wilden
Roſſe.“
„Einſt als « er durch die endloſen Wieſen der Cu⸗
manchees dahin flog, traf fein Blick ein Pferd, daB
ſchneller als der Hirſch, weißer denn Schnee, und
ſtolzer als der Elk, über die Fluren hinwegſehte. —
Der Legitime. I. ' 5
858 >
Seine Seele verlangte nach dem Stolze ver wilnen
Roffe, aber es ſchoß wie ein. Blitz vor ihm weg.
Zwei Sonnen war er feiner Spur gefolgt, gegen
Mittag und immer. gegen Mittag war'er geeilt, als
er es endlich auf den Wiefen des großen Häuptlings
der Cumanchees fand, der gegen Die heiß brennende
Sonne zu lebte. Er warf feinen Lafjo, und das Roß
war fein eigen, als die Thüre des großen Migwams
des Häuptlings aufflog und feine Tochter heraus
fam. — Es gehörte ihr. — Es war von den Wiefen
gefprungen, und hatte feine Bruͤder aufgefucht.“
„Blackeagle ſah Corah ins Auge, und ver Laffo
entfiel jeiner Hand; nenn. die Tochter des größten der
Häuptlinge der Cumanchees war fhön, wie die aufs
gehende Morgenjonne. Das weiße Roß fprang auf
bie Jungfrau zu, und fie hüpfte auf deſſen Nüden.“
„.nMein Bruder!“« ſprach fie, „aiſt müde, und
Corah wird ihn in ihres Vaters Haus führen, daß
"er feine Glieder ausruhen möge; er ift hungrig, und
fie will ihn ſpeiſen; er iſt durſtig, und fie will ihn
mit dem Safte der Palme traͤnken; er iſt ſchlaͤfrig,
und fie will ein weiches Lager auöbreitn. Komm
mein Bruder! #
— 9
nBladengle hörte auf, nah dem Wigwam ver
Pawnees fich zu ſehnen, denn Corah war ihm nahe,
als er das wilde Roß fing, und fein Auge fah den
weißen Renner, wenn er auf die Jagogründe flog.«
.nnDu bift mir theurer,““ lispelte die Tochter
ded großen Häuptlings, „„als das Kicht meiner Au⸗
gen, Dein Athem ift mir füßer, als ver fühle
Morgenwind, Deine Stimme wohltönender meinen
Ohren, ald der Gefang der Vögel. Bitte EI Sol
um Corah, er wird Dir feine Tochter geben.“ —
„Und EI Sol fah die Thaten Bladeagles auf den
Jagdgründen, und feine Seele war mit ihm.
nn Bladengle!” 4 ſprach er, „ „meine Tochter flieht
mit freundlichen Augen auf Dich, den Pawnee; aber
ber Bater Tann die Freude feines Herzens nicht ſei⸗
nem jungen Bruder geben, ver noch Teinen Feind
feines Volkes getöbtet. Meine Krieger werben in kur⸗
zem gegen bie weißen Dlänner Mexicos in den Krieg
ziehen. Mein junger Bruder muß ſich an fle an⸗
fließen. Wenn er mit bem Siegeszeichen wieder⸗
kehrt, ſo wird er El Sol als Sohn willkommen
ſeyn.«4 | | |
„Blackeagle hatte vie Rede des großen Häuptling®
5*
— 0 —
gehört, und ſeine Seele war hoch erfreut, Er ging
auf den Kriegspfad, und brachte zwei der Säupklinge,
Männer ver Mexicos, mit ihm, und: er wurde ber
Sohn des großen EI Sol's und lebte in ſeines Vaters
großem Wigwam.“
„Ste wurden,“ ſprach der junge Mann in fang-
fam feierlihem- Tone, „Vater und Mutter von GI
Sol, dem Säuptlinge: der Cumanhees und ber
Pawnees.“ —
Die Augen der ganzen Verſammlung hingen in
ſprachloſer Rührung auf dem jungen Anführer, als
er in tiefer Bewegung inne hielt.
aDie Blätter ver Palmen,“ fuhr er fort, „haben
fich nicht öfters denn ein Mal erneuert, als der große
Geiſt den Vater Corah's in die glänzenden, grünen
Wieſen abrief. Die Häuptlinge und Krieger ber
Cumanchees Hatten fih verfammelt, um die Worte
bes ſterbenden EI Sol zu hören, ihres größten und
weiſeſten Häuptlings. „ „Männer der Eumanchees, * *
ſprach er, „„Blackeagle ift ein großer Krieger und
wird ein großer Anführer werden; aber die Stimme
unfrer Väter, die wir hören müffen, verbietet, daß er
je Häuptling der Cumanchees werde. Aber das Blut
ut,
Corah's muß wieder ein Cumanchees ſeyn. Chret im
Sohne Corah's ven exſten Hänptling unfers Volkes !au
. „AS der alte Häuptling diefe Worte geſprochen,
verließ feine Seele den Körper und flog zum großen |
Geiſte. So wurde EI Sof Häuptling ver Cumanchees, |
als er nur erſt wenige Monden zählte. «
„Bladengle Tehrte ind Wigwam ner Pawnees
zurüd, und Corah und EI Sal folgten ihm. : Vier
Häupilinge der Cumanchees begleiteten die Tochter
El Sol's und ihren Sohn, um den jungen Spröß-
ling zu beihägen und zu bewahren, und ihn zurüd«
zuführen unter fein Bolt, wenn er ber Milch feiner
Mutter nicht mehr bedürfen würde.“
„Blackeagle wurde ein, großer Anführer ver Paw⸗
nees des Toyaskflammed; er. war den Dfagen eitte
blitzſchwangere Wolke, und fie flohen vor ihm.“
‚nBierzehn Sommer waren verflofien, fleben Male
waren vier Säuptlinge ver Cumanchees gekommen,
and eben fü viele Male waren fie wieder zurückgekehrt
. yon der Obhut, pie fle über ihren Rünftigen Anführer
gehalten Hatten, ald weiße Männer kamen, die jagten,
daß der große Vater das Land zwiſchen dem großen
Fluſſe und der Salzſee der untergehenden Sonne
— a
- gekauft habe, und daß fle fimen auf ven Sagogründen
ber Pawnees ſich Hütten zu bauen. Anfangs wären
ihrer nur Wenige, aber bald Eamen fie in größerer
Anzahl.“ 0
„Die Pawnees fahen ihre Fußſtapfen mit gerun-
zelter Stine; aber Bladeagle ſprach zu ihnen und fie
firestten ihre Hände, ven weißen Männern im Frieden
entgegen. — Und die Weißen flahlen ihnen dafür
ihre Pferde und betrogen. fie um ihre Felle. Einen
Sommer. hindurch hatte Bladeagle für die weißen
Männer gefprochen; aber die Ohren feines Volkes
fingen an, fich feinen Neben zu verſchließen, und fie
erhoben ihre Aexte gegen die weißen Beinde. Das
Unkraut begann fhnell auf dem Pfade zu wachſen,
der zwiſchen ven beiden Völkern Tag.“
„Blackeagle war auf der Jagd; er folgte einem
Hirſche, der ſchnell vor feinem Feuergewehre flog, als er
einem Saufen weißer Männer begegnete, pie mit ihren
Gewehren ausgezogen waren. Sie fahen in das folge
Auge des Kriegerd, und ihre Seelen dürſteten nad
feinem Blute. Ehe er ſprach, hatte die verrätherifche
Kugel fein Gerz durchbohrt, und er wälzte ſich in
feinem Blute. Die weißen Männer flohen, und ver⸗
u Le
ließen ven Häuptling mit dem todtlichen Blei in ke
‚nem Buſen.“
„Das große Gimmelstige war hinter die Eee ge=
ſunken, und-Eorah wartete vergebens auf nie Rück⸗
kehr des geliebten Gatten. Sie flarrte. ängfilich ind
dunfle Zwielicht — fie horchte, ihre Ohren waren
weit. offen — fie warf fih auf die Erbe, um die -
leichten Fußtritte Blackeagles zu hören; — vergebens.
— Kein Raut war zu hören, als dad Geheul des
Miefenwolfe, und das Gebrülf ver Buffalos. Sie
umſchlang El. Sol mit ihren Armen, und flärzte in
den dunkeln Wal.”
„Als Mutter und: Sohn den Zußflapfen ihres
-Baterd im .bleichen glänzenben - Nachtlichte eine
lange Weile gefolgt waren, hörten fie das Todes⸗
röcheln des verwundeten Häuptlings.. Das blaße Licht
goß feinen Silberſchein auf die durchbohrte Bruſt des
großen Blackeagle. Corah Tank an, feiner. Seite
nieder. Ihrem Sammer: öffneten fi feine-fterbenven
"Augen, und. er richtete, fle auf Mutter und. Sohn.
»nGeh," * fo ſprach. er, „„und rufe bie Haͤuptlinge
und Krieger der Pawnees; die Worte des ſterbenden
Anführers müfjen non Vielen aufgefangen werden,
6
auf daß ſie die Winde nicht ſpurlos fortführen.” *
Der Sohn flog zurüd in dad Wigwam, und fein Ge⸗
ſchrei erweckte Die Pawnees; fie kamen mit den Häupt«
lingen der Cumanchees, um die Worte des ſterbenden
Bindengle zu hören.“
„Als fie Alle um ihren SAupiling verfammelt
waren, fo öffnete Diefer noch ein Mal feine Lippen: -
» nDie Kugel des Weißen hat ven Bufen des Haͤupt⸗
lings zerſchmettert; er if} gefallen, und muß in ver
Erde ſchlafen; aber die Seele Bladeagled wir das
Angefiht des in feinen Wolfen thronenden Wacon⸗
dab ſehen, und feine Bitte wird die eines Pawnee
feyn. Für EI Sol wird er bie Seele eines großen
Kriegers erbitten, und die Stärke des Buffalo. Hd»
et, Männer ver Pawnees, auf die [Worte des ſter⸗
benden Blackeagles. El Sol ift durch das Blut feiner
"Mutter ver größte ‚Häuptling der Cumanchees, bes
mächtigſten Volkes der zothen Männer; zu ihnen
muß mein Sohn mit: ven edlen Cumanchees eilen,
bie mie getrene Wächter feinen Pfad im Wigwam
der Pawnees bewacht haben.“ Er muß gehen, ſo wie
das Streitroß, auf dem Grabe feines Vaters getöbtet
ik. "Sie werden ihn als ihren Häuptling empfangen,
+5
werben ihn lehren, das milde Pferd und feine Beinbe
zu fangen, und fie werben feinem ſchwachen Arme bie
Strenge des Mächtigen, feinen Füßen die Schnelle
des Elennt geben. Sie werben ihn zu einem gewalti⸗
gen Anführer machen, der ſeiner Feinde lacht. Wenn
EI Sol ſieben Sommer und fieben Winter in den ewig
. grünen Bluren der Cumanchees gelebt, wird er zum
N
Volke feines Vaters zurüdfehren, und ihm fagen,
was er gefehen, und ed führen im bie, grünen Flu⸗
ten über den bläulichen Bergen. — Höret, meine Brü⸗
der! das Iehte Wort Blackeagles. Die Pawnees find
große Krieger; aber ihre Anzahl iſt gering, und’ bie
Weißen find die Todtfeinde des rothen Geſchlechtes;
ihre Seelen find finfter von Falſchheit, ihre Zungen
ſchwarz von giftigen Lügen; fie find immer hungrig,
ihre Hände immer ausgeſtreckt nach dem Einzigen,
was die rothen Männer haben; fie kamen und hielten
und ihre-Hände als Freunde hin, aber ihre Seelen
brüteten Berrath ; fle rauchten die Triedenspfeife mit
den rothen Männern, aber fie begegneten Blackeagle
auf feinem einfamen Pfade, und fie fendeten ihm das
töbtliche. Blei verrätherifch ins Herz. Meine Kinder
find tapfer, aber ihrer find wenig; ver Weißen. find
tm
mehr als der Bäume des Wales. Höret vie letzten
Worte, meine Brüder! EI-Sol ift der erſte Häupts
Ung der Cumanchees; et wird die Kette, vie Black⸗
eagle zwiſchen den beiden Völkern angelnüpft, noch
fefter fhlingen; die Lande der Cumanchees find viele
Sonnen lang, ihre Buffalo und Pferde kann Feine
Zunge zählen... Meine Kinder müflen dahin gehen.
El Sol, menn er nah fieben Sommern von ihren
Wigwams zurückkehrt, wird ihren Pfad von Dornen
reinigen. Noch dürfen meine Brüder ven Tod Blad-
eagles nicht rächen. Noch ift e8 nicht Zeit. — Der
Panther kauert fich nieder, er lauert und bereitet ſich
für den Sprung, ehe er ihn wagt. Meine Brüder
möüffen warten, bis ſie ftarf werden, bis fie mit den
Cumanchees vereinigt find. : Wenn fie den Tomahawk
nun ſchaͤrfen, fo werden fie vom Angeſicht der Erbe
weggeblafen werden; bie Arme ver Pawnees find zu
ſchwach, einen Streich zuführen, aber die vereinigten
Arme ver Pawnees und Cumanchees werben ven Tod
Blackeagles rächen. Don den grünen Fluren der
Cumanchees, ſprach die-flerbenne Stimme des Se⸗
hers, „„wird ver Baum der Freiheit für das rothe
Volt erwachfen, und unter feinen duftenden Zweigen
1.
‚werden fie fidh verſammeln, und er wich Aden, 9 gleich
den ewigen Felfenbergen, die fuͤr immer mit Schnee
bedeckt find. Das WVolk von Mexito wird die eiſerne
Ruthe brechen, mit der es der blöde Häuptling, der
jenſeits der Salzfee wohnt, züchtigt. Nicht viele
_ Sommer werben vergeben, und der Tomahawk wird
für immer zwifchen den Männern Mexicos und ven
Cumanchees begraben werben. Der Geift Bladengles,
ber Sohn der Cumanchees, fleht den Stern Tlas⸗
kalas wieder erglänzen und gleich dem großen
Mittagsgeſtirne feine Strahlen über die weiten Flä⸗
Ken Mexicos und der Cumanchees ſtroͤmen — dann
meine. Brüder — dann iſt vie Zeit. gilonmen, den
Tomahawk zu exheben.““
„Die ſilbernen Wolken, die das dieiche Angeſicht
des Nachtlichtes verhüllten, floßen nun hinweg, und
als die Maͤnner der Pawners wieder herabſchauten
auf Blackeagle, war ſeine Seele zum großen Dane
entfloben. * en
„Wacondah Hat freundlich der Bitte Bnrtengles
zugelächelt. EI Sol ift mit feinee Mutter und feinen
Brüdern ‚ven Cumanchees, zu feinem Bolfe-wieber-
gelehrt, mo fein Auge zuerſt das Himmelolicht er⸗
blickte, und die Camanchees haben um feine Stim
die glänzenden Goldringe und bie farbigen Federn
gewunden. Sie gingen mit ihm und zeigten ihm Die
weiten grünm Wiefen, die nun fein Eigentbum wa»
‚ren, und die Männer und Weiber, vie als Sklaven
ihm, ihrem Gebieter, gehorchten. Er blieb bei feinem
Volke fieben Sommer, ehe er -zurüd kam zu. den
Pawnees, um die Worte feines flerbenven Baters zu
erfüllen. Er bat die Ringe der Kette, die beide Voͤl⸗
fer vereinigt, glänzend gemadt, und den Pfad von
allem Unkraut gereinigt. Die Bäume haben zwei
Mal ihre Blätter abgeworfen, ſeit El Sol in dem
Wigwam gewohnt, wo fein. Bater lebte; er bat oft
feine Lippen geöffnet und zu dem Volke der Pawnees
geſprochen, aber das ‚Herz Bisler iſt gebunden an das
Waffer, wo fle in ihrer Jugend ihre Banoes gerubert;
ihe Auge ‚liebt es, die Gräber zu ſehen, wo ihre
Bäter ruhen. Ste haben EI Sol angehört, aber ihr
Herz war in ihrem "Wigwam und auf ihren Jagd⸗
gründen,‘ die fie nicht: ihren Feinden, den Dfagen,
überlafien wollten. — Aber die Stimme Waronbahe,
der durch die Zunge Blackeagles geſprochen, muß
gehört, feine Befehle müfen erfüllt werden. EI Sol
Zn 6o0 ⸗—
darf nicht. laͤnger unter ven Pawnees bleiben. Die
Todesrede ſeines Vaters iſt in Erfüllung. gegangen;
und die Cumanchees find Brüner der Männer Mexieos
geworden — Herren ihrer weiten Lande. Ihre Häupt⸗
linge und Krieger rauchen die Pfeife des Friedens
mit: den großen Kriegern und weißen Männern von
Mexico, ihre Krieger find vie erften unter ihnen.
Maͤnner ver Oconers!« beſchloß der junge Häuptling,
indem er ſeine Rechte erhob und ſtolz in der Richtung
der finfenden Sonne hinwies, „ber Pfad EE Sols
führt zum nievergehenden Geſtirne, das fpät in unfre
Fluren fommt, aber Tange leuchtet.“
Der Eindruck, den feine Worte auf die Verfamm-
lung hervorbrachten, war unbefchreiblich. Alle ſpran⸗
gen auf, und ohne ſelbſt auf die gewöhnliche Be⸗
rathung und Entſcheidung ver Altern Krieger zu
warten, riefen fie ihn Alle einmuͤthig als ihren Führer
und Nachfolger in der Würde des Mifo aus.
Der alte Miko erhob fid mit al dem Anſtande
feiner königlichen Gewalt und ſprach: „Die Arme
des Miko find welt und morfch gleich ven Aeften
eines verdorrenden Baumes geworden; uber die EI
Sols find ſtark; ſeine Füße werden langſam und
- 0 >
erflarsen, ‘aber bie. EI Sols ſind ſchnell; — der alte
Baum erflirbt, aber er laͤßt einen Sprößling zurück
der ihm Kinder geben. wird, unter deſſen Schatten
ſich feine Brüder laben, ver ihnen Vater, ein Bruber
feines Volkes ſeyn wird. El Sol wich den Oconees
ein gütiger Milo ſeyn, wenn ãoteah zu ſeinen Batern
geht.“
Mit dieſen Worten nahm er von feinem Haupte
die Federkrone der alten Miko's, und fie auf das Gi
Sols ſetzend, begrüßte er ihn als feinen Nachfolger.
Die Deoners kamen nun nad) ihrer Rangordnung,
fi vor ihm als Häuptling zu neigen und vie Cuman⸗
chees als Brüder zu begrüßen, worauf pie Berfamm-
lung fi. unter Tautem, anhaltendem Freudenrufe zet⸗
fireute. . .
Biebenzehntes Bapitel.
Zudend fagt mein Daum ‚mir an,
Etwas Böfes naht heran.
Shalespeare.
Die fikende Sonne leuchtete auf ein Fröhlich jubeln⸗
des Bölfchen herüber, das vie Bereinigung mit feinen
neuen Brüdern mit einem gaftlichen Aufwande feierte,
—) A 0
der in dieſem Maße- noch nie in einem indianischen
Wigwam jenfeits des DRifftfippi gefehen worden war.
Sp. wie vie große Verfammlung aufgebrochen war,
waren die Pawnees in die für fie. beſtimmten Hütten
eingeführt worden, die ihre Wirthe mit Allem ver»
ſehen hatten, mad ven Aufenthalt ihrer Gäfte fo an⸗
genehm ald möglich machen Eonnte.
Die Pawnees, ein Stamm, der von den Hand⸗
arbeiten und der Hauswirthſchaft, in welchen die
Creeks in Folge ihrer nähern Verbindung mit den
Amerikanern bereits ziemlich große Fortſchritte ge⸗
macht, noch gar keinen oder einen doch nur ſehr un⸗
vollkommenen Begriff hatten, ſahen nicht ohne Ver⸗
wunderung den Ueberfluß und ſelbſt Reichthum ihrer
rothen Brüder an Dingen, die für ſie, die bloß von
der Jagd und dem Austauſche ihrer Felle lebten,
gänzlich unerreichbar geweſen waren. Der Ueberfluß
an Wolldecken, dem größten Luxusartikel, ven fie
kannten, und Kleionngen aller Art, die verſchiedenen
Meubles und Werkzeuge des Uderbaued ‚und Haus⸗
weſens vergrößerten in eben dem Maße ihr Staunen,
als ihre Wirthe ihnen mit indianiſcher Beredſamkeit
die Anwendung berfelben erflärten, Es war ver
9
Anblick niefer Ueberlegenheit, ver allmählig den Stol;
dieſer Wilden, die ſich natürkich als das flärkere Bolt
weit über die ſchwachen Oconees erhaben glaubten,
auf feine gehörigen Grenzen zurüdwies, und den
Weg zur freundſchaftlichen Verbrüderung bahnte.
Ooch was ihre neiten Brüder in den Augen ihrer
Gaſte am meiften erhob, war der Anblick ihrer für
Indianer wirklich ausgezeichnet ſchönen Waffen: ein
Punkt, der natüxlih von fo größerer Wichtigfeit bei
Wilden tft, als bei ihnen nur die erften Krieger mit
Beuergemehren verjehen find. Die Freigebigkeit des
Piraten ſowohl, als-die Thätigkeit ihrer Weiber hatte
die Oconees im Verlaufe ihrer Bekanntfchaft durch⸗
gängig mit Feuergewehren verfehen: ein Artikel, am
welchen die Pawnees fehr Mangel litten. Es dauerte
daher nicht Tange, daß beide Völker, beffer mit ein-
ander befannt, ſich auch näher anſchloßen und Bas
Miptrauen der ſchwächern Oconees und der Stolz
der zurückhaltenden Pawnees ſich zu einem fröhlichen
Ganzen vereinigte. — Als fie fih endlich auf dem
freien Plage vor dem Council⸗Wigwam zu ihrem
Mahle nievergelaffen, das bie Squaws und Mädchen
num bereitet hatten, und jeder Pawnees eine Cala⸗
Bo
baſſe des deliciöfen Feuerwaſſers neben fh fand,
pa wußten fie kaum mehr ihrem Erſtaunen Worte zu
- geben. — Canendah hatte ange zuvor für dieſen feſt⸗
lichen Tag ihre Vorkehrungen getroffen und ihre
wirklich verſchwenderiſche Freigebigkeit hatte vor ven
Augen ihrer neuen Bruͤder Schäße aufgetiſcht, von
denen diefe nie geträumt hätten, daß fie in einem
rothen Wigwam zu finden geweſen wären.
‚Der Miko ſelbſt war Hoch erfreut, und zum erften
Male leuchtete aus feinen Augen reine Zufriebenheit.
“ Wirklich ſchien er auch ale Urſache dazu zu haben.
Seine jehnlihften Wünſche waren ihrer Erfüllung
nabe. Seine Tochter war auf dem Punkte, mit dem
größten Häuptlinge vereint zu werben, von dem er
„je gehört; fein Völkchen war ‚mit einem mächtigen
- Stamm verbrübert. Mit. viefen glänzenven Aus⸗
fichten verwob fich unwillkürlich in feiner-Seele die
Hoffnung einfliger Rache an feinen weißen Feinden.
— Er war glücklich zum erfien Male in feinem
langen Leben.
. Die firengen Geiste des indianifhen Anſtandes
- hatten bisher El Sol noch nicht Heflattet, feine Braut
zu ſehen; als aber vie beiden Häuptlinge in die Hütte
Der Legitime. UI. | 6.
—ı A
zurüdgefehrt waren, nahm ver Miko vie Hand des
jungen Mannes und führte Ihn ins innere Stübchen.
Kaum hatten die vier Cumanchees die Bewegungen
der zwei Häuptlinge bemerkt, als fie die Stube ver-
Hießen und fi} vor dem Eingange aufftellten. -
Nimm fie hin,“ ſprach ver alte Mann, „die Dein
ift, und möge der Ring, der Diqh an Iokeah bindet,
nie roſten!“
Canondah näherte fich langſam, ihre beiden Hände
auf ihren Bufen gekreuzt, ihr vaupt demũthig auf
ihre Bruſt geſenkt.
„Hat Canondah,“ ſprach der junge Mexikaner
mit ſanfter Stimme, „El Sol nicht vergeſſen? Und
will fie gerne in die gruͤnen Wieſen der Cumanchees
folgen, die weit gegen die untergehende Sonne eu
liegen ?u
„Mein Befreier! mein Gebieter! mein Allt« —
Iöpelte fie, ihr Geſicht an feinem Bufen verbergenn.
Die beiden Liebenden’ ſtanden lange. in wechſel⸗
feitiger Umarmung, als unterbrüdte Seufjer bie
Anweſenheit eines Dritten verriethen. EI Sol trat
näher und fah am Ende des Lagers Rofa’ ihr Geſicht
mit ihrem Tuche verhüllt. — Sie war aufgeftannen,
7 —
um El Sol zu bewillkommen, hatte fich jedoch wiever
zurückgezogen, fo wie fie den Grund ſeines Beſuches
errieth. Sie mochte fühlen, daß ihre Gegenwart die
Liebenden in ihren Herzensergüſſen hemmen dürfte,
und hatte ſich nach einem Auswege umgeſehen, war
aber immer wieder zurückgetreten, wahrſcheinlich aus
Furcht, die ſchrecklichen Seeraͤuber draußen zu treffen.
Nun hatte fie fich in den Winkel zurückgezogen und
eine Welle das Glüd ihrer theuern Freundin ange
ſehen. Allmaͤhlig ſchien jedoch ein andres Gefühl in ihr
aufzukeimen, ihre Augen wurden feucht, und endlich
brach fie in ein lautes Schluchzen aus. Canondah
entwand fi den Armen ihres Bräutigams, und,
fich vor Rofa aufs Knie nieverlaffend, hob fle fanft
ihr Haupt empor. und blickte ihr mit unausſprech⸗
licher Zärtlicgkeit in's Geſicht.
„Weine.nicht, theure Roſa,“ ſprach fie — „Du
wirft mit und ziehen — Canondah wird Die Schwe⸗
ſter wie zuvor feyn, EI Sol Bruder; — Er wird
ſeine Augen und Ohren den Thranen ver ſeuftenden
Roſa nicht verfihließen.“
Ste erhob das leidende Kind und führte. fie mit
—d 76 —
-fanfter Gewalt ihrem Oeliebten, zu. — Diefer faßte
mit feinen beiden Händen bie ihrigen.
„Die Schweſter Canondahs wird auch die Schweſter
EI Sols ſeyn, und feine weiten Fluren werben ſie
als die weiße Roſe der Oconees begrüßen. EI Sol
wird ſtolz feyn, in feinem Wigwam d die weiße Roſe
als Schweſter zu ſehen.“
Er ſprach die letzten Worte mit Nachdruck aus;—
ſie ſchienen dem armen Mädchen Vertrauen einzu⸗
flößen.
„Ich danke Dir, mein Bruder!“ ſprach fie mit
Würde, „die verlaſſene Roſa hat doch wenigſtens
eine Seele, die ſich ihrer annimmt. — Und der Miko
hat den Dieben der Salzſee/ — fie ſtockte —
nDer Dieb der Salzfee muß ſich um ein anderes
Weib umſehen“ — fprah EI Sol rafh. „Die weiße
MRoſe wird glücklich und frei:unter ven Cumancheed
leben — und Feiner meiner Bruͤder wird fie mit ges
rungelter Stirne anſehen.“
„Gott ſegne Dih, edler EI Sol,“ ſprach das
Mädchen, ſich vor ihm ehrfurchtsvoll neigend und
dann zurücktretend, als heftige, barſche Stimmen
vor der Hütte gehört wurden. —
— 17
El Sol ſtürzte durch ven Vorhang der äußern
Thüre zu, vor welcher der Seeräuber mit gegogenem
Säbel ftand, wüthende Blicke auf die vier Cuman⸗
chees werfend. Einem derſelben war feine Lanze ent-
zwei gehauen. Der alte‘ Häuptling hatte fich in die
Mitte der Streitenden geworfen und war nahe daran
geweſen, in Stüde gehauen zu werden. —
„Ich hoffe, ich werde nicht biefe Milden da um
Erlaubniß, Euch zu fprechen, zu bitten haben, '
ſprach der Seeräuber ftolz. |
„Die Thüre zum Wigwam ift offen; aber meine
Brüder haben fie bewacht, während ihr Häuptling
die Tochter des Miko geſehen, vie fein Weib werben
wird,“ — ſprach der alte Dann | im bitten ver ſöh⸗
nenden Ton.
„Miko!“ erwiederte der Pirate mit einer ſtolzen
Bewegung. „Ich bin gekommen, Euch Lebewohl zu
ſagen. Ihr geht auf eine andere Fährte — Gutes
Glück! Zum Beweiſe, daß ich ohne Haß ſcheide,
nehmt Dieſes.“ Er legte einen Stutzer und ein Käſt⸗
hen aufden Tiſch.
„Mein Bruder,“ ſprach der Mifo mit emer Stimme,
der man die Verlegenheit ſtark anfah, „wird doch
—d 78 —
nit das Wigwam verlaffen, wenn. die Sonne be=
reits untergegangen if. Will er nicht theflen mit
den rothen Männern, was ihre Armuth geben kann? «
„Lafitte iſt zu ſtolz, aus Einem Becher mit Einem
zu teinfen, der feine Dargebotene Sand zurückgeſtoßen.
Milo, ih wünſche Euch Glück zu Euern neuen Als
litten. — No ein Mal, Iebt wohl.“
⸗Halt!“ ſprach der Miko zitternd vor Scham über
die Zurückweiſung feier Gaſtfreiheit.
„Mein Bruder muß, zurüdnehmen, was er ver
weißen Rofe gegeben. Er wird dad Gold, vie Ko-
rallen und alles finden.” Mit viefen Worten eilte er
ins Stübchen und Fam beladen mit Kleidern und ver⸗
ſchiedenen nicht unbedeutenden Koftbarfeiten. —
Der Seeräuber fand eine Weile betroffen, wie es
ſchien, über vie flarre EHrlichkeit nes alten Mannes.
„Behaltet,“ ſprach er, „was für mich Feinen Werth
hat;“ und ihm die Hand drückend, wandte er ſich
raſch, ohne die Uebrigen au nur eine Blickes zu
würdigen. In wenigen Minuten war das Boot hinter
dem Palmetto⸗Rohre verſchwunden.
. Die unerwartete Abreiſe des Piraten ſchien dem
Miko ſchwer aufs Herz zu fallen und auch die Uebri=
—2 79 0
gen in eine.gewifje Unbehaglichkeit zu verjegen. Sie
ließen ſich ſchweigend zum Mahle nieber.
Dem alten Manne war die Trennung von dem
lebhaften Franzoſen augenjcheinlich ſehr ſchwer ge⸗
fallen. Dieſer hatte ſich während der zwei Jahre
ihrer Bekanntſchaft mit einer Artigkeit, einem Zu⸗
vorkommen betragen, die ihm die Zuneigung des
Indianers in hohem Grade gewonnen hatte, Er
batte fih an feine Geſellſchaft gemöhnt und liebte es,
ihn um ſich zu haben. \
Tofeah, mie wir gefehen haben, ‚war ein Mann,
ergraut in Gefahren und jenem Mißtrauen, das ven
gebrücten ſchwächern Indianern gegemüber ihren
ſtärkern meißen Unterprüdern. natürlich ifl. Die
mannigfaltigen DVerräthereien,_ zu denen. er wahr-
ſcheinlich in jüngern Jahren feine Zuflucht nehmen
mußte, um Diefen einigermaßen die Spige zu bieten,
und bie wieder mit berfelben verrätherifhen Münze
„bezahlt worden waren, hatten feine im Grunde. Hoch
berzige und wahrhaft Eöniglihe Seele getrübt; —
die Maske jedoch, in ber Kafitte ſich ihm. genähert,
war ip himmelweit von dem kalt abweiſenden, höh⸗
niſch verächtlichen Weſen verſchieden geweſen, in
u —
welchem ihm die Amerikaner ihre Ueberlegenheit
fühlen ließen, daß eriallmählig zu. ihm -Zutrauen
oder vielmehr Zuneigung gefaßt hatte.
Der Seeräuber hatte für die toben Produkte und
die verſchiedenen Artikel, die ihm die Deonees zu
liefern im Stande waren, nicht nur auf eine wirklich
freigebige Weife bezahlt, ſondern dieſer Austaufch
war auch nicht mit den mindeſten Symptomen von
Meberlegenheit feinerfeits betrieben worden; im Ge⸗
gentheile, er Hatte fi den Indianern ganz gleich
geſtellt. Es ſchien, als. ob er jeinen jevedmaligen
Aufenthalt im Wigwam als eine Erholung von feinen
blutigen Umtrieben angefehen hätte. Er hatte mit
ihnen getanzt,” gejagt und ſich allen ihren Unter-
haltungen auf die natürlihfte Weife angefchlofien.
— Den alten Mifo Hatte feine unerfhöpfliche Sprach⸗
feligtett und Reichthum an Eriegerifchen Abentenern
oft. bis Mitternaht wach gehalten. Der muntere,
luſtige Säuptling dee Salzſee, der mit einer liebens⸗
würdigen Anfpruchlofigfeit die glaͤnzendſte Freigebig⸗
keit vereinte, und in feinem Verkehr eine Ehrlichkeit
und Gewiſſenhaftigkeit zu erfennen gab, melde die
Indianer. noch nie gefehen, und die mit den Betrü«
1
gereien der Weißen ſo ſeltſam abſtach, hatte feine
ganze Zuneigung gewonnen. Sein Prablen mit feinen.
Waffenthaten bezog fih. zudem fo ganz auf fich ſelbſt,
und hatte für den Miko, mit deſſen Volke er nie in
Feindſchaft geweſen, ſo wenig Beleidigendes, daß die
Eigenliebe Dieſes auch nie verletzt worden war. Es
war, ſo ſprach er öfters, ein ungeheurer Unterſchied
zwiſchen den höhnenden, kaltherzigen und alles mit
Verachtung wegweiſenden Dankees, wie er gewöhn⸗
lich die Amerikaner nannte, und dem artigen, freund⸗
lichen Haͤuptling der Salzſee, der mit feinen Thaten
prablte, ohne die. Anderer herabzufegen.
So war ed denn natürlich, daß fich der Serräuber.
gewiffermaßen in feinem Herzen auf eine Art gebettet
hatte, die ſelbſt die Entdedung feines wahren Cha⸗
rakters nicht mehr in Gleichgültigfeit oder Beratung
umzuwandeln fähig war..
Er hatte deßhalb nicht ohne Seelenkampf Ibm an⸗
gekündigt, daß ihre Verbindung nun getrennt werden
müßte, und vielleicht würde er doch noch, trotz ſeines
Mikoiſchen Stolzes, wentgftens eine gewiſſe entfern-
tere Verbindung erhalten haben, wenn nit EI Sol
geweſen wäre.
—d #2 0
AS er aber Diefem in ver Yinterrebung, die fle vor
der Berfammlung hatten, einige Winke rückfichtlich
der Vortheile gab, die auch den Cumanchees von
einem nähern Verbande mit dem Seeraͤuber zufließen
müßten, warf ver edle Mexicaner die bloße Zumu⸗
thung mit einer Verachtung von ſich, bie dem Miko
für immer den Mund ſchloß.
„Bisher,u jo ſprach ber enle Wilde, „waren bie .
Oconees die Unterdrückten, und als foldde werben fie
von den Cumanchees mit offenen. Armen aufgenom⸗
men werben. "Ihre Hände find nicht mit Diebflahl
befledt, ihre Wigwams nicht mit geftohlener Beute
der Geplünderten gefüllt.-- Wenn Tokeah fich mit
dem Diebe vereinigt, werden die Cumanchees ihre
Dörfer vor ihm fchließen ; die Oconees würben ver⸗
dienen, daß man fie gleich reißenden Panthern mit
Hunden hetze.“
Des jungen Mericanerd Auge hatte lange und for=
ſchend auf vem Seeräuber gerubt, ver ihm, wie es
ſchien, nichts weniger als angenehm war. Vielleicht
daß er, der freier in feinen Verhaͤltniſſen, und nicht
durch Furcht und eine herrſchende Leidenſchaft nieder⸗
—O 83 Ga
gedrückt war, auch unbefangener urtheilen Eonnte.
Er fühlte fich in ner Nähe des Seeräubers unheimlich.
Das Dörfhen war im-größten Aufruhr. Wildes
Jauchzen, ver Schall ver Trommeln und der Schellen
hatten, mit den allzu reichen Gaben Canondahs, die
Freude des Völkchens zur Tollheit geſteigert.
Die Pawnees hatten mit den Oconees fh zum
Nachttanze vereinigt. — Und nun führten ſie den
Kriegertanz ihres Stammes auf.
Der junge Häuptling hatte ſchweigend ſeinen Ge⸗
fährten zugeſehen, und war wieder mit bedenklicher
Miene in die Hütte zum Miko zurückgekehrt.
„Mein Vater,“ ſprach er in einen: ehrerbietigen,
aber zugleich heflimmien Tone, „ift weile, und feine
Augen ‘haben ver Sommer viele: gejehen; aber bie
Seele des Diebes iſt ummölft.“ . |
„Es ift die Seele eines tanzenden Mädchens; bie
fich umwölkt, weil: man ihr ihre Gorallen genom⸗
men,“ erwieberte der alte Mann, auf ven Vorhang
deutend, hinter welchem Rofa war.
nSeine Zunge ift die Zunge einer Schlange, aber
ſte ift nicht Halb fo giftig, als der Stachel feiner
Mn: -
Augen — feine Seele ſchießt drohende Blicke. Dein
Bater muß feine Augen weit aufthun.«
„Tokeah Hat ihn zwei Sommer gefehen, und bat
ein Mäpchen erblickt,“ ſprach ver alte Mann mit der
Zuverfichtligkeit, Die dem Alter eigen ift, das feine
angenommene Meinung nit fahren laſſen will.
„Seiner Männer find wenige,“ fügte er hinzu, „und
die Uebrigen find Über vier Sonnen gegen die Salsfee
zu, und El Sol weiß, daß die Oconees morgen
aufbrechen.“
Obwohl er wußte, daß der Seeräuber ein Boot
den Fluß hinabgeſchickt hatte, To that er von dieſem
Umftande doch Feine Erwähnung, entweder meil es
fih währen des verlängerten Aufenthaltes Lafittes
häufig ereignet hatte, oder ex e8 nicht der Mühe werth
hielt, die Unruhe feines Gaftes durch eirte anſcheinend
fo unbedeutende Mafregel zu vermehren. Es war
dieſelbe Eigenliebe für feine einmal angenommene
Meinung, die feinen Mund verſchloß. Es war ein
Mann, der, wie wir gefeben haben, fo wie der
Tiger an dem zerfleifhten Büffel und die wilne Rebe
am Cottonbaume, fo an der einmal vorgefaßten guten
oder böfen Meinung hing. Er hatte nun einen gün=
>85 9
ſtigen Begriff von dem Seeräyber, und dieſer hatte
ſich in ſeine Seele gleich den übrigen eingegraben,
und nichts in der Welt war im Stande, ihn daraus
zu verdrängen. Der junge Mericaner ſchien beruhigt
und ſchwieg.
‚Die Nacht. war weit vorgerückt, und ber Yang
vorüber, die Töne der Inſtrumente waren verklungen,
bloß einzelne Stimmen ließen ſich noch hören; all⸗
mählig ſchwiegen auch dieſe, und das Dörfchen ver-
ſank in Ruhe. Der alte Miko faßte nun die Hand
El Sols und führte ihn ins Stübchen.
. »Banondah !u ſprach er mit milder Stimme.
Das Mädchen ſtand bereits vor ihm, ihre Hände
wie gewöhnlich auf ihren Bufen gefaltet. Ein melan-
choliſ ches Lächeln ſpielte auf ihren ängftlichen Zügen und
eine Thräne perlte über ihre Wangen. Ihre liebens⸗
würdig muntere Laune ſchien auf immer von ihr ge⸗
flohen zu ſeyn. Der Vater nahm die beiden Hände
des jungen Mannes und, fie auf die Schultern.ber
Tochter legend, übertrug er. fo feine vaͤterliche Gewalt
auf ihn; — dann legte er ſeine beiden Hände auf
ihre Scheitel und ſprach:
—, 86 0
„Möge der große Geiſt Eure Vereinigung mit
vielen tapfern Kriegern fegnen!a “
„Und fol El Sol fein Weib mit ſchmerzerfülltem
Herzen in ſein Wigwam führen?“ ſprach mild der
Bräutigam. ”
„El Sof if Eanondah teurer, ae die Sehnen
ihres Lebens; er iſt die lieblichfte Blume, die ihr
Auge je gegrüßt; ſeine Stimme iſt ihren Ohren
Muſtk, und ſeine Liebe der Born ihres Lebens; aber
die. Bruſt Canondahs iſt enge und droht zu zerſprin⸗
gen. — Der große Geiſt flüflert ihr etwas zu, aber.
fie kann feinem Flüſtern feine Worte geben.” Sie
ſprach diefe Worte und faßte dann Roſa beinahe
fieberifh an, und drückte einen langen Kuß auf ihre
Lippen. — Bereits war fle zur Ihüre hinaus, als
fie nochmals zurüd eilte und Roſen umfing. „Rofe, «
murmelte fie mit hohler Stimme, „willſt Du dem
Miko Tochter ſeyn, wenn Canondah nicht mehr iſt?“
nIh wid za ſchluchzte Roſa.
„Verſprichſt Du mir bei dem großen Geiſte ihn
nicht zu verlaſſen 7⸗
„Ich verſpreche es,« ſchluchzte Mofa flärker.
Der Miko, der ſchweigend und im Nachdenken
—ı 97 —
verſunken geſtanden war, machte nun ein Zeichen, und
Canondah ſchwankte ihrem Gatten zu, der fie in feine
Arme ſchloß, und mit ihr in das Councilhaus ging,
wohin. Tokeah vorangeſchritten war.
Adıtzehntes Kapitel.
Ich bitte Euch, tretet leiſe damit ber. blinde
Maulwurf keinen Fuß fallen höre.
Shakespeare.
Mitternacht war vorüber, und Dorf und Flur im
tiefften Schlafe begraben. — Von dem Ufer her ſtahl
ſich ein Dann im behutſamen Schritte auf die Hütte
des Mifo zu; er hatte einen gezogenen Säbel unter
dem Arm, und blickte, als er zur Raube vor dem
‚Häuschen gefomnten war, fiheu und benächtig um fich,
dann, fi wendend, war er im Begriffe, eben fo ftill
und leiſe zurüdzufehren, als ploͤtzlich eine Büffel⸗
ſchlinge um feinen Naden fiel, und er zur Erde ge=
worfen ward, fo ſchnell und unwiderſtehlich, daß es
mehr das Werk eines unterirdiſchen, denn eines menſch⸗
lichen Weſens ſchien. Der Säbel entfiel ſeiner Hand,
ehe er noch im Stande war, ihn feinem Halſe zu nä⸗
+
bern, und fo die Schlinge zu zerſchneiden, mit ber er
gefangen war. Das Ganze war mit einer fo verrä-
therifchen Schnelle und Heimlichfeit vor ſich gegangen,
daß eine Schaar- bewaffneter Männer, vie näher der
Bucht und faum dreißig Schritte von der Hütte ent-
fernt flanden, in gänzlicher Unwiſſenheit Über das
Borgefallene waren. Do num brach eine Stimme
von unſichtbaren Lippen, die die Todten in ihren Grä-
bern hätte aufregen Tönnen, und die Thüre des Coun-
eil⸗Wigwams flog mit einem gewaltigen Gekrache auf,
and mitten unter dem Aufleuchten von Schüffen, Die
vom Ufer her Erachten, flürzte eine Eräftige Geftalt
aus ver Hütte, Die etwas Schweres in ihren Armen
trug ‚. und zwifchen den Gebüfchen und Heden ver-
ſchwand. Eine zweite Stimme ließ ſich nun verneh—
men, die dem Innerften von taufend Kehlen zu ent⸗
fteigen ſchien, und die ſich nun in jener Richtung, jeder
Hede, jedem Gebüfche vervielfältigt Hören ließ, fo
furchtbar raſend, als ob die Dämonen der Hölle los⸗
gelaſſen, in ihren- nächtlichen Nafereien tobten. Zu
gleicher Zeit begann ein regelmäßiges Belotonfeuer
vom Uferkamme herüber zu rollen, und eine Hütte
nach der anderen fing an in bläulichten Flammen auf-
9 89 —
zufladtern, bie zitternb und an Ausdehnung gewinnend
bald ins hellglänzende Roth übergingen und ſich über
Dad und Hütte hinlagerten. Mitten In dieſem fürd-
terlichen Aufruhr war nochmals eine Stimme gehört
worden, die dem Brüllen des Löwen glich, wenn er
raſet in feiner höchſten Wuth. Es war der Warw⸗
hoop EI Sols.
Der edle Mericaner war vurch den Nachtgeſang
ſeiner geliebten jungen Gattin in Schlaf gelullt wor⸗
den, als ihn der wohl bekannte Deu weckte. Mit der
einen Hand hatte er fein geliebtes Weib erfaßt, mit
der anderen jein Schlachtmeſſer und feinen Stutzer,
und dann flürzte er aus der Thüre, wo ihneine Salve
von Musketen begrüßte. Der Häuptling fühlte feinen
Iinfen Arm durch eine Kugel geftreift, er begann zu
zittern, ein leichter Schauer zuckte durch feine Glieder.
„Canondah,“ murmelte er in heiſerem Tone, indem
er, gleich einem verwundeten Hirſche, über die Hecken
dem Walde zu ſprang — „Canondah fürchte nichts,
Du biſt in ven Armen EI Sols!“
Ste gab Feine Antwort, ihr Haupt war auf ihre
Bruſt gefunken, ihr ganzer Körper fing an krampf⸗
haft zu ſchlottern und ſich zu dehnen; — einen Augen⸗
Der Legitime. IL 7
— 0 >
blick ſchoß der furchtbare Gedanke durch ſeine Seele
— aber es war unmoͤglich, ſein Arm hatte die Kugel
aufgefangen; bloß Schlaf und Schrecken hatten fie
überwältigt, das Blut, das über ihn geronnen, war
aus feiner Wunde gefloffen. Noch während er vor
feinen verrätherifch unfihtbaren Feinden flog, Famen
feine heulenden Krieger aus jeder Hütte, jeber Hecke,
beinahe inftinftartig auf ihn zugeſtürzt. Ehe er zum
Waldesrande gekommen, ſah er ſich bereits von ſeinen
Getreuen umringt. „Es iſt der Seeräuber, u flüfterte
er feinem Weibe zu, drückte noch einen Kuß auf ihre
Lippen, und legte fie fanft auf pen Rafen hin, dann
in bie Mitte feiner Krieger tretend, Tieß er ven ſchreck⸗
lien Kriegesruf ertönen. — „Sieh die Treue des
weißen Diebes!“ indem er auf die im Feuer auflo⸗
dernden Hütten wieß.
Es war ein wilb fehöner, ſchauerlicher Anblick; be=
reits mehr denn dreißig Hütten waren hoch in Flam⸗
men aufgelobert, und beleuchteten den ganzen herrli⸗
‘hen Ufergürtel; vie breiten Blammenftreifen, die durch
bie Vistas der Cypreſſen und Mangroven auf den
Waſſerſpiegel fielen, zeigten jebe Hütte deutlich im
erglängenden gerötheten Wiederfchein. Noch immer
— 1 e—
wurden einzelne Schüſſe gehört, und nach jedem flackerte
eine Hütte auf. Um den jungen Mexicaner herum
war plögfich eine tiefe Stille eingetreten, bloß von
dem Geheule einzelner verfpäteter Pawnees und Oco⸗
nees unterbrochen, die in ihrer Trunkenheit noch nicht
wußten, wen ſie als ihren Feind zu betrachten hatten.
no iſt der Miko ?u fragten fünfzig Stimmen. —
Keine Antwort. — Ein weiblicher Angſtruf tönte
vom Ufer her und verſcholl in den Lüften. EI Sol
war fü chweigend geſtanden, ſein Auge auf die brennen⸗
den Hütten gerichtet, hinter denen, nahe am Ufer
kamme, die glänzenden Feuergewehre der Seeräuber
deutlich zu erfehen waren. Nicht über fünf Minuten
waren verftrichen, feit der erfte Dell die Gegenwart
von Feinden angezeigt Hatte; aber bereitö hatte ber
junge Krieger feinen Plan entworfen, und er gab
nun feine Befehle in dem entſchiedenen Furzen Tone,
der Bewußtfeyn unbegrenzter Gewalt und zur Ge⸗
wohnheit gemorbenen Gehorfam verrieth. Einer der
Cumanchees, gefolgt von der Mehrzahl der Pawnees
und der Oconees, glitt durchs Gebuͤſch hin, während
er ſelbſt mit den drei übrigen Cumanchees und einer
7 *
æa e⸗
Schaar verfuchter Pawnees längs dem Waldesſaume
fortſchoß. |
Der breite Gürtel, auf dem das Dörfchen zer-
fireut lag, ſchwoll, wie wir bereits erwähnt haben,
unmittelbar am Ufer in einen zweiten etwas erhöhten
Kamm an, der mit Mangroven und Myrthengebü-
then überwachfen war, und durch ben ein breiter Fuß⸗
weg mitten hindurch führte. Die Erhöhung über ven
" Gürtel mochte zwanzig Fuß beitragen. Diefer Gürtel
lief. die ganze Länge des Dörfchens hinab, ausgenom⸗
men an der Bucht, wo ihn die Natur in einen Fleinen
Hafen ausgebrochen Hatte. Nahe an dieſem verrieth
dad Glänzen ver Musketen ein ſtarkes Piquet, das
wahrſcheinlich beflimmt war, die Bonte zu bewachen.
Diefed Piquet wurde allmahlig durch einzelne ſchar⸗
muzirende Seeräuber verflärkt, die die Hütten in Brand
geſchoſſen Hatten.
Längs dem bebüfhten Gürtel waren mehrere Vor⸗
poften aufgeftellt, welche die Verbindung zwiſchen
dem Piquet an der Bucht und einem zweiten Poften,
der zur Hütte des Miko vorgebrungen war, erhalten
und, nad Bedürfniß, das eine oder dad andere un⸗
terftügen follten.
— > —
Es ſchien aus dem Ganzen hervorzugehen, daß der
Seeräuber es darauf angelegt habe, den Miko und
ſeine Pflegetochter aufzuheben. Vermuthlich würde
es ihm auch ganz in der Stille gelungen ſeyn, wenn
nicht zwei Cumanchees, nach der Sitte ihrer Nation,
während der Brautnacht vor der Thüre ihres Häupt⸗
lings die Wache gehalten hätten. Auch ſie hatten in
vollem Maße die verſchwenderiſche Gaſtfreundſchaft
des Miko und feiner Tochter genofien; aber ihre
Sinne, oöbwohl hetiubt, waren nicht ſtark genug an-
gegriffen, um bie den indianiſchen Ohren fo leicht
merkbaren Fußtritte eines Weißen zu verkennen.
Der Seeräuber mochte die Indianer während der
zwei Jahre feines Verkehrs zu genau Ins Auge ge
nommen haben, um nicht. die Schwierigfelteh eines
Kampfes bei Tageszeit einzufehen, wo jeder feiner
Männer ein Teichtes Ziel der hinter ven Bäumen und
im Gefträuche verſteckten Wilden geworden wäre; er
Hatte deßhalb die Nacht gewählt und, um fi wor
einem Lieberfalle im Dunkeln fo viel als möglich zu
ſchützen und zugleich Schrecken unter feine Feinde zu
verbreiten, hatte er die Hütten anzünben lafſfen.
Drei geübte Schützen waren in geringer Entfernung
— 1
vom Couneil⸗Wigwam aufgeftellt,, mit der beflimm-
ten Weifung,, den jungen Häuptling, den ex als den
gefährlichften feiner Gegner erkannte, niederzuſchießen.
Er ſelbſt mit einer gewählten Schaar war zur Hütte
des Miko worgebrungen, hatte diefe umringt, und
fich deren beiden Bewohner bemächtigt. Wahrſchein⸗
lich Hatte der fonft fo nüchterne Miko dießmal gleich
falls. feine Mäßigkeitsregel übertreten, und war jo
dem Seeräuber bewußtlos in bie Hände gerathen.
Sp ſchnell und beflimmt waren alle Bewegungen auß=
geführt worden, daß kaum der erfle Aufruf zu ven
Waffen erflungen, als auch bie Hütte bereits um⸗
ringt, und der Milo mit der weißen Roſa in der Ge⸗
walt des Seeräuberd waren. Diefer hatte nun feine
Truppe in ein Fleined Viereck gebildet, und war der
Hütte gegenüber am erwähnten Ufergürtel angelangt.
— Die Truppe marfchirte im rafhen Doppelfchriite.
Kein Indianer war zu fehen oder zu hören. Das
Viereck war bereitd in der Nähe der Bucht, und nur
wenige Schritte vom daſelbſt ftationisten Piquet ent⸗
feint; — einige Schritte. mehr, und fie waren in
ihren Booten, die ein paar Ruderſchlaͤge in Die Mitte
des Stromes und fo aus dem Bereiche ver Kugeln
8 >
der Indianer bringen konnten. Eine Verfolgung mit
ten Canoes, in denen jeder Indianer einen flchern
Schuß varbot, war nicht gedenkbar. — So mochten
vie Pläne des Piraten, nach der Entwicklung derſel⸗
ben zu ſchließen, geweſen ſeyn. Er mar nun auf dem
Punkte, fih mit feinem Biquet am Ufer zu vereinigen, -
als auf ein Mal das Gebüſche unmittelbar vor ihm -
rege zu werben anftng, und bie im Feuer glühend rot
erfeheinenden Indianer fi blicken ließen. — „Schul⸗
tert!“ kommandirte der Seeräuber feine Maͤnner, bie
feft und ruhig fortmarfchirten und mit einer Art Ver⸗
wunberung auf pas Gebüſche Hinfchielten, wo es fi
zu regen anfing, als ob einige Dutzend Anacondas
fich durchwänden. Sie hatten fi ans Piquet anges
fohlofien und das Eleine Vierer öffnete fi.
Lafttte warf Rofa in bie Arme eined Matrojen und
fließ dann den Mifo über den Uferrand dem Boote
zu. Der alte Mann fan: wie eine lebloſe Maſſe in
niefeß hinab. Lafitte hatte ſich ſchnell zu den Seinigen
wieder gewandt. Das erſtere Piquet hatte fich bereits
unter dem Kamme außer dem Bereiche jeder Kugel
gezogen, nur das Quarrs fehlen nach vie Bewegun⸗
gen feiner Feinde zu beobachten und ven allgemeinen
= e—
Abzug decken zu wollen. Es wat eine Feine, aber
fürdterliche Bande von etwa vieründzwanzig Mann,
zu ber alle Nationen, alle Welttheile, alle Farben
und Sprachen, ein gräßliches Quantum abgegeben
Batten.. Morpluft im funkelnden Auge, ſtanden fie
mit aufgepflanzten Bajonetten; kein Laut entfuhe
ihnen. Sie hatten fi in eine Angriffscolonne ge=
formt. — Plötzlich erfchallte ver Warwhoop aus hun⸗
- dert Kehlen und das ſchreckliche Geheul wiederholte
fich, verflärkt durch die gellennen Töne der Squaws
und Mäaͤdchen, die im fehauderuollen Chorus den
Todtengefang- anftimmten und gleich Dämonen um
die brennenden Hütten herum liefen. Auf einmal
ſtürzten die Indianer, gleich fo vielen Tigern In ihren
Höhlen angegriffen, mitrafendem Geſchrei der Buchtzu.
Ein tückiſches Lächeln umſpielte die rauhen Züge
des Piraten, als die Indianer auf ihn und feine
- Bande losſtuͤrzten; — „Reſerve vor!“ — wandte er
fich zu dem unten ſtehenden Piquet — und wieder
ſchwieg er. — Er ließ die heulenden Indianer heran⸗
toben, bis fie neun Schritte vor der Muͤndung feiner
Gewehre waren und rief dann ein heiſeres „euer!
— und die erſten Reihen der Angreifenden wälzten
— 7
fich in ihrem Blute. — Die Wilden prallten auf einen
Augenblick zurück und dann ſtürzten fie mit- einem
ziweiten verzweiflungsvollen Sprunge an vie Seeräu-
ber. — Diefe Hatten kaltblütig ihre Gewehre in ven
Hinten Arm geworfen und nad ihren Biftolen gegrifs
fen; — eine zweite Salve ‚ verflärkt durch das Feuer
des Reſerve⸗Piquets, warf die Wilven in gaͤnzliche
Ungrbnüng. Der Abhang mar mit Tödten und Ver⸗
wundeten bedeckt. — Heulend flohen bie übrig Sr
bliebenen ihrem Verſtecke zu.
„Marſch!“ kommandirte ver Seeräuber, und das
Piquet näherte ſich wieder dem Boote und die Cor
Tonne fehritt-ihm nach. — '
In dieſem -entfeheivenden Momente wurden vier
ſchwer plumpenve Fälle von dem Fluſſe herauf ge=
hört. Der Seeräuber wandte fi und ſah feine vier
Ruderer, die er zur Bewachung der Boote zuräidige-
Iaffen, aus dem Wafler noch einmal auftauchen und
dann verſinken, um nie wieder zu erſtehen; zugleich
ſchoß die Yacht. und das’ kleinere Boot, durch eine
unfichtbare Gewalt getrieben, vet a in die Mitte
des Stromes. '
"Daß iſt der Mericaner ‚u rief ber Pirate —*
— 8 ⸗—
Inirfihenn und feine harten Züge verzerrend. Gin
paar Piſtolenſchüſſe ſandte er dem Boote nach,fie
wurden durch ein dumpfes Lachen erwiebert. . -
Die Seeräauber wandten fich, ſahen ihre Bogte
verſchwunden und ſtanden, als ob der Blitz unter ſie
gefahren waͤre. — Schnell ermannten ſie fi jedoch.
— Ihre Gewehre waren wieder friſch geladen, und
feſt wie Felſen erwarteten. fie ven neuen Angriff; —
er blieb nicht aus. — Eine Salve, vom &luffe her,
regte. ſie plöhlich aus ihrer Spannung auf, eine zweite,
noch befler gerichtete, Hatte ein Drittel zu. Boden ge=
ſtreckt: Und nun erhob ſich der fürchterliche Kriegs⸗
ruf nochmals, und die rafend gewordenen Wilden
fürzten auf die Matroſen zum dritten Male. — Noch⸗
mals krachte es laut von den Booten her, und dann
fprang der Mericaner mit feinen. Gefährten wie Teu⸗
fel unter die entjeßten Seeräuber. Der Kampf war
kurz. Unfaͤhig, dem fürchterlichen Anprange von vorn
und von hinten zu widerſtehen, warfen bie Seeräu⸗
ber ihre Waffen weg und ftürzten ſich Häuptlings in
den Fluß, den Tomahamfs Ihrer raſenden Teinde zu
entgehen. u
Ihr Capitain allein fehlen feft entſchloſſen, fein
Leben fo theuer als möglich -zu verkaufen. Seinen
Rüden. an den’ Uferfamm. gelehnt, feinen Säbel in
der Rechten, eine Piftole in der Linken, varirte er
den Streich eines Oconees, der auf ihn blindlings an⸗
geflürgt kam und hieb ihm den Kopf vonr Rumpfe,
einem. Zweiten jagte ex eben fo ſchnell eine Kugel durch
die Bruſt und hob eben feinen Säbel, als ein Laſſo
um ſeinen Sale und er wie ein Se “oo zur Erde
fiel. -
Der Tange und d furchtbare Del, ver. nun über den
ganzen Ufergürtel Hinfuhr, verkündete ven volföm-
menen Sieg der Wilden.
Mennzehntes Kapitel: -
- Nicht an Deiner Schubfohle, an Deiner Seele
machſt Du Dein Mefler Scharf; venn kein Metall,
-felbft keines Henker Beil, kann halb fo ſcharf
ſeyn, als Dein geſchaͤrfter Haß.
Shakeßpeare.
Reine Zunge wuͤrde ſabig ſeyn, den jammervollen
Anblick zu ſchildern, den der folgende Tag darbot.
In einem weiten Ringe vor dem Platze, an wel⸗
— 10 9
chem das. Counctil⸗Wigwam geſtanden, waren die
vierzig erſchlagenen Pawnees und Oconees ſttzend auf⸗
gerichtet, mit ihren Rücken an Baumflämme gelehnt,
die man ‚von den nicht verbrannten Hütten genom⸗
men. Ale waren in ihrem Schmucke und’ als Krieger
gekleidet, die fo prachtvoll wie möglich vor bem- An-
geſicht des großen Geiftes zu’ erſcheinen Hatten, um
von ihm ihre Belohnung zu erhalten. An der Seite
jedes Pawnees fland fein Streitroß, mit feinem Feuer⸗
gewehre ‘oder felner Lanze behangen, dad ihn auf feiner
weiten Reiſe in vie ewiggrünen Wiefen zu begleiten
beftimmt war. Bor den Oconees waren Pfähle in
die Erde getrieben‘, an denen ihre Gewehre, Toma⸗
hawks und Schlachtmeſſer mit einem Fleinen Nebe
hingen, in welchem die Kopfhaut eines Feindes ein«
geſchloſſen werden ſollte. Einige Schritte ſeitwärts
und gegen die Hütte des Miko waren die ueberreſte
ſeiner Tochter aufgerichtet; — ihr Haupt ruhte auf
zwei Stangen. Sie war in ihr Brautkleid gehüllt,
und vor ihr lagen alle ihre Kleider. Ihre Ohren und
Hände waren mit Gold⸗ und Silberarmſpangen und
Ohrentingen gefämüdt. Zwei Kugeln, ihrem Ges
liebten beftimmt, Hatten ihr edles Herz durchbohrt;
—d 191 —
and noch im Tode fpielte ein fanftesLächeln umihren
lieblichen Mund.
Hinter dieſer Jammerbildern und auf per fe des
Council⸗Wigwams war ein großer Scheiterhaufen
errichtet, auf dem die Körper von fünfundzwanzig
Serräubern, mit ihren graͤßlich blutigen Köpfen lagen,
von denen die Haute abgeriffen waren ; etwaß niedri⸗
ger und um ven Scheiterhaufen herum lagen ver Ca⸗
pitain der Seeräuber und zwölf Gefangene, an Hän-
den und Füßen mit Buffaloriemen zuf emmengef chnürt,
ihren Urtheilsſpruch erwartend.
Hinter dem Scheiterhaufen ſah man bie offenen
Gräber für die erſchlagenen Indianer. Sie waren auf
allen‘ Seiten mit der Rinde des Cottonbaumes belegt.
An den vier Ecken waren Pfaͤhle in die Erde geſteckt,
die über dem Grabe gebogen und auf denen eine zweite
Schichte von Cottonrinde lag. Eine Oeffnung war
gelaffen worden, durch die der Leichnam ind Grab
geſchoben werden füllte. Vor jenem Grabe ſtak ein
in Blut getränkter Stab, tief in die Erde getrieben,
auf dem die Kriegstrophäen des Erſchlagenen aufge⸗
Reit m werden ſollten, nämlich des Feindes Sal, ber
—, 1 &—
in eim kugelrundes Netz eingefiloffen zu werden be=
ſtimmt war.
Am äußerften. Ende war das Grat Canondahs.
Es ruhte gleichfalls auf Cederſtaͤmmchen, deren
jedes zwei bis drei Zoll im Durchmeſſer Hatte und
war ganz mit Rinde ausgefuͤttert, die wieder mit
Seidenzeugen uͤberkleidet war. Auf ein Kiffen mit
Tillandſea ausgeſtopft und mit Atlas überzogen; ſollte
ihr Haupt zu liegen kommen; rings um das Grab
herum waren Schößlinge von Palmen und Mangro=
ven gepflanzt. Die Eeverftämme waren gleichfalls zu _
einem Dache verbunden und beflimmt, einem zweiten
Dache zum Stügpunkte zu dienen, fo daß die Ueberreſte
ber Tochter des Miko vor jeder Unbilde geſchützt waͤren.
Die Begräbnißanftalten waren während der Nacht⸗
zeit und, ben Tag hindurch mit. unglaublicher Thätig-
feit, aber ununterbroch enem Geheule und Sammer
zu Stande gekommen. °
Die Lebenden waren nur mit Mühe von den Tobten
zu. unterſcheiden.
Gegenüber ven gefallenen ariegern ſaßen in einem
Halbmond die Männer der drei Stämme, ihre Ge⸗
mwänber über ihre Gefichter geſchlagen, ihre Häupter
—, 18 e—
auf ihre Bruft gefenkt, ihre Schenkel kreuzweiſe in
einander geflochten; Alle in ver tiefflen Trauer. Sie
waren unbedeckt, und. bie geflochtenen Scheitelbüſchel
ber Pawnees hingen nachläſſig ihren Naden herab.
Dben an fäßen der Mifo-und:der Häuptling ver
Cumanchees; 3 — Tokeah ſchien ruhig und gefaßt;
aber das erſtorbene verglaste Auge, die convulfiviſch
verzogene Stirne und Lippen und die gelbe Todten⸗
farbe bezeugten die Eiſeskälte, die in ſeinem Herzen
Platz genommen. Ex war unſaglich elend geworben:
der einzige Troft, der ihn am Leben bisher erbalten,
feine übrigen Tage noch erheiteen helfen follte, war
von ihm gewichen. —
El Sol war gefaßter, aber auch ſein edles Haupt
war im tiefſten Schmerze auf die Bruſt geſunken,
und dann hob es ſich wieder, und er ſchoß ſo lange
und vurchbohrende Blicke auf ſeine verlorene Braut,
als Hätte er ihr neues Lebensfeuer in bie erftarrten
Glieder einhauchen wollen. Er hatte Canondah zärt-
lich und innig geliebt, er hatte fle als ihr Retter ge-
liebt, dem das ſchwache Mädchen als fehöne Beite
anheimgefallen war, und ver bei ihrem jededmaligen
Anblide ein ftolzeres edleres Gefühl in feiner Bruſt
— 14 —
erwacht fand. — Nun hatte fie mit ihrem Leben die
Schuld der Dankbarkeit voll und gewichtig bezahlt;
beinahe ſchien es, als ob der edle Wilde mit ihr rech⸗
ten wollte.
Aber Eine ſaß da, heren Weh und Herjenleid aus⸗
zudrücken unmoglich geweſen wäre; — Eine, die in
der edlen Indianerin die einzig freundliche Seele ver⸗
lor, bie noch einige Blumen auf ihren-fo dornigen
Pfad geftreut. Die unglüdliche Roſa flarrte aufihre
entfeelte Schwefter hin, finnlos, bewußtlos. — Als
fie zuerſt die lebloſe Hülle Derjenigen ſah, die lieben⸗
der als eine Mutter fie umfangen hatte, da ſank fie
nieder, bewegungslos, beinahe leblos. Sie meinte
nicht, fie Elagte nicht; nicht eine Thräne entquoll
ihren Augen, aber Leben und Bewegung ſchienen im
ungeheuern Schmerze entflohen zu ſeyn. Sept faß fie
da, von zwei Mädchen gehalten, und ſchaute und
ſtarrte ſo wirr, mehr einer alabaſternen Statue, denn
einem lebendigen Weſen ähnlich.
Hinter ihr ſaßen die ſchluchzenden und weinenden
Weiber und Maͤdchen. Auch fie Hatten eine Mutter,
pie zärtlichfte, verfländigfle Mutter verloren, die
raſtlos Tag und Nacht für dad Wohl ver Ihrigen
— 105 e
beſchaftigt geweſen war, der ſie Alles, was ſie hatten,
was ſie waren, zu verdanken hatten; — mit ihr ſchien
der ſchützende Genius von dem’ troftlofen Völkchen
gemwichen zu ſehn.
Die trauernde Gruppe mochte ſo eine Stunde ge—
ſeſſen ſeyn, im dumpfen Schmerze die Ueberbleibſel
Alles deſſen betrachtend, was ihnen lieb und theuer
war. Dann und wann ließ fich ein lautes Stöhnen
vernehmen, dad den Kehlen ver alien Squaws ent-
fuhr, und vem fich almählig und flufenweife die
Tauteren Klagetöne der jüngeren anfehlogen.
Bald darauf fielen die dumpfen Schläge der india=
nifhen Trommeln und die melancholiſchen Töne ver
Flöte ein, und mit biefen begann ver Todesgeſang,
der zugleich von mehreren hundert Lippen in ven tief-
ften Kehlentönen angeflimmt wurde. So wie ber
Geſang fi erhöben hatte, einfach, gemach und flu=
fenweife, fo erflarb er wieder. Eine lange Weile
herrſchte wieder tiefe Stille; dann erhob ſich ein leiſes
Gemurmel, das allmählig flärfer murbe: die Squams -
ſchlichen fih aus dem Kranze und begannen drohend
die Gefangenen zu umfchwärmen. Es währte nicht
lange, fo wurden Rache rufende Stimmen gehört,
Der Legitime. II. | 8
— 106 —
die ſchnell fi verflärkten, bis zulegt Alle in ein to⸗
bendes Geheul und in die füröhterlichte Muth aus⸗
brachen.
„El Sol,“ ſprach ver alte Miton mit dumpfer
Stimme, „meine Brüder wünſchen die Stimme des
großen Häuptlings zu hören, um die erzürnten See⸗
len ihrer gefallenen Brüder zu verfühnen. «
Der junge Mexicaner gab: Feine Antwort: er blidte
auf, flarrte um ſich herum, gleich Einem, der aus
einem tiefen Traume erwacht. — Endlich ſprach er:
„mögen meine Brüder ihre Zungen Iöfen, damit EI
Sol ihre Worte vernehme.u
Die Berathung nahm ihren Anfang.
Ein Krieger des Oconees fland auf und richtete
fih an die Menge.
Er begann in den flodfelreichen lebhaften Farben
und in dem eigenthümlichen Style feines Volkes die
Tapferkeit ver Erſchlagenen, ihre Geſchicklichkeit auf
den Jagdgründen, ihre Weisheit in der Rathsver⸗
. fammlung zu rühmen. Er malte mit lebhaften Far⸗
ben den Jammer ver hinterlaffenen Wittwen und
Waiſen, die Verrätherei der Diebe der Salzſee, und
ſchloß, indem er hindeutete auf fünfzehn Krieger,
\
— 107 —
die vor dem großen Geiſte ohne einen Scalp von dem
Haupte ihrer Feinde erſcheinen würden. —
Ein zweiter Redner folgte, der mit größerer Leben⸗
digkeit noch mehr ſich bemühte, die ohnedem Rache
ſchnaubenden Gefühle ſeiner Zuhörer aufzureizen.
Nachdem ein Dritter geſprochen, wurden die Aus⸗
rufungen unter den Oconees nach den Scalpen ihrer
Feinde allgemein. Sie hatten das Meiſte gelitten.
EI Sol Hatte ausdrücklich einen direkten Angriff un⸗
terfagt, und firenge Befehle gegeben, bloß den Feind
zu neden und am Einfäiffen zu hindern. Für fi
felbft hatte er den größten und gefährlichften Antheil
an dem Kampfe gewählt. Der edle Wilde, ber be—
reits Öfterd gegen die disziplinirten fpanifchen Trups -
pen in Mexiko gefochten Hatte, fah wohl ein, daß die
zegellofe Bande Wilder fich nicht mit den geübten
Seeräubern mefien Eonnte; aber feine Befehle waren
hintangefeßt ‚worden. Die Oconees hatten fi
Taum überzeugt, dab ihr Miko in den Händen der
Seeräuber und Diefe auf dem Punkte waren, fi) ein⸗
zuſchiffen, als fie zum Angriff heranflürzten, und die
Pawnees mit fih fortriffen. Sp wnüherlegt raſch,
gegen alle fonflige Gewohnheit der Indianer, war
g*
— 18 ⸗—
dieſer Angriff geſchehen, daß bloß wenige Kugeln der
GSeeräuber ihr Ziel verfehlten; bloß Wenige waren
verwundet worden, beinahe Alle Hatten töntliche
Schüſſe erhalten. Dieß Hatte auf ihren Rachedurſt
aufs höchſte gefteigert. Gewiß würden file die Ge-
fangenen in ver erften Wuth nienergemegelt haben,
Hätte EI Sol ihnen nicht Einhalt gethan. Sp groß
war jedoch das Uebergewicht, das dieſer junge An⸗
führer über ſeine Cumanchees und Pawnees ausübte,
daß ein einziges Wort die Ausbrüche des glühenpften
Haſſes feiner Krieger in Schweigen, und Diefe ans
rachedürſtenden Feinden in Befchüger der Seeräuber
umgewandelt hatte. So hatten fie im Gebränge, und
- während fie den Oconees ihre Schlachtopfer entriffen,
felbft einige Teichte Wunden erhalten.
„Und was fagt der weiſe Tlachtala?“ fo revete
E Sol einen Cumanchee an, ver hinter ihm auf einer
Wolldecke ausgeſtreckt lag und von zwei Kugeln
durchbohrt war.
„EI Sol,“ erwieverte der Verwundete, „weiß bie
Gefege ver Cumanchees.“
„Würde aber ein Cumanchee mit einem Diebe
— 19 —
kämpfen, deſſen Sand und Fuß an den n Ffahl ge⸗
bunden find?u
Der Cumanchee ſchüttelte virachiungedot fein
Haupt.
„Und was würden die Cumanchees thun ?u
„Sie würden um einen der ſchlechteſten Apachees
ſenden, daß er die Diebe an Bäume hänge, damit
ihr Fleiſch eben jo von den Vögeln des Himmels ge⸗
ſtohlen werbe, wie ihre Sände gethan. “
„Die Seele EI Sols ift die eined Cumanchees, und
er will thun, wie fein Bruder jagt.”
Die Blicke der Menge wandten ſich nun mit Sehn⸗
fucht auf Tokeah und EI Sol. Der Erftere erhob
fih, aber mit unfäglicher Mühe. Dan fah e8 ihm
an, daß alle Geiſteskraft von ihm gemwichen war, daß
es ihm ſchwer fiel, auch nur ein Wort hetvorzubrin⸗
gen. Es war nicht bloß der herzzerreißende Schmerz,
der feine Worte erſtickte, es war das Bewußtſeyn
eigener Schuld, die ben alten Mann zittern und beben
machte.
Er hatte wicklich d bie ganze Schuld bes grftien
Ereigniſſes auf ſich geladen; feine Blindheit hatte ihm
und ſeinen Alliirten eine tödtliche Wunde geſchlagen,
—d 11
feine Halsſtarrigkeit ihn taub gegen alle Zurufe El
Sols gemacht. Leicht hätte das Unglüd vermieden
und die Seeräuber auf eine Weife empfangen werben
können, die ihnen alle Luſt zu einem zweiten Verſüche
vertrieben hätte. Der alte Dann fühlte die große
Schuld, vie auf ihm lag, die Verantwortung , die er
für das Leben fo Vieler gegeben Hatte, die, im Ver⸗
trauen auf feine meife Warhfamteit, in der Nähe
eined verbächtigen Feindes alle Borfichtsmaßregeln
vernachläßigt hatten und, ihm vertrauend, entfchlafen
waren. Scham und Rachſucht durchglühten die wenigen
Worte, die er nun zu den Seinigen ſprach. Die See-
rãuber wurden verurtheilt zu ſterben. Als er gefpro-
Gen Hatte, ſchienen Die Oeonees nur ungeduldig auf
den jungen Mexicanerhäuptling zu warten.
Der Denkungsweiſe unſrer nordamerikaniſchen In⸗
dianer erſcheint die Gewohnheit, ihre gefangenen
Feinde am Grabe ver Ihrigen oder in voller Volke⸗
verfammlung zu töbten, nichts weniger als barbarifch.
Jahrhunderte Haben diefe Gewohnheit gewiffermaßen
geheiligt und zur Nationalfitte erhoben. Anders
bingegen ift es mit den Sumandees, einem Volke,
defien Sitten und Gewohnheiten, obgleich ihnen
— 111 &
Wildheit nicht abzufprechen iſt, fich vortheilhaft
vor den unftät umherirrenden Wilden unſrer Wälder
unterſcheiden. Ein. beſtändiger Aufenthalt in dem
entzüdenden Hochlande von Santa Fe, ein mildes
prachtvolles Glima und ein häufig Eriegerifcher Ver⸗
Tehr mit den Spaniern, von denen fie geachtet und
als unabhängige Nation betrachtet werden, hat ven
Geiſt diefed Volkes natürlich auf eine weit höhere
Stufe erhoben, und zugleich jene unbändige Wild-
heit, vie kleinern unterprüdten Stümmen ſo eigen-
thümlich tft, gemildert. —
Der junge Häuptling eined ber bedeutendſten
Indianiſchen Stämme Mexicos fah daher natürlich
den Ball mit den gefangenen Seeräubern aus einem
andern Geſichtspunkte an. Ihm war an den Skalpen
derſelben wenig gelegen, und jenes unerſättliche Ver⸗
langen nach dem Kopfſchmucke ſeiner Feinde war ihm
ſogar eckelhaft erſchienen. Alles was er thun wollte
war, die Geſetze ſeiner Nation beobachtet zu wiſſen,
da er als Sieger den größten Anſpruch auf die Feſt⸗
ſetzung derſelben in Bezug auf die Gefangenen hatte.
— Als er nun aufftand, trat eine plötzliche Stille ein.
„Sind nicht meine Brüder, die Oconees, fo eben
—d9 112 ⸗—
auf dem Pfade zu ihren Brüdern, ven Cumanchees,
begriffen?” fragte er mit bumpfer tiefer Stimme.
„Wollen fie nicht die Rebe eines Cumanchee hören,
ber für fle zwei Wunden empfing, auf daß feine
Brüber, wenn fie nad Haufe fommen, unferm Volke
fagen, wie ſehr ihre Weißheit von Ihren neuen Brü-
dern geſchaͤtzt werde?“
Die Menge hörte finſter und ſchweigend in ängſt⸗
licher Bangigkeit zu. Der junge, Anführer wandte
fich zum Cumanchee, der bereits im Todeskampfe
röchelte, aber, nach der Gewohnheit ſeines Volkes,
eine Stärke zeigen mußte, die feiner noch übrigen
Kraft nicht mehr entſprach.
„Will mein Bruder feinen neuen Brübern fagen,
was die Cumanchees mit ihren Gefangenen thun
würden ?u
„Sie binden,“ {prad) der Varwundete, aihre Ge⸗
fangenen an Pfaͤhle am linken Fuße und an ber linken
Hand und laſſen ihnen den rechten Fuß und die rechte
Hand frei, und geben ihnen ihre Waffen, und ſechs
junge Krieger mögen einzeln mit ihnen kämpfen.
Wenn der Gefangene füllt, dann mag ber Sieger ihm
das Leben nehmen und feinen Leib verbrennen; wenn
—4 113 —
die ſechs rothen Krieger fallen, dann wirb der Ge⸗
fangene ein Cumanchee.“ Der Cumanchee ſprach
mit gebrochener ſchwacher Stimme, aber mit einem
Ausdrucke auf ſeinem vom Todeskampfe entſtellten
Geſicht, der hinlänglich verrieth, daß er ſeine neuen
Brüder nichts weniger als fähig halte, ſich dieſem
edlern Gebrauche ſeiner Nation zu unterwerfen.
„Und was thun die Cumanchees mit den Dieben,
die ihre Pferde und Rinder ſtehlen,« fragte ver junge
Häuptling nach einer Baufe, vie vem Verwundeten
Zeit geben follte, ſich zu erholen.
„Sie rufen ven Schlehteften der Apachees, daß er
die Diebe beim Genid an einen Baum hänge, damit
fie Speife für bie Naubthiere. werben,“ erwieberte
der ſterbende Cumanchee, deſſen letzte Kräfte, dieſe
Anſtrengung erſchöpft hatte. Er ſtreckte fich noch
einmal und war dann eine Leiche. Die Cumanchees
erhoben ihn und ſetzten ihn an die Spiße der Ge⸗
fallenen.
Obglei die Oconees den Inhalt dieſer Worte,
bie im Pawneeſer Dialekte geſprochen, nicht voll«
fommen begriffen, fo Hatten fie doch fo viel daraus
entnommen, daß die Skalpe der Seeräuber ihren
—d 114 —
gefallenen Freunden und Verwandten nicht auf die
große Reiſe mitgegeben werben follten. Ein unbän-
diges Gemurmel von Unzufrievenheit brach unter den
alten Weibern aus, hie nun in wilden Sprüngen
einen ganz eigenthümlichen Tanz begannen, und bie,
durch Die Unordnung und Anftrengung ver legten Nacht
bis ind Scheußlichſte entftellt, wirklich gräßlich an⸗
zuſehen waren. „Das Blut unſerer Männer und
Kinder ruft um Rache. Die Diebe haben vie Art
erkoben. Wir wollen unfre Meffer tief in ihr Blut
eintauchen,“ ſprach eine Stimme. Ein Beifalld-
gemurmel erhob fich unter den Männern bei dieſen
Worten — und glei halb gezähmten Beftien, deren
Blutdurft durch die lange Entbehrung nur um fo
mehr gekitzelt, und die plötzlich in ihre vorige Wild⸗
heit wieder zurüdfallen, flürzten die alten Megären
auf ihre Schlahtopfer zu, die jüngern Squaws
ſchloßen fi unwillkürlich an, dann folgten die Kna⸗
ben und Mäpchen, die jüngern Krieger erhoben ſich
gleichfalls, und zulegt flürzte die ganze wüthende
Schaar, Jung und Alt, auf die Seeräuber 108.
Die Cumanchees und Pawnees waren allein Hinter
®
415 —
ihrem Säuptlinge geblieben, der, ohne ſich zu regen,
an ber Seite Tokeahs ſitzen geblieben war.
„Und wollen meine Brüder das Blut ihrer Feinde
nicht fließen fehen?“ fragte El ˖Sol, indem er-fid
gegen feine Krieger wandte.
„El Sol ift der Häuptling ver Gumanders und
Pawnees, und feine Worte haften feft in ihren
Ohren,“ Sprach Einer verfelben. |
Der junge Häuptling ſtanv auf, und als ſahe⸗ er
die Scene voraus, die nun bald erfolgen ſollte, hob
er die weiße Roſa in feine Arme, und trug ſie hinter
die Laube. Kaum hatte er ſie niedergelaffen, als ein
Gekrach und Geſtöhne gehört wurde, das kurz und
dumpf einige Sefunden zu Hören war, und ‘dann in
ein unnatürliches Wimmern überging. Es ſchienen
weder menschliche noch thieriſche Töne, der höchſte
Schmerz im gewaltfanren Riffe der evelften und zarte-
ften Theile Hatte unnatürliche eigene Töne hervor⸗
gebracht, Die aber durch das. Gelächter und das
Geheul, das barauf folgte, bald wieder bertaubt
wurden.
Tokeah flürzte ‘auf den Saufen 108, der Pi Km
öffnete und ihm einen fhreiklichen Anblick darbot.
—$ 116 &-
Einer ver Seeräuber Tag mit geſpaltenem Schävel
auf der Erde. Bor ihm fland fein Henker, triumphis
rend ſeine Kopfhaut ſchwingend, die er dann unter
lautem Jubel in das erwähnte runde Netzwerk, einem
Häubchen nicht unähnlich, forgfältig einſchloß. Ein
Zweiter hatte einen andern Seeräuber in feinen blutis
gen Händen: fo eben fuhr er mit dem ſcharfen Meſſer
um die-Stirne und den Scheitel herum; dann, wähs
rend die Linke dad Haupt feft von fi weg hielt und
fein Knie fih in dem Rücken des ſich krümmenden
Seeräubers feſtſetzte, riß er mit einem plöglichen
Nude die Kopfhaut von dem Haupte ‚mb der Elenve
fiel blutig auf die Erde. — Ein Hieb mit dem Tomas
hawk machte feinen Leiden ein Ende.
Das Ganze war dad Werk eined Augenblicks ges
weien. Tokeah war noch gerade zur rechten Zeit
gefomimen, um einen Dritten aufgegriffen zu fehen,
der nun folgen follte. Es brauchte al das Anſehen
und die Würde des Milo, um dem Tange an Unter=
würfigkeit gemöhnten, aber in dieſem Punkte trotzig
auf feinem echte beftehenden Saufen in feiner Wuth
Einhalt zu thun. Es war ihm endlich gelungen,
und er kehrte raſch zu dem jungen Anführer zurüd.
—p 117 —
Ihm folgten feine Männer, Hunden nit unähnliäh,
die die drohende Stimme ihres Herrn vom zerriffenen
Schafe hinweggeſcheucht.
. „El Sol," ſprach ver. Miko mit langſam zitternder
Stimme. „Die Männer der Oconees wollen nun
hören, was der Häuptling ihnen fagen wird.“
„El Sol,“ ſprach der junge Mann in einem mil⸗
den, aber entſchloſſenen Tone, „hat ſeine Hand aus⸗
geſtreckt, um die Oconees der Muſcogees als ſeine
Brüder zu empfangen; aber fie haben ihm ihre Zähne
gewiefen. «
Der alte Mann gab keine Antwort.
Der junge Mexicaner erhob feine. Stimme noch
höher, und ſtolz umherſchauend, ſprach er zu ſeinen
Kriegern: „Haben die Cumanchees und Pawnees ge⸗
ſchlafen, während Tokeah von den Dieben fortgeführt
wurde? Haben die Oconees die Diebe gefangen, daß
fie num ihre Skalpe als ihr Eigenthum nehmen?“
Alles war in Negung und Bewegung unter ben
aufgerufenen Cumanchees und Pawnees. Ihre Hände
griffen raſch nad ihren Lanzen und Streitärten, ihre
Naſen begannen zu ſchnauben gleich Steitroffen, ihre
düſtern Geſichter nahmen einen furchtbar troßigen
— 118
Ausorud an. — Noch ein folder Aufsuf, und fle
würden auf die. Ueberrefte. ver Oconees losgeſtürzt
feyn, auf die fie ohnedem mit Verachtung herabfaben.
Tokeah zitterte dad erſte Mal in feinem Leben.
„Haben die Cumanchees und Pamwnees,“ fo ſprach
er mit gebrocdhener Stimme , „allezeit vie Heben ihrer
großen und weiten Häuptlinge angehört? Haben fie
fi nie von dem Pfade verirrt, ven ihre weifen Män-
ner ihnen angezeigt, und,“ fuhr ver alte Mann mit
weicher Stimme fort — „fol die Kette zwijchen Brü-
dern gebrochen werben, weil die Oconees gethan,
was ihre Väter- auch thaten? Meine Kinder find
noch nicht Cumanchees. Wenn fe in den Wiefen des
großen Volkes wohnen — dann werben fie auch bie
Rede ihres Anführers hören. Tofeaha — ſprach er —
hat nie die Palme feiner Hand vergeblich ausgeſtreckt.
Bil fein Sohn fie zurüdweifen ?«
Eine vemäthigere und verföhnendere Abbitte konnte
unmoglich von einem Miko der Oconees gethan
werden.
El Sol ergriff raſch die dargebotene Hand.
nLaffe meine Männer die Stimme ihres künf⸗
tigen Miko hören,“ ſprach der alte Mann flehend.
—d 119 &
. So mögen denn bie Hände und Füße der Diebe
gebunden bleiben, “ ſprach EI Sol mit flarker Stimme,
‚mund mögen fie ven Schlechteften ver Weißen über-
geben werben, auf daß ſie dieſelben an Bäume Hän-
gen, und ihr Fleiſch von den Vögeln des Himmels ge⸗
ftohlen werde. Die Gebeine von Dieben und Räubern
ſollen nicht unter ven Gebeinen der rothen Männer
sahen, und vermifcht werben, bamit ber große Geift
fie nicht vermenge, und fie nicht.auf den Wieſen⸗
gründen halt weiß und Halb roth erſcheinen.“
Der Miko war nachdenkend über die Worte des
jungen Häuptling3 geworben; au bie Menge ſchwieg
verdüſtert ſtille.
„Dein Sohn,“ ſprach Dieſe, „iſt weiſe, und
ſeine Seele iſt die eines großen Häuptlings; aber
wird er die vielen Dollars verdienen wollen, die der
große Vater der Weißen für ven Kopf des Diebes
angeboten ?«
Der Mericaner horchte hoch auf. „Wie meint dieß
mein Vater?“
„Die Weißen werden Tokeah und FM Sol als
Diebesfänger betrachten, welde die Dollars ihren
Skalpen vorziehen. Die rothen Männer werben weh⸗
— 10 ⸗—
flagen; denn ihre Ehre wird für immerdar unter
ihren Brüdern in Schande gefehrt ſeyn.“
Diefe Worte fehienen Eindruck auf den jungen
Mann zu machen. Er ſprach lebhaft mit den Cu⸗
manchees.
„Und was gedenkt mein Vater zu chun gu —
Der Mifo jann nah — plöglich zudte es durch
feine Nerven; er hob tief Athem und, auf die Leiche
feiner Tochter blickend, fprach er mit bebender Stimme:
„Sa der große Geift hat durch ven Mund meines
Sohnes geſprochen; — der weiße Dieb Toll durch vie
Schlechteſten der Weißen an einen Baum gehängt
werden; — er ift nicht werth, daß er für die Tochter
des Miko und die Oconees flerbe; aber. El Sol und
Tokeah dürfen ihre Hände nicht mit Ihm beflecken, fie
dürfen ihn nicht den Weißen übergeben."
- Der junge Mann war immer gefpannter geworben.
„Der Dieb ift ein Feind ver Weißen; — Er hat
ihnen des Böſen viel zugefügt. Der große Vater hat
viel Gold für fein Haupt geboten; — follen vie ver=
folgten rothen Männer ven Weißen helfen ihre Feinde
einfangen?“
Der Mericaner fing nun an zu begreifen.
— 121
„Der - Banther ‚“ fuhr ver alte Mann fort, vrennt
in feine Schlinge, der Buffalo ſtürzt der Kugel und
dem Pfeile entgegen, die für ihn gemacht find; — der
weiße Dieb wird auch dem Baume nahe fommen,
an dem er aufgehängt werden foll. — Mögen bie
Meißen ihn fangen, u un ihr. Blut fließen wie dad ber
Oconees.“
Die rafftnirte Rachfucht und der tief verſteckte Haß
gegen ſeine Todtfeinde, die Weißen, die dabei an⸗
ſcheinende Großmuth gegen vie gefangenen Seeräuber,
welche aus ber Rede des Miko hervotleuchtete, hatte
anfangs ſelbſt den Mexicaner verwirrt, und er blickte
betroffen ſeinen Vater an. — Auch er war ein Feind
dieſer Weißen, die ſeinen Vater gemeuchelmordet
hatten; aber von dieſem Haſſe, der ſelbſt feine glũ⸗
hende Rache an dem Moͤrder ſeiner Tochter der Hoff⸗
nung aufopfern konnte, daß dieſer Mörder, wenn er
frei wäre, feinen weißen Feinden nur um fo mehr
Böſes zufuͤgen und ſo gewiſſermaßen einen Theil fei⸗
ner eigenen Rache abtragen würde, hatte er auch nicht
geträumt.
„Und mein Vater,“ ſprach er, wolie deßhalb die |
Der Segitime. IL. Bu 9
— 9 12 —
Seträuber aus dem Garn enttafen, in welchem 5
fi gefangen?“
„Sie werben Bladengle und Zokeah rächen im
Blute vieler Nankees ‚" ſprach der Miko.
Der Mexicaner wandte fih nun an feine Lands⸗
leute. Dieſe ſchüttelten den Kopf über den ungewöhn⸗
lichen Vorſchlag, — überließen jedoch ihrem Häupt⸗
ling, nach Gutdünken zu handeln.
Der Miko Hatte mit ſeinen Oconees geſprochen.
Die rachedürſtenden Wilden ſchüttelten anfangs gleich⸗
falls ihre Köpfe; als er aber auf die Tapferkeit ihres
Veindes hinwies, der vielen Hankees ihr Leben rauben
würde, flimmten fie mit einem Male bei.
„Eg iſt Die Stimme des Propheten, des großen
Miko,“ erſchallte aus hundert Kehlen.
Der Mifo mar fehweigend da gefeffen ımb fein
Haupt war wieder auf feine Bruſt geſunken.
„EL Sol,u fpra ver junge Mann, what die
Worte feines Vaters gehört, und bie Cumanchees
haben fie gebilligt; — mein Vater weiß was er zu
thun hat.“
ODer alte Miko winkte einem jungen Krieger, und
Dieſer Tief‘ auf die Gefangenen zu, deren Feſſeln er
ſchnell löste.
— 13 ⸗—
‚Die halbtodten Seeräuber Hatten verfudt aufzu-
ſtehen, aber fie vermochten es nicht. — Sie lagen,
ſelbſt nachdem die Riemen zerſchnitten waren, noch
eine geraume Zeit, ohne fich erheben zu koͤnnen. —
‚Ihr verwirrter, wüfter Blick ſchien kaum mehr zu
begreifen, was eigentlich gemeint ſey; als aber ber
Junge Krieger an das Ufer deutete, und ſprach: „Die
Diebe mögen geben," da erhoben fie fih, anfangs
ſchüchtern um ſich blickend, ob auch die frohe Bot-
ſchaft wahr jey, und dann rannten fie, fo ſchnell als
fie e8 vermochten, dem Ufer zu. — Lafitte allein war
etwas langſamer fortgefehritten, zumeilen auf die Wilz
‚den zurůckblickend; — das Gefchrei feiner Gefährten,
zu eilen, wenn er nicht zurüdgelaffen werben wolle,
ſchien auf ihn feinen Eindruck zu machen. Un der
Bucht angekommen, fchlang er feine Arme in einan⸗
der, blickte dann nochmals auf die ſchaudervolle Scene
und trat raſch ind Boot zu feinen Geſellen.
Die herzzerreißende Begräbnißfcene war vorüber:
Die Krieger der Pawnees und Oconees waren In
ihre Ruheſtätten verſenkt; der Scheiterhaufen, auf:
9*
J
m e⸗
dem die getodteten und geſchlachteten Seeräuber aufs
geſchichtet waren, loderte in hellen Flammen auf; vie
Noſſe waren geopfert. Alle fanden bereit, pad Ufer
bed Natdhez für immer zu verlafien.
Da trat EI Sol mitten ımter die verflörten und
dumpf hinſtarrenden Weiber und Mädchen, deren
Thraͤnen und Stimmen verflegt zu feyn fehienen, und
wand die von zwei Inbianerinnen getragene Rofa
aus ihren Armen, fie ihrem Pflegevater zuführend.
„Und will die weiße Roſe nicht Lebewohl dem Vater
fagen, defien Tochter ihr Mutter gewefen, und ver
nun einen weiten Pfad betreten wirb 3a fprach der
Mexicaner mit fanfter, zitternder Stimme.
Die blafje Leihengeftalt blidte auf den bewegten
Sprecher mit einem thränenlofen, Ieeren Auge, das
einem wirren Gemüthe anzugehören ſchien. |
„Tokeah,«“ fuhr der junge Mericaner mit ſtockender
Stimme fort, „will in die Wigwams der Weißen;
er hat einen Traum gehabt, ver ihm ſolches geboten.“
Kein Symptom von Bewußtſeyn, Feine Regung, Feine
Bewegung ließ fich an ihr verfpüren; fie ſtarrte wie
wahnfinnig, wie leblos.
„Der Pfad des Miko der Oconees wird lange,
9185 —
derjenige der weißen Rofe würde traurig und dornig
ſeyn. Der Miko hat El Sol gebeten, daß ſeine
Tochter in die Wigwams der Cumanchees mit den
Mädchen ziehe. Sie wird da Gebieterin ſeyn, die
Schweſter Canondahs. “
Ploͤtzlich ſchien fie fi zu befinnen. „ Canomahl⸗
rief fe. Und ein Thränenftrom entquol ihren Augen.
Es war das erfte Wort, daß ſeit der ſchrecklichen Ca⸗
taſtrophe von ihr gehoͤrt worden, das erſte Lebend-
zeichen, das fe feit dem Tode ihrer Freundin von
fich gab. Ihr Schmerz war gebrochen. Alle maren
tief bewegt, bie Mädchen fingen wieder an Taut zu
ſchluchzen, die Alten zu Heulen.
„Was ift dieß, mein Bruber?# fragte fie num,
wie aud einem Traume erwachend und ſcheu um ſich
blickend.
„Meine Schwefter weiß,” ſprach per e Mericaner,
„den Sammer bed Vaters, ber feine Tochter und feine
Männer durch die Werrätherei des Seeraͤubers ver
loren hat. Sie find tief in bie Erde gelegt, und bie,
weiße Roſe wirb- fie nie wieder ſehen; aber der Miko
iſt auf einem largen/ bornigen Wese, er müß dem
Hd 126 ⸗—
Befehle des großen Geiftes gehorchen, er bat einen
<raum gehabt.“
„Un ver unglückliche Vater will zu feinen weißen
Beinden,“ ſprach das Mädchen, vund feine Tochter
ift im Grabe, und Keiner und Keine, die ihn warte
und pflege? — Roſa war bisher ſeine Pflegetochter
geweſen, ſie will nun ſeine wirkliche ſeyn; — ſie will
ihren Vater begleiten. Sie hat es verſprochen;« feßte
fie ſchaudernd Hinzu. |
Der junge Mericaner ſprach kopfſ Hüttelnd: n Meine
edle Schwefter kennt die Dornen des Pfabes nicht,
der zu den Weißen führt. Sie ift fehr zart und
würde ſehr viel zu leiden haben. “' |
„Und der jammernde Vater fol fein freundliches
: Auge mehr fehen, Teine geliebte Hand, die ihm ven
Becher, bie Speife reihe? — Nein, mein Bruder!
Roſa Hat eine große Schuld ihrer Schwefter abzu⸗
tragen. — Der alte Dann tft fehr unglücklich, ſehr
nerlaffen, fehr elend; — fie muß dieſe Schul ihm
abtragen. Sie muß ihm Tochter ſeyn.“
‚Ihre Stimme war ſtärker geworden. Ihre bleichen,
lebloſen Züge hatten ſich wieder geftaltet, im kindlich
fanften Auge fing e8 wieder an Iebhafter zu ſprechen;
— 127 >
der alte Milo war aufmerffam geworben. und hatte.
das Letzte gehört. —
„Meine Tochter,“ ſprach er, und die . Stimme
flocte ihm, und der Schmerz drohte ihn zu erfticen,
„der Miko muß zu den Weißen, meine Tochter wird
im Wigwam der Cumanchees Troft finden.“
„Canondah würde Roſen im Iraume erjcheinen
und Elagend vie Falte Tochter anblicken, ver fle.ihren
Bater zum Bermächtniß übergeben; — fie muß dem
Miko nun dienen; — fie wird fih vom Miko nimmer:
mehr trennen. «
„So fomm denn, meine 1 ehle, weiße Hofe, u ſprach
der alte Mann, feine Arme ausbreitend und fie um⸗
ſchließend. Mehr vermochte er wicht zu fagen. Rüh⸗
rung hatte ihm die. Sprade benommen. Der junge
Mericaner winkte nun den Mädchen, die kamen, um
von ihrer neuen Gebieterin Abfchied zunehmen. —
Noch einen Blick warfen Alle auf ihre zerflörte Habe,
ihre zurückgelaſſenen Lieben, und dann trennten fie
fich. Rofa, eine junge Indianerin, Tofeah und EI
Sol mit zwei Eumanchees und eben fo vielen Pawnees
und Oconees wandten fi gegen Oſten, die uebrigen
gegen Weſten.
18 e⸗—
Bwanzigſtes Bapitel,
Wie biſt Du davon gelommen? Wie kamſt
Du hieher? Schwöre bei biefer Blafge, wie
kamſt Du hieher?
Shakespeare.
Die Natur hat das Land, wohin der Faden unſerer
Erzählung uns nun führen wird, mit einem fonder-
baren Charakter bezeichnet. — Großartig und wieder
gemein, herrlich und wieder abſtoßend ſcheint fle in
einer ihrer Launen dem Gefchlechte, mit dem fie ihren
Erdball bevölkert, einen riefigen Spielraum hinges
worfen zu haben, gleichſam begierig, was die win
zigen Kreaturen daraus fchaffen würden.
Es fleigt der Landſttich, den wir meinen, fo büfter
und abſchreckend aus der See und dem Strome her⸗
aus, ver die gefammten Gewäffer von taufend Flüſſen
und Bächen durch die endloſe Niederung fortſchwillt,
als Hätte Die Natur dem Menfchen in ver Geſtaltung
eines der Ichönften Länder Der Erde auch einen Nachge⸗
ſchmack vom Chaos in feiner ganzen abſtoßenden Größe
Hinterlaffen wolken; fo widerlich tauchen vie kaum
—, 19 —
merflichen Ufer und Geſtade aus den unüberfehbaren
Strömungen auf, und verſchwinden wieder im Spiele
ber Wogen, bie über daß zwergartige Binfen- und
Rohrgeflechte hinrollen, im ewigen Kampfe mit dem
widerſtrebenden Elemente. Ragte nicht hie und da
ein Lager halb vermoderter: Baumflänme, von ber
Strömung zufommen gefehichtet, oder der Maft eines
in der Lehmbank eingeflauchten Schiffes empor, fo
dürfte man zweifeln, ob, was man flieht, wirklich
Land ſey, nachdem mon bereit lange in die Münbuns
‚gen des Miffifippi eingefahren. Erſt allmählig ge⸗
fiaktet ſich das wüſte Chaos zu einem See von Schiff
und Sumpf und Rohr, aus dem fpäter etwas Land⸗
ſchaftähnliches erſtehen und Geſtaltung erfireben
zu wollen ſcheint, noch Jahrtauſende erſtreben mag,
ſo wie Tauſende von Jahren bereits verfloſſen ſeyn
mögen, bis die lange und breite Niederung ſich bildete,
die gegen Norden jo unmerklich anſchwillt, und in
der weder Hügel noch Thal auf einen gewaltfanten
Kampf Hindeuten, wohl aber auf ein allmahliges
Stilleſtehen des Waſſerelements, den zahllofen Flüffen
und Moräften und Seen nach zu ſchlleßen, die das
ganze Thal fo durchkreuzen, daß der Fuß nes Men⸗
—ı 10 ⸗—
ſchenkindes buchſtäblich auf dem fläffigen Elemente
ruht. Höher gegen Norven zu erhebt fich endlich ein
langes und breites Hochland, das in mäßiger Höhe
längs. dem Ufer des Stromes hinzieht, und ſich dann
wieder in der endloſen Niederung verliert, die unter
dem Namen des Mifftfippithales Tauſende von Meilen
ſich gegen Norden, Oft und Welten hindehnt, und
in feinem Bufen bequem den größten Theil ver Be⸗
| völferung Europas aufnehmen könnte.
Das Land, von dem wir ſo eben eine Skizze ent⸗
worfen haben, iſt, wie unſere Leſer wiſſen werden,
daß. eigentliche Louifigna, und gewiſſermaßen vie
Grundlage des endloſen Mifitfippithales und wahr-
ſcheinlich des Fünftigen großen weftlihen Reiches, das
die raftlofe Hand des Menſchen va aufrichten wird.
“ Zänger als ein Jahrhundert hindurch mar der un⸗
geheure Landſtrich, Loniflanı genannt, eine vergeflene
und vernachläffigte Colonie geblieben, die mit einer
Leichtigkeit abgetreten, eingetaufcht und wieder aus⸗
getaufcht wurde, die mehr als hinlaͤnglich die ihr zu=
erkannte geringe Bedeutung beurkundete. Amerika⸗
niſcher Scharfblick hatte endlich das Auge des großen
Geiſtes, der damals die Angelegenheiten des ſchönſten
— 131 —
Reiches der alten Welt leitete, auch auf dieſen ver⸗
geſſenen Schlupfwinkel hingezogen, und dieſer, die
Schwierigkeiten wohl einſehend, den kürzlich erwor⸗
benen Beſitz ſeinem Volke zu erhalten, zog es weiſe
vor, ihn der nachbarlichen großen‘ Republik als
integrirenden Beſtandtheil zu überlaffen.
Für die Colonie begann feit diefer: Einverleibung
eine neue Aera, und mit Niefenfohritten ſchien fle
num einholen zu wollen, was fie mehr als Hundert
Jahre Hindurch verfehlummert hatte. Wenig mehr
als zehn Jahre waren feit dieſer Periode verfloffen,
und das Land hatte bereit? eine ganz neue Geftalt
geivonnen. Schon damals, das ift vor fünfundzwan⸗
zig bis dreißig Jahren, waren bie Ufer des Miffl-
fippi mehrere Hundert Dteilen entlang ‚mit herrlichen
Pflanzungen bedeckt, aus denen prachtvolle Land⸗
häufer hervorragten. Selbſt die Hauptſtadt hatte ſich
aus dem unſichern und ſchlammigen Schlupfwinkel
einiger tauſend Coloniſten und Abenteurer zur wich⸗
tigen Handelsſtadt emporgeſchwungen, deren MReich⸗
thum bereits die gierigen Blicke Großbrittanlens auf
ſich gezögen Hatte. N
Wir haben natürlich nicht im Sinne, in die Ge⸗
— 12
ſchichte des Iegten Krieges ober auch nur die Erörtes
rung der Urſachen einzugehen, welche die Regierung
der fogenannten rei vereinigten Konigreiche veranlaßt
haben mochten, ihre Aufmerffamfeit auf biefed neu
adoptirte Kind ihres ungefälligen republifanifihen
Berwandten zu richten und ein friſches Truppenkorps
abzuſenden, das bei dem prefären Stande der Dinge
in der alten Welt daſelbſt nichts weniger als über-
flüfftg gewefen wäre, und berühren deßhalb viefe
Kriegdepifode nur in fo fern, als fie mit unferer Ge⸗
fire im Zufammenhange und zur Geftältung der
von und erzählten Begebenheiten Beranlaffung wurbe.
Dieſes Zufammenhanges wegen wollen wir daher
nur kurz erwähnen, daß fogleih nad Beendigung
des fogenannten Völker», ober richtiger zu fagen Le⸗
gitimitätsfampfes ein zahlreiches Truppenkorps von
der pyrenaiſchen Halbinfel an ven ſüdweſtlichen Küs
fien der. Breiftaaten unter ven Befehlen eined ausge⸗
zeichneten Heerführers landete, das nicht ermangelte,
Zagen und Schreden unter dem guten Volke des
neuen fouseränen Staates zu verbreiten.
Kaum ſchien etwas Teichter, als die Eroberung
eines Rande, das von allen militäriſchen Hülfsmit-
—d 133 —
teln fo gänzlich entblößt war, und deſſen ungeheure
Entfernung vom Gentralpunfte ver Staaten weder
bedeutende Senbungen von Truppen, nod) von Kriegs⸗
material durch die weg⸗ und fleglefen Wilonifle zu»
ließ, ſelbſt wenn dieſe bei den befchränkten Hülfs-
quellen der Regierung moͤglich geworden wären.
Die Einwohner des, neuen Staates ſelbſt hatten
nie einen Krieg geſehen; ihre einzigen Feinde, die
Indianer, waren unter der Herrſchaft ver zwei Mächte,
unter welchen fie zulegt ftanden, durch einige hundert
Garnifon-Solvaten tm Zaume gehalten worden, die
zugleih au dienten, fie. felbft vor einem allenfall-
figen Sreiheitäfigel zu. bewahren. Die Eleinen Sa⸗
frapen, die Gunſt oder Yingunfi-hieher gebracht Hatte,
waren jo viel als möglich darauf bedacht geweſen,
ihren loyalen Untergebenen jene Scheu vor den be⸗
waffneten Wächtern ihrer delegirten Autorität ein-
zuflößen, die in despotiſchen Staaten eigentlich der
wahre Schuß der gemißbraucdhten Gewalt ift und‘
zur gewünfchten Folge hat, daß die Schüglinge fich
fo wenig als möglih um die Vertheidigung ihrer
perfönlicden und Eigenthumsrechte fümmern. Diefer
legitime Grundſatz, der die Bevoͤlkerung ganzer Län-
—H 13 —
ber wie eine Heerde Schafe betrachtet, war auch
hier, obwohl im Eleinen Maßſtabe, angewendet wor⸗
den, und hatte natürlich ſeine Früchte getragen. So
groß der Umſchwung geweſen, ven die Bereinigung
bes Landes mit den Staaten: unter den Bewohnern
bereitö hervorgebracht, fo hatte fich dieſer doch vor⸗
züglich nur durch eine größere Thätigfeit in Beurba-
zung des Landed oder durch, Tommerzielle Unterneh⸗
‚mungen geäußert ; von dem männlichen, unabhängigen
Geifte des Amerikanerd hatten die gewefenen Colo⸗
niften nit nur wenig. oder nichts angenommen, ihr
ſtlaviſch verborbener Sinn hatte ſich auch ſcheu vor
dem überlegenen, aufgeflärteren. nordiſchen Bürger,
der dieſe Ueberlegenheit, freilich oft nur zu derb und
unumwunden zu erkennen gab, zurückgezogen.
Selbſt der beſſere Theil. der Creolen war von die⸗
ſem Vorurtheile gegen feine neue Mitbürger nichts
weniger als verfchont geblieben, und er hatte fi
. gegenüber dem fcharf ausgeiprochenen und gerabezu
gehenden Amerifaner um fo weniger gefallen, als er,
gegen das Öffentliche Leben gleichgültig, des Dienſt⸗
zwanges gewohnt, in ver unbefchränkten neuen reis
heit nur Unordnung und Anarchie vorausfah. ALS
—H 135 ⸗—
jedoch diefe Beforgniffe Innerhalb, der zehn Jahre
dieſer unbefhränkten Freiheit nicht realifirt wurden,
und er allmählig die Vorthejle zu begreifen anfing,
die ihm aus ber Bereinigung mit der mächtig empor⸗
ftrebenden Republik: erwachfer waren, ſchloß er ſich
auch mit mehr Entſchiedenheit an dad gemeinfchaft-
liche Intereffe, und, zögerte nicht, fi zur. Vertheidi⸗
gung des Landes herbei zu laſſen. Dieß war vet bef-
fere Theil; der ſchlechtere, dem natürlich dieſe Vor⸗
theile eher Nachtheile fhienen, konnte kaum feine
Schadenfrende über die Ankunft des Feindes verheh-
Ien, und ber nordifche Bürger, ber ſtolz auf ihn
berabjah, war ihm weit mehr verhaßt, als der Brüte,
son deflen Ankunft‘ er wenigftens Veränderung und
Demüthigung des hochmüthigen Republikaners hoffte.
. Diefe kurzen Andeutungen über den Geift ber Ber
wohner ded Staateö dürften aud) Denjenigen unferer
Leſer, die mit den näheren Beziehungen des Krieges
in Zouiflana befannt find, nicht ganz überflüſſig er-
foheinen. Vinftreitig war es dieſer herrſchende Geiſt
geweſen, der gewiſſermaßen den Feind eingeladen
hatte, nebſt ſeinen im Norden mit der Republik käm⸗
pfenden Armeen, noch von ven Küften ver pyrenäifchen
— 18 —
Halbinſel ein zahlreiches Eorps herũberzuſenden, in
der Hoffnung, durch die zum Theile mißvergnägten
Creolen in den Beflg eines Landes zu gelangen, der
ihn zum ausfchließenden Herrn des Miffifippiftromes,
des Buſens von Mexiko und aller daran gelegenen
Länder gemacht haben würde. Selbſt wenn fidh der
Befitz nicht erhalten ließ, fo war bie zeitweilige Er⸗
oberung der Mühe um fo mehr werth, als dadurch
die folge Nepublit zur Nachgiebigkeit auf anderen
Punkten genöthigt worden wäre. — Dem Corps,
das diefe Eroberung nun bewerkſtelligen follte, hatte
die Regierung der Staaten, obwohl bedeutende Trup⸗
penmaflen im Norben verfammelt waren, der unges
beuren Entfernung wegen, nichts entgegenzufegen,
als die raftlofe Thätigfeit und den erprobten Muth
eines Generals, der ſich gegen die Indianer in ven
Staaten Georgien, Alabama und im Gebiete Florida
audgezeichnet Hatte, und ven Patriotismus, der an
das Flußgebiet des Miſſiſippi gränzenden weſtlichen
Staaten, fo wie der in Louiſiana angeflevelten. Ame⸗
rikaner, die allerdings durch die Beflgnahme des
Schlüͤfſels des Mifftfippt am meiften zu verlieren
batten.
—d 137 ⸗—
Diefe Letztern waren, wie gefagt, über einen großen
Theil des Landes zerfireut. Ein gewiffer Widerwille
gegen die etwas laxen franzöſiſchen Sitten und Ge⸗
wohnheiten, jo wie Geringfihägung gegen ihre neuen
Mibürger, Batte zwilchen ihnen und den ſüdlichen
Pflanzen eine ziemlich ſtarke Scheidewand gezogen,
die fich auch bei. dieſer Gelegenheit deutlich ausfprach.
. Die Nachricht von der Landung der, feinplichen Ar⸗
mee hatte auch) unter ihnen eine gewaltige Bewegung
hervorgebracht; aber wenn in den untern Theilen
Furcht und Schrecken und bei Vielen geheime Freude
die vorherrſchenden Empfindungen waren, ſo war es
‚bier Unwille und beleidigter Stolz, der. vorzüglich
zum Grunde Ing. Weniger mar ed Furcht, ihr. Ei⸗
genthum- zerjlört oder ihre Wohnungen. geplündert
zu ſehen. Ihre fahrende Habe konnten fle leicht auf
einigen Wagen in das Innere der Wälder fihaffen,
in bie zu dringen auch ber verwegenfte Feind nicht
wagen burfte, und ihre zerflörten Wohnungen wür⸗
den mit Hülfe einiger Nachbarn in kurzer Zeit wieder
bergeftellt worben feyn. _"
Es war daher nicht ſowohl Weſorgniß, dieſes Ei⸗
genthum zu verlieren, als Unwille und Zorn, daß
Der Legitime. L. 10
—d 138 —
fremde Sölnlinge eines Mannes, den fie nicht beffer
dachten, als fih-feleft, eö wagen burften, ihr fried- .
liches Land als Feinde. zu betreten, und ihnen eine
Stadt und ein Blußgebiet wegnehmen zu wollen, die
fle ehrlich mit ihrem Gelde bezahlt, und deren fie be⸗
durften, um ihre Produkte zu Markte zu bringen.
Dieter Feinde, gleich reißender Thiere, die in ihr
Gchöfte eingebrungen, fich zu entledigen, war eigent-
lich was man ihre Meinung über biejen Punkt nen=
nen konnte.
Es war an einem hellen frifchen Derembemuorgen;
die Strahlen der Sonne hatten gerade hinlaͤngliche
Kraft, die Nebel und Dünſte zu zerſtreuen, die ſich
in dieſer Jahreszeit über die Zläffe-und Seen dieſes
Landſtriches Häufig wochenlange hinlagern. Im
Countyſtaͤdtchen von Opeloufas gab es einen gewal⸗
tigen Auflauf. . &8 fchien wunderbar, woher die vie⸗
len Menſchen aud ver dünne bevölferten Gegend ge=
kommen waren, und Wer fo in die Mitte ned Ge⸗
dränges von Männern, Weibern und Kinder hinein
geworfen worden wäre. dürfte ſchwerlich erratben
haben, was die. Beranlaffung- diefes plöhlichen und
fich noch Immer mehrenden Zubranges ſeyn mochte.
—d 189 6
Nah dem ſchmaͤhlichen Trinken, Tanzen, Fechten
und den Bocksſprüngen zu ſchließen, hatte eine Art
Kirchweihe flatt; aber ed waren auch Waffen zu
fehen; ganze Compagnien hatten fich gebilbet, und
Jever hatte wenigftens etwas Militairiſches bei oder
an fih. Einige Hatten Uniformen noch aus dem erften
Revolutionskriege, die nun etwas Jänger als vreißig
Jahre am Leben waren, Andere fchulterten, ſtellten
fi in Reihe und Glied, und wurden von einem felbſt⸗
gewählten Lieutenant in einen Winkel hinein manoͤv⸗
rirt, aus dem herauszubringen ihm nur pas Com⸗
mandowort fehlte. Ein anderes Corps hatte als
Feldmuſik einen Geiger, der, wüthend auf feinen zwei
Saiten ſtreichend, ſtolz neben dem zeitweilig geſchaf⸗
fenen Eapitain einherfchritt. Die fich noch nicht an
eine Truppe angefhloften hatten ſchulterten ihre
Stutzer, Bogelflinten over eine alte Reiterpiſtole, an
der bloß das Schloß fehlte, und Die, welchen auch
diefe Bewaffnung mangelte, Hatten fich mit ‚einem
tüchtigen Anittel verfehen. "
Dieß waren jedoch nur Außenpoften. In der Mitte
des Stäntchend war dem Anſchein nach der Kern ver
Bürger in zwei dichten Haufen verſammelt. Dereine,
10*
—d 140 ⸗—
ver aus den jüngern Männern befland, hatte fein
Sauptquartier vor einer Schenke aufgefhlagen, deren
Beſtimmung durch eine-Art Schild. angedeutet war,
deffen Malerei, nach unferer feflen Veberzeugung,
weder Denon noch Champollion zu entziffeen gelun-
gen wäre. Unter dieſem war, für die, welche es leſen
fonnten, geschrieben, daß hier eNTeRtalnMent For
maN aNd beasT, Einkehr für Mann und Vieh, zu
haben jey. Im Innern dieſes Etablifiements war eine
zweite Geige zu hören, Die jedoch, weniger Triegerifch,
fi) begnügte, den Hopfafa aufzuführen und eimem
Tanze eben zugeben, ver fo ziemlich mit dem Marſch
der erfien Geige gleichen Schritt hielt.
Die andere Gruppe, allem Anſchein nach ernſter
- geftimmt, hatte ſich einen refpertablern Stanbpunft
gewählt, und zwar vor.einem der Krämerladen des
Städtchens, ver, als Mißcellaneen, ein Dutzend
irdene Krüge, einen Kegel Kautabaf, ein Faß Whisky
‚und ein Faͤßchen Pulver und Blei enthielt, mit eini⸗
gen Wollhüten, einigen Paaren Schuhe und einem
Schock Meſſer, Gabeln und Löffel.
Ueber der Thüre war ein Bret mit der Inſchrift
—d 141 0
aufgenagelt: New Store cheap for cash *), und an
der Mauer des banfälligen Framehauſes war mit
Kreide gefhrieben: Whisky, Brandy, Tabacco, -Post-
office. a u
Auf einem Baumftumpfe ſtand ‘ein. Mann, ver,
feinem neuen Caſtorhute, frifch gewaſchenen Hemde⸗
fragen und nagelneuen pompadurrothen Fracke und
Beinkleidern nah zu ſchließen, auf nichts meniger
als auf eine der von dem fouverainen Volke zu ver⸗
gebenben OÖffizierftellen Anſpruch machte. Nahe an
dieſem erhöhten Stanppunfte flanden einige Andere,
deren elegantes Aeußere ähnliche Anſprüche zur Schau
trug, was auch die Ungeduld, mit der fie ven Red⸗
ner anhörten, noch mehr befräftigte.
Verhaͤltnißmaͤßig herrſchte Hier Ruhe und Orde
nung, ven Lärm der Tanzenden ausgenommen, und
ein gelegenheitliches Gebruͤlle des einen over des an⸗
dern Zechers, der im Doppeltfehritte durch den Koth
hin und her marſchirte, mit dem die einzige Straße
des Stadtchens Tnietief gepflaftert war. Yumeilen
wurde auch dieſe Stille durch die Infurborbination
*) Neuer Raben, wohlfeil fir daar Gelb. -
— >
der erwähnten Quafi-Compagnie, die außerhalb des
Stãdtchens manövrirte, oder durch Die gellende Stimme
eines Weibes oder Mädchens unterbrochen, das Pfef⸗
ferkuchen, Aepfel und Cider ausſchtie. Alle dieſe
Hinderniſſe ſchien jedoch die Lunge des gegenwärtigen
Medners für nichts zu achten, und er begann mit
einer brüllenden Stimme zu verkünden, wie er diefe
„Damned brittish“ züdtigen wolle, die er mehr als
Dolkapen verabſcheue. Er mar gerade im beiten Zuge,
diefes recht augenfcheinlich darzuthun, als er nur
ein lautes „Halo !a zweier Kumpane unterbrochen
wurde, die bereits lange durch die Straßen geſchwankt,
und gerollt und geftolpert, fich weit gegen ven Wald⸗
faum zu verloren hatten, und nun plöglich fo laut zu
ſchreien und fo ſchnell zu rennen anfingen,, als es ihr
einigermaßen überlanener Zufland geftattete.
Die Worte, „halt, verdammte Rotbhaut!« wur⸗
den deutlich vernommen. Die waren natürlich zu
intereffante Töne, um nicht bei Hinterwälblern an=
genehme Empfindungen zu ercegen, und fo ſchlichen
denn ein Dutzend Zuhörer ven Beinen nah, luft
um zu fehen, was die verdammten Narren vor hätten,
und. warum fie fo verteufelten Laͤrmen machten. *
1
Es dauerte nicht. lange, fo waren Mehrere von
demſelben löblichen Verlangen. getrieben, vielleicht
ein tüchtiges Boxen zu ſehen, und zuletzt blieben bloß
einige dreißig noch um den Redner. Das böfe Bei-
fpiel hatte unter den. Jüngern ſchnell und reißend um
fich gegriffen: auch in ven beinen Corps, die ſich dem
Waldrande genähert hatten, war Inſubordination
ausgebrochen, und. ein Drittel der erercireuden Mann⸗
ſchaft kam dem Walde zugelaufen. — Nur die zweite
Gruppe vor dem Krämerladen hielt ernft beifammen.
Aus den dunkeln. Eyprefienwäldern, die fidh bei⸗
läufig eine Biertelmelle vom Ufer des Atchafalaya
gegen Süden hinabziehen, war-eine Figur zum Vor⸗
Schein gekommen, die, nach ihrer Kleidung zu ſchlie⸗
Ben, der rothen Mace angehörte. Der Wilde Hatte
fich ſcheu am Rande des Waldes hingeflichen, um
ſich der Stadt zu nähern, war aber wahricheinlich
durch den wüflen Lärmen abgeſchreckt worden, die
Straße herauf zu kommen, und hatte. einen.Seiten-
weg über ein Bottonfeld eingefehlagen. Gerade aber,
als er vie Umzäumung. überklettern wollte, hatte ihn
das Auge der erwähnten zwei. Spaziergänger erfaßt,
die, obwohl ihre Köpfe bereitö ziemlich vom Whisky⸗
—h 1140
geifte erfüllt waren, kaum ven Indianer erſehen
hatten, als fle auf in zugefprungen Tamen. Der
Eine hatte jedoch erft fein Pintglas Hinter dem Zaun
in Sicherheit zu bringen; dann folgte ex feinem Vor⸗
läufer, der, ein fehnellfüßiger Sohn des Weſtens,
den Indianer bereits in feinen Klauen hatte. Dieſer
ſchien fo erfchöpft zu ſeyn, daß er augenſcheinlich nicht
mehr viel weiter konnte. Der ſchwankende Zuftand
feines Berfolgers mochte. ihm jedoch nicht entgangen
feyn, und To gab er ihm vorläufig einen Ruck, ver
den Hinterwäloler der Ränge nach in den Koth hin=
ſtreckte. „Halt!“ fehrie er nun von feiner Lagerftätte
auf, „oder ih will Deine Backenknochen fo einrichten,
daß Dir das Effen eine ganze Woche vergehen ſoll.“
Der Indlaner fhien die Sprache zu verfiehen und
hielt, jedoch nicht ohne ſich vorher in einigen Ver⸗
theidigungszuſtand verfegt zu haben, der den feften
Entſchkuß verkündete, fich fener Haut zu wehren. Er
faßte fein Schlachtmeffer und fah keck feinen Verfol⸗
gern entgegen, vie Beide an ihn herangefommen wa=
ren und ihn mit jener mißtrauifchen Neugierde maßen,
der etwas werbächtig erfcheint, und bie ſich berechtigt
glaubt, der Sache auf den Grund zu kommen.
— 145 ⸗
Die Erſcheinung eines Indianer in diefen Gegen-
den war nichts "weniger: als ungewöhnlich, da fie
faum hundert Meilen gegen Nordweſten zu ihre Dör-
fer Hatten, und ihre Excurfionen fie Häufig mehrere
hundert Meilen in allen Richtungen ind Land hinein
und feldft in die Hauptſtadt führten. Ihre ſich mit
jevem Jahre verminvernde Anzahl hatte ihnen ſchon
feit langen Jahren nicht mehr erlaubt, etwas Feind⸗
felige8 gegen ihre immer näher rückenden weißen
Nachbarn zu-unternehmen , und ihre gefteigerten Be⸗
dürfniffe, worunter befonders ihre unerfättliche Be⸗
gier nach dem köſtlichen Feuerwaſſer, hatte fle in ver
That zu Jagdſklaven der in den Städten und auf dem
. Zande zerfireuten Krämer gemacht, die ven Elenven
kaum den zehnten Theil des vollen Werthes für ihre
Belle in Whisky bezahlten. Die- Verfolger Hatten
daher ficherlih Feine böfe Abfiht mit dem armen
Wilden; höchftens wollten fle ein Bischen Spaß mit
ihm treiben und: ein halbes Pint ächten Mononge⸗
hala leeren. Wenigftens verkündete dieß der Wieber-
erftandene, der, ben etwas unfanften Ruck gar nicht
übel nehmend, ihm zubrültte, mer müſſe ein halb
—d 16. ⸗—
Pint Whisky mit ihm leeren, ober ex wolle iin in
feine. Taſche jeden. «
-- Und fofert nahmen ihn die beiden Sintenwäßsker
mit jener Familiarität und rückſichtsloſen Zuverficht
in Empfang, die feinen Widerſtand erlaubt und fich
. ermächtigt glaubt. mit unbezweifeltem Nechte fi in
alles einzumifchen, was in ihrem Bereiche vorgeht.
nRomm-rother Junge ‚“ rief der Zweite, der, ges
legenheitlich den fhmalen Pfad miſſend, knietief in
den Koth verſank, während der Erſte, feinen eigenen
Ausdruck zu gebrauchen, noch in ſeinen Sqhuhen
ſtehen konnte.
„Komm! komm! Damn it, wenn Du und nicht
helfen ſollfſt, die vermaleveiten Britten zu befämpfen
und trinken; ei, und trinken!”
Miütlerweile waren auch die Audreißer ber Gorps
in verfihiedenen Graden von Schnelligkeit angekom⸗
men, ſchon von weitem das aufgetriebene Wil prüs
fend, das ver Zufall fo gefällig in.ihre Mitte brachte,
und. nicht unähnlich einer Kuppel Hunde, die nun mit
offeriem Machen auf den Fremden Tosftürzen, ven fein
böfed Geſchick fo unerwartet mitten in einen Haufen
fröhlicher Fuchsjaͤger Hineingeworfen hat.
—d 187
An den luſtigen Brüdern war eine Art unver«
fchämter ‚ jedoch nichts weniger als böstwilliger Neu⸗
gierve fihtbar. Ohne um weitere Erlaubniß zu fra-
gen, traten fie an den Wilden heran’, probirten bie
Schärfe feines Stalptermefiers, befahen feine Garbe-
röbe, unterfuchten feine Mocaffind, und Einer von
ihnen ſtand im Begriffe, ihm feine Kappe ein wenig
zu lüften, um ein nähered Verſtändniß mit dem neuen,
und wie es fehlen, eben nicht fehr angenehm über»
raſchten Befucher einzuleiten.
Das Aeußere dieſes Ankömmlings, die Wahrheit
zu geſtehen, war ein wenig ſonderbar. Eine Fuchs⸗
fellkappe bedeckte ſeinen Kopf bis über die Ohren
herab und verhüllte ſorgfältig feine dunkelblonden
Haare; aber der etwas lange Flaum auf ſeinen Lip⸗
pen machte dieſe Verkleidung nur:um fo auffallender.
Sein Hirſchfellwamms verrieth einen Wilden, aber
die Beinfleiver einen gezähmten. Auch einer feiner
Mocaffind, ven andern hatte er wahrfcheinlich ver⸗
Ioren, war von indianiſchen Händen gearbeitet 5
eine feiner Wangen hatte noch immer Spuren der
rothen und fchwarzen Kriegerfarbe, aber die andere
war nur noch zur Hälfte gefärbt, und feine Hände
— 18 ⸗—
weiß und bloß von ver Sonne verbrannt. Die blauen
Augen, halb muthwillig, Halb trokig, Hoben jedoch
allen Zweifel: diefe Eonnten unmöglich einem Wilden
angehören, wenn auch feine blühenden vollen Baden
und der regelmäßig geformte Mund dieß zugelaffen
hätten. ‘Der Haufe flärrte ihn mit ber Berblüfftheit -
an, die Einzelne aus ihnen vieleicht ergriffen hatte,
wenn fie in ein Didicht drangen, in der Hoffnung,
einen fetten Hirſchbock zu finden, und ſtatt deſſen einen
brummenden Bären auf fich zufchreiten fahen.
„Sch folte meinen, Ihr Habt mich genug befehen ;*
hob nun ner Wilde in einem humoriſtiſchen Tone an,
der halb Scherz, Halb Unwillen verrieth, während
er einem kecken Hinterwäldler mit ver flachen Klinge
ſeines Meſſers über die Hand fehlug, deren warzige,
rauhe Hornhaut eher ven Taken eined Mlligators, als
eines Menſchenkindes, anzugehören fehlen, und wie
ed wieder verfucht hatte,. feine Kappe zu Lüften und
feinen Haarwuchs zu befehen.
Es war, wie unſere Leſer nun errathen werben,
unfer junger Britte, der vum indianifchen Laufer auf
den Pfad ver Codhattaes geführt, ſich endlich durch
die zahllofen Sümpfe, Flüffe und Wälder, mit denen
—d 149 —
dieſe Lanpfchaft fo. überflüffig gefegnet iſt, hindurch
gearbeitet Hatte. Die Kalte oder verhaͤltnißmaͤßig
fältere Jahreszeit und der nievere Waſſerſtand ver
Sümpfe und Flüffe, von denen viele der erfteren ganz
ausgetrocknet und in Wiefen umgewandelt waren,
hatten ihn auf feiner Irefahrt begünſtigt, ſonſt dürfte
er ſchwerlich jedie Ufer des Atchafalaya geſehen haben.
&r Hatte von wilden Gänfen und Enten während.ber
drei letzten Wochen gelebt, die. er getöbtet und gebra⸗
ten, fo wie ihn die Indianer gelehrt hatten, und war
fo eben aus der Wilbniß gevrungen. Die gemaltig
langen Goliathögeftalten der. Sinterwälbler, ihre
ſcharfen Augen und fonnverbrannten Gefichter und
Die langen Dolce mit Schaften von Hirſchhorn hat-
ten ibm vermuthlidy eben nicht ſehr einladend geſchie⸗
nen, und fo groß auch feine Sehnſucht wahrſcheinlich
war, wieder in civilifiste Geſellſchaft zu gelangen, fo
mochten die Leute, die. er vor fi. hatte, ihm doch
wieder ziemlich die Luft benommen haben. „Er hatte
ſich demnach feitwärts gewendet, aber zu jpät. Uebri⸗
gend ſchien ihn fein Zufammentreffen eben nicht ſon⸗
derlich in Verlegenheit zu fegen, pie franfe; etwas
— 10 ⸗
zubringliche Familiarität ver Giiterwälbler ihn viel⸗
mehr zu unterhalten.
„Und Damn it!“ rief Einer nach einer langen
Daufe, während welcher Alle ihn aufmerkfam und
ſelbſt mißtrauiſch betrachtet hatten ; „wer ind T— ls
- Namen fen Ihr? Ihr ſeyd Feine Roshhaut?“
„Mein, das bin ich nicht,“ verſetzte der junge
Mann lachend. „Ich bin ein Engländer.” .
Er fprad-die Tepten Warte im kurzen, etwas des
terminirten Zone und allenfalls mit dem. Gewichte
eines Barons ober Grafen, der, in-einer feiner vielen
großartigen Gemũthsaufwallungen, feine Bauern
incognito zu überraſchen und dieſes nun auf einmal
abzulegen für gut findet: . Aehnliche Gedanken ſchie⸗
nen ihn zu durchkreuzen; wenigſtens zeigten feine
munter und Fed über. vie Menge hingleitenden Blide
eine gewiſſe Behaglichkeit und -Neugierde, wie wohl
die Erklärung aufgenommen werben dürfte, ‚einen
gewiſſen Kitzel, ein Lieberlegenheitögefühl, das John
Bull gerne zu Tage fürbest und das er damals auf
Bruder Ionathan empfinden ließ, das aber feither
ganz verſchwunden und einer gewifien neidiſchen Un⸗
behaglichkeit Platz gemacht hat, die, ungeachtet des
— 1
Sohnes, in ven ſie ſich kleidet, ein ſicherer Werweis
der ſeinerſeits dem gehaßten Bruder Jonathan zuge
ftandenen Lieberlegenheit ſeyn dürfte.
. Ein Engländer!u wienerholten zwanzig Stimmen,
nein Brittifcher" Die Mebzigen, und unter Diefen ein
junger Mann im. pappelgrüren Fracke, der fo oben
angekommen und zwar, wie es ſchien, mit einer Cil⸗
fertigkeit und Wichtigkeit, die ſich gewaltig fühlte.
‚ „Ein. Britte? das iſt jedoch nicht Eure einige
Empfehlung ?4 ſchnarchte der Seipiggräne den jungen
Mann an.
- Diefer warf einen Seuenblick auf den Eyreher,
der vierſchrötig ihn mit feinen Lobſteraugen maß und
augenſcheinlich nichts weniger als freundſchaftliche
Gefinnungen hatte. Dann ſprach er-im hingeworfenen
Tone; „Für jetzt iſt dieß meine einzige.“
Was immer die Gedanken des gruͤnen Mannes
geweſen ſeyn mochten, und fie waren ſicherlich ‚nicht
freundſchaftlich, die Uebrigen ſchienen diefe nicht zu
theilen. Die Art Ueberraſchung, auf die er vielleicht
gehofft hatte, war nun freilich nicht zu ſehen, fie wear
eber ungünftiger Natur; aber. balv fchien fie einer
gewiflen Neugierbe zu meiden, bie augenſcheinlich
—d 52 ⸗—
erforſchen⸗wollte, was den jungen Menſchen jo mitten
in dieſe beinahe undurchdringlichen Sümpfe und Wäl-
der gebracht Habe. Vielleicht Hatte ſich au das
ſchlummernde Band der Verwandtſchaft für ihn, ber
vom Volke ihrer Väter abſtammte, geregt. Die
Menge ſchien wirklich für einen Augenblick vergeſſen
zu haben, daß ber junge Mann, der vor ihr ſtand,
ein Slied. der Nation ſey, mit ber fie im Kriege be⸗
griffen und deren Truppen jo eben feindſelig an ihren
Küften gelandet. Almählig mochten fie fi jedoch
erinnesn; und ihr Mißgriff, flatt eines Indianers
einen Britten zu. ſehen, beſchleunjgte wahrſcheinlich
den Gang ihrer. etwas langſamen Gedanlenyer-
bindung.
„ind Damn it, wie. kommt hr Sieger, nach Ope-
louſas ?” fragte der grüne Mann wieder.
„Auf: meinen Füßen,“ verſebte der dinglins
ſpoͤttiſch. J
Der Epaß geñel jeboch nicht
„Junger Menſch!“ ſprach ein zweiter, etwas ält⸗
licher Mann, „Ihr ſeyd im Staate Loyiflana und ſeht
hier Bürger der vereinigten Staaten von Amerika vor
Cuch; dieſer Mann da,“ auf ven Grünrock zeigend,
—, 158 —
„it Eonftable; Spaß und Spott find hier am un⸗
rechten Orte. «
„Ich Tomme vom Bord meines Schiffes, dent” —
„Vom Bord feined Schiffes,“ « wiederholten Alle,
und ihre Stirnen runzelten -fih zufehenn?, und es
entftand ein dumpfes Semurmel.
* Die Nenigkeit von der Landung der brittifchen
Truppen war fo eben in dem Städtchen angelangt.
und mit dieſer auch bie. unwillkommene Poft von ver‘
Wegnahme der amerifanifhen Kanonenboote durch
die brittiſchen an ven Päffen des Miſſifippi. Go
gering dieſer Berluft im Vergleiche mit ven glänzene
ven Siegen-war, die auf vem Ghamplain und Erie
und auf der hohen See bei jedem Zufammentreffen
über die brittifchen ‚Kriegäfchiffe erfochten worden
waren, jo hatte dieſer Unfall doch eine allgemeine
Berfiimmung hervorgebraht und ven nationalen
Unwillen aufs höchfte geſteigert.
Der Eonftable trat mit einigen Männern auf bie
Seite und fing an, leiſe zu fprechen. Zuweilen fiel
fein Blick hinüber auf ven Jüngling, gleihjam als
wolle er fich Eräftigen, indem, was er wahrfcheinlich
an ihm zu fehen glaubte. Man Hatte ihn aufmerkfam
Der Legitime, II. 11
—d 154 6
angehört," und "Mehrere ſchlichen ſich heran an ven
jungen Mann und- maßen ihn gleichfalls mit ſcharfen,
verdächtigen Blicken, als wollten fie durch eigene
Ueberzeugung prüfen, wa: über ihn gejagt worben.
"Auffallend war übrigens die Umwandlung in dem
Betragen der Hinterwälnler nach dieſem kurzen Wort
wechſel. Die derbe Familiarität, mit'ver fle ihn
anfangs empfangen und gemuftert hatten, bie freund⸗
liche und neugietige Rückfichtslofigkeit ihres Beneh⸗
mens hatte plötzlich einem kalten, zurückſtoßenden
Widerwillen Platz gemacht. Ihre launiſch frohen
Mienen hatten einen kalten, ſtolzen Ernſt angenom⸗
men, und ſie maßen ihn mit mißtrauiſch prüfenden
Augen.
„Fremdling!“ ſprach der Wonſtable in einem be⸗
fehlenden Tone, „Ihr ſeyd eine verdachtige Perſon
und müßt und folgen. w a
„Und Wer ſeyd Ihr, der Ihr Wuch aumaßt, mir
den Weg zu fperren ?u fragte Dieſer.
„Was ich bin, Habt Ihr gehört. Was dieſe Män⸗
ner find, fehet Ihr: Bürger der vereinigten Staaten,
gegenwärtig im Kriege. mit Eurem Lande begriffen,
wie Ihr wahrscheinlich wiffet.
—, 155
Der zeiffggrüne Würdenträger ſprach diefe Worte
nicht ohne: Würde und mit einem Nachdrucke, ver
den jungen Mann mit einem etwas weniger hoͤhni⸗
ſchen Blicke auf ven neuen Gaftorhut und bie grünen
Beinkeider ſehen machte.
„Wohlen, ih folge, hoffe ko; na under
Euch zu feyn,« ſprach er.
„Das werdet Ihr bald ſehen,“ ſrach der Con⸗
ſtable trocken. Und mit dieſen Worten ging der Zug
dem Staͤdtchen zu.
Einundzwanzigfies Kapitel.
Sadte! Sachte! Wir wollen no ein
wenig mebr hören.
. Shakespeare.
Das Countyſtadtchen Opeloufas zählte zu der geit,
in welche unſre Erzählung faͤllt, zwoͤlf hölzerne Häu⸗
ſer, von denen die Mehrzahl aus gezimmerten Baum⸗
ſtaͤmmen aufgeführt, einige jedoch mit Mörtel bes
worfen und grün übertündt waren. Unter dieſen
letztern war das des Friedensrichters oder ‚vie er
ſchlechtweg genannt wird, Squire.
41°
9 156 —
Die ploͤtzliche Veränderung, die im Haufen vor-
gegangen war, ſchien eben kein ſehr günſtiges Vor⸗
bedeutungszeichen für den guten Empfang von Seite
der Magiſtratsperſon zu ſeyn, vor die der Iüingling,
wie er wohl ſah, geführt werben wurde. Er. Hatte
"anfangs dad Benehmen der buntſcheckigen Hinter
"wälnler als die unzeitige Ausgebuxt einer rohen Will⸗
Tür betrachtet, bie fich gerne einen Scherz auf Koſten
eines vertreten Reiſenden erlaubt; aber ver Ernſt und
die finftere Gravität, mit ‚der fie haſtig Die Gaſſe,
die noch größtentheil® aus umzäunten Gartenflüden
beftand , hinaufſchritten, die verdächtigen Blicke, mit
denen fie ihn maßen, und vorzüglich die Entfernung,
in welcher fich Jeder halten gu wollen ſchien, weiſes-
ten immer unangenehme Auftritte.
Als ſie zwiſchen ven erſten Häufern augelommen
waren, wurde bie Feldmuſik hörbar, und gleich dar⸗
auf kamen vie zwei Compagnien der rothen, grünen,
gelben, blauen und ſchwarzen Hinterwäldler tm
Sturmſſhritte, ernſt und beinahe feierlich, durch den
Koch angeftolpert, die zwei Beiger eben ven Danfee
Doodle aufſchnarrend. Einen Augenblick fintte der
Britte über den wirklich groteöfen Aufzug, und van
— 157 ⸗—
flug er ein lautes Gelächter auf. Niemand ˖ſchien
jedoch feine Lachluft zu teilen. Als fle dem Haufe
des Squire zufamen, Schloß. eben der Sprecher auf
dem Baumſtamme ſeine Rede, und die Zuhörer draͤng⸗
ten fich num mit den Ererzivenden heran, um bie
Urfache dieſes Aufzugs zu hören. Ungeachtet des
ſcheinbar tollen Treibens war jedoch nirgends Zügel-
loſigkeit her Rohheit zu bemerken; im Gegentheil,
es war eine Ordnung eigener Art ſichtbar, die trotz der
herrſchenden Ungebundenheit überall hervorleuchtete.
Das ganze Städtchen war nun vor dem Haufe des
Squire verfammelt, als der Conſtable die Thüre
öffnete und feinen Gefangenen zuerſt einfchreiten ließ.
Die erwachte Neugierde fing nun an zu drängen, und
die Zurückſtehenden brüdten fo gewaltig auf ihre
Vordermänner, daß dad windig ausjehende Frame⸗
Haus fo ziemlich in Gefahr kam, mit feinen Bewoh⸗
nern weiter geſchoben zu werben: fo wie jebod bie
Thüre geöffnet war, rief der Eonjtable dem Haufen
zu: „Märmer! der Squire fit beim Frühſtück,“
und die Menge wich augenblicklich zurück.
Auf unfern Britten ſchien dieſes vereinte Vordrin⸗
gen und. plöplide Zurückweichen der derben Hinter»
138 ⸗—
wäldler wieder einen angenehmen Eindruck zu machen.
Er Hatte jeve Regung und Bewegung des Haufens
mit einer Aufmerkſamkeit und Neugierde beobachtet,
als wenn ex, feiner eigenen Lage vergefſſend, mır auf
dieſe bedacht geweſen wäre. Beinahe: fehten es, als
ob er es fich zur Aufgabe gemacht Hätte, zu fehen,
was denn eigentlich aus Menſchen geworben, die
ſeines Landes gepriefenen Schuß von fich geftoßen,
und auf eigene Rechnung zu haufen angefangen hatten.
Der Eonftable blieb mit den zwei Dämmen, bie ihn
zuerſt ontdeckt, in der Stube.
„Männer! wollt Ihr mit und halten ?« ſprach ver
gebräunte, ältlich,- aber kernhaft augſehende Friedens⸗
richter.
„Dieſem Fremdling da wird viele Eure Ein-
ladung willfommen ſeyn,“ ſprach der Erfte, ver fi
einen Seſſel nahm und fich niederließ.
Die Andern folgten feinem Beifpiele. -
„Setzt Eu, Mann,“ ſprach der Brievensrichter
zum Gefangenen, ohne jedoch von feinem Teller auf⸗
zublicken, ver, mit Schinten und Eiern beladen, ihm
allem Anſchein nach volle Beihäftigung gab.
—. 159 >
„Helft Euch zu — was auf dem Tiſche if" —
fuhr ex fort. — „Altes Weib! eine Taſſe.“ u
Das alte Weib, oder weniger hinterwäldleriſch zu
‚sprechen, die Hausfrau, füllte eine Taſſe mit Kaffee,
und eine der Töchter Iegte ein Couvert zurechte, das
ein -Negermäbden gebracht Hatte: Alles ging | fo
formell vor fi, und e8 herrfchte-eine Gravität, eine
urſprüngliche Artigfeit in. der Stube, die unſern
‚Jungen. Mann almählig mit einem gewiſſen Reſpekt
für feine neuen Befannten zu.erfüllen begann, deren
‚Außenfeite zwar nichts weniger als polirt war, aber
einen ruhig feften, männlichen und ſich ſtets gleich
bleibenden Sinn verrieth. Als der Wirth feine Ein-
ladung wiederholt hatte, griff ſein Sa mit. einer
leichten Berneigung zu.
«Helft Euch zu was beliebt,“ ipod ber Sauire zu
den drei Männern, auf pen Seitentifch weifenn, auf
dem mehrere Bouteillen mit Madeira, Bort, Cognac
und Whisky ſtanden. Diefe winkten lachend und
fuͤllten fich Gläſer, aus. denen fie die Geſundheit des
Squire, feiner Frau und Familie tranken, ohne Die
des jungen Mannes zu vergefien, den fie jo eben in
vielleiht unangenehme Verwickelungen zu bringen
— 10 &—
gefommen waren. Ein. Brember, der plöglich ein⸗
getreten und die verſchiedenen Perſonen ruhig mit
ihren Frühſtücken beſchäftigt oder ihren Iobby
trinfen gefeben, dürfte ſchwerlich errathen haben,
weshalb diefe Menſchen gekommen, fo formell, lang⸗
ſam, bedächtig und gleihmüthig waren die Bewe⸗
gungen ber verſ chiedenen Parfteien.
Die Frau warf von Zeit zu Zeit einen fügtigen
Blick auf den jungen Mann herüber, dem das wirklich
treffliche Frühſtück wohl zu. behagen ſchien, und zwei
erwachſene, allerliebfte Mädchen ſchienen die Maka⸗
rellen auf ihren Tellern nicht mehr zu ſehen; der
Squire jedoch ſaß ſtandhaft da und vollbrachte ſeine
Morgenaufgabe mit einer Langſamkeit, die bewies,
daß er jedem Geſchaͤfte feine Zeit zumaß.
„Die Wahl ift doch noch night vorüber?” fragte er -
endlich. Br .
nRein,* ſprach der Conſtable. „Mein Bruder
hat. fo. eben feine Anrede beſchloſſen.“ Er begleitete
feine Worte mit einem ſtechenden Seitenblide, ver
verrieth, daß er nichts weniger als zufrieden mit dem
neuen Abenteuer fey, das feinem Bruder die Hälfte
feiner Zuhörer entführt hatte.
—d 161 0
Eine andere viertelftündige Paufe erfolgte, und
während biefer endete die Mahlzeit. Als der Tiſch
abgeräumt war, fland der Squire auf und, die Thuͤre
öffnend, Tieß er fo viele ver außen Stehenden perl,
als das Innere bequem faffen konnte.
„Und nun Conſtable,« ſprach er, indem er qugleih
ein Korkdintenfaß mit einem Buche Papier auf einem
Seitentiſche zurechtlegte; „was gibts nun wieder, und
Wer hat etwas anzubringen?“
„Dieſe zwei, Miſter Joe Drum und Sam Slab,“
ſprach der Unterbeamte, „werden Euch dad Nähere
fagen, und zwar Mifter Ive Drum ald ver Erfte,
der den Gefangenen gefehen und angehalten
Der werthe, durch ven Offizialen bezeichnete Mifter,
ohne fich einen Augenblick zu befinnen,; nahm einen
ungeheuren Klumpen Kautabak aus feinem viereckigen
Munde, warf ihn in dad Kaminfeuer und begann
dann feinen ſchlichten ungefünftelten Vortrag: wie er
auf den Fremdling aufmerffam geworden war, und
wie Diefer durch allerlei Wendungen ihm zu ent⸗
wiſchen geſucht hatte,
Der Friedensrichter beſah nun zum erten Male
den Angeklagten, der ſchweigend und gefaßt vor ihm
— 108 ⸗—
fand, und deſſen Geſichtszüge fh nur zumeilen in
ein unmerkliches Laͤcheln verzogen.
Der Zweite der Hinterwäldler entledigte ſeinen
Mund eines Ähnlichen Tabakklumpens und befräftigte
die Ausſage des Erſtern ſo ſchnell, als die Schwere
ſeiner Zunge es nur immer zuließ.
„Sam,“ ſprach der Friedensrichter zwiſchen hinein.
„Ihr ſeyd wieder ſo arg befoffen als je, und noch
geſtern, als ich Euch aus dem Alligatorſumpfe her⸗
auszog, verſpracht Ihr-mir feſt und theuer, die näch⸗
ſten ſechs Wochen keinen Whisky mehr anzuſchauen.“
„Und Damn it, wenn ich mein Wort gebrochen,“
verſetzte der Erzzecher. „Ich habe meine Augen zu⸗
gedrückt, fragt einmal Joe Drum, und ſo ſolltet Ihr
thun, Damn ye! Aber dieſe Fips und Levies,“
ſprach er, indem er einen ſchmutzigen Lederbeutel mit
kleiner Münze auf den Tiſch warf und ſchnell wieder
zu fich ſteckte, „müffen noch wandern, daß die Brit⸗
tiſchen ihn mit gelben Fuͤchſen wieder fuͤllen.“
„Ja Die werden Euch etwas münzen,« ſprach der
Friedensbrichter. „Unter anderm laßt Euer gottes⸗
läſterliches Fluchen bleiben, fonft büß ich Euch.“
„Ihr mich büßen ?a grindte Sam. „So mögt Ihr,
5 188 —
und bürftet dabei reich werben, ja und eine Kugel
nebenbei in Euern Wanſt Friegen. «
„Nicht fo vorſchnell, Sam!" Ihr werdet mich nicht
erſchrecken,« ſprach der Briedensrichter ernfl und
ſcharf, Das mich beſonders betonend. „Wenn ich Eu
nochmals fluchen höre, fo büß ich Eu.
Die Dritte der Hauptperfonen, nämlid ver Con⸗
ſtable, fehlen nun geformen, feinen Beitrag zur Bes
kräftigung der Ausſagen zu liefern; doch von' meh⸗
rern Seiten war zu hören: „ehrlich Spiel, Dick!
Ihr ſeyd zulegt gefommen, und wißt vom ganzen
Vorfalle gerade fo viel wie des Squires Katze.«
„Ich bin aber Conſtable und meines — u
„So ſeyd Ihr,“ unterbrachen ihn mehrere Stimmen,
„und als folder Habt Ihr Eure Pflicht gethan; mehr
müßt Ihr aber nicht thun wollen. /·
Des Friedensrichters Miene hatte allmählig den
Ausdruck von Zweifel und Verlegenhett angenommen,
ben man allenfalls einem Manne zu gute Halten kann,
der, gewohnt, fen tägliches Geſchäft langſam und
methodiſch zu vollbringen, ſich nun auf einmal bemü-
Bigt findet, einen Gegenſtand von weit größerer Wich⸗
tigkeit zu verhandeln, als ihm noch je vorgefommen
—H 164 >
ſeyn mochte. Es ſchien ala vb er unfchläffig ſey,
was er aus dem’ jungen Abenteurer machen ſolle.
Die indianiſchen Kleidungsfragmente ausgenommen,
hatte:er nichts an ſich, das ihn verächtigte. Zwar
kannte er den Gefangenen nicht. näher; aber was er
an ihm ſah, war nicht von der Art, die Bermuthungen
zu bekräftigen, die fein Aufgreifen und feine Ber-
kleidung veranlaßt Hatte. Er lachte heiter und ſorg⸗
los, blickte fröhlich umher und muflerte vie Hinter⸗
waldler vom Kopf zu ven Füßen mit einer Neugierve,
die nur zumellenin Spott übergeben zu wollen fehien.
Dabei: hatte fein. Aeußeres, ungeadtet der nichts
weniger als zierlichen Metamorphofe, einen Anftand,
der vortheilhaft für ihn ſprach. Freilich konnte ſeine
Unbefangenheit auch erkünſtelt ſeyn, und eben hinter
diefem Anſtand etwas nie umfo Gefährlicheres ſtecken;
dies ſchien jedoch bei feiner Jugend nicht wahrſchein⸗
lich. Aber ſolche Fälle gab es doch, vielleicht waren
fie dem Friedensrichter ſelbſt in einem Lande vorge⸗
kommen, das feit ven letzten zehn Jahren gewiffer-
maßen der Sammtelplag. von Aventuriers aller Art
geworben war.
Der gute. Man war - in, fehtlicher Berlegenheit
ed 165 9
und fragte fish zu wiederholten Malen: hinter: den
Ohren. Einige Male hatte er einen Pod gedruckter
Papiere aufgegriffen, fie aber unmwilig wieder auf
den Tiſch geworfen:
Endlich ſprach er: „Fremdling, könnt Ihr etwas
zu Eurer Vertheidigung ſagen ?“ Sein Auge fiel.bei
diefen Worten ermunternd auf ven Süngling. -
„Ich weiß nicht, worin die Anklage befteht."-
Ihr habt fie gehört, verſetzte ner Friedensrichter
etwas ſchnell, „ih will ſie Euch aber wiederholen.
Dieſe zwei Männer da und der Conſtable im Namen
des Staates ſagen, daß Ihr ein Spion. ſeyd, ver⸗
kleidet, und gekommen, um das Land auszuſpaähen
und die Rothhaͤute gegen und aufzuhegen.“ -
- Der junge Mann warf einen unwilligen Blick auf
die beiden Ankläger, aber ex fehien nicht überraſcht
oder verlegen. „Das iſt eine verdammte/ — platzte
er heraus, ohne jedoch das letzte Wort ausſprechen
zu können, denn der Squire, der. aufmerkſam in
feinem Geſichte gelefen hatte, fiel ihm mit einem
donnernden „Halt! in die Rede.
„Ich habe nicht Luft, mein Haus in einen Zummel⸗
platz verwandelt zu ſehen. Ihr muͤßt Eure Zunge in
—H 166 8
Acht nehmen, junger Mann ‚ wenn Ihr mit ameri⸗
kaniſchen Bürgern- revet, das find Feine Britten.
Wenn · Ihr Euch gehörig ausweiſen koͤnnt, Wer Ihr
ſeyo, und wie. Ihr zu Euern indianiſchen Kleidungs⸗
ſtücken gekommen, dann wohl; wenn nicht, ſo muß
ich Euch ind Hauptquartier oder auf das naͤchſes De⸗
pot ſenden.“
Der alte Hickory laͤßt ihn die 2 Stumde bau⸗
meln,“ meinte Einer.
„Damn old Hickory; wollte, er wäre bereits wie⸗
der, wo er hergefommen;;# fiel ein Zweiter ein.
„Mag ic erfchoffen werden, wenn ver alte Hickory
nicht mehr ehrliches Blut im kleinen Finger hat, als
ein Pferd ſchwemmen würde,“ ſchwor ein Dritter.
„Haltet Eure Mäuler,“ ſprach der Friedensrichter,
„und laßt mal hören, was der Junge da zu fagen hut.
Alfo,.pro primo, Wer ſeyd Ihr, und was ſeyd Ihr?"
„Ein Engländer; mein Name, James‘ Hobges,
Midſhipman auf der Fregatte ver Donnerer.“
„Ein Britte, James Hodges, Midſhipman auf
dem Donnerer,“ murmelten Alle.
Der Friedensrichter maß den Midſhipman mit einem
beforgten Blicke und fchüttelte den Kopf.
—) 107 —
„Wohl,“ ſprach er, nachdem er. ‚bie Aueſage ze
Papier gebracht. Hatte.
„Wie ſeyd Ihr aber nahe an dreihundert Meilen
tief ins Land gekommen? Doch nicht wie der Shin
Dutchman auf Eurer Fregatte?d .. ">.
„Nein, « verfegte ver kunge. Bam lachend, „aber
unſer Capitain, mit der Sondirung der Miſſiſippi⸗
mündungen beauftragt, hatte Einigen von uns die
Erlaubniß zu einer Schilbkrötenjagd gegeben.‘ Auf
dieſer und dem Auſternfange waren wir begriffen, als
der Seeräuber yon Barataria und überfiel und infein
Fort ſchleppte. Ich habe mich zur Nachtzeit gerettet.
Was aus meinen Gefährten geworben, weiß ich nicht.“
„Vom Serräuber von Barataria gefangen genom⸗
men ‚"-ziefen. wieber zwanzig Stimmen.
Der Name-des Serräuberd von Barataria, der. bie
Küfte fett fo langer Zeit / her unficher gemacht, erregte
ein aligemeines erlangen, © etwas. mehr von ihm zu
hören. =
„Laßt mal etwas von bem Kerl bꝛen⸗ rief
Einer.
„Halt's Maul, ſage ich —8* ef wieder der
Friedensrichter. „Wir haben Feine. Seit Geſchichten
168 ⸗—
anzuhören, gibt mir dieſe Kopfbrechend genug. —
Und kommt. Ihr won der Inſel Barataria gerade
herauf in dieſe Gegend ?“ fragte er.
„Nein,“ erwiederte ver ‚Gefangene, „ich entfam
in. einem Boots, das ein flarfer, füdöſtlichet Wind
tief:in den mexicaniſchen Bufen führte.“
„Und du kommt Ihr her?" fragte der Squire kopf⸗
ſchůttelnd· „Doch, woher dieſe indjaniſche Kleidung?
3b: traf auf.einen indiauiſchen Stamm, der mich
damit verfeheh:
„Und von dieſem habt Ihr Euch auf ben ng ger
auf ven Atchafalaya zu gemacht?“ fragte der Squire
wieder, noch immer Topfichüttelnv.
So habe ich ;“ war die Antwort.
„Ich will es niederſchreiben, lieber Mann,“ ſprach
der Friedensrichter, „obwohl ich Euch verſichern mag,
daß unter Millionen nicht zehn es glauben werden.
Hört einmal. So Viele ihr unten am Balize ſeyd,
und mwäret Ihr Hunderttauſend, fo hat Keiner von
Bud fo viel noch gelernt, um von ber mexicaniſchen
Grenze over einem Indianerſtamme den Weg herzu⸗
finden. Hört Ihr; da find keine Fahrſtraßen und
PMeilenzeiger zu ſehen. Da ſteckt etwas Anderes da⸗
—d 169 >
hinter; zudem, dieſe indianiſche Kleidung iſt ſo ſchlecht
nicht. Ich kenne keinen Stamm, der ſo etwas weg⸗
zugeben reich genug wäre. Wie heißen die Indianer,
bei denen Ihr Euch aufgehalten Habt?
„Das kann ich nicht ſagen, « erwiederte ber Sünge
ling.
„Daß můſſen wir aber wiſſen,“ vnſchen⸗ der
Friedensrichter.
„Ich kann es nicht ſagen; es gibt ſo viele Staͤmme,
Coshattaes, Sabiner und wie fie heißen.“
Ale horchten hoch auf.
Ihr wißt den Namen der Coshattaes und Sabi⸗
ner, und nicht Derjenigen, bei denen Ihr Cuch auf⸗
gehalten habt?“ fragte ver Friedensrichter. „Das iſt
fonderbar ; und dieſe Indianer ſollten Euch eine Klei⸗
dung gegeben haben, die zum wenigſten zehn Dollars
werth iſt? Hört, das iſt eine kitzliche Geſchichte, ic
verſichere Euch. Die Coshattaes und Sabiner, wenn
fie alle ihre Hahfeligkeiten zufammen nähmen, find
nicht im Stande, Euch) zu geben, was Ihr am Leibe
habt. Eure Geſchichte mag gut genug ſeyn, um bei
Euch zu paffiren; aber hier bringt die Anklage, die
Daraus hervorgeht, Eueen Kopf in Oefahr. .
Der Legitime. I. 12
—d 170 ⸗—
‚m&end fo-gut, lieber Friedensrichter,“ ſprach her
Britte Jächelnd ; „fo ſchnell als möglich meinen Fall
| im · Hauptquartier anzuzeigen. Daß Uebrige wird. fi
dann finden.‘ · »:
„Sm Hauptquartier gu wiederholte der Friedens⸗
richter, der den jungen Mann verwundert angeſehen
hatte. „Hört einmal, Ihr ſtellt Euch das ein wenig
leicht vor; aber wenn Ihr wüßtet, Wer darin befeh⸗
ligt, dann würdet Ihr wahrſcheinlich nicht jo vorſchnell
ſeyn. Der haust mit den Creolen, «.brummte er ſeit⸗
wärts, „als wenn fle feine Neger wären; was wirb
er erft mit Fremden thım! Und fonft® — fragte er,
ih nochmals an den Gefangenen wendend — babe
‚Ihr nichts vorzubringen?“
„Bloß,“ verſetzte ver Britte lachend, „daß ich BER
wie meine zwei AUnkläger angegeben, verbädtig in
ber Nähe Eurer. Stadt umhergeſchlichen, und von
ihnen währenn meines Spionirens gefangen genom⸗
men worben bin. Man ift eben nicht in sinem Zus
flande, Andere zu fangen, wenn man felbft nicht auf
den Beinen flehen kann. Ich Habe mic freiwillig
geſtellt.“ .
„Und wahr iſts au noch, ſchrie der erſte An⸗
9 14 0
Häger; „ih hab' einmal zu viel geladen, das iſt ganz
richtig. Laßten laufen Squire; ein Spion mehr oder
weniger wird keinen Unterſchies machen; laßt fie un
kommen bie Rothröcke, wir wollen ihnen bie Belle
gerben,, daß fie's Seimgehen vergeffen ſollen.“
Ei und die Proffamation des Generald,a erwies
derte der Zweite, „die da fagt, daß jede verbächtige
Berfon angebalten-und an bie Milttirhe horde einge
liefert. werben foll!« Ze
„Geht und nichts an,“ verſetzten mehrere Stim⸗
men. „Sie iſt vom. Generale auögegeben, und der
hat. einen Quark im Staate und freien Männern zu
jagen, die nur den von ihrer Legislatur gegebenen
Sefeßen gehorchen ſollen; was meint Ihr, Squivet«
„Gewiß,“ verfegte Diefer, „der General hat Hier
nichts zu befehlen; aber bie Conſtitution jelbft hat,
für den Ball geforgt. Es bleibt nichts weiter übrig, *
ſprach er leiſer zu den Seinigen, „als ven Jungen
hinüber zu fenden. Es thut mir leid, daß ich mithel⸗
fen fol, ihn in die Pfütze bineinftoßen ; er fieht wahr⸗
lich fo wacker aus wie irgend Einer, der in feinen
eigenen Schuhen. fteht.* Ä
„JIunger Mann,« wandte er fich zum Gefangenen,
12*
172 —
Ihr ſeyd innerhalb der Linien unferer Armee in einer
Verkleidung aufgegriffen worden, bie allerbingd ver-
dächtig il. Ihr ſeyd, nah Eurem eigenen Geſtänd⸗
sıiffe , zur Flotte gehörig; beides zwingt mi, Euch
anferen Militärbehörben zu überantworten. Es if
ein hartes Geſetz für ein freies Land, aber ed ift nur
in Kriegszeiten. Wäret Ihr kein Dritte, dann möchte
ich durch die Finger fehen. Und ſetzt Euch. nun nieber
und helft Euch zu einem Glas Wein oder Rum, was
Euch beliebt.”
Der Britte dankte mit einer leichten Berbeugung,
trat zum Schenktifcge und trank auf. die Geſundheit
feiner neuen Bekannten. Sein ganzes Benehmen be=
geugte, daß er mit feiner Behandlung fehr zufrieben
war. Und wirklich warin der Prozedur des Friedens⸗
richters, ungeachtet des flarken Beigeſchmacks hinter⸗
waͤldiſcher Manieren, eine Offenheit und Biederkeit,
die nicht fehlen konnten, ihm Vertrauen zu ſeinen
neuen Bekannten einzuflößen. Er ſchien ſich gewiſſer⸗
maßen zu Hauſe zu fühlen; die Menſchen um ihn
herum waren ſo natürlich, fo ungekünſtelt, und da⸗
bei fo vollkommen geſetzlich und über ihre Intereſſen
aufgeklärt; fie ſchaämten ſich ihrer Blößen fo wenig,
*
— 173 &
daß fie nothwendig vem unbefangenen in vortheil⸗
haftem Lichte erſcheinen mußten. Er hatte vielleicht
einen arroganten Pöbelwitz und rohe Schimpfworte
befürchtet; ſtatt dieſer war ihm eine Behandlung zu
Theil geworden, bie zwar nicht ohne ihre derben
Auancen, aber im Grunde fo angemeffen war, wie
er fie nur in feiner unangenehmen Lage wünſchen
konnte. Es war viel Rauhes, aber nichts Pobelhaf⸗
tes zu ſehen geweſen. Zwar konnte er noch immer
das Lachen nicht verbeißen, wenn er an die militä⸗
riſche Promenade dachte; aber der ſtarre republika⸗
niſche Ernſt, der ſelbſt in dieſem groteöfen Spektakel⸗
aufzuge vorherrſchte, und die männlich gebräunten
Geſichter, in denen wahrhaft kriegeriſcher Zorn blitzte,
gaben ihrem ganzen Wefen einen ganz eigenthümlichen
Anſtrich, det durch eine formelle und ihrer Würde be=
wußte Gravität und ihre ſcharf gezeichneten Phyfiog⸗
nomien ſehr gehoben wurde. Der erſte Anblick ganz.
freier und troß ihrer Rauhheit innerhalb der Gefetz⸗
lichkeit verbleibender Menfchen machteihn augenfchein-
lich flugen, indem er ihn altmäglig das innere Weſen
republikaniſchen Lebens ahnen zu laffen ſchien.
Der zeitweilige Vermährungsort ves Gefangenen
11
wurde nun zwiſchem dem Friedensrichter und Dem
Gonftable der Gegenſtand der Unterhaltung. Der
Sheriff war abweiend, und das Countygefängniß, in
dem zulegt eine Sklave gefeffen, det entwifcht war,
ohne Schloß und Riegel." Der Squite endete die Eon-
ſultation mit der Zuſicherung, daß er für die Sicher-
heit des Gefangenen Sorge: tragen wolle. Und als
die Männer’viefes- gehört, fo räumten fle vie Stube.
: Nicht lange, fo erhob fi der Lärm von neuem.
Zur’ alten Geige und türkischen Trommel Hatten fie
eine ſchottiſche Pfeife gefellt, und mit diefer ohrzer-
reißenden Muſik parabirten fie num truppweiſe die
Straße hinab fo ernſthaft ‚ To fteif und ſtattlich, als
wenn es gerade auf ven Feind los ginge.
„Hol ver Henker das verdammte Schreibwerf, “
fehrie plötzlich der feiner, "Samuel gegebenen Wars
nung vergeſſende Squire. „Da fol ich mın ſchreiben!
und fo wahr ich lebe, ich weiß nicht, wie ich vie Worte
zu flellen habe, um dem armen Jungen nicht wehe zu
tun. Höre ein Wal’, ich wollte wetten, Ihr Eönnt
mit dem Gänfeftel fo wohl umgehen, ala Einer ; wie
wär's, wenn Ihr den Plunder auffegtet 7“
. „Welchen mieint Ihr, Squire?«
— 19 —
„Je nun, die Evidenz wegen Curer Gefangene
mung.” -
„Ihr meint den Casus apprehensiönis, “ verfehte
der Britte, über die fonverbare Zumuthung laut
lachend, nun noch fein eigener Gerchtelchrether zu
werden.
. nIhe habt Zeit,“ ſprach der Mann, ſeot *
juſt nieder, hier iſt Dinte, Feder und Papier, und
ſchreibt klar und verſtändlich, und denkt daran, daß
es um Euren Kopf geht.“
: Glaubt Ihr,“ verſetzte der junge Mann lachend,
„fe würden es wagen, einem .Britten zu nahe zu
treten, wenn eine brittifche Armee vor ihren Thoren
ſteht? Tu
„Rein! hört einmal den Jungen,“ h prach ver Squire,
das kommt mir fpaßhaft vor; wagen, einem Britten
zu nahe zu treten! Höre, wenn Du der General en
Chef Eurer Armee felbft wäreft, um fo eher hingeſt
Du, verfteht ſich von felbft, wenn der Verdacht, in
dem Du ſtehſt, gegründet befunden würde. Nein,
junger Mann, Du kennſt und nit, das fehe id
wohl; und manchmal werde ich ſelbſt irre an dem be⸗
ſeſſenen Geift, ver in den Unfrigen ſteckt und der fi
—d 176 —
bald an unfern Herrgott ſelbſt wagen wird. Es nicht
wagen!“ rief er wieder kopfſchuͤttelnd. „Die wagen
fich an mehr als an Dich, armer Junge! und wenn
fle-Euerm dummen, brittiſchen Stolge einen Hieb ver-
feßen koͤnnen, fd wird fle nichts abhalten, ihn.zu
führen, und. das fo Fräftig ald möglich. Und warum,
Junge? weil wir da3- freiefte und folglich pas erſte
Volk der Welt find, und Alle auslachen mögen. —
Halte Maul, altes Weib," brummte er feiner Ehe⸗
hälfte zu, die mit bittenden Geberden ihm zur Seite
fland und ihn auf milvere Gedanken zu lenken ver-
fuchte. „Diefe deine Querfprünge geben hier. nit;
Qu weißt, daß wir die Feinde über'm Hals Haben,
da giltkein Spaßen. Nein! nein!“ fuhrerzum jungen
Mann gewendet fort: „Ich bitte Euch, ſeyd Hug, und
kurzweilt ja nicht, fonft möchte fih der unten mit
Cuerm Kopf eine Kurzweil ſchaffen; das kaͤm' ihm.
gerabe gelegen. *
Und mit dieſen Worten verließ er die Stube.
Der junge Mann ſchickte 1 an, fein Geſchaͤft zu
beginnen.
nAber was ums Himmelswillen hat Euch gerade
da hergebracht?“ fing nun die Ehehälfte an, nachdem
— 177 ⸗—
ihr Mann nen Rüden gekehrt hatte. „Seyd Ihr
Britten denn gar fo dumm? "Wenn Ihr Eure Augen
und Ohren nur ein wenig offen gehabt hättet, müß-
tet Ihr gefehen haben, daß Ihr in vie Wolfsgrube
rennt. Sie werden Euch Hängen, verlaßt Euch darauf;
das iſt ein grimmiger alter Mann, der General.“
Die Ausficht war nicht ſehr troſtreich, aber’ der
Gefangene ſchien ſich kein graues Haar wachſen laſſen
zu wollen. „Habt keine Sorge um mich, gute Frau,⸗
ſprach er lächelnd. „Man hängt nicht, am wenigſten
wegen Spionirens, wo der bloße Gedanke Unſtnn iſt.⸗
. nWohf, wohl, woͤllen's Beſte Hoffen; am ge⸗
ſcheidteften war's jedoch“ — —
„Weib ;“ brummte ihr Mann zur halb geöffneten
Thüre herein. „Scher! Dich von bem Jungen wes⸗
ih ſage Dir's.“
„Laß ihn reden,» ſprach fie, „und wenn Kaͤte ihren
neuen Rock fertig hat, fo wollen wir ſchauen, ob wir
Dich darin nicht hinüber zum BIN praftiziren fönnen. “
Sie nickte pfiffig.
„In Miß Kätes Roͤckchen,⸗ lachte der Britte bei |
laut, „das fehlt noch. 4
„Ei, werben da lange fragen, a fuhr. fie fort. „Das
128
Maͤdchen hat nur noch die Ermel einzuſe ben; · und
ſomit wackelte ſie der Küche zu.
- Der Gefangene begann nun im Ernfte fg über
feinen nüht ganz.angenehmen casus apprehensionis
zu machen. Lange Eonnte-er mit ſich nicht eind wer⸗
ven; enblich ‚glaubte er im Reinen zu ſeyn und fing
an feine Gedanken auf’3 Papier zu werfen. Er Hatte
. fett Abenteuer, mit Auslafſſung der Indianer, fo
natürlich als mögli erzählt, und zugleich umſtänd⸗
lichen Bericht über feine Dierfiverhältniffe gegeben,
die nad feiner Meinung nicht fehlen konnten, feine
ſchleunige Befreiung zu bewirken. Als er geendet hatte,
Fam der Squire zurück, dem er das Papier reichte.
„Das haft Du gut gemacht, Junge!" ſprach Dies
fer; als er ven Auffag geleſen hatte. „Und nun, Die,
ruf mir einmal die Männer zur Unterſchrift.“
„„Ei, das iſt aber nicht Eure Handſchrift, Squire,“
Brad: ver Conſtable aus, dei mit den uebrigen wie⸗
der gekommen war.
Und wenn fie's nicht iſt, Wen geht w was an?
Diefer Junge da Hat mir mehr Kopfbrechen verur-
fat, als ein Dugend Galgenſchwengel. Es iſt blos
billig, daß er einen Theil der Mühe auf fich lade.“
—s 179 —
„Ei, und fo iſts;« fielen Ale ein. „Und da Ihr
eine fo gute Hand führt,” fprach Einer, „fo mögt
Ihr und ebenſowohl die Mühe erfparen. Schreibt
da auf biefen Beben Papier den Namen Dite Broom
und darunter Iſaac Wells.“
An die Zwanzig kamen nun der Reihe nach heran⸗
geſchritten. Jeder blinzelte dem Squire zu, und riß
ein Stüd Papier von feinem Vorrathe ab. -
„Wohl,« lachte Diefer, „na mögt Ihr gleich Eure
Kanzlei auch aufſchlagen, fle werben Euch bald Ar:
heit genug finden. Bürg Euch dafür.“
Sa, und dad wollen wir,“ riefen no zwanzig
Stimmen mehr, die nun zur Thüre hereinbrüllten,
und fich anſchickten, ihre Vorgänger abzulöfen.
„Das ſoll wohl eine Wahl fen?" hegte. der
Britte.
„Ja, dad iſt's, Mahn, und Ihr ſollt es nicht um⸗
ſonſt gethan haben,“ ſprach ver Hinterwäldler, der
nun mit ſeinem Wahlzettel die Stube verließ, bald
aber wieder mit einer gefüllten Bouteille zurückkam.
„Da trinkt einmal, « tief er ihm zu, „aufs Wohl der
Staaten und dad Verderben ver verdammten Britten.“
—) 10 9
"ı „Nein, das laſſe ich bleiben; “ erwieberte der Ge⸗
fangene troden. |
"Wie Ihr wollt, u meinte der Hinterwälbler, „wers
det e8 aber bereuen. Johny hat in feinem Leben eis
nen fo guten Monongehala gegeben. «
‚Und mit biefen Worten Ieerte er ein volles Bier-
glas, und füllte ein zweites, das die Bouteille leerte.
Der Britte hatte eine Weile. ven heilloſen Zecher an⸗
geſehen, verwwundertüber die ungeheure Quantität, die
Dieſer, ohne auszufegen‘, hinabgeſtürzt hatte, und.
fuhr dann fort, den Wählern ihre Stimmzettel. zu
ſchreiben, von denen einige Hundert angeftiegen ka⸗
men; eine Beichäftigung, bie, wenn auch nicht ſehr
angenehm, wenigftens ven Vortheil Hatte, ihn in
feiner fröhlichen Stimmung zu erhalten.
Bweinndzwanzigſtes Aapitel. |
I gebe gar nit gern; es entfpinnt fi ein
Unfall wider meine Ruhe, denn mir träumte biefe
Vtacht von Bolvfäden.
. &halespeare.
— „Bohlvenn, Junge. Bin herzlich froh Deinet⸗
wegen,” ſprach der Squire, der wieder von ber
— 181 > \
Straße In die Stube zurüdigefehrt war. „Sie haben
mich zu ihrem Major gewählt, und ich Hoffe, etwas
für Dich thun zu Finnen. Uber laß uns unfer Mit-
tagefien haben, altes Weib, ich habe Appetit bekom⸗
men; und eine Bouteille alten Monongehala! Sep’
Dich, Junge, und laß Dir fein graues Haas wachſen.
Bin in meinem Leben oft genug in ſolchen Teufeleien
geweſen, aus denen ich nicht. geträumt hätte, mit
heiler Saut zu kommen; Anno achtzig und einund⸗
achtzig bei Cowpens, wo wir Eu gedroſchen Haben,
und Anno zwölf bei Hort Miegs, und dann mit Ca⸗
pitain Groghan. — Ja, da hätt! ib au wohl nicht
mehr gedacht, ven Atchafalaya und die Meinigen zu
fehen.. Die Rothhaut, ja, das ‚war ein furchtbarer
Geſelle. Gott ſegne ihn nichts deſto weniger, obwohl
er der Schrecken der Unfrigen jenfeits des Ohio war.
Aber ein trefflicher Gefelle, uud wahr iſt auch noch,
Tein Befierer hauste je in unfern Wäldern. Ich hatte
bereitd Amen gejagt, und dacht', nun iſt's aus ; aber
eben als das giftig feharfe Meffer um meinen Kopf
herumlief — — va, ſieh' ven Ring an, Du Tannft
ihn nach immer fehen, als ob eine rothfeidene Schnur
um meine Stirn gebunden wäre, da kam er, ber Te⸗
—
cumfer, und entriß mich meinen: Henlern. Ich werde
den Mann: in meinem Leben nicht. vergeſſen, und viele
ber Unſrigen haben ihm ihre Haut zu verdanken. Das
war ein Mann! — Keiner Eurer herumſchleichenden,
befoffenen Indianer, die Tag und Nacht ums unſre
Belver lauern, und und unfre Hirſchboͤcke wegſchießen,
und fi dann. die Süße ablaufen, um fie in Whisty
umzufegen. «
- »&i, und ver lange trockene Geſelle, Hof Du ben
vergeflen, Mann,“ fpra vie Beau, eine Hirſchkeule
auf den Tifch ſetzend, den ein Negermädchen bereitä
gedeckt hatte, „Der hat und auch nicht wenig Angſt
gemacht. Wie heißt er nur?” - .
„Tokeah meinft. Du, ven Milo der Oconees ?
verſetzte ihr Mann. „Laß mid in, Ruhe mit Dem.“
„Wie? Ihr kennt ihn ?« fuhr der Britte unwill⸗
kürlich heraus.
Der Squire und feine Frau ſahen u bebeutfam
an.. Der junge Mann Hatte ſich zu faſſen geſucht, und
feßte hinzu: „Ich bin ‚überzeugt, Ihr habt. rauhe
Taͤge mit den Indianern geſehen.“
„Das haben wir; ſprach der Friedensrichter trocken,
„aber von Tokeah haben. wir auch ſeit vielen Jahren
BT
feine Sulbe mehr gehört. Als ob der Miſfiſippi ihn
verſchlungen hätte. Keine Spur mehr zu ſehen oder
zu hören von ihm und den Seinigen. Wißt Ihr etwas
von ihm 4" wandte er fich vlzblich zu ſeinem oefanger
nen Safe.
mRein „" verſetzte Dieſer betroffen und ttetend.
⸗Dachte nur, weil Ihr mich ſragtet, ob iq ihn
fenne u or
„3a, und. die arıne bildſchoͤne Goſa,“ —* das
Weib.
MRoſa,“ rief der Britte wieder aus, RG «i ein. zwei⸗
tes Mal vergeſſend.“
Wieder blickten ſichr bie beiden Eheleute fragend an.
Ohne jedoch ein Wort zu ſagen, ſetzte ſich die Fami⸗
lie zu Tiſche, über welchen der Hausvater ein langes
Gebet verrichtete. Es waren noch zwei Töchter und
ein Sohn, die Platz nahmen. Die Kleidung der
Madchen beſtand aus dem gewoͤhnlichen Woll⸗ und
Leinenſtoff, Linſey Woolſey genannt, war aber recht
elegant; ihr Benehmen ſchien eben ſo ſehr von feine⸗
ver weiblicher Bildung, als bloͤder Scheu entfernt.
Ihre Bewegungen zeigten viel natürlichen Anftand
und eine gewiſſe Lebendigkeit, die jedoch vollkommen
— I
innerhalb der Schrauken mädchenhaſter Züntigfeit
verblieb. Sie fpradhen mit ihrer Mutter, nachdem fie
ven Fremden freundlich und zwanglos begrüßt hatten.
Währenn die Hausftau bie Hirſchkeule zerlegte,
fuhr der Squire fort. „Ia, damals Hatte ich noch
Die Stube vol Kinder, Alt und Jung, wie Orgel-
pfeifen, zwölf Stüd.. Keines, Gott ſey Dank, ge-
ftorben, alle wohl verheirathet und angejehen. Sieh‘,
das ift. bei und die Freude. Je mehr Kinder, deſto
befier. Land haben wir genug, und menn fie ihre
Hände zu gebrauchen wiflen, fo findet ſich Haus und
Hof von ſelbſt. Bei Euch müffen die armen Buben,
höre ih, Soldaten oder Taugenichtſe werben, und
die Mädchen no etwas Schlimmeres. Bei und ar-
beiten und ſchaffen fle redlich, und werben Bürger,
die fih vor Keinem zu ſchämen haben. Ia, Junge!
meine Kinder haben alle ein Kinverfpiel, die haben
jedes ein paar taufend Dollars von ven Alten, aber
wir haben es und fauer werben laſſen müflen. —
Mein Bater Fam mit zwanzig Jahren und. breifig
Pfunden herüber. aus dem. Lande ver Kuchen, und
damit Faufte er ſich fünfzig Aecker, und als er etwas
- ufanımengebracht, da brach der Befreiungskrieg aus,
— 185 —
und die Eurigen famen und brannten ihm Haus und
Hof weg, ımb zogen ihm feine Kleider und Schuhe
ab, und er'mußte Halb nadend im Winter dreißig
Meilen nad Haufe laufen. — Ih war damals ein
Bube, Habe aber dafür manchem Eurer NRothröde
aufn Pelz geſchoſſen. Als der Krieg vorbei war, da
macht” ih mich an ‚meine Alte an, und wir thaten
und denn auch zuſammen, und zogen endlich an ven
Cooſa. Wollte, ich wäre hübſch va figen geblieben,
und Fein Narr geweſen, über den Ohio hinauf zu
rennen; hat mir viel geſchadet in meinem Handel nach
Neuorleans hinab. Haben aber zu leben. Möchte
nicht gerne von vorne wieder anfangen; aber 20%
wollte ich'8. eher, als in Eurem Lande haufen, wo
Keiner was zu fagen hat, und Alle thun müffen, nicht
was fie ſelbſt, ſondern was Andere wollen, und jo
eben gefchehen und ungefchehen ſeyn Taffen müſſen,
wie es ihren großen und 'tleinen Tyrannen gefällt.
Erinnere mich fo etwas gefehen zu haben, als Loui⸗
flang noch in den Händen des Spaniers war, und
wir hinab handelten nah der Stabi. Was für- ein
armfeliges Leben die elenden Wichte Hatten! Gie
durften dem Ufer nicht nahen, ohne zuvor von einem
Der Legitime. II. 43
— 186 ⸗—
Dutzend ſchäbichter Taugenichtje die Erlaubnig ein-
geholt zu haben, ein Ferkel oder einen Schinken zu
kaufen, und wenn fie dann kamen, waren ihnen im-
mer ein paar Spione zur Seite, und wichen nicht bis
wir wieder gingen, damit. wir fie mit unferem Repu⸗
blikanismus nit anfledten. Der Teufel jelbft war
ihnen nicht fo furchtbar, wie wir Amerikaner, und
doch geirauten fie fih nit an uns; aber Wer uns
von den Ihrigen ein freundliches Geficht machte, dem
ging es ſchlimm. Elende Kerle! dumm wie's Vieh
in allen Stũcken, nur in einem waren ſie pfiffig, näm⸗
lich, die Ihrigen noch dümmer zu machen, und dad
Bischen geſunden Menſchenverſtand in ihnen ganz
zu erſticken. Keiner wagte ein Wort zu ſagen, bis
der Gouverneur es erlaubte. Sie tanzten wann dieſer
es haben wollte, und beteten wann er es befahl, und
waren höflich und wieder grob gegen uns‘, juſt wie
er es haben wollte. Keiner wagte für fich ſelbſt zw
denken oder zu handeln. Und was das Schänfte war,
diefe miferablen Menſchen, die in Stroh⸗ und Lehm⸗
hütten wohnten, und bis über die Ohren im Koth
ſtaken, und nicht felten vor ihren Thüren von Alli«
gatoren weggefreflen wurden, die vom Bürgerleben
1 —
meniger wußten als unfere düimmſten Neger, die mein⸗
ten, fie wären civiliſirt und wir Barbaren, ‚weil fle
Krabfüße ſchneiden und Complimente auswendig her⸗
plappern konnten! — Ei, ich weiß, was ſchwarz und
weiß iſt.“
Die Keule war nun zerlegt und zertheilt, und es
erfolgte eine halbftündige Pauſe, währen welcher
aus dem redſeligen Squire auch keine Sylbe mehr
herauszubringen war. Als jedoch der Tiſch abgedeckt
war, füllte er ſich noch ein Glas von ſeinem geprie⸗
ſenen Monongehala, ſtellte vor den Britten zwei ge⸗
ſchliffene Flaſchen mit Port und Madeira und fuhr
fort: „Ja, Hier ficht es anders aus! hier iſt das Volk
Souverain; ei, und ein ſo guter als irgend Einer im
alten Lande, und beſſer, denn er koſtet nichts. Schau
einmal her, das mag Dir ſo ziemlich lächerlich vor⸗
kommen, das Umhertraben dieſer Leute in Reih und
Glied, als ob fle ven Straßenkoth in eine Tenne tre⸗
ten wollten; aber wenn Du ein wenig mehr auf den
Grund ſiehſt, jo wirft Du finden, daß fle ſich alles
Ernftes gegen Euch vorbereiten wollen. Das find
feine Solvatenfpielerein; fie Haffen das kindiſche
Weſen. Uber Iaft ein Dutzend Soldaten unter fie
13°
—) 188 ⸗
kommen und fie at Tape einexeteiren, und fle wer
den fo wohl im Feuer ſtehen, wie Eure Rothrötcke,
und beſſer; denn Dieſe fechten für ſechs Pence, die
Unfrigen für ihr Hab und Gut und ihre Weiber. und
Kinder. Keiner hat fie Tommien-geheißen, es ſind Alle
Freiwillige, die der’ Öffentliche Geiſt getrieben, fich
ein paar Wochen umberhibeln zu lafien. Was wollt
Ihr wetten, Ihr verliert die erſte Shlagt, in bie
Ihr Euch einlaßtt«
„Mit viefen Fallſtaffs⸗Compagnons da?" verfehte
der Süngling lachend. Ä
.„Sachte! Sachte!« verfegte der Squire, „das find
Bürger, von denen Jeder feinen eigenen Rod am
Leibe Hat, und eine Wirthfchaft obendrein; Fein zu⸗
fammengerafites Gefindel, wie Euere -fogenannten
Landesvertheidiger, vie, um’ dem Hungertode oder
der Botanybay zu entgehen, fih Euern Trabanten
hingeben, damit fle je eher deſto beffer aus ver Welt
geſchafft werben, ver fie nur zur.Laft find.
Dad Knallen von Schüffen war figon feit längerer
Zeit zu Hören gewefen. Der Squire Öffnete die Thüre,
vor der ein Mann mit einem Stuger auf umd ab ging.
Ami Ufer- des Fluſſes war in der Eile ein Breterver⸗
— 19 —
flag anfgerüftet, und vor dieſem flanven ſechs bren⸗
nende Kerzen. Dit daneben zwei Männer mit La⸗
ternen. So eben knallten zwei Schüffe, deren einer
den brennenden Docht vom Lichte weg — und der
zweite dad Licht durchſchoß. |
Ein brüllendes Gelächter erfhallte. „Schau, Der
hats einmal verfehlt und, flatt den. Das zu treffen,
die Kerze mitgenommen! 4
Die Kerze war wieder angezündet und aufgeſteckt
worden. Vier Schůffe knallten hinter einander, und
Jeder ſchoß das in der Tageshelle kaum ſichtbare Licht
weg. Wieder folgten zwei Schuͤſſe, die eben fo genau
trafen. Die gewaltigen. Schügen hielten ihre Tangen
Stuger frei, und die Entfernung betrug volle hundert
und fünfzig Schritte.
Auf der andern Seite ſchießen ſie ven Nagel aufn
Kopf,«“ ſprach der Squire; „willſt Dir es fehen ?«
Er ging mit feinem Gefangenen hinter pie Häufer,
wo ein zweiter Verſchlag aufgeriähtet war. Statt
der Kerzen waren in. den. Bretern Nägel mit etwas
groͤßern Köpfen zur Hälfte ins Holz getrieben...
„Den dritten von oben“ rief ein junger Hinter⸗
waldler und ließ krachen. N
—, 10 ⸗—
‚ nGetzoffen und hineingetrieben!“ antwortete. der
Zeiger.
„Den vierten!“ rief ein zweiter, und dließ ebenfalls
knallen. Getroffen! 14 war wieder die Antwort.
Der Jüngling hatte, ohne ein Wort zu ſprechen,
zugeſehen.
„Glaubſt Du nun, daß Ihr zu kurz kommen
werbet?« fuhr ver Squire fort. „Hier haben fle Dir
eine, Ehrenwache gegeben,” auf den Hinterwäldler
deutend, der ihnen mit feinem Stußer gefolgt war,
damit Du ihnen nicht Reißaus nimmſt. Sie haben
es ſich nun in den Kopf geſetzt, in Dir etwas von
einem Spion zu ſehen. Ei, Reißaus nehmen! Leicht
geſagt, aber Du würdeſt fir gleich einer Koppel Hunde
Hinter Die haben, und .fie würden. Deine Spur be-
ſchnaufen, und Dir nachjagen, und follte es bis auf
ben Plattefluß hinaufgehen. Doch Tomm, lieber.
Junge, laß Dir den Port oder Madeira ſchmecken,
beide find ächt und werden Dir Deinen jungen Magen
nit verderben. Wir. gehen hinüber über ven Mifli-
fippi, ins obere Militairvepot, und da werben fie's
Weitere zu thun willen. Unfere Leute Eommen morgen
nad. ‚Wir möflen aber noch heute fort; 's alte Weib
—, 11 ⸗—
will's num einmal nicht anvers, fle hat ven Narren an
Dir gefreffen. Sie hat aber recht; ich- kann Leichter
ein Wort einfließen lafien, ala wenn die Schlingel
alle beifammen find, obwohl Du mir Sorge genug
machſt; denn heute. noch) müflen zehn Männer hinüber
auf den Coshattaesweg, und hinauf an nen Redriver,
und ven Natchitoches. Der Teufel trau’ Euch Dritten.
So dumm Ihr im Ganzen fſeyd, habt Ihr's oh
binter ven Ohren figen, und wo's auf Euern Vor⸗
theil ankömmt, da ſeyd Ihr wahre Teufel. — Es
könnt' doch ſeyn, daß Du mit all Deinen beiden
Taubenaugen uns einen Pack Indianet übern Hal
brächteft.“
So zutraulih der Anfang geweſen, io. wenig
ſchmeichelhaft war der Schluß, und der junge Britte
fah den Sprecher. betroffen an: - Das Mißtrauen,
das dieſe Vorſichtsmaßregel beurkundete, machte ihn
ſtutzen. | =
„Und Ihr, ein fo geſcheidter Mann,“ ſprach er,
nTönntet wirklich folches von mir argmöhnen ?«
„Pah!“ ermieberte ver Squire. „Ich argwohne
nichts unn vertraue auf nichts; wir thun bloß, was
pie Öffentliche Sicherheit erfordert. Dad thun wir zu
—d 193 0
unferer eigenen Beruhigung. Schläft fi) befler, und
unfere Männer gehen mit feichterm Herzen dem Feinde
entgegen. Wir haben keine Polizei, wie bei Euch,
darum machen wir fie ſelbſt. — Sey übrigen? rohis,
und laß Dich das nicht anfechten.“
Die gute Stimmung des geſpraͤchigen Squir⸗,
unſers alten Bekannten John Copeland, war durch
feine Erwählung zum Major fichtlich um ein Bedeu⸗
tendes erhöht worden, und das Vertrauen ſeiner
Mitbürger in ſeinen Patriotismus und ſeinen mili⸗
tairiſchen Scharfblick kitzelte ihn nicht wenig. Uebri⸗
gend. hatten die fieben Jahre, ſeit denen wir ihn nicht
mehr gefeben, eine vortheilhafte Aenderung in ihm
hervorgebracht. Das grob jelbftfüchtige Weſen, das
früher aus jenem feiner Worte fo widerlich hervor⸗
blickte, hatte bei größerm Wohlftande einer humanen
Behaglichkeit Pla gemacht, der man zwar das Hinters
wäldleriſche noch immer anfah, das aber eben deßhalb
um fo mehr anſprach. Es war gewiffermaßen pie alt
gewordene Natur eines‘ Hinterwälolers, an dem
Wohlhabenheit, Umgang und Erfahrung eine eigene
Species von Ginilifation hervorgebracht hatten, bie
ſelbſtſtaͤndig in jener Michtung. hinwirkte, und es fi
—, 18 —
und Andern wohl werben ließ. Gr fühlte ganz feine
Wichtigkeit; aber dieſes Gefühl war nichts weniger
als beleivigend für Andere. Es hatte nichts vom
Weſen des arroganten · Herrendieners, ober bed reich
gewordenen Handwerkers oder Trödlers an ſich; es
war die herzliche, herzhafte Derbheit eines männ«
lichen Geiſtes, ver ſich feine Bedeutſamkeit ſauer
erworben, und die hohe Achtung, in der er bei
feinen Mitbürgern fland, durch eine gemeinnügige
Thätigkeit verdient Hatte, dem das Wohl feines
Eounty über Alles ging, und der für feinen Staat
und fein Land Alles Hingeopfert hätte, ven Mund
zuweilen etwas zu voll nahm, aber nie Wider⸗
willen erregte, weil Alles in ihm natürlich und ges
wiffermaßen dem Boben feined Landes entfprofien
war. Der junge Britte fühlte fi augenſcheinlich
ungemein wohl; er war in den wenigen Stunden ganz
heimiſch geworben und die gutmüthig ſpottende Miene,
mit der er den ſein Land und, ſein Volk immer und
Immer wieder preiſenden Squire anhörte, hatte Dieſen
ſo unerſchoͤpflich in ſeiner Redſeligkeit gemacht, daß
Jener nur ſelten Gelegenheit fand, ein Wort einzu⸗
ſchalten. Der alte Dann ſchien feinen Gaſt, den er
bald Du, bald Ihr -anrevete, und der ſich oft vie
Seiten Hielt, um nicht vor Lachen zu berſten, gleich-
falls fehr Tieb gemonnen zu haben. .
„Dick,« ſprach er, awill auch mit, der Conſtable;
er fürchtet ſich, Du möchteſt ihm davon laufen. Er
ſchielt nach unferer Kate. Kann's nicht begreifen,
wie ſie ihn nur um ſich dulden kann./
Der Britte lachte laut auf, und der. alte Mann
ſtimmte ihm aus vollem Halſe bei.
Wohl, junges Blut, komm' nun mit mir in die
Dachſtube Hinauf. Wir wollen Schlag neun Uhr
weg, Du kannſt noch ein paar Stunden Schlafes
mitnehmen. Mach' Dich bequem, und merk' nicht
auf die Mädchen, « indem er auf ein leeres Bette
deutete, das neben dem ſtand, welches er ſeinem
Gaſte anwies, „ſie werden noch eine Weile plappern,
ehe fie zu ſchnarchen anfangen.“
„Aber,“ fragte der Jüngling zaudernd, „Wer
foll denn. eigentlich in dieſes Bette Tommen ?"
„Meine zwei Mönchen, meine Toͤchter, u verſebte
der Squire.
»Aber,u meinte ver Füngling — und fragte fi
hinterwãldleriſch hinter den Ohren.
0 105 a
„Uber ‚u lachte der neue Major — „laß Du die
nur gehen, die werden Dix nicht abbeißen; — mad’
Du nur Feine Sprünge; — fie werben ruhig liegen
bleiben. Wir find Hier ein Bischen gedrängt; auf
der Pflanzung draußen Haben wir aber mehr Platz.«
„Beſorgt nichts,“ lachte der junge Mann dem
abziehenden Squire nach, noch immer den Kopf über
ſeine Schlafſtelle ſchüttelnd, die von einer zweiten,
die zwei friſche Mädchen, rund wie Rebhühner im
Auguſt, aufnehmen ſollte, nicht ganz zwoölf Sole
entfernt ſtand.
Nun erwartete er nur noch bie Ankunft ver alten
Dame, bie verfprochenermaßen ihm in die neue Robe
der Miß Käte zu verhelfen gedachte. Wahrſcheinlich
war fie jedoch durch ihren Mann eined Beſſern belehrt
worden; denn fie fam nicht und unſer Abenteurer
eatſhlief
„Fomn, u rief eine Stimme, nach einem Schlafe,
per ihm vermuthlih kaum fo viele Minuten gebauert
zu haben fcheinen möchte, als Stunden verfloffen
waren; und eine Hand rüttelte ihn ziemlich derbe.
Der junge Dann blickte hinüber auf das. Bette,
— 16 ⸗—
aus dem ſich eine Hand erhob, der eine Geſtalt folgte,
bie zu berb war, um: einem- ber beiden Holden. Ge⸗
ſchöpfe angehören.zu können.
nDie Mäpchen wollten mir. abfolut nicht herauf.
Hätte mir es einbilden koͤnnen. Und unſere Männer
hatten beſchloſſen, eine Wache herein zu poſtiren.
Und dieſem auszuweichen, habe ich mich ſelbſt herauf⸗
gemacht. Doch mache, wir haben einen kleinen Mor⸗
genritt von breißig bis vierzig Meilen, ver und voll
auf zu thun geben wird.“
„Meine. Tipilette ift fertig ‚4 war die Antwort.
„Wohl, lieber Hodges,“ redete ihn die Frau an,
die, von ihren Töchtern umgeben, die Beiden noch
mit einem Imbis erwartete.
„Macht Euch zuerft warm und übereilt Euch nicht.
Hier find ein paar Schuhe und Strümpfe, die Euch
in der Falten Nachtluft noth thun werben, Käte und
Mary haben das Uebrige.u
Käte hielt eine Wollvedle in der Hand, und Mary
war mit dem Hute ihres Vaters befchäftkat.
Was fol denn dad. wiener ta fragte der Squire.
„se nun, Du brauchſt doch einen Federbuſch als
Major. Sie bat allen Hühnern und Hähnen bie
—9 17 ⸗—
Federn ausgeriffen. — Und nun, Lieber Hodges,“
fuhr fie fort, „vergeßt nicht und ſeyd hübſch munter
drüben. Wer Euch ſo anfieht, kann unmöglich Arges
denken. Laßt Euch nichts weiß machen drüben. Sie
find nicht mehr als Ihr ſeyd, obwohl fie gewaltig
ſteif und ſtolz thun, weil fie reich find. Und wenn
Ihr glücklich davon kommt und es geht Euch im
alten Lande krumm, kommt zu uns. Es ſoll Eus
nicht reuen 00
Die wackere Sinterwälblerin fah ihm fo reundlich
in’8 Geflht, daß dem Sünglinge ber Abſchied ſchwer
zu werden begann.
Nimm an, Junge, was ſie Dir jagt,“ ſprach ber
Squire; „fie hat Vieles erlebt und wahrlich in Ehren,“
„Und bier hat Mary an ihren Bruder gefchrieben,
der drüben bei Mifter Barker Auffcher feiner Pflan⸗
zung ift. Es kann alle Wege nicht ſchaden. Du iffeft
ja aber nicht, bemerkte die Frau. — Der Junge -
Mann warf eilig einige Biſſen in den’ Mund und
fland dann auf, um dem ungedulvig wartenden Squire
zu folgen. Miß Käte warf ihm die Wolldecke um
und Miß Mary zog ihm die Handſchuhe über die
Binger. Er dachte unwillkürlich an Roſa und die
198 ⸗—
Indianerin, bei welcheni Vergleiche bot die beiden
Mifſes verloren.
„Und nun noch ein Mal,“ ſprach fie, „ſey munter
und guter Laune, und man wird Dirs am Auge an⸗
ſehen, daß Du nicht Der bift, fir den Dich diefe
Narren Halten. u
" Gemach, gemiach, altes Weib, u Sprach der Squire,
feinen Gaſt zur Thüre hinausſchiebend, um fernern
Complimenten ſo ſchnell als möglich zu entgehen.
Draußen ging es noch immer ſehr lebhaft her. Aus
ven beiden Schenken herüber klangen bie ſchnarrenden
Töne der zwei Geigen, und das Lichterſchießen war
erft recht in Bang gefommen. Der Haufe hielt jedoch
inne, als die Pferde herbei geführt wurden, und bie
Toms und Sams und Iſaacs und Dids und Bens
und Billys kamen auf unſre Reiſenden zugeflolpert
und geſchritten, um von ihrem Major zeitweiligen
Abſchied zunehmen. j
„Und hebt einige von Euern Fips und Levies
auf,“ ſchrie ihnen Dieſer zu;; ver ſich mit feinen zwei
Begleitern nur mählam durch bie Menge yindurch
eNbogneke.
—H 19 ⸗—
nSat keine Noth,“ riefen ihm die luſigen Zecher
zu, „'s bleibt im Lande.” |
„So find fie nun,“ ſprach der Squire, als er mit
feinen zwei Begleitern in die, Fähre ſtieg, die ſte über
den Atchafalaya bringen ſollte. „Juſt als ob ihre
Beutel keinen Boden hätten; zäh. wie Hickory und
räuh wie die Bären, aber treffliche Männer bei alle
deu. Und rauh, fo wie Du fie nun fiehſt, laß ein
zehn Jahre vorüber ſeyn, und wenn ſie nicht polirt
ſind, wie irgend ein Gentleman, fo heiß mich etwas.
Sollteſt ſie gefehen haben vor drei Jahren, als ich
herab kam vom Cooſa in Georgien. Hängen fon
ich, wenn fie nicht ärger waren, ald die Indianer
ſelbſt; aber wachfenner Wohlftand Hat wunderbar
auf, fle eingewirkt und fie ihre Wichtigkeit fühlen
gelernt, Wer bei und nichts hat, iſt auch nichts
werth. — Und armſelig wie's Geld iſt, ſo fordert
ber Erwerb Fleiß und Betriebſamkeit und viele Tu.
gend — und bie iſt bei und im Steigen mit dem
Wohlſtand und in der alten Welt im Fallen mit ver
werbenden Armuth. Und ſchau jetzt das Stähtchen
an, mit feinen fünfzehn Häuſern!“ — Es hatte bloß
zwölf, aber unſer Squire, obwohl die Wahrheit
— mM > |
felbſt, Hatte. die ſchwache Seite, immer eine wenig
zuzugeben, wo nach feiner Meinung vie Ehre des
Landes im Spiele war, — „Schau's einmal-an und
komm in zehn Jahren wieder, ‚und wenn es nicht
ſchon über Hundert vaͤuſer zaͤhlt, fo nenne mid < einen
Yankee.“ Ä
Die Drei hatten nun das jenfeitige Ufer des Atcha⸗
falaga erreicht, wo fie ihre Pferde beftiegen, auf
- denen wir fie unterbeffen Iaffen wollen, um und vor»
laͤufig die Gegend zu beſehen, in die ihr Morgentitt
Re bringen wird.
Dreiundzwanzigſtes Aapitei. =
Der Teufel hole die eine Partei und feine
Großmutter vie zweite, ‚fo fin fie beine be⸗
‚rathen. IH babe ihretwegen mehr gelitten,
‚mehr als mienſchliche Kräfte auszuhalten ver⸗
mögen.
. Shalesyeare.
Wir Haben eines langen und breiten Hochlandes
erwähnt, das weit oberhalb der Mündungen des
Miſſifippi plögfich"auffleigt und, nachdem ed mehrere
hundert Meilen dem Norden zugelaufen, fich eben fo
— 01 ⸗—
plöglich wieber in der Nieberung verliert, die dann
nur. noch durch einzelne Hügel unterbrodpen dem Nor⸗
ven zuſchwillt. Es iſt dieſes das wahrſcheinlich auch
unſern Leſern bekannte Upland des linken: over öſt⸗
lichen Miſſiſippiufers, das ſchanzenartig ſich erhebt,
in paralieler Linie mit dem Strome fortzieht, und
auf feinem Scheitel die Hauptſtadt des Miffifippt-
ſtaates mit mehrern Städtchen und unzähligen Pflan⸗
zungen hat. Der Strom, nicht länger durch Infeln
ober Sandbänke gebrochen, wälzt ſich in einem un
geheuren Bette fort, einem überfüllten Troge nicht
unähnlich, aus dem er über beide Ufer herab tief ing
Land hineinfhaut und, gleihfam als verfchmähte er
jeden neuen Zuwachs, die bedeutenden Waflermaffen,
die ihm durch den Arkanfas und rothen Fluß zuges
führt wurden, wieder entläaßt. Dicht unter dem ſüd⸗
lihen Abhang bes erwähnten Hochlandes hat ex ſich
einen jener natürlichen Ausflüffe durchgebrochen, die
unter dem Namen Bayous befannt find, und einen
Theil feiner Gewäfler, wenn fle eine gewiſſe Höhe
erreicht, auf Ummegen dem Meerbuſen zufüßsen und
fo der Berfumpfung eines ber reichften und frucht⸗
barften Länder ver Erbe vorbeugen.
Der Legitime. IL 14
Das Ufer fowohl des Haupiftromes, als des
Bayou oder natürlihen Abzugskanals, Hatte ver
Schweiß ver unglüdlichen Race, die in dieſem Lande
wohl zu ſäen, aber nicht zu erndten heflimmt ifl,
in einen Culturzuſtand verfegt, den man bamals
jenſeits der Alleghanygebirge ſchwerlich gefucht Haben
würde, und ber, nach ver traurigen Nacht der, Tau⸗
fende von Meilen längs dem Ohio und den Mifft-
fippiftrömen fih erſtreckenden Wildniß, dem Auge
eine ber Tieblichften Dafen ver Eivilifation erſchien.
Zwar fah man hier nicht jene wechfelnden Natur-
geftaltungen,, die im Norden den Reiſenden fo ſehr
entzücken, jene Gruppirungen von Belfen und Klüften,
von Hügel und Thal, die, wie Licht und Schatten,
einer Landſchaft erft Charakter geben; aber das Feh⸗
Iende ber nordiſchen Schönheiten war hier reichlich
durch eine Großartigfeit erſetzt, die den Blick des
Beſchauers Ind Unendliche zog. Der Strom war hier
bereits über viertaufend Meilen geflofien, und das
Thal Hatte Fach Tauſende von Meilen beinahe ununter⸗
brochen fortgefentt, und aus diefem flarrten Baum⸗
gruppen empor, die über den hundert Fuß hoben
Naturwall noch weit heraufragten und in ihrer pracht⸗
— 03 —
vollen Farbenmiſchung die norbifche Pflanzenwelt
unendlich Hinter fich ließen.
Unmittelbar an den ſchroff emporſtarrenden Lehm⸗
wall des Hochlandes lehnte ein im Entſtehen begrif⸗
fenes Städtchen, deſſen Häuſer, beinahe zu beſcheiden
für die üppige Landſchaft, ſeltſam mit den mitunter
reizenden Landfitzen abſtachen, die aus dem Hinter⸗
grunde der zahlloſen tropiſchen Baumgruppen her⸗
ausſchauten. Noch ſeltſamer erſchienen mehrere Ge⸗
bäude, die am Eingange des Bayou mit jener Haft
aufgeführt waren, die immer die Anfänge des ame⸗
kaniſchen Anfiedlers bezeichnet. Es waren allem An⸗
ſcheine nad) große Vorrathshaͤuſer, aus Balken und
Brettern zufammengezimmert, von denen eined einen
Wachtpoſten vor dem großen Thore hatte. In einiger
Entfernung jah man einige Eleinere Gebäude, worunter
zwei Schenken, deren eine, ziemlich anfehnlich und
mit einer Schildwache vor der. Thüre, auf etwas
vornehmere Säfte Anfpruch geinacht, und den Namen
eines Gaſthofes, ben fie trug, verdient haben duͤrfte.
Der ganze Vordergrund war mit Slocken ſchmutziger
Baumwolle überfäet, die, gleich kothigen Schnee⸗
klumpen, hier eben ſo wenig, wie dieſe im Norden,
414°
— O4
geachtet zu werden fehienen. Diefe Abzeichen reger
Tpätigkeit gehoͤrten jedoch augenfcheinlich einer noch
nicht ange vprübergegangenen Zeit an; gegenwärtig
herrſchte eine traurig düſtere Stille in der ganzen
Gegend, die nur durch das zeitweilige Rollen zweier.
Trommeln und das gellende Getöne eben fo vieler
Pfeifen unterbrochen wurde. Ä
Nah dem Schalle diefer zwei Trommeln und Pfeifen
ſah man am fer des Bayou, gegen das Hochland
zu, ein ziemlich zahlreiches Truppenkorps mit jener
Langſamkeit und Unbeholfenheit manövriren, die beim
erften Anblide noch Neulinge in der edlen. Taktik
verriethen, denen vielleicht das militärifche Leben eben
nicht fonverlich behagen mochte. Diefe Langſamkeit
oder Steifheit war vielleicht. ven Exerzierenven natür-
lich, nahm jedoch zuweilen den Ausdruck flarren
Trotzes an, der nur unwillig dem Commandowort
zu gehorchen ſchien. Nichts deſto weniger ſah man
hier nichts mehr von jenem bunten Gemenge, jener un⸗
gebãndigten Ausgelaſſenheit, die wir an den Haufen zu
Dpelouſas zu bemerken Gelegenheit fanden; ea herrſchte
hier im Gegentheile ein ſtarrer Ernſt und eine gewiſſe
formelle, ſteife und, wenn wir fo ſagen duͤrfen, ſelbſt⸗
» —— 5 >
fländige Mannszucht. Man fah, daß die Mannſchaft,
ſchon ſeit einiger Zeit eingetheilt, ſich die Uebungen an⸗
gelegen ſeyn ließ, obwohl fie ſich dabei unbehaglich
fühlen mochte. Auch im Aeußern unterſchied fie fi
vortheilhaft von den bunten und meiſtens in ſelbſt⸗
gemachten Stoffen gekleideten Männern des obge⸗
nannten Städtchens. Es waren zwiſchen fünf und
ſechs hundert Mann, Alle wohl, Viele elegant ge⸗
kleidet, die jüngeren Offiziere in reichen Uniformen,
die ältern in ihren Civilröcken und bloß durch Degen,
roth feidene Schärpen und Federbüſche von ben Mili-
zen unterfchienen ; die Mehrzahl mit Musketen, einige
Compagnien mit Stußern ober der fogenannten Rifle
bewaffnet. Diehrere Neger mit Wechſelpferden hielten
im Hintergrunde. |
Was jedoch auffiel, war, wie bereits bemerkt, der
Ernft und die vüftre Stille, mit der alle Bewegungen
flatt fanden. Ausgenommen die Turzen, beinahe
dumpfen Commandoworte hörte man faum einen
Laut, keinen Tadel; die Offiiere mochten entweder
die häufigen Verſtöße nicht bemerken oder, wenn dieß
der Fall war, wurden fie mit‘ einer Nachſicht aufge⸗
nommen, die hier gewiſſermaßen Schonung zum erſten
—d 06 —
Gebote zu machen fehlen. Bloß einige jüngere Offi⸗
ziere mit knapp anliegenden Uniformen, goldenen
Epaulettes und reich verzierten Tſchakos ließen einen
größern Eifer auch in den häufigen /Damns“ be⸗
merkbar werden, die aber weder von den ältern, noch
von der Mannſchaft, beachtet wurden.
Zuweilen nach der Ausführung eines Angriffs oder
einer Retirade hielt das Bataillon ſtille; mehrere
ſchwarze Männer und Weiber, die im Hintergrunde
mit Körben flanden, wurden herbeigerufen, und Bes
fehlende und Gehorchende nahmen brüberli Erfris
[ungen und ftellten fih, nachdem Alle abgefertigt
waren, wieder in Reihe und Glied, um von vorne
anzufangen. u
Mannfchaft und Offiziere fehienen auf das Beſte
mit einander zu harmoniren.
Den Strom. herauf war fehon feit längerer Zeit
ein Dampfſchiff fichtbar geweſen, das nun dem Bayou
zuruderte, eben als ſich das Bataillon in Bewegung
ſetzte, um einen Angriff barzuftellen, der es eine ziem«
lich weite Strecke dem Bayou entlang gegen das am
Hochland lehnende Städtchen führte. Da angelom-
men bielt es, wandte fi und fing an gegen daß
— 0 —
. Stromufer zu vetiriren, wo ed einige hundert Schritte
vom Dampfſchiffe fi in ein Quarré formiite.
- Die Evolution war ziemlich gut gelungen, wenig⸗
ſtens weit beſſer, als irgend eine der früheren.
Das Dampfboot war unterdeſſen in das Bayou
eingelaufen, und die Paſſagiere ſtrömten über bie
Breter and Ufer. Männer, Weiber und Kinder in
ungewöhnlicher Anzahl eilten aus dem Schiffe, als
ob fie gejagt würden. An ven Weibern. war eine
Aengſtlichkeit und Saft zu ſehen, an ben Männern -
ein verflörted Weſen, pas einer Flucht nicht unihn-
lich ſah.
Die Milizen hatten ſchweigend die Herankommen⸗
ven beobachtet. „General Billow!« ſprach Einer der⸗
ſelben aus dem Quarré zu einem auf dem Pferde
haltenven Offiziere, „Dieſe pa feheinen Feine fröhliche
Maͤhre zu bringen. — Wenn's Eu belicht, fo wol⸗
Ien wir zuerft hören, was fie bringen.“ ··
Der General ſprach einige Worte mit feinen Off»
zteven und erwieberte dann: „Gewiß, meine Mitbür-
ger, wir wollen für heute ruhen, und hören, was
unten vorgeht.” Er gab dad Entlaffungdwort und
die Trommeln ſchlugen bie Retraite. Die Stabsoffi-
— 06 &—
giere waren von ihren Pferden geftiegen und Hatten
fih in eine Gruppe gefammelt, auf melde nun die
Mannſchaft und mehrere der Gelandeten zufanen.
Ein ernfter, hoher Mann im braunen Ueberrock uns
ter diefen, und in einiger Entfernung ein jüngerer in
der Capitainsuniform der Linientruppen. Schon die
erſten Begrüßungen. der Hergefommenen hatten Be⸗
flürzung unter den Milizen hervorgebracht, bie nur
allmählig Worte zu finden fehlen und in ein Gemur-
mel des Unwillens überging, aus. dem die Worte
„Down withthe Tyrant,“ vernehmbar wurden. Doc
hielten ſich Alle in Schranken und fahen in fehnfuchts«
voller Spannung auf den Mann, bem die ſämmtli⸗
chen Offiziere einige Schritte entgegengetreten waren.
Die audgezeichnete Achtung, mit welcher fie, ven
General an der Spitze, ihn empfingen, verrieth den
bedeutenden Rang des Neuangefommenen, der, bie
dargebotene Sand der Stabsoffiziere ſchüttelnd, ven
Willkommensgruß der Uebrigen mit einer Verbeu⸗
gung erwieberte.. u
* Er war einige Zeit ohne ein Wort zu fprechen vor
dem General geftanden, der ihn hinwieberum bebeut-
fam anfah und im feiner Miene Iefen zu wollen fchien,
—
— m
als ihm Diefer einige Worte ins Ohr flüfterte, die
den General mit allen Shmptomen des höchſten Un
willens zurüdiprallen machten.
Während die inhaltoͤſchweren Worte im Kteife der
nicht weniger erfchltterten Offiziere herumgingen, war
ber junge Linienoffizier gleichfalls herangekommen.
„General Billow!“ redete er den Miliggeneral: mit
einer militäriſchen Salutation an.
„Sapitain Percy 1” entgegnete Diefer. -
Ein fpiges Lächeln ſchwebte noch auf den Lippen
ded jungen Militärs, das wahrſcheinlich ver etwas
fonderbaren Entlaffung des Bataillond galt; doch
faßte er fi ſchnell und übergab dem Pilitärgeneral
ein verflegeltes Baker. Auch mehrere ver Offiziere
hatten Briefe und Pakete erhalten, deren Inhalt,
ihren Mienen nad zu fehließen, nicht weniger als an⸗
genehm war. |
„Colonel Barker!" ſprach der Capitain zu dem,
dem General zunächft ſtehenden Offiziere. „Sie haben
mich wirklich angenehm überraſcht, und ebenſo wird
es der General ſeyn.“
„Der übrigens nicht fehr erfreut geweſen ſeyn dürfte,
—9 210 ⸗—
fo viel ich ſehe,“ erwieverte der Angefprochene, indem
fein Auge über die Depefchen flog.
„Ah, das gibt fi," verſetzte ver Capitain lächelnd ;
„man wird fie unten ſchon lenkſamer machen.“
„Meinen Sie, Gapitain?“ fragte ver Oberfte.
„Sa, ich meine,* verfehte der Linienoffizier, mund
. babei dürfte ver Dienft nur gewinnen. «
„Und wir verlieren, erwiederte Iener. „Wir find
es fo zufrieden, unn wenn es unten der Fall nicht if,
fo ſeyen fie verfidert, daß. auch und manches nichts
weniger als beifallswürdig erfcheint.«
Diefe Bemerkung hatteeine augenblicklich gefpannte,
von einem Huſten begleitete Paufe zur Folge, ver fein
Enifteßen vielleicgt weniger einem Lungendefekte, als
den zart und wieder ſchroff auseinander ſtehenden Ver⸗
hältniſſen des Offiziers der Linientruppen zu dem
rangvorvern Milizenoberſten zu verdanken hatte.
„Gentlemen!“ ſprach der General, der vie Depefche
durchleſen hatte, „der Befehlshaber ſendet mir Ordre,
fogleih mit dem Bataillon zu ihm’ zu floßen, und
nicht auf Die jenſeits des Miffifippt zu warten. Ich
erſehe,« fuhr er zum Gapitain gewendet fort, „baß
der General Sie zum Commandanten des Depoid er⸗
— zz. — —
— 211 —
nannt und angewieſen hat, die Einübung der nach⸗
rückenden Truppen zu beſorgen.“ Er hielt inne und
ſprach mit mehreren der Stabs⸗ und Oberoffiziere
angelegentlich. Nach einer Weile fuhr er, zum Linien⸗
offizier gewendet, fort: 7 |
„Was den erften Punkt betrifft, fo kam ih für
jet meinen Entſchluß um fo weniger Fund thun, als
diefer von der Meinung meiner wadern Mitbürger
abhängt. Sie werben ihn ſedoch bis morgen früß
Hören. Was Ihr Commando anlangt, ſo wird Ihnen
dad Depot übergeben werden, nämlich dreihundert
Musketen und fünftaufend ſcharfe Patronen; das
Uebrige ift Eigenthum der Counties und der Bürger.
Es verſteht fih von ſelbſt, daß wenn Sie Hier zur.
Ginübung der Truppen verbleiben, Sie i in Ihrer Kaͤ⸗
tegorie als Capitain Generaladjutantendienſte beim
allenfallſigen Stabsoffiziere verrichten. «
Das Geficht des jungen Militärs in ein feines,
kaum merkbares Lacheln verzogen, entfaͤrbte fich ein
wenig, und feine Lippen kräuſelten fi. „General
Billow!“ brach er endlich aus. „Verſtehe id) Sie
seht? Sie wollen ſich zuerft berathen, ob auch den
Befehlen des Eommandirenden Folge zu leiſten fey,
212 >
wenn der Feind zwanzig Meilen von der Hauptſtadt
ſteht ?
„rch Hoffe, Capitain Percy wird die Schranken
ſeiner Aufträge ‚gegenüber einem Offizierdkorps nicht
vergeflen, das freilich nur unter der Sanction! der
Staatsverfaſſung gewählt ift. u
Die letzteren Worte waren in einem Tone ausge⸗
ſprochen, der zwiſchen ſchneidender Ironie und Falter
Strenge die Mitte hielt.
„Die übrigens fufpenpirt iſt,“ verſetzte der Capi-
tain mit einem ſarkaſtiſchen Laͤcheln.
„Wofür Der, der fie ſuſpendirt hat, verantwort⸗
lich gemacht werden n ſot, u erwiederte der General
trocken.
Der junge Militär zog fh ſchnell zurüd.
Die kurzen Mittheilungen, bie wir fo eben gegeben
haben, fielen in dem ſcharfen beſtimmten Tone, der
im Höchſten aufgeregte Gemüther verrieth, die gerade
noch hinlänglihe Selbſtbeherrſchung behalten, um
innerhalb der Schranken des hergebrachten Anſtandes
zu bleiben. Diefe Aufregung war allgemein und ficht⸗
lich groß. Es entfiel zwar Keinem der Umſtehenden
ein Wort des Lobes oder Tadel; aber auf allen Ge⸗
⸗2 13 ⸗—
fichtern war ein ſtiller Ingrimm zu leſen, der nur in
den verſchiedenen Gruppen der noch immer umher⸗
ſtehenden Milizen durch ein drohendes Gemurmel fi
Luft machen zu wollen ſchien. Die Offiziere hatten
einen Kreis um den fo eben angefömmenenen Frem⸗
den gefhloflen und waren in ernflerlinterrebung eine
Meile begriffen, woranf ſie mit ihm dem Dampfſchiffe
zugingen, das er kaum beitiegen hatte, als e& feine.
Fahrt fortſetzte. Die Mannſchaft ſtand noch immer
beiſammen und beſprach fich wechſelweiſe unter einan⸗
der und mit den Offizieren. Endlich trat Einer der
Stabsoffiziere, den wir als Oberſten nennen gehört,
unter die Menge und ſprach einige Worte, worauf
dieſe auseinander ging. Dad Nämliche war das
Offizierkorps im Begriffe zu thun, als es durch eine
Erſcheinung feſtgehalten wurde, die ſeine Aufmerk⸗
ſamkeit mehr und mehr zu feſſeln begann.
Noch ehe dad Bataillon feinen Angriffsmarſch auf
dad am Hochlande lehnende Städtchen angefangen
hatte, waren vom jenfeitigen Ufer zwei Boote abge⸗
ftoßen, von denen das eine anfangs unſchlüſſig ſchien,
welche Richtung es einſchlagen wolle. Es hatte fich
nach oben und nach unten gewandt, war aber endlich
— 14 —
quer über ben Strom auf das Bayou zugefahren.
Es enthielt Datrofen, ihren blauen Tuch⸗ und rothen
Flanelljacken nach zu [ließen ; Einige darunter waren
jedoch befier gekleidet, und Einer hatte durch ein Fern⸗
rohr das Ufer des Bayou ſchon feit einiger Zeitrerog-
noscirt. Erſt als die Offiziere ſich zun Gehen an⸗
ſchickten, fielen ihnen die ſonderbaren Ankömmlinge
auf, die, beiläufig zwölf an der Zahl, herangerudert
famen. Einige hatten Tücher um ihre Köpfe gewun⸗
den, Andere trugen ihre Arme in Schlingen; Meh⸗
rere hatten große Pflaſter auf ihren Geſichtern. So
viel ſich entnehmen ließ, waren fle Ausländer, und
zwar, den verzerrten und verflörten, braunen, gelben
und ſchwarzen Geſichtern nach zu urtheilen, von einer
nichts weniger als achtbaren Klafie. Als wollten fie
der Beobachtung entgehen, hatten fie ihre Rüden dem
Baqyou zugewendet. Der -General winfte Einem ber
Offiziere, und Diefer trat auf die Ankommenden zu.
Das Boot war dem Ufer nahe; fo wie jedoch Die
verbächtigen Ankömmlinge die Bewegung des Milizen⸗
offizter8 bemerkten, ſchoß es in das Bayou hinein,
und dieſes raſch hinab. Auf einmal hielt e3; Einer
ber befier Gekleideten flieg and Land, und trat dem
a a2 za za rn o — — nme
a =
— 15 —
Linienfapitain entgegen, der. fo eben aus dem Thore
des Wachthauſes kam. Er reichte Dieſem mit einer
kurzen militäriſchen Verbeugung ein Papier, verbeugte
ſich nochmals, und eilte wieder zu den im Boote Ge⸗
bliebenen zurück. Nach einiger Zeit kamen Dieſe pas
ufer des Bayou herauf geklettert, und ſchlugen dann
den Weg zum Städtchen ein.
Der Capitain hatte abwechſelnd die ſonderbaren
Menſchen und wieder das Papier angeſehen, und
war dann auf das Offizierforps zugegangen.
„Was hat es mit diefen Leuten für eine Bewandt⸗
niß?“ fragte ver ſichtlich verſtimmte General.
Der Capitain überreichte das Papier. „Lefen Sie,
General, kaum Tann ich meinen Augen trauen. Eine
Siherheitöfarte für Armand, Morceau, Bernarbin,
Cordon ꝛc., Anflevler von Nacogdoches, ausgeſtellt
von den mexicaniſchen Behörben, und u vom
fommandirenden General.“
„Haben Sie nach der Beſtimmung viefer vente ge⸗
fragt ?«
Der Capitain zute die Achfeln. „Die Sanptfaht
tft ihre Beſtimmung, dad Weitere, erwiederte mir
der Mann, wiffe ver General en Chef. Wirklich ein
216 |
höchſt verdaͤchtiges Gefindel, und es ft Hier zu
Haufe zu ſeyn.“ |
«Ah, Mifter Billow und: Varrow! Wie gehts?
Herzlich froh, Euch wieder zu ſehen. Wohl! Ihr
nehmt Euch ja prächtig aus in Euern Federbüſchen,“
ſprach eine verbe, breite, genehnte Stimme, die uns
ferm Squire Copeland angehörte, der, fo eben auch
mit feinen Gefährten und Pferden Dom zweiten Boote
gelandet, und die legtern einem in der Nähe flehen-
den Neger übergeben hatte, auf feinem breitsändri=
— gen, vieledligten Quäkerhute ven befagten Federbuſch
hatte, fonft aber noch ziemlich in der Garderobe ſtak,
von der wir: oben eine ausführlicdere Beichreibung
geliefert haben. .
n@entlemen !# ſprach er,-halb ernft und halb la⸗
hend, „Ihr feht nun Major Copeland vor Cuch.
Morgen kommt mein Bataillon nad. «
„Willkommen denn, Major!" Sprachen ver Major
und ſämmtliche Offiziere mit einem Grufte, ver die
etwaß gebehnte Nenfeligkeit de neuen Waffenbruders
ein wenig Türzen zu wollen fehlen:
„Und Diefe da,“ fuhr der. Major fort, der den
Wink nicht verſtand ober verftehen wollte, „bürftet
— 2317 9
Ihr vielleicht für meinen Adjutanten halten ; aber ven.
Ginen kennt Ihr, es iſt Dick Gloom, unſer Countys
conſtable, und der Andere, auf den Britten weiſend,
der iſt, ich weiß ſelbſt nicht, was ich ſagen fol.“
"Dann will ich: Euch darein helfen,« fiel der Britte
ein, des über die feltfame Aufführung ungeduldig ges
worden war. ⸗Ich bin.ein Engländer, Midſhipman
in ſeiner Majefut Fregatte der Donnerer, ven Miß⸗
geſchick von den Seinigen geriſſen hat; ich bitte um
ſchnelle Unterſuchung und Verichte an Euer Saupf-
quartier · u
Der General maß ben. vorſchnellen Sprecher mit
einem flüchtigen Blidde, und begann: dann das ihm
vom Squire eingehändigte Protokoll zu überjehen.
Nochmals warf er auf ven jungen Dann einen Blid,
und dann übergab er das Papier dem Capitain. —
„Das tft Ihe Departement,. Capitain Percy; leiten
Sie das Nöthige ein.“
Auch der junge Offizier maß den Zungling mit
einem forſchenden Auge, ‚und rief, als er geleſen, der
Ordonnanz.
„Nehmt dieſen jungen ef gm in engen Gewahr
Der Legitime. IL 15
—
9 8 &—
fam. Ein Mann mit feharf geladenem Gewehre vor
feine Thüre. "Jeder Zutritt firenge unterfagt.“
„Ich weiß wirklich nicht, welcher ver Berpächtige
ift, dieſer ſeyn follende Spion oder die fonberbaren
Geſellen, die uns da: vor der Nafe Reißaus nehmen, #
hob der Beneral nad) einer Welle an. - |
Unfer Squire hatte, ohne eine Mime zu verziehen,
dem kurzen Besfahren des Linienoffizierd zugeſehen.
Er wandte fi num. wieder zum General; — „Der
wäre num einftweilen aufgehoben, « brummte er ihm
zu. —
„Aber wie ſeht Ihre doch aus, General Billow
und Colonel‘ Barker? Ihr ſeyd ja fo verflört; —
erſt jetzt bemerke ich es.“
„Wir haben einige Urſache, Squire,“ ſyrach der
Erſtere. „Ihr ſeyd zu einem harten Strauße wie
‚gerufen gekommen. Ihr werdet hoͤren.“
SE Der unten? Ih habe fo etwas drüben
munfeln gehört. Ja e8 wird etwas koſten, ven Teu⸗
fel aus "Dem berauszutreiben. Wohl, was meine
MWilvfänge betrifft, mit denen muß er glimpflich
umgehen, vie find noch immer halb Roß, Halb Alli⸗
gator, und ein wenig drüber. Haben mirnochgeflern
. — 219 —
da. einen -Sput gemacht, juſt als ich am Fruͤhſtück
ſaß, ſtürzt mir der Haufe auf's Haus los, und bei
einem Haar hätten fle’8 mitgenommen. Wupte nicht,
was daß zu bebeuten hat, da kommt aber Joe Drum
und Sam Stab und wollen mir den Jungen mit. aller
Gewalt zum Spion machen. Der ſchmuckſte Burſche,
den es geben kann. War ſchon halb und halb geſon⸗
nen, durch die Finger zu ſehen, aber als wir da bei
Tiſche ſaßen, da munkelte er mir etwas von Tokeah,
und als die Meinige der weißen NRoſa gedachte Ihr
wißt ja, Colonel Parker, die weiße Roſa, von der
ich. Euch fo oft erzählt, da ward er. Euch doch ſo roth,
wie ein wilder Truthahn unterm Schnabel, Dacht
mir, da fieht's doch nicht fo ganz richtig aus, und
nimmſt In mit. Ihr wißt, der Häuptling Tokeah,
ber und vor fünfzehn Jahren fo vielen Spuk gemacht.“
„Tokeah, der Häuptling dev Oconeestu -. -
„Derſelbe,“ fuhr der Sauire fort, „Ich kam zus
fälliger Weife auf joiren Namen. Da platzte er auf
einmal heraus: Tokeah? Ihr. Tennt ihn ?“ und als
Mistreß Copeland Bir ‚weiße Roſa man, vor ber
ich Cuch zählte — s
‚Aber, lieber Major, dieſer umftand iſt doch wich⸗
158
— 29
tig, und ich vermiffe ihn ganz im Brotofoll, ſprach
der General verweiſend.
„Isa, er wird ein Narr ſeyn,« orsfeßte ber. redſelige
Friedensrichter, „und Cuch das auftiſchen. Ich hatte
den Kopf fo voll, daß ih ihn erſuchte, den Plunder
felbſt aufzuſetzen. u
Die Offiziere ſahen ſich Sebeutfam an: „Fürwähr,
Squire,u ſprach der General, „Ihr macht Euch Eure
Amtsbürde leicht. Wer hat je gehört, einen Spion
fein. eigenes Protokoll auffegen zu lafſen, und einen
Ausländer, wie Fonntet Ihr Euch und uns eine ſolche
Bloße gebentu .
Der Squire kratzte fich Hinter ven Ohren: „Damn
it, you are right.“ . \
„Ohnehin,“ ſprach der Capitain in etwas weg⸗
werfendem Tone, „würde ein gehöriges Protokoll von⸗
nöthen geweſen ſeyn, um es mit einer Einbegleitung
hinab zu ſenden. Darf ich bitten, die Zeit zu beſtim⸗
men, wann es gefällig, dieſes vornehmen zu laſſen?«
In einer halben Stunde, erwiederte der General,
worauf ver Gapitain fich mit einer Verbeugung ent⸗
fernte. g „
Die Offiziere Hatten fich umterbeffen vem Gafthaufe
— 21 —
genähert, das in geraber Line mit den Bluffs Ing,
auf welche vie verdachtige Truppe zugeeilf war. Sie
ſchien in großer Eile, vor der Ankunft ber Offiziere
dle Höhe des Staͤdtchens zu gewinnen, war aber durch
die Langſamkeit Einiger, die nur mühſam fort konn⸗
ten, in den Wendungen des Fahrweges zwiſchen dieſe
und die Ordonnanz mit dem Gefangenen gekommen.
- Den Reptern hatten die auf ihn Zueilenden ſtarr an⸗
gefehen; kaum hatte ihn aber ver Vorderſte erblickt,
als Dieſer betroffen ploͤtzlich den Rücken wandte.
Der Britte war ſchnell auf die Seite geſprungen,
hatte den Mann ſcharf ins Auge gefaßt, und war
im Begriffe, auf ihn Toßzuftürgen, als ihn bie Or⸗
donnanz unſanft am Arme ergriff, und vorwärts
deutete.” |
„Halt!“ ſprach der Singing, ndiefen Menſchen
kenne ich!“
‚Mag feyn ;u erwieberte bie Orbonnanz trocken,
„vorwarts!“ u '
mRaftmich," rief Jener. „Das ift der Seeriuber⸗ a
„Seeräuber ?« ſprach der Milize, der mit einem
Satze den jungen Mann wieder erfaßt hatte. „Wenn
Ihr mir nochmals ſolche Sprünge macht, dann trage
+ m—
ih Euch in Euern Behälter‘, aber Eure Knochen
werden's noch nad) acht Tagen fpüren. — Der junge
Menſch da ſagt,« redete er die herankommenden Ofſi⸗
ziere an, RT: ver Mann da ein Seeräuber ſey.“
u Befolgt bie Euch ertheilten Befehle,“ ſprach der
General, ohne die zwei eines Blickes zu würbigen.
Der Jüngling wurbe ein wenig blaß, und pie Ors
donnanz ſchob ihn mit einem nochmaligen rauhen
„Vorwärts!“ weiter.
„Und Ihr?“ wandte ſich der Milizgeneral zu den
Ausländern.
Es trat Einer vor, deſſen Geſicht zur Hälfte mit
einem ſchwarz ſeidenen Tuche verbunden war, wah⸗
rend die andere, von einem großen Pflaſter bedeckt,
bloß ein graued Auge ſehen ließ. Der Mann ver⸗
beugte fich leicht und ſelbſtgefällig.
„Wie ich ſehe ‚" begann der Geſelle, „ſo habe ich
bie Ehre, Miligoffziere vor mir zu fehen, die fh
zum Strauße für unten richten. Wenn Sie, wie ih
hoffe, Morgen abgehen, fo werben wir dad Vergnü⸗
gen haben, Ihnen Geſellſchaft zu leiſten.“ .—
n Sehr gütig ‚u verſetzte ver General.
„Nicht blöde,“ meinte der Squire.
223 ⸗—
Der Oberſte ſchwieg.
„Auch wir ſind geſonnen, a fuhr der Kamerad im
leichten gefälligen Tone fort, „unſer Scherflein auf
dem Altare des Landes der Freiheit darzubringen, des
beglückenden Aſyls der Müden und durch Tyrannen⸗
willkür Verfolgten. Wer wird nicht fein Theuerſtes
wagen für das höchſte Erdengut ?
„Ihr ſeyd freigebig mit Eurem Theuerſten,“ ent⸗
gegnete der General trocken. „Dan, wirft nicht leicht
etwas weg, dad noch einigen Werth hat.“
„Gewiß nicht," erwieberte der Ausländer, „aber
Wer da nicht glüht, wenn das Freiheitsfeuer lodert,
der iſt ein Feiger.“ oo
- „Immerhin würdet Ihr beffer thun, für Euer eige-
nes Land zu glühen, und und die Sorge für dad
unfrige zu überlaffen,“ ſprach ver General. „Auf
jeden Fall kann Euer Mexieo Eure freieitoglühenben
Seelen. beſſer brauchen.“ —
„Bir find zu ſtolz, unter Piaffen zu dienen; “ ver⸗
ſetzte der Mann, „wir haben unſre Dienſte da ange-
boten, wo Ehre zu ernteit ifl. — |
„Für Euch vielleicht, abgg.nicht für ung; " awie⸗
derte der General mit ſichtlicher Verachtung.
— m —
* Der Angefprochene trat floh; zuräd.
„Woher Fommt es,“ fragte nun der General ein
wenig ſchaͤrfer, „daß Ihr „ obgleich verwundet, fo
weit geht, um Euch in einem fremben Dienfle neue
Wunden zu holen ?«
„Ein Haufe Dfagen, dem wir begegnet find, hat
diefe Wunden theuer bezahlen müffen. Vebrigens
find wir nicht ganz fremd; fehon feit Jahren mit ver
Hauptſtadt in Verbindung, haben mir Produkte von
unfern Pflanzungen mit und, vie nachkommen.“
„Und Diefer da,u ſprach der Oberfte, ver ſchon
feit laͤngerer Zeit die Abenteurer fixirt hatte, auf pie
er nun losging, und Einen erfaſſend, Diefen trog alles
Sträubend hervorzog. „If Diefer auch Einer, der
fein Scherflein auf ven Altar des Landes der Freiheit
nieverzulegen gekommen iſt?“ Er flug mit vieſen
Worten dem Manne feine Müge vom Köpfe und mit
diefer ‚fiel ihin auch der Verband von der Stirne.
„Bei Jingo! das unfer' Bompey ſeyn, der Mafia
John in der Stadt davon gefprungen,“ Ticherte der
Schwarze des Oberſten, der einige Schritte ſeitwärts
mit den Pferden hielt.
Pompey Maſſa nn tennen, Pompey ein Meri⸗
€ u y u = = “s wa
1.
caner; win Maffa angehen ſchrie der entlaufene
Neger.
„Du ir mich kennen kopen". nah der. Mili⸗
zen⸗Oberſte. Ordonnanz! nehmt einſtweilen dieſen
Mann da hinüber, und legt ihm zur Vorſorge Su
und Halseiſen an .
. „Ihr bleibt hier,“ ſprach ver Generali in. befehlen⸗
dem Tone zu dem Manne, ver gleichgültig und. ohne
"im mindeften feine Yaffung zu verlieren, dem Ergrei-
fen ſeines ſchwarzen Gefährten zugeſehen hatie.
„Auf Ihre Gefahr, Herr Offizier,“ erwiederte er.
„Wir find angewieſen- ſhlennigſ im vauptauartier
‚einzutreffen.” ·
„Der Arzt wird Euh— unterfuien , und ſeyd hr:
wirflich verwundet, fo mögt Ihr Euch einen zeitweis
ligen Aufenthaltsort wählen ; — wo nicht, " ift das
Sefängnip Euere Wohnung.“
„Herr Milizoffizier — u ſprach der Mann RR
Bemüht Euch nicht weiter ‚u entgegnete der Ge⸗
neral kalt, „dem Kommandirenden wird Nachricht
von Euerm Cintreffen zugeſandt werden,: das uebrige
werdet Ihr erfahren.” ·
Der Marobsur trat näher heran, und ſchien noch
— >
etwas auf dem Herzen zu haben; allein ver General
hatte igm ven Rüden gewendet, und ging mit feinen
Degleitern dem Gaſthofe zu. Ein Zug Miligen, der
von dem Wachtpoſten kam, nahm nun die Bande in
Empfang und führte fie in Die Wachtſtube.
Vierundzwanzigſtes Kapitel.
Das iff ein Iebendiges Buppenfpiel. — Run
will ich glauben, daß es Ginhörner gibt, daß
- In Arabien ein gewiffer Baum if, ter Thron des
Phoͤnix, der bis anf dieſe Stunde da regiert. —
Shakespeare.
Die. Nacht war ſchon hereingebrochen, als die drei
Milizoffiziere mit dem Liniencapitain aus dem Gaſt⸗
hofe zutückkamen, und den Weg längs dem Bayou
in derſelben vüftern Stimmung einſchlugen, mit ver
fie diefen betreten hatten. — Eine geraume Zeit waren
fe, one ein Wort zu ſprechen, fortgeſchritten. End⸗
lich brach der Squire das Stillſchweigen.
„Run bei allen Maͤchten! Wenn mir Einer dad
noch vor vierundzwanzig Stunden. gefagt hätte, ich
würde ihn für. einen Beolamiten gehalten Haben.
we
Alfo tft er auch bei und zege goworden, biefer ver-
fluchte Herrſchergeiſt, und ver Narr möchte. auch noch
gerne in feinen alten Tagen ven Boni fpielen. Und
feine Kentufier und Tenneſſeer jubeln hoch auf.“
„Das weiß ich eben nicht; er trinkt zwar gut demo⸗
kratiſch mit ihnen, aber das Weitere follte ich bezwei⸗
feln,“ erwiederte der General.
„Alſo unſerer Legislatur gerade bedeutet, fie könnte
fh heimſcheren, Senat und dAſſemblz, und genirten
ihn nur?“
„So etwad.u —
„Und als fie ven derben Binf nicht verflehen woll⸗
ten, fo ſchloß er die Thüre des Gouvernemienthaufes,
und ſteckte, wie der alte Rundhut, die sort zu
ſich? 24
Der General nickte.
„Und der Judge, der den Mifter — wie hetßt RR
— aus dem Loche befreit, mußte ſelbſt hinein?“
„Für Das,“ entgegnete ver Oberſte, „wird er auf
jeven Ball theuer büßen müſſen. In der Hauptſache
jedoch mag er Teer ausgehen, und das iſt's, was ich
fürchte; ; beſonders wenn ihm gelingen folte, den An⸗
griff auf die Hauptfladt abzuſchlagen.“
— 8 >
.nWie ſo?u fragte der Squire.
"Seht Ihr dieſes nicht?» verſetzte der Oberſte.
„Glaubt Ihr‘, daß ber fiegtrunkene Haufe Länger an
feine Verbammung und Beſtrafung denken wird‘, im
Falle er einen bedeutenden Vortheil über ven Feind
erringen follte ; oder daß nie Kühlern e8 wagen wer⸗
den, ihn zum Rechenfchaft zu ziehen und ſich dem Ge⸗
ſchrei ſchnöder Unvankbarkeit auszuſetzen ? Leider iſt
unſere Nationaleitelkeit in dieſem Punkte noch ſo weit
zurück, wie die der alten Welt, wo die beſten Naufer
und legalen Todtſchläger mit Bändern und Sternen
geziert werben. Ein Sieg bei uns wird eben fo thö⸗
richten Jubel Hervorbringen, ‚wie jenfeit8 des Meeres.“
Nun, im Grunde geſagt, Oberfter, könnte ich
- mich ſelbſt freuen, und ihm wirflich etwas durch Die
Singer fehen, wenn er mir die Rothroͤcke recht burg
bläuen wollte. «. Ä
"Sa, ja, lieber Squire!u fprach der Oberſte ihm
auf die Achſel klopfend, „Ihr ſeyd ein geſcheidter
Mann, und denkt fürs Land jo wohl als irgend
Einer; ‚aber mit allem Eurem guten Willen würbet
Ihr mithelfen, und noch tiefer in ven Schlamm hinein
zu ſtauchen! ‚und warum? weil eine Saite Cures
9
Patriotismus berährt ift, Die unter. allen sonme die
ſchwächſte if.“ | |
Aber zum Teufel,“ fiel ihm ter Sauire ein, „wir
können doch nicht ſelbſt wuͤnſchen oder · helfen wollen,
daß wir Schläge bekommen, und die Feinde uns vie
Haͤuſer über dem Kopf anzünden, und mit unſern
Weibern und Töchtern — — das wäre ja über die
Danfeed, Die- haben fi wenigftend auf anie Art a aus
dem Staube gemacht. ·⸗
„Und Wer will das ?⸗ verſetzte der Dserfe. er
mich betrifft, fo ſteht mein Entſchluß feſt. Mein Be⸗
fitzthum iſt mir ſo werth, als es irgend Einem ſeyn
kann, denn ich bin ſelbſt deſſen Schöpfer. Aber eher
wollte ih, daß. der Feind das Ganze in Flammen
auflodern Tiefe, als ein Jota meines Rechtes verküm⸗
mert wifien. Ich habe den Staat aufziehen ‚geholfen,
und will meinen Kindern ein- freied Erbtheil hinter⸗
Iaffen. . Wir find,“ fuhr er mil Nachdruck fort,. „hier
zuf ammengefommen, um die angedrohte Befitznahme
unfered Landes dem Feinde zu wehren, 'aber nicht,
um und: unfere angeborenen. Rechte entriffen zu fehen
und, während wir einen Feind verjagen, uns ſelbſt
durch einen tollern eine unheilbare Wunde beibringen
220 —
zu laſſen, der vergißt, was er ſich ſelbſt und ſeinem
Lande ſchuldig iſt und wegen ein paar tauſend elender
Britten ven Kopf verliert.“
„Das Land wird Ihre Anſtrengungen ehren," er⸗
wieberte ber Capitain mit verbiffenem Grimme, „aber
glauben Sie mir, daß noch etwas mehr vonnöthen
iſt, um mit ſechstauſend Milizen fünfzehn- bis zwan⸗
zigtaufend ber beflen Truppen ver alten Welt zurück⸗
zuſchlagen. Selbſt bei dem raſcheſten Zuſammenwir⸗
Een können wir. kaum hoffen, den Sieg zu erringen.“
„Sechstauſend Männer, Capitain,“ erwiederte der
General, „muͤſſen Sie ſagen, die für Herb, Heimath
und’ihre Fretiheit fechten. Ich kenne dieſen Geiſt. Er
iſt unůberwindlich; aber beugen muß man ihn nicht
wollen, nicht dem Stolze des Feindes durch eine That
ſchmeicheln wollen, die Verachtung verdient; — es
iſt politiſcher Selbftmord, was er gethan hat.“
„Gs iſt,“ fiel ihm der Oberſte ein, „Aufhebung
aller geſetzlichen Autorität, Bereinigung aller Ge⸗
walt in einer Berfon, eine Dictatur de facto, und
fo mwenig fle in ſeiner Hand gefährlich ift, fo Tann fie
dieß in einer zweiten, geſchicktern und kuͤhnern werben. «
aDas ſehe ich wieder nicht,” fiel ver Squire ein.
—, 331 —
„Wenn er heute den Feind von ver Hauptſtadt weg
gejagt, fo. treten morgen die Autoritäten wieder in
ihre Wirkſamkeit ein. 4
- „Wer zweifelt daran ?/ entgegnete ihm berOberi.
„Aber verdient das auch noch den Namen Autorität,
das nur beſteht, wenn Teine Gefahr va ift, und, fo
wie biefe fich zeigt, fufpenpirt wird, der Willkür
weist? Zeigt ein. ſolches Benehmen nicht offen-
bar, daß wir unfre freie Verfaffung ſelbſt nicht für
zureichend in Tagen ber Gefahr erkennen, wenn das
Erſcheinen von fünfzehn oder zwanzigtauſend Frem⸗
pen hinreicht, fie aufzuheben? Es iſt dieſes ein Schlag
unferem Nattonalgefühle verfeßt, ‚den nichts entſchul⸗
digen Tann, der eine töhtliche Eiterung zurücklaſſen
und Vorbild in künftigen Fällen werben kann ⸗“·
„Aber er hat nun die Vollmachten von der Bun⸗
desregierung,“ entgegnete der Capitain.
.n Das alte Weib in der Bundesſtadt ſchreibt und
ſchwatzt Staatsrecht trotz Einem,“ verſetzte der Squire;
„wenn es aber darauf und daran kommt, ſo iſt er
Samiltonianer über den alten John, und verliert den
Kopf, wie er ihn Hinter Baltimore verloren hat. . Ihr
— 39 ⸗—
habt Met, Oberſter, diefer Dictatur müſſen wir
ein Ende machen, und wir geben zufaınmen. «
„Und wenn der Feind ben General angreift und
überwältigt 24 fragte der Gapitain.
. „So. wird er heſchlagen 3. verſettte der. —*
trocke. |
„Colonel Parker! Ya fiel der Squire ein. „Da geht
Ihr wieder zu weit. Daß wäre noch ärger als bie
Hartfort-Eonventioniften. Ich möchte nicht gerne für
einen Lanbeßverräther gehalten werden.“
„Noch wirza erwieberte der Oberft. „Darum iſt
weine. Meinung die, bie Beſchlüͤſſe abzufaflen, die
Eurigen abzuwarten, ihnen dieſe vorzulegen und dann
hinabzugehen. Zwei Tage find für dieſes hinreichend.
Uebrigens, Squire, ſeyd Ihr ein freier Mann, und
handelt wie Ihr wollt. Was mid betrifft, fo ſteht,
wie gefagt, mein Entſchluß feft, und ich Hoffe, meine
Mitbürger werben biefen bilfigen.“ -
Aber Sie bedenken doch,“ fiel Hier der Gapitain ein,
ndaß hier von Feiner Verlegung ver MRechte der Buͤr⸗
ger die Rede iſt, ſondern bloß von einer zeitweiligen
Centralitãt, um die gemeinſamen Kräfte deſto wirkſa⸗
mer gegen den Feind in Anwendung zu bringen?“
—) 33 ⸗—
„Das ift ja. eben ver Bunkt, um ven es fi han⸗
belt,“ verfegten vie brei Offiziere. u
„Und das böfe Beifbiel, das dieſe Oppofition zu
einer Zeit geben muß, w o der Feind vor der Haupt⸗
ſtadt ſteht. Sie nehmen eine furchtbare Verantwort-
lichkeit auf fich .
„Man fieht wohl, Capitain, a ſprach der Squire,
„daß Sie in der Linie ſtehen. Was meine Männer
betrifft, ſo iſt Keiner, der ſich nicht heute mitten unter
die Feinde ſtürzen würde, aber nicht Zehn unter den
Fünfhundert, die mit Ihrem Generale, nah dem,
was er gethan, vor die Thüre gingen. Nur wenn
das Geſetz und Die Gefeglichkeit hergeſtelt iſt, werden
fie dieß thun.“
„Ja,“ ſprach ver General, der im tiefen Nach⸗
denken fortgeſchritten war, med iſt zu unſerer und
des Landes Beruhigung vonnöthen, daß wir ſeinen
Gewaltſtreich entkräften, der uns und den Unfrigen
nothiwendig das Vertrauen auf ung felbft benehmen
muß.” |
Es war bei aller ſcheinbaren Mäßigung und dem
hohen Anftande ver Sprechenden ei eine gewiſſe Heftig-
Der Legitime. I. 416
— 3 e—
feit. und Bitterfeit des Gefühls zu bemerfen, ber
man es anſah, vaf ed Mühe koſtete, ven verbiffenen
Ingrimm zurüczubaltn. Der junge Linienoffizier
befonders Hatte kaum das Ueberftrömen feiner Em-
pfinplichfeit verbergen Eönnen. Er verbengte fih, nun
raſch und war im Begriffe fich zu entfernen. _
„Ste feinen bewegt, Capitain Percy,“ fprach ver
Oberſte, „was tft e82u
"Was es tft, Oberfter? und Sie fragen, im
Augenblide, wo Sie auf dem Punkte ftehen, eine
Oppofition gegen den. General zu organifiren, die
und dem Feinde in die Hände liefern, vder den Ge⸗
neral zwingen muß, feine Drohung zu verwirklichen ?“
„Drohung !a fiel der General ein. „Ich habe ge=
Hört von diefer kategoriſch ſeyn follenden Erklärung ;
ex würde die Kartford-Gonventioniften gehängt haben,
wäre er zugegen geiwefen. Und wenn er flatt feiner
breitaufend Kentufier zehntaufenn hätte, fo wird und
Diefes Fein Haar breit von dem Wege unferer erfann-
ten Rechte. bringen. DBerlaffen Sie fi darauf, Ca⸗
pitain, wir werben bie feinigen genau prüfen, ihm
als Abgeordneten des Cabinets, als höchfter Auto⸗
rität, Gehorſam leiſten, wie es die Conſtitution for⸗
—9 235.9
dert; ihm als Männer widerſtehen, wo er fle üher-
tritt; ihn verdammen in dem, worin er bereit ges
fehlt Hat. Dieß wollen wis heute, unbefümmert um
feine Drohungen, ald Männer tfun, und als folde
wollen wir ihn in die Schranken der Geſetzlichkeit zus
rückführen und feinen Trog beugen.”
„Sa, das wollen wir,“ ſprach der Oberft; „und
nun, lieber Gapitain, wenn Sie mit und fommen
wollen, um eine Eleine Stärkung zu nehmen, fo find
Sie willkommen. Wir werden fie wahrlich braugen. u
Der Capitain verbeugte fi. jedoch ſtunm und
wandte fich. —
„Ein vortrefflicher junger Mann,“ bemerkte der
Oberſte, „er hat ſich unvergleichlich wacker gehalten;
aber zwei Jahre Dienft in der Linie haben ihm ven
Kopf fo verrüdt, das er für feinen Chef und fein esprit
du corps dad ganze Land uf bie Degenfpiße ſeben
würde.“ —
„Für einen kunftigen Schwiegerſohn wäre er air
jedoch zu brittiſch⸗militäriſch,“ entgegnete der Squire.
„Das gefällt wieder den Mädchen,“ verfegte der
etwas betroffene Oberſt; übrigens thut er feine
Pflicht und fpricht als gebundener Dann. Ein wenig
16°
2226 —
zu viel ſchavet nicht, wo wir bie Mittel Haben, vie
allzu üppigen Auswüchſe zu beſchneiden.“
Die drei Offiziere waren nun gegenüber einem
Landhauſe angekommen, deſſen Hell beleuchtete Fenſter
durch das Gebüſch herüberſchimmerten. Sie ſtiegen
in ein Boot, das ihrer harrte, und landeten am jen⸗
ſeitigen Ufer, um einige Erfriſchungen zu nehmen
und dann ruhig und gelafſen zu einer Zuſammenkunft
zu geben, die in einem andern Lande vielleicht Ströme
Bluts gefoftet oder den Umfturz der Orbnung der
Dinge zur Eolge. gehabt" haben dürfte; denn nichts
Geringeres bezweckte dieſe Zuſammenkunft, ald einen
von der oberſten executiven Behörde der Nation bei⸗
nahe mit ſouverainer Vollmacht bekleideten General
nicht nur in ſeine Schranken zurückzuweiſen, ſondern
fein Betragen auch da, mo er dieſe übertreten, im
Angeſichte diefer Nation zu vervammen; und dieß in
einem Zeitpunfte, wo der Feind fo eben mit einer
bedeutenden Heeresmacht ind Land gevrungen war.
So 'beivundernsmürdig ift jenoch der Geiſt dieſes
Landes, und fo ſtark tritt die Verſtandeskraft in ver
ewigen Reibung und Uebung hervor, daß felbft die
drohendſten Gefahren dieſen öffentlichen Geift weder
— 237 9
irre machen, noch ‚von dem richtigen Gefichtspunkte
ablenken Fönnen: Langſam und beäctig, Alles er⸗
wägend und ermeſſend, tritt er hervor, nun anſchei⸗
nend Falt und herzlos, gleich dem Zeiger einer Uhr
langweilig fortkriechend, und, wieder als ein heftiges
Gewirre brütender Leidenschaft und gehäffiger Selbſt⸗
fugt ; abet eben aus diefem Treiben erſteht das har⸗
monifche Refultat, das Millionen an einander Enüpft,
weil in dem Zungen- und Federkampfe alle Intereſſen
und Meinungen verſchmolzen find. Darin liegt er,
dieſer wahre Geiſt des Freiheitslebens, daß fich die
beſte fo mie die ſchlimmſte Natur unumwunden im
Meinungskampfe darthun mag, ſich ausſpricht und
abſpiegelt; denn das Böſeſte verliert ſein Gift, wenn
es erkannt und gewürdigt iſt, und das rein Vernünf⸗
tige allein erſteht und wird zum belebenden Prinzipe.
Es iſt ſchwierig dieſes republikaniſche Leben, das
ſchwierigſte das es gibt; denn zart iſt die Grenzlinie
des Rechtes, und leicht iſt fie überſchritten, wenn
nicht die Millionen mißtrauiſch wachen. Darum iſt
es nur bei einem Volke moͤglich, wo die Verſtandes⸗
kraft die hoͤchſle ‚Stufe erreicht, wo ſelbſt pofitiver
Widerſtand gegen den Machthaber noch die Grenz⸗
-238 ⸗—
linie feiner Pflicht erkennt, und fo, ohne in Verwir⸗
zung und Anarchie audzuarten, feine Rechte behaup-
tet oder die verlorenen wieder erobert.
Der Capitain Hatte einen Tangen jehnfüchtigen
Blick über dad Bayou hinüber auf bie hell erleuchte⸗
ten Fenſter geworfen, und war dann dem Bafthofe
zugeeilt, aus dem er mit den drei Offizieren gefommen.
Bei feinem Eintritte befahl er ver Ordonnanz, den
gefangenen Britten und brei der Ausländer vor ihn
zu bringen; dann fehritt er feinem Zimmer zu, in
dem ein Dann in der Uniform eined Sergeanten ver
Rinientruppen an einem Tiſche ſchrieb. Diefem be-
deutete er, fich für einige Zeit zu entfernen, und warf
fi dam gedankenvoll in einen Seffel. — Nach einer
Weile trat der junge Britte in Begleitung eines be⸗
waffneten Miligen in dad Zimmer.
„James Hodges,“ ſprach der Gapitain, mit freund»
licher Stimme, während fein Auge forſchend auf dem
etwas nievergefehlagenen Sünglinge ruhte. „Ich habe,
ehe ih dad Protokoll ſchließe, um es an ben kom⸗
manbirenden General abzufenden, Ste noch einige
Punkte zu fragen. Geben Sie mir ie eufeißtige wahre
Antworten.
—) 239 —
nSeyen Sie verfidert, Capitain, daß fein un⸗
wahres Wort je über meine Zunge gefommen. « |
„Sie fagen, Sie feyen vom Seeräuber von Ba-
rataria aufgehoben tvorben ?“ |
- „Sp ift ed, und wenn Sie ſich bemühen wollen,
in unferem Hauptquastier nachzuforſchen, werden Sie
die Wahrheit meiner Ausfage beftätigt hören. Um
dieſes bitte ich dringen.“
„Ste haben,“ fuhr ver Eapitain fort, „bei Ihrem
. Berhör in Gegenwart des Generald und ber beiden
Stabsoffiziere etwas fallen laſſen, daß der Seeräuber
unter den angefommenen Ausländern tft 2«
„So ift ed, ich Habe ihn 'gefehen, "und war auf
ihn zugeeilt,, als mich der Milize zurüchhielt. u
„Haben Sie ihn erfannt ?«
„Richt im Gefichte, das vermummt war,. aber
feine Haltung, feinen Gang, feine Geftalt find mir
unausloſchlich eingenrüdt.« .
Es traten in dieſem Augenblicke drei Männer in
das Zimmer, von denen ver Mittlere im Gefläte
vermunmt, ein Anderer den einen Arm in der Schlinge
trug, und der Dritte ein ſchoͤner, junger, olivenfar-
biger Jüngling war, veffen Gefichtszüge und blitzend
— 20 —
ſchwarze Augen ven Mexicaner deutlich verriethen.
Sie traten unbefangen vor den Capitain, der fie ars
tig grüßte.
„Erkennen Sie Einen diefer drei Männer ?? fragte
ver Capitain.
nDiefer da iſt es,« erwieberte der Gefangene, anf
den Mütleren zutretend, „das ift der fogenannte See⸗
räuber von Barataria.“
Der Beſchuldigte war Talt und gleichmuͤthig da
geſtanden.
„Was will dieſer junge me Trage er den
Capitain.
„Ihr habt es gehoͤrt; 3“ erwiederte Dieſer, den
Mann ſcharf ſtrirend.
„So habe ich, und ich weiß nicht, ſoll ich mich
mehr über die Unverſchämtheit des jungen Menſchen
ärgern oder über feine Tollheit lachen.“
„Capitain,“ rief ver Gefangene, nich verſichere
Sie auf meine Ehre, ih ſchwoͤre es Sue, dieß iſt
der Seeraͤuber.“
WVielleicht, junger Menſch, Habt hr das Hand»
werk getrieben. Wenn Ihr noch drei Tage bier ſeyd,
fo werdet Ihr unfre Produkte nachkommen fehen, bie
— a ⸗—
Eu beweifen follen, Daß wir Diejenigen find, wo⸗
für wir und ausgeben.“
» or Capitain warf einen feharfen Bi auf ven
Gefangenen, der abwechfelnn leichenblaß und glͤhend⸗
roth wurde.
„Sch will ihn fignaliſiren,“ rief er. „Ih bin übe⸗⸗
zeugt, ich taͤuſche mich nicht.
„Wenn der junge Menſch mich meint,“ fuhr ber
Verwundete zu dem Capitain gewendet fort, „fo will
th aus Achtung für Sie, Gapitan, und um Ihnen
allen Argwohn zu benehmen, meinen Verband ab⸗
löſen.“ Er riß das Tu vom Kopfe und zeigte eine
breite Kopfwunde, die von der Stirne über bie Wange
herablief und, obgleih vom Pflaſter bedeckt, eine
gefährliche Tiefe wahrnehmen ließ, die augenſchein⸗
lich den Hieb eines Tomahawk verrieth. „Soll ich,“
ſprach er zum Offiziere, „auch ven Verband ablöſen?“
„Nein,“ erwieberte der -Gapitain. „Binder Euer.
Tuch über den Kopf. — Kennen Sie Keinen ber
Uebrigen ?4 wandte er fi zum Gefangenen:
Diefer fah die beiden Andern aufmerkfam au.
„Eine dunkle Erinnerung,“ ſprach er mit ſtockender
—d 2 ⸗—
Stimme, aber nichts weiter; „ed ſcheint mir, ich habe
auch dieſen Mann geſehen.“
„Dad mag ſeyn,“ erivieberte ber Bezeichnete.
„Wir find von Nacogdoches; dieſe Briefe, an meh⸗
tere Häufer in der Hauptſtadt, werden es ausweiſen,
md wie Senor Marceau gefapt bat, ſo kommen
unſere Produkte nach.“ W
„Capitain!“ ſprach der Erſte. Wir halten es
nicht für nöthig, einen fo ausgezeichneten; im Militär⸗
dienſte der erſten Republik ver Welt ſtehenden Offi⸗
zier darauf aufmerkſam zu machen, daß das Betragen
dieſes jungen Menſchen, der wahrſcheinlich eigene
Schuld durch ein gräßliches Anſinnen zu bemänteln
gedenkt, äußerft fonderhar iſt. Wir find Unterthanen
von Merico und erbitten und, wenn: etwas gegen und
vorgebracht wird, ala einzige Gnade, ſchnell hinab
vor ven Commandrur en Chef gebracht zu werben.
‚Ein. Milizoffizier hat uns anhalten und unterſuchen
laſſen; auch ſcheint er und bier eine Art Arreſt auf⸗
erlegt zu haben.“
„So hat General Bilow befohlen, a ſprach der
Capitain, „und Ihr verhaltet Euch ruhig, bis ber
Befehl von unten kommt.«
>
- „Und-wann erwarten Sie diefen ?“ J
„In achtundvierzig Stunden. — Nun tretet ab.“
Der Capitain warf einen etwas weniger freund⸗
lichen Blick auf ven Süngling, der, vom innerem
Kampfe bewegt, vor Im Rand. Nach einer * Weile
ſprach er:
„James Hodges, oder wie ri immer heißen möget,
Euere Ausfagen tragen dad Bepräge eines Charak⸗
ters, der für Eure Jugend viel Bervorbenfrit 6 be⸗
meist.
„Capitain, ich beſchwöre ei, dieſe Männer ge-
nauer unterfuchen zu laſſen. Ich bin gewiß ; ich habe
mid) niit geirrt. Schon ihr Aeußeres verlieh bie
Wahrheit meiner Ausfage.“ .
„Man wird oft irre im Aeußern,⸗ erwiederte-ber
Capitain mit einem ſcharfen Blitke, der den Gefänge⸗
nen mißtrauiſch maß. — „Andere Zwangsmittel zu
gebrauchen geſtatten unſere Geſetze nicht. Ich hätte
Euch gerne helfen wollen, und bloß Rückficht für
Eure Jugend, ver ich fo viele Verdorbenheit nicht
zugetraut, hat mich dazu veranlaßt. Uebrigens Habe
ich Cu zu bedeuten, daß Ihr auf das ae
gefaßt feyn müßt.“ Ä
— u
„Ich bin auf Alles gefaßt, bitte jedoch, wenn
übrigens ein Britte hier auf Gunſt hoffen darf, mei⸗
nen Fall ſchleunigſt im englifchen. Hauptqquartier an⸗
zuzeigen; vie Wahrheit wird dann ungezweifelt aus⸗
gemittelt werden.“
Es iſt nicht Dieſes allein, James Hodges, 4 fs
mieberte ver. Capitain. „Der zweite Punkt ift wich⸗
tiger. Wie kommt Ihr zu Euter Verkleidung? Wie
jeyd Ihr mit Tokeah bekannt geworden? Kann Euer
Sauptquartier- auch darüber. Auskunft geben?" -
Der’ Jüngling fland von einer fieberifhen Gluth
übergofien. Seine Lippen zuckten. „Ich kann nicht,
darf nicht ſprechen. Ich habe mein CEhrenwort ges
geben.“ .
„Ihr gebt: vor, Militär zu ſeyn, und wife nicht,
daß in Eyrem Falle felbft pas Ehrenwort. ned ach⸗
tungswertheften Mannes nicht angenommen werben
Eönnte? — Junger Mann,“ ſchloß der Capitain;
„Ihr treibet ein:gefährliches -Spiel, da wo es iin
Genfle genommen wird. Ich kann nur- berichten;
‚aber die Folgen kommen ſchnell, und dieſe Habt Ihr
Cuch allein zuzuſchreiben. Unſere Ehre fordert eine
raſche und firenge Gerechtigkeit.“ .
— 15 -
„Un Sie könnten ?u. — ſtockte der Süngling mit
unwillfürlihem Schauber.
„Nicht wir, — das Geſetz,— erwiederte der Capi⸗
tain, „dieſes verdammt, und wenn Ihr Eures Königs
Sohn wäret; fo mürbe e8 Euch verbammen, und wir
haben vie Madjt und den Willen, Bier Verdammung
Vollſtreckung zugeben."
Er winkte nun dem jungen Mann seine Entlaffung
zu, und diefer entfernte ſich langfam.
—— — —
| Fünfundzwanzigfies Bapitel.
Sort Kerls, macht Cuch dayon! verſchwindet
wie Hagelkörner! geht, macht hurtig, lauft was
Ihr konnt, ſachi Schütz, packt Euch!
Shakespeare.
Die drei Mericaner, di⸗ wir für ſolche halten
wollen, bis wir fle aus ihrem zweideutigen Incognito
heraus finden, waren langſamen Schrittes dem Stäbt-
hen oder vielmehr ven fünfzehn Häuschen zugegan⸗
gen, die wir „ber Landesfitte zufolge, mit dem Namen
Städtchen beehren, und die von einer Klaffe Mens
fhen bewohnt waren, die nicht ganz unſchicklich
u
Raubooͤgeln verglichen werden dürften, die, von der
Nähe eines fiſchreichen Fluſſes oder Sees angezogen,
im leichtfertigen Spiele der Wogen eines eben ſo
leichtfertigen und bequemen Fraßes fich erfreuen. Es
waren, ohne Ausnahme, ausländiſche Abenteurer,
Wirthe, Krämer und Handwerker, die ſich hier ein⸗
geniſtet hatten, um im Verkehr mit Bootsleuten und
Negerſelaven eines gemächlichen, wenn gleich nicht
ſehr ehrenvollen Erwerbes zu pflegen, und allenfalls
bei den umliegenden Pflanzern als Handwerksleute
oder Taglöhner auszuhelfen. Fünf Schilde, die vor
den Häuſern aufgeftelft waren, bezeichneten die Schenf=
fluben, in deren einer die drei Mexicaner einfehrten
und ihre Pläße in einer dunfeln Ede hinter einem
Tiſche nahmen, der mit Boutelllen und Glaͤſern be⸗
pflanzt war, und ſo verrieth, daß fie dieſen Poſten
ſchon zuvor inne hatten.
Nach den Mundarten zu ſchließen, Die in. der Wirths⸗
ſtube zu hören waren, ſollte man geglaubt haben,
daß alle Nationen der Erde Bevollmächtigte hieher
geſandt hätten, um In ihren Volksſprachen ihre Ber=
fiandeöfräfte vermittelft ner verſchiedenen Getraͤnke auf⸗
zubellen. Nur vor dem Feuerplatze hielt eine abgefon=
| 9 247 8
derte Gruppe, die nichts mit den Söhnen des Unglücks
und Iammers gemein hatte, die ein günftiges oder
ungünſtiges Schickſal hier zufammengetrieben. Ihre
Füße auf dem Kaminbalfen ruhend, oder kreuzweis
in einander geflochten, fo daß Einer fletd das Knie
des Sigenven berührte, bildeten die Herren des Lan⸗
des ihre Lieblings⸗, die ſogenannte Jainpartie, von
der nur zuweilen Einer oder der Andere fich abſonderte,
um eine Cigarre anzuſtecken oder ſich eine Doſis Grog
oder Doddy geben zu laſſen, die er hinabſchüttete und
dann durch einen Biß in die Virginieryflanze würzte,
an der er, gleich gewiſſen vierfüßigen Geſchöpfen,
wiederkäute. Die ſcharfen Blicke, die fle über die drei⸗
Big anweſenden Gäſte hingleiten ließen, verriethen
übrigens, daß, obwohl anſcheinend gleichgültig,
ihnen keine Bewegung Diefer entging.
„Und er hat bie ſechs Milizen erſchießen laſſen de
ſprach Einer, der ſo eben vom Schenktiſche zurůck⸗
gekehrt war.
„Es ſoll herzzerreißend geweſen ſeyn; beſonderß
ein gewiſſer Marks ſoll gar nicht daran gewollt haben.
Die Offiziere mußten ihm Muth einſprechen.“
„Ja, Muth; inſprechen: :“ erwiederte ein Dritten;
„ſoll fie — — verdammen.“
„Weil die armen Tröpfe glaubten, daß ihre Dienſt⸗
zeit aus ſey und nach Hauſe kehrten, ſo mußten fie
nun erſchoſſen werden.“
„Vergeßt nicht, Bob!« fiel der Zweite ein, daß
fie wohl wußten, was fie thaten , daß ihnen ihre
Milizendienſtzeit und Pflicht einzeln verlejen ward,
und daß fie für ſechs Monate ven Eid.geleiftet unb
den Ihrigen ven Sold zugeſchickt. “ u
„Sa, fo iſts,“ verficherte ein Vierter. „Sie waren
ſchon auf dem Heimwege, wurden aber zurüdgebracht,
und vor.ihren Särgen knieend erſchoſſen; der arme
Dick fol jämmerlich gebeten haben.”
„Das waren doch verfegerte Narren,” entgegnete
der Dritte. „Hatten fle Feine Kugeln 2“
„Die hätten weit fliegen müſſen,“ erwieberte ein
Fünfter; „ver alte Tyrann fißt unten, und Die waren
brüben in Mobile. Aber fle find auf alle Fälle nad
dem Befehe gerichtet worben und haben es fich felbit
zuzufchreiben. u J u
„Ei, ich glaube,“ meinte ver Dritte, „ver machts
mit dem Geſetze auch, wie unfre Bären mit unfern
>
Saͤuen; ; die lieben die kleinen mehr als die großen,
weil fie zarter find und weniger beißen.“ .
„Das nicht, ver Judge iſt doch eiñ ziemlich —*
verſetzte ihm ein Sechsſter.
"Sa, der dreht ihm aber den Hals um,“ veifißerte
der Erfte. „Hätte er nicht feine Tenneſſeer, die ihm
wie Kletten anhängen, fo würde er es wohl haben
bleiben laſſen; aber dieſen hat er im Kriege gegen bie
Creeks das neue Jahr abgewonnen. Wohl, werden
ihn doch noch mores Iernen, ehe wir Hinabziehen.
"Bolt es wäre vorüber, * meinte ein Sieben⸗
ter. Glaubt mir's, Männer, kommt nichts heraus
mit dem Militärweſen, Alles verwildert, und Ge⸗
findel fommt uns wie Seufüreden über'n Hals und
in’d Land.“
Der Blick des Sprechers fiel auf eine Gruppe, bie
zunächſt ſaß, und deren gebrüunte dürre Geſichter
Franzoſen verriethen.
„Ich glaube,“ hob der Erſte wieder an, „die Mee⸗
ting wird. allmählig beiſammen Ion. Es iſ Set, |
daß wir gehen.“
Die fieben Männer- maren von Ihren Sefeln auf⸗
geſtanden und ſchickten ſich an, die je Wirthaſtube zu
Der Legitime. II. 17
—. 30 ⸗—
verlaffen, als Einer ver Franzoſen mit verbundenem
Kopfe an den Amerikaner herantrat und, ihm ein
Glas entgegenhaltend, ein zweites ergriff.
„Plait-il, Monsieur!“: fragte der muntre Fran⸗
‚ofe, „Vive la gloire et 1a libert&!“
- Der Amerikaner maß noch den Faftanienbraunen,
ziemlich wiorig ausſehenden Gefellen, als es von ver
hinterften Edle, wo die. drei Männer faßen, „Badaud“
herüber rief.
Dad Männchen blickte erſchtocken bin und zog fi
einen Schritt zurück.
„Callate !® rief ein. Zweiter aus den "Dreien.
„Carraco !“ ein ‘Dritter, und das Männchen ſetzte
ſich ſchnell auf feinen Sitz. „Mais cependant nous
sommes dans-un pays libre , brummte er.
„EI Gojo !“ rief ver Erfte wieder.
Die Amerikaner wandten fich befremdend von den
Dreien und verließen dann bie Wirthsſtube.
Diefe ſaßen ſcheinbar unbekümmert bei ihren Glaͤ⸗
ſern. — Nur zuweilen waren in ihrem Geflüfter einige
Worte vernehmkicher geworben.
„Et c’est. lui,“ ſprach der Dritte, der Mericaner.
„Oui ,“ erwiederten Beide.
a1»
„Et comment vient-il donc? ?% fragte er. .
„Ah, comment vient-il — ce ‚bougre, il est -
pärtout; il nous a trahi deux, fois. «
Der Verbundene. war ſchweigend gefeffen.
Die ſpaniſchen und franzöfiſchen Erklamationen |
hatten die Aufmerkſamkeit von vier etwas weniger
verdãchtigen Individuen auf fi gezogen, die zunächft
der Thüůre faßen und. bei einer Bouteille Claret na
gleichfalls ihres Daſeyns freuten.
„Wiſſen Sie nicht, Herr Merks, wer dieſe Herren
find?” fragte ein etwas aufgenunfener Mann im be⸗
ſcheidenen grauen Rock, mit großen blauen Augen,
in denen ſich etwas vom Krämergeifte ſpiegelte, feinen‘
Nachbar, auf defien hohlen Wangen Irrfahrten und
trübe jammervolle Schickſale in Menge zu leſen wa-
ren und der allenfalls ein Haufirer ſeyn mochte.
| „Kann nicht dienen, Herr Gieb,“ verſetzte der höf⸗
liche Deutſche zu feinem nicht: minder höflichen Lands⸗
manne.
„Haben Sie aber bemerkt, meine Ser, u fing
ein Dritter an, deſſen rothe Geſichtsfarbe und volle
Barden einen Bäder bezeichneten, „wie der Ameri⸗
17
— ⸗—
kaner den Herrn angefehen Hat, ver ihm fein Glas
anbot? Sind doch reiht ftolz, dieſe Amerikaner.“
„3a ! ja, Die find noch viel ftolger als die Englän-
der, Herr Prenzlau ‚u verfeßte ein Vierter.
„Die brüften ſich gar gewaltig mit ihrer Sreibeit.
Je nun, fie find die Herren im Lane!
„Ja, ja, Herr Ste,“ meinte der jammervolle
Herr Merle, „Hochmuth kommt vorm Fall.⸗
SOerren im Rande! Saubre Herrſchaft! Hat auch
am längften gedauert. u—
„Und fo glauben Sie, Herr Merks,“ fragte Herr
Stock, deſſen etwas eleganterer Anzug einen Klei⸗
verfünftler vermuthen ließ, „daß es unten nicht ganz
richtig ausſieht zu Er begleitete ſeine Frage mit einem
pfiffig ſeyn ſollenden Blinzeln.
„Gedanken find zollfrei, Her Stod,“ entgegnete
Her Merks.
„Ei was Gedanken!" fiel ver Sm Prenzlau ein.
„Wir find ja in einem freien Lande, Herr Merks.⸗
„Sa, Herr Prenzlau! Hört der Herr,“ verſetzte
Herr Meiks, „es iſt auch noch nicht aller Tage
Abend geworden. Hätten Sie geſehen, was ich ge-
ſehen Habe, wie fie Alle arbeiten müffen an den Schan⸗
—1 3 ⸗
zen, Alt und Yung, Schwarz und Weiß, und bie
ſchönſten Damen kommen in Karzoffen mit en und
Trinken.“.
„Ja, ja! aber die Zeitungen ſagen ja, Herr Merks,
daß fie das Alles freiwillig thun und daß ſelbſt Aus⸗ |
länder nicht an die Werke bürfen, und bie Stadt hat
ja keine Schanzen?“
„Ach! da haben ſie jo einen Graben aufgeworfen,
Herr Prenzlau, und mit Baummollballen etwas zu⸗
ſammengeflickt. Verſtehen ja gar nichts vom Kriegs⸗
weſen. Nur ſchade um die ſchöne Baumwolle. Fůnf⸗
zehntaufend Ballen! Herr je! Aber die Engländer
werben ihnen ſchon einheigen. Das find ‚ganz andere
Leute, bie haben's den Franzoſen in Spanien ge⸗
wieſen.“
„Ja, und was die Hauptſache iſt, meine Seren,“
meinte Herr Gieb, „dieſe Herren Engländer haben
Geld; Die brächten doch etwas ind Land. —
„Nun an Gelo fehlt's Hier auch nicht, Herr Gieb,“
verjeßte Herr Prenzlau. — , „Und bei den Herren
Engländern iſt auch nicht Alles Gold was glänzt;
aber an Ordnung fehlt's.“ —
„Aber Sie fagen ja, meine Herren,“ nahm wieder
— Bi
Herr Gieb das Wort, adaß der unten fle fo graufam
hernimmt. Selbſt an einem oberſten Richter ſoll er
ſich vergriffen haben. u
„Glauben Sie's ja nicht, Her Sieh ‚u entgegnete
Herr Merks. „Eine Krähe hackt der andern die Augen
nit aus. Ja die Fremden, die muftern fie und be⸗
obachten fie, aber unter einander hängen fie zuſam⸗
men wie bie Kletten. Wird feine Orbnung, bis nit
ein König fommt.u
aJa, Ordnung ift die Hauptſache,“ meinte Herr
Prenzlau. „Ja, bei und zu Haufe, da ſieht's ganz
anders aus. Hier haben fie ja nicht einmal eine tür-
kiſche Muſik. Ein Offizier Hat einen runden Hut, ber
andere einen breiefigen. Und Haben Sie, meine
Seren, ‚ihr. Exerziven gefehen ? ? Unfre Refruten
treffen's ja defler. Und von Handgriffen verftehen
fie ſchon einmal gar nichts. Hab's ja mit meinen
Augen gefehen, wie der General vor der Wade vor»
beigegangen, und wie ihm dieſe, fatt zu präfentiren,
‚von ihrem Kautabak angeboten hat.“
„Ja, ja," verficherte Herr Gieb, „bier fehlts an
der Zucht, an ber Gefittung ſchon in der Jugend,
meine Herren. Hier behanveln fie ja ihre Kinder
— 35 —
fon wie Mäuner. Schlagen Sie einmal einem ſol⸗
hen Buben eines hinters Ohr, und fehen Sie zu,
ob Sie nicht vor den Squire citirt werden, und ſchwere
Strafe bezahlen müuͤſſen? Hab's einmal in meinem
Leben gethan; will's nimmermehr probiren. Da liegt
aber der Fehler, meine Herren. Ja bei uns, da wer⸗
ben wir geledert auß dem ff, das iſt aber's Wahre;
um jeden Hieb ſchade, der daneben geht.
„Sa, ja, Herr: Gieb;“ meinten bie. drei guten
Deutfihen.
aJa, ja, meine Herren !u fuhr der durch den Bei⸗
fall ſeiner Landsleute etwas aufgemunterte Herr Gieb
fort. „Unſern Dicken ſollten ſie haben, der würbe ihnen
bald 's neue Jahr abgewinnen.”
„Hören Sie einmal, Herr Gieb,“ verfeßte Se
Prenzlau, „Ihren Dieken würden fie bald expediren.
Auf ſtutzigen Pferden ift fhlecht reiten; würben ihn
über die Achfeln anfehen, und ex müßte ſich's noch
zu einer Ehre reinen, wenn fle ihm die Hand reichten.
Bin ja dabei geſtanden, wie fie, ohne den Hut zu
rüden, mit dem Gouverneur Sprachen; kaum daß fie
ihm fagten: „kut morning saehr koverner.“ ga,
—d 36 &—
um Die zu zeitigen, da gehört ein Mann Dazu, der
Autorität hat; der Unfrige würde fie mores lehren.“
"nDBergeben Sie, Herr Prenzlau ‚a fiel ihm Herr
Merks ein, „da. haben Sie aber Unrecht; fie ſa⸗
gen nicht ‚Saehr koverner , fie fagen immer nur
Saehr. «
| „Ja, fie mögen fagen, wie fie wollen,“ meinte
Herr Prenzlau, ver ein wenig unwillig über bie Zus
rehtweifung des Haufirers geworben war, und des⸗
halb ihn Herrn zu tituliren vergeſſen Hatte. „Ihr
Dicker —-“
„Ja,“ fiel ihm Herr Sieh beſchwichtigend ein,
maber was find das auch für Koverner, Herr Prenz⸗
lau. Schau'n ja nicht beſſer aus, als wie unſer einer.
Wo ſoll denn da der Reſpect herkommen? Das muß
geboren werden; 's liegt ſchon im Blute. Herr je,
wenn ich ſo an den Unſrigen denke, wie Alles gezit⸗
tert. Es iſt Einem gewiſſermaßen ſchauerlich gewor⸗
den, wenn man 'n angeſehen; und nun gar, wenn
er aus der Ecke herüber gerufen; hören Sie, bis zur
Hauptwäche hat man ihn gehört. Es war nicht an⸗
ders wie vor einem brüllenden Löwen, fo bat Alles
gezittert.
—d 37
„Sa, Herr Gieb,“ entgegnete Herr Prenzlau, „da
könnte ih Ihnen. etwas Anderes jagen. Der Unſrige
— ja — und daͤnn der liebe junge Prinz! Ach Herr
je! Wenn Sie ihn jo gefeben hätten! Wie ein junger
Herrgott, freundlich laͤchelnd und, die Reitpeitſche
in der Hand, mit den Herrn Offizieren ſchäkernd;
und die Hüte Ale ab, Wer immer ihn nur fleht; und
er fo mir nicht, dir nichts, ganz gemein und doch ſo
hoch; — ja, Wer fi für den nicht mit taufend Freu⸗
den tobt ſchießen läßt, der muß ja gar fein Deuſcher
ſeyn.“
Die guten Deutſchen wurden in in ihren Herzenser⸗
gießungen über die Herrlichkeiten ihres, und das Elend
unſers heilloſen Landes, dem es fo ganz an aller
Hoheit ermangelt, durch einen in die Stube tretenden
Miliz⸗Sergeanien unterbrochen, deſſen Uniform und
flittergoldene Epauletten den Herrn Prenzlau mit ſei⸗
nen drei Landsmännern ploötzlich von ihren Seſſeln
aufprallen und zugleich mit den Händen nad ihren
Kappen und Müten fahren machten. Des Herrn
Prenzlau fhärferes Auge Hatte jedoch die flittergol-
denen Epauletten am erften bemerkt, un, ſich | chend,
ermahnte er ein Gleiches zu thun. „Setzen Sie ſich
28 4
doch, meine Herrn,“ ſprach er, „und behalten Sie auf.
Wir find ja In einem freien ande, und das iſt janur
ein Sergeant, der Ihnen nichts zu befehlen hat. «
Des Herrn Prenzlau treu gemeinte Borftellung hatte
bie etwas erſchrockenen guten Deutſchen wieber be
ruhigt; der feharfe und mufternde Blick des Sergean-
ten ſchien ihnen jedoch alle Luft zu fernern politifchen
Debatten benommen zu haben, und fle tranfen nun
ftille und ruhig ihre Gläfer aus, worauf file fi, un-
ter oftmals wiederholten Wünfchen „einer guten ge=
. zubfamen Nacht," trennten. |
Mit dem Sergeanten, der die Mericaner und Fran⸗
zofen nach der Reihe angefehen und abgezählt Hatte,
verloren ſich auch vie übrigen Gäfte, und mit Diefen
ſchien plöglih den olivenfarbigen Wirth die frohe
Stimmung verlaffen zu wollen, die ihn bisher in der
Bedienung feiner Kunden ſo rührig gemächt Hatte.
Es fing in ihm zu zuden an, und eine gewiſſe Un-
ſicherheit und Verlegenheit war an ihm wahrzuneh⸗
men. Er verließ die Stube, eilte zur Hausthüre, ſah
fi forſchend um — kehrte langfam zurück, und ſein
Blick, ſo wie er in die dunkle Ecke fiel, wurde zu⸗
ſehends verſtoͤrter. Auf einmal erſchallte es aus dieſer
—, 89 ⸗ |
„Benito!a Der’ Mann ſchrak zufammen und rüttelte
fi, als ob ihn ein Fieberſchauer ergriffen Hätte. Als
wäre er von einer unſichtbaren, feindlichen Macht
getrieben, ſchwankte er dem Tiſche zu.
„Benito!“ ſprach Der mit dem verbundenen Kopfe.
„Kennſt Du mich nicht mehr?“
„Wollte vie Heilige Jungfrau! Ich Hätte kuh nie
gekannt. Seyd Ihr es oder iſt's Euer Geiſt?“
„Beides ‚". erwiederte der Vermummte und brach
dann in ein lautes widerliches Gelächter aus, in das
Alle einflinimten, den Wirth angenommen, ver mit
jedem Augenblicke unruhiger zu werden anfing. '
nSthe Did, Benito! Habe Dir etwas yu jagen.
nStilte! fein Wort. Dieß tft Hier nicht mein Näme.*
„Ich glaube, Du haft jo viele Namen, wie wir
Flaggen, nur mit dem Unterfchiede, daß wir bie unſri⸗
gen öfters aufziehen, Du aber die Deinen für immer -
ablegſt. Biſt doch ein wahrer Hafenfuß.«
„Was wollt Ihr mit mir? Hat Euch der Böfe
au) hieher wieder gebracht? St man vor Euch nir-
gends fiher ?“ —
„So hat er, und zugleich get er mir eine Tleine
Sendung mit auf den Weg für Dich gegeben.“
h)
Der Wirth zuckte wie Espenlaub äufammen. „Bes
denkt, ich habe Weib und Kind, und bin ehrlich ges
worben.
„Alle fchlugen ein laütes — auf.
„Wer nimmt Dir. Deine Ehrlichkeit, Narr!“ fuhr
der Verbundene fort. „Nur einen Fleinen Freund⸗
ſchaftsdienſt mußt Du uns erweiſen.“
„Sucht Euch einen Under.“
Wenn wir dad wollten, jo wären wir nicht zu
Dir gekommen. Ich will: Dich nicht Jänger auf bie
Bolter ſpannen, armer Wicht.«
„Was follich wieder?
„Narr! nichts. Nur unfern armen Doctor Pom⸗
pey aus dem Loch befreien. Er iſt mit uns gekom⸗
men und, von ſeinem vormaligen Herrn erkannt, im
Gebäude mit dem Wachtpoſten logirt worden.“
„Seyd Ihr raſend?“ winſelte der Wirth. „Ihr
wollt einen Neger aus der Baummwollenpreffe heraus⸗
holen, wenn nicht dreihundert Schritte davon, im
Gaſthauſe, eine Meeting abgehalten wird, wo über
fünfhundert Bürger beifammen find ?"
„Was zu thun iſt, wirft Du am beften wiſſen.
Nur fo viel fage ih Dir, daß wenn ver Neger noch
HB —
morgen früh hier ift, er ung und Dich in feiner Dumm:
beit verräth, und Du- ung folglich bei der greßen
Trauung Geſellſchaft leiſten mußt.“
Der Mann krümmte ſich wie ein Wurm. „Sat
Barmherzigkeit mit mir, einem verhewratheten anne,
der Weib und Kind bat." - |
„Iſt ſie Jung ?* fragte ver Verbundene. .
„Beim heiligen Jakob!“ fuhr der Spanier giftig
heraus , „wenn Ihr mir da zu nahe kommt — —“
„Halt's Maul, Hafenfuß! — haben andere Dinge
im Ropfe, als Deine Seefpinne von Weib zu amu⸗
firen, wenn's Die ift, die ich gefehen. Verdammter
Narr! Wer wird fie Die. nehmen |
Der Wirth Tief in der Stube wie ein Maſender
herum.
„Biſt doch ein abarmlicher Wicht, Benito! ! Haben
Dig bie zwei Jahre unter den Republifanern fo zum
Hofenfuß gemacht?“
„Lacht nur," ſprach Benito ; „aber wenn man ein»
mal den Satan abgeftretft, und Weib und Kind bat,
und von allen Seiten.beobachtet wird! Wenn fle das
Mindeſte fpüren, fo bin ich auf Immer ruinirt. Mar
muß bier ehrlich ſeyn.“
—_—
— 8 —
„Benng des Geſchwätzes,“ ſprach ver Berbundene;
„kein Wort weiter.” “
„Sp muß ih denn?“
„Glaubſt Du, ich ſcherze oder ſey bed Spafles
wegen gekymmen? — ort mit Dir.“
Der arme Benito fuhr ſchaudernd zuſammen, und
309 fich ächzend zurück, und durch die Thüre hinaus,
aus der ihm ein hölliſches Hohngelächter nachhallte.
Es war ſchon fpät in der Nacht, als er, in einen
Mantel gehüllt und einen Bündel in ver Hand, wies
der. kam.
„Wenn die Negulairen in der Eottonprefie ‚find,
dann kann ich abfolut nichts. thun,“ ſprach er in einem
Tone, dem man ed anfah, daß er fih Gewalt an=
that, entfchlofien zu ſcheinen.
Der Bermummte trank fein Glas aus, ‚ ohne ihn
eines Blickes zu würdigen.
„Es find ihrer Zwei mit einem Sergeanten und
Lieutenant da, die die Milizen einexereiren. “
Der Verbundene ſchwieg noch immer.
„Ich fan’ es Euch nochmals," fuhr der Wirth
fort, — „ich will e8 'verfuchen ; aber nur auf den Ball,
-
ee
— 83 ⸗
als Diefe fih entfernen. Und Wer wird mic begleiten,
und was wollt Ihr mit dem Neger?“
„Ihn über ven Miſſiſippi bringen, wo er. auf dem
Wege, den wir von Nacogdoches kamen, wieder zu⸗
rück muß.“
„Um der heiligen Jungfrau willen! Was denkt
Ihr? Ihr wollt über ven Miſſifippi? Ihr ſeyd nicht
in drei Stunden zurüd. Und wenn die Miligen aus
dem Meeting zurüdfehren? Es fchlafen ihrer Vier
oben in der Stube neben Euch.“ Fb„
Der Vermummte ſchenkte ſich wieder rein, und trank,
ohne aufzublicken.
„Ihr kommt nicht von Nacogdoches, “fuhr Benito
fort, „Ihr Habt Arges mit dem armen Neger vor;
dazu will ich mich beflimmt nicht hergeben. ®
„Höre, Benito,“ ſprach nun der Vermummte,
wich Habe Dein Geſchwätz ſatt; Du kennſt mich. Jch
gebe Dir vier unſerer beſten Männer mit; fie find
verwundet, werden aber den Neger über den Strom
ſchaffen·
„Und Ihr bleibt zurück?“ brummte der Wirth.
„Narr, um Deiner Frau: die Eour zu machen.
Glaubſt Du, man den?’ an ſolche Lappalien, wenn
— BI
Einem der Tomahawk einen Zoll tief im Kopfe ge-
fefſen?“
Benito ſchlich jedoch zur Seitenthür, und zog den
Schlüfſel ob. „So kommt ind — Namen!“ ſprach
er. Es find doppelte Wachen des Spionen halber
aufgeſtellt; es wird ſchwer halten. Heiliger Jakob,
ſteh ung bei! Seyd Ihr auch ſicher, daße er unten
in der Cottonpreſſe iſt? “
„Wir haben ihn Alle dahin abführen geſehen,“
erwiederte der Vermummte. „Benito nimm Dich
zuſammen. Ich gebe Dir meine beſten Freunde mit.
Wenn Du einen bummen Sri machſt, ſo find wir
und Du verloren.“
„Diablo!“ murmelte Benito. „Warum lapt Ihr
mich nicht in Ruhe! Unſer Contrakt if zu Ende!“
| Schemtynimjigfes Kapitel.
Lorenzo. Wer kommt fe eilig ir in der Stille
ber Nacht?
Stephano. Ein Freund.
Lorenzo. Ein Freund! Was fürein Freund?
"Euern Namen, wenn ich Sitten darf.
A Shakespeare.
Es war Milternacht, als bie fünf Spanier und
Mericaner das Haus mit einer. leichten Leiter ver⸗
liefen. Der dichte Mebel, der über dem Strome
glei einem endloſen Grabtuche ſchwamm, ſtieg be⸗
reits über die Ufer hin‘, und zog ſich mie eine unge⸗
heure Rauchwolke flach über vie Niederung Ber, durch
die der Morgenmwind in ’eingelnett Stößen zu pfeifen
begann, und der ſich nun die fünf nächtlichen Aben⸗
teurer behutfam auf dem laͤngs des Bluffs hinab⸗
ſchlängelnden Wege näherten. "Bor bem Gaſthauſe
ſtand eine zahlreiche Gruppe; die, an der Thüre und.
an den hellerleuchteten Fenſtern zufammengepreßt, in
tiefer Stille ven Rednern im Saale zuhorchte.
Einer der Mericaner hatte’ ſich an die Verſamm⸗
Der Legitime. I. 18
— 6
lung herangeſchlichen, während die Uebrigen dem Ufer
des Bayou zugetappt waren, wo ein Zweiter an den
Waſſerrand hinabkroch, und nachdem er eined der’
Boote vom Pfoſten gelöst, dieſes Teife dem Kaupt«
firome zugog. ‚Seine Schuhe in ver Rocktaſche und
forgfam auf die ſchimmernder Baummollefloden
treten, hatte NG au der Spanier vom Gafthaufe
feinen Genoffen zugeftohlen, die, die Augen flarr
auf den Wache ſtehenden Milizen gerichtet, ohne 1
zu regen, da geſtaͤnden waren.
. Eine gute Viertelſtunde mochte verfloffen feyn, als
Dieſer abgelöst wurde, worauf ein Piquet von drei
Mann auf den Gaſthof zufchritt und, mit der dafelbft
abgelösten Woche zurückkehrend, bie Ruude gegen
den Miffifippi zu machte, 'von ber e8 wicder Los
Wachtpoſten zurüdkehrte..
Diefer, wie bereits bemerkt, befand ai in einem
ziemlich großen Gebäude, das, einem Kornboden
oder einer großen Scheune nicht unähnlich, mit Bret⸗
tern überfleinet war, von denen mehrere Toögeriffen,
im MWinpfloße ſchnarrend und knarrend hin und her⸗
ſchwankten.
„Alles ruhig, Tom,“ ſprach der Führer des Pi⸗
quetö, als er von ber Munde zirrůckgekehrt war.
„Hört doch, einmal!“ erwiederte die Wache, „was
iſt doch das für ein Geknarre?“
nDer Squall, der vom Balize herauf kommt, u
erwiederte der Führer; dieſe ruft, werbet Ihr vo.
öfter hören."
„Hol der Henker dieſe Muſik und Euer Willſtth—
leben,“ erwiederte der Milize mit einem verächtlichen
Blicke auf das Bajonett, das am feiner Seite hing.
„Müſſen da Wache ſtehen, während Die drüben das
größte Meeting halten, das je gewefen iſt.“.
„Es muß nun einmal ſeyn;“ tröftete ihn der Füh-
zer, „in vier Wochen iſt Alles vorüber; dig Reglars
können doch nicht immer Wache fichen; haben fi
heute genug abgezappelt. Und was im Meeting ge⸗
ſchieht, werben wir auch hören.“
„Ei, wollte dad Ganze wäre ſchon vorüber; flehen
da wie die Narren, um die Eottonpreffe zu bewachen.
Eine ſaubere Chriſtnacht!“
„Ei Johnny,“ ſpkach ein aus dem Bauſe kommen⸗
der r Miltze, walk, Du fprängeft hinüber in. die
18°
26
Taverne und braͤchteſt und Nachrichten, was fie drü⸗
ben thun und ließeſt den Krug da füllen. «
NMile! Mike! könnt Ihr denn Die Stunde nicht
aushalten und habt doch die Wade vor der Thür
bed Spionen, und Lieutenant Brodm iſt drüben beim
Mapitain und Hat befohlen, ein wathſames Auge auf
den Gefangenen zu haben.“
„Ja, Den wird Euch Niemand ſiehlen; für Den
ift Daß Sanfkrant ſchon gedreht,“ verſetzte Mike;
haͤtte auch feine Reglars herſtellen können, braucht
fie nicht alle auf feiner Stube.“ Ä
„Er muß doch hören,“ verfeßte ber Führer lachend,
awie weit wir's in der Zucht gebracht, um auch rap⸗
portiren zu können. Was aber den Spion anbetrifft,
ſo wollte ich nicht, daß Der uns entginge. Es wird die
allerloyalſten Subjefte ſeiner brittiſchen Majeſtät ganz
herrlich wurmen, wenn wieder einmal Einer ihrer
Gebrůder bei und mit der Hanfbraut getraut wird.
„Eben deßwegen wird 'n Cuch Niemand davon
tragen," verfeßte ver wachunluſtige Mike.
Die fünf Mericaner ſtahlen ſich nun behutſam
‚Hinter das Gebäude, von woher nad einer Weile ein
ſcharfer Luftzug und dann wieder ein. lautes Knarren
—, 49 &—
und ein Rumpeln, wie das eineß an der Bretier-
wand herabgleitenden ſchweren Körpers gehört wurde.
„Müſſen doch fehen,: was das if,“ ſprach ver
Führer, der mit einem Milizen, pie Baterne in ber
Sand, Hinter Dad Gebäude ging. Die Toßgeriffenen
Bretter ſchwankten immer Rärker.
nDa liegt es,“ ſprach er. „Ein ganzes Bertt; der
Wind iſt doch nicht fo fiatt.
„Ja, hier unten,“ entgegnete fein Begleiter, „aber
da droben haust er. Es iſt in gleicher Höhe mit dem
Miftifippi.und Hört nur wie der braudt.“
„Schau doch einmal hinein zum Spion ‚" ſprach
der Führer. | \
Der Milize ging in das Innere des Gebindet und
kam mit der Nachricht zuruͤck, daß er geſund ſchlafe.
„Möchte doch gerne wiſſen,“ meinte er, „Wer den
eigentlich trauen wird; den Sheriff geht er nichts an,
er ift Fein Bürger. *
„So glaubt Ihr, der Sheriff m bloß für uns, u
lachte der Andere. „Wenn nun ein Ausländer im
County gehangen wird, muß e8 ber ‚Sheet nicht
auch thun?“
„Habt Recht,“ verſetzte der Milize. „Wollte, er
m
Hätte alle die zivamgigtaufenb feiner Landoleute unterm
Kragen, wären wir doch der Sorgen los.
Er begleitete feinen Einfall mit einem lautem
Sachen, währen welchem das Knarren der Bretter
ſtaͤrker denn je gehört wurde.
„Hört Ihr das ?“ ſprach Johnny, der ſo eben mit
einem Kruge Whisky zurückkam. „Da hinten haust
es, als ob ver Orkan vom Balize herauf käme.“
„Haben ſchon geſehen, hat nichts zu bedeuten.
Sabt Ihr etwas vom Meeting gehört?“
„Prächtige Nachrichten,“ verfegte Sohnny, „Oberft
Barker fpriht wie ein Gott, und ber alte Floyd wie
ein Engel. Kommt, Ihr ſollt Eure Wunder hoͤren.“
Und mit dieſen Worten ſchritten Alle der Wacht⸗
ſtube zu. Der Wacheſtehende hatte ſein Gewehr un⸗
muthig auf die Erde geſtoßen und ſah eine Weile
durch das Fenſter in die Stube hinein; dann lehnte
“er dieſes auf den Querpfoſten und trat gleichfalls
ein, um ſeinen Antheil an den Neuigkeiten von dem
Meeting und vielleicht auch vom Kruge — nicht zu
verlieren. . "
Gleich darauf hörte man wieder ein langes Knar⸗
ren, ein Raſſeln und dann einen ſcharfen Luftzug,
— m
aus dem Fußtritte zu. vernehmen waren, bie ſchnell
dem MifiifippisUfer zufprangen.
„Carraco,“ zifchte eine Stimme den Ankommenden
entgegen. „Wo bleibt Ihr ſo lange?“
„A vencer 0 a morir,“ wißperte ein Anderer mit
unterbrüdttem Gelächter. „Wir Haben ihn ·
u Wohl, fo kommt.“
Zu den fünf Mericanern oder Spaniern, die fich
hinter der Cottonpreſſe verloren hatten, war ein
Sechster gekommen, die Ale, mit Ausnahme Zweier,
über das Ufer dem Boote zukrochen, das am Einfluffe
des Miffifippi hielt. In demſelben Augenblide wurde
ein zweites Boot fihtbar, das Teife von dem Bayou
herauf gegen den Strom zu kam.
„Que diablo!“ murmelte die Bande, ‚aß ift
da8?u
Das Boot hatte ſich genaͤhert und es war ein
Mann darinnen bemerkbar. „Que eg este ,“ wisner⸗
ten die Mexicaner wieder, und Einer derſelben ſprang
raſch hinüber in das fremde Fahrzeug, aus dem
dumpfes Kettengeraſſel zu vernehmen war.
Der Mexicaner ſtierte dem unwillkommenen An⸗
kömmling ins Geficht.
572 —
„Ah Mafia Miguel! Ponpey nicht im Intl bleiben;
Pompey nicht die Ninetail lieben,“ grinste ihm der
Neger entgegen.
„Que diablo !* murmelte ber Mericaner, „da iſt
Vompey! Wen habt Ihr da? Wir fire fteben ftatt
ſechs. Was bat das zu bebeuten? qu
„Biablo!®
ꝓCarracol
„Santo Jago!“ zifchten die Mericaner zuſammen.
„Wer biſt Dur?“ murmelten ſie, indem ſie auf den
fo eben mit ihnen angekommenen, und wie es ſchien
überflüfftgen Siebenten zufprangen:
„Richts ſpaniſch, aft engliſch,“ erwieberte Diefer.
„Santa Vierge! Wie kommſt Du Hieher? gu
„Das müßt Ihr wiſſen, die Ihr mich hieher ge⸗
bracht. a
Die Sechſe prallten zurück und wiöperten mit ein»
anber in fpanifcher Sprache. „Komm denn!” ſprach
„Keinen Schritt, ehe ich weiß, wer. Ihr feyb und
wohin e8 geht?” Ä
„Narr! Wer wir find, geht Dich wenig an. Wo⸗
bin ed gebt? Wo es immer bin geht ifl’3 befjer für
—, 73 e
Deinen Kragen, als wo Du biſt; 3 hier gete ich Dir
keinen Real dafür.“
„Dexalo! Dexalol“ murmelten die Ute
„Laßt ihn! Laßt ihn!“
„Macht, daß Ihr fort und, und wieder zurück⸗
kommt,“ ziſchte ihnen der Wirth zu, „oder Ihr ſeyd
verloren. Und wenn Ihr unten Unrath merkt, ſo
vergeßt nicht die obere Landung.“
„Halt? * flüſterte ver, Britte, „id gehe mit ei, “
Der Neger war bereits in das Boot ber Mexi⸗
caner hinüber gefprungen und hatte das ſeinige mit
dem feiner Mace eigenen Leichtfinn ven Wellen über⸗
lafſen. J —
„Ingleſe!“ murmelte Einer ver Merieaner, „hier
fitzeft Du!“ indem er ihm feinen Platz im, Vorder⸗
theile des Fahrzeuges neben dem jungen Mexicaner
anwied.. x
Und Pompey kommt i in die Mitte und nun friſch
auf.“
„Halt! flüfterte der Britte, „Können wir und
nicht in die zwei Boote theilen?“
„Ah Maſſa, nicht Über ven Sippi gerudert,“
kicherte der arbeitsſcheue Neger; „Maſſa nicht in ſechs
— m
Stunden: drüben ſeyn und bei Point Coup6 and Land
kommen.“
⸗Hush, Pompeh!⸗ murmelte ſein Nachbar, und
das Boot, von ſechs Händen bewegt, ing n nun ſchnell
in ven Strom: hinein.
„Ah Mafia Mayuel zuerſt wompey ſeine Ketten
abfeilen laſſen,“ brummte der Neger, „Bompey im
obern Jail ſeyn — Hug geweſen,“ lachte er in fi
hinein, weine Seile mitgenommen und fich felbft ge⸗
bolfen. —. Mafia Parker ſqauen,/ wenn Pompey
ausgeflogen. “
‚Salt Maul, Doctor, beſahl eine Summe von
hinten, und warte mit Deinen seiten, bis Du drũ⸗
ben bifl.« |
Der Neger. fchüttelte Anwiliig den. Kopf. „Maſſa
Filippo auch nicht gerne im Halsbande ſeyn“ —
brummte er, ſteckte jedoch ſeine Feile wieder ein, und
waͤhrend er mit der einen Hand das Ruder hand⸗
habte, ergriff er mit der andern die Kette, die, vom
Fuß bis zum Halseiſen laufend, in der Nähe bes
letztern abgefeilt war. Dieſes Halseiſen beſtand aus
einem fingerdicken, beinahe zwei Zoll breiten Ringe,
der um den Hals lief und aus dem drei lange, dau⸗
4 175 —
mendicke, auseinanberftehenpe Hacken über den Kopf
binausragten. Die lange Kette hatte er mit einer Art -
kindiſcher Verwunderung abwechſelnd in ber Hand
gewogen und wieder angeftiert, dann warf er fie in
das Boot hinab, das nun rajch der Mitte zuflog.
„Arme Lolli, trautig ſeyn,“ bob er nad einer
Meile wieder an; „wenn Pompey nit in vie Stadt
hinab kommen, fie in St. John wohnen, unter der
Cathedrale.“
„Pompey!«“ rief der vorne neben dem Dritten
figende Mexicaner, „Deine Ketten und, Bußeifen
liegen mir juſt in den Knöcheln.“ .
„Bleib ruhig, Pompey,« ziſchelte ihm fein Nach»
bar in die Ohren, „ich will fie zurückziehen.“
„Ah Maſſa armen Pompey nicht gut thun,« rief
Dieſer ſeinem Nebenmanne zu, der die Ketten um
beide Füße des Negers herumgewunden und fie num
mit einem plöglichen Nude fo’ ſcharf anzog, daß dem
Schwarzen dad Ruder entſank und er rüͤdlings ins
Boot ſtürzte.
Der junge Britte war mufmertſam geworden.
"Was gibt es? was treibt Ihr mit dem armen Neger?“
As &—
. „Mafia, um Gotteswillen mit dem armen Pompey
nicht ſo Tpaffen ,« Röhnte der Neger dazwiſchen. J
„Nichts, Pompey, vergiß nur nicht ven Weg zur
Rechten nad) Navgdoqhes, a erwiederte der Sinter-
mann.
„Um Gotiebwilen, air, nicht türgen, “röhnte
per Sklave dringlicher.
Nichts, nichts; denk an Deine bite Lolli Hinter
der Cathedrale und vergiß den Weg nach Nacogdoches
nicht,“etröſtete ihn der hinten Sitzende, der die Ket⸗
ten von feinem Vordermanne erfaßt, dieſe durch das
Halseiſen durchgezogen und ſo den armen Neger in
einen Knäuel zuſammengeſchnuͤrt hatte.
„Maffa⸗Maſſ⸗Ma!“ ſtoͤhnte der Neger, dem der
Athem zu vergehen anfing.
Das Ganze war das Werk eines Augenblickes ge⸗
wefen; nur das Geſtöhn und Schlucken des im Todes⸗
kampfe röchelnden Negers mar zwiſchen dem Raufchen
der Wogen und den Ruderſchlägen hörbar gewefen.
„Alle Zeufel!u rief ver Britte, fich umſehend, „was
iſt das ?⸗
Im nämlichen Augenblicke hob ſich das Brettchen,
auf dem er ſaß und er fühlte fich mit aller Gewalt
—o 977 9—
von. feinem. Nebenmanne geſtoßen, der. ihr mittelſt
des überſchlagenden Brettes beinahe in den Strom
geſtürzt hätte.
Ihr ſeyd wirklich Mordet l⸗ nief der ſchardemnde
Britte, der gerade noch fo viel Zeit übrig: hatte, ſich
ſchnell zu drehen und ſeinen Nachbar anzufaffen.
Dieſer hatte ſich ein- wenig erhoben, um das Vrett
unter feinem Sige zurückzuſchieben und umzufchlagen,
war aber in. feiner ſchwankenden Stellung, vom
Bauftfchlage des Britten getroffen, über bie Boott-
wand in den Strom hinabſtürzt.
„Buen viage a los infernos,“ brullten die Hinten⸗
figenden mit einem hölliſchen Gelächter. |
„60 to hell yourselves ‚“ fehrie "der. Britte, der
das Ruder erfaßt hatte und dem hinter ihm Sitzenden
einen Sieb verfegte, ber ihn an bie Sei des Negers
rücklings ſtürzte.
„Santa Vierge! Que es este?“ viefen die beiben
Hinterſten.
„Rotæ Inglese,“ brũllte Einer und fuchte vorzu⸗
dringen, fiel jedoch über die zwei Liegenden. ins Boot
hin, das durch den raſenden Kanpf gewaltig zu
ſchwanken begann.
„Ma⸗Ma,« ſtöhnte der Neger nochmals, und feine
Augen, im furchtbaren Todeskampfe, funkelten wie
gräßliche Ierlichter in der: flofinftern Nacht und
traten aus ihren Höhlen, und bie krampfartig lallende
Zunge fing an aus dem Munde zu fallen. |
„Beim lebendigen Gott! ih flürge Euch alle in den
Strom, wenn Ihr den armen Neger nicht befreit,“
fehrie der Britt 0 —
„Maledito Inglese!“
. „Picarro @ojo!“ 2 —
„Dexalo!- Dexalo! Santa Vierge!“ ſchrien die
drei Mexicaner unter einander, während der Britte
einen verzweiflungsvollen Hieb auf den gegen ihn
gukommenden führte, der ihn brüllend ins Boot zu⸗
rückftürzte. u
'„Dexalo! Dexalo! Este diablo,* riefen bie bei⸗
den Mericaner, und Einer ſchob ihm, den armen
Neger zu. ,
„Steht zurück!” fehrie.er, „und nehmt ihm das
Halseifen ab. Wenn ihr ihn ermürgt, fo fterbt ihr
Mau . |
„Este dtablo!“ ſchrie ver Mexicaner, der den in
—d 279 &—
einen Klumpen gefeffelten Neger hinſchob und ihm
die Kette aus dem Halseiſen ri.
Die Glieder des armen Sklaven fielen wie Stia⸗
Holz auseinander. Nur ein leiſes Röcheln verkün⸗
dete, daß der Ledenfunte noch nicht ganz von ihm
gewichen war.
„Steht zurück! 1# ſchrie der Britte wieder, der, zum
Schwarzen herabfauernd, e8 nun verſuchte, ihn durch
Reiben mit ver Wolldecke, ins Leben zuruͤckzurufen.
Dad Boot war, im Kampfe auf Lehen und Tod
dem Spiele der Wogen überlaffen, fhnel vom Strom
fortgerifjen worden, und ſchwankte nun mitten unter
den ungeheuern Baumflämmen, die dieſer zu T aufen-
den mit fi führt. Die Mericaner hatten fi auf-
gerichtet, und fingen an aus Leibeskräften ſtromauf⸗
wärts zu rudern. — Nicht ferne von dem gebrechlichen
Fahrzeuge, auf dem unter der Nebelfchichte erglän-
den Waflerfpiegel war ein Eoloffaler Baumſtamm zu
feben, der geradezu auf das Boot fam. Det Britte
Batte Faum Zeit gehabt, den Mericanern zuzurufen,
als der Baumſtamm an ihnen vorbei ſchoß. Ein
unnatürliher Laut ſchlug zugleih an ihre Ohren.
Schaubernd wandte fi der Süngling und er ſah noch
— 0 ⸗
einen Kopf und eine Hand, die -um einen der Uefte
des Baumes, gefhlungen war. '.„Misericordia!“
ſtöhnte e8, „Misericordia per Dio!“ Es war der
Mexioaner, der nahe dem Baumſtamme i in den Strom
geſtürzt, ſich an dieſen geretiet und angellammert
hatte.
„Wendet dad Boot!“ sief er den Merieanem zu,
„Euer Landsmann iſt noch am Leben.“
„Ks verdad!“ treiſchten die Mordgenoſſen, und
wandten pad Bost ſtromabwaͤrts. '
Der Neger war allmählig zu fi gefommen, und
kauerte nun zu den Füßen feines Retters. Auch er
fierte In ven Waflerfpiegel auf den Elenden hin.
„Um Gotteöwillen, Maſſa!“ kreiſchte er, das
Auber des Britten ergreifend, „das Miguel feyn,
Mafia ihn tontfchlagen ; Miguel jehr böſe.“
aLaß dad ſeyn, Pompey!« rief ihm Diefer zu, der
aus Leibeskraften anlegte, um dem Mexicaner bei⸗
zuftehen. Das Boot ſchwamm Dicht neben dem Baum⸗
flainme, und Lepterer hatte gerade noch fo viele Kraft
übrig, um feine Hand herüber zu ſtrecken, die der
Jüngling erfaßte.
—, 1
„Um Gotteswillen, Maſſa! die Seeräuber uns
Beide todt machen,“ rief der Neger.
Der Mericaner hatte die Hand det Sünglings im
Todeskampfe erfaßt, während Einer der Hintenfigen-
den an ihn herangekrochen war. In diefem Augen-
blicke erhielt das Boot einen furchtbaren Stoß, eine
Welle ſchlug hinein und warf ven Mertcaner an bie
Bootöwand, über welcher er nur mit halbem Leibe
mehr tobt ald lebendig lag. 2
nBafjeden Mericaner!“ riefder Britte dem Neger zu.
„Ah, Pompey kein Narr ſeyn — Pampey Maſſa
zu lieb haben. Die hinten nicht rudern; — Schau
Maſſa, die nur warten, Maſſa todt zu machen“
„Hört Ihr!« ſprach der Britte zu den Mexicanern,
indem er dem Nächſten einen Stoß mit dem Ruder
verſetzte — „der Erſte, der einen Ruderſchlag aus⸗
läßt — Ihr verſteht mich! Ä
Das Boot ſchwankte auf dem ungeheuren Waſſer⸗
fpiegel inmitten der Baumſtämme, jeden Augenblid
bedroht non einem verfelben zerſchellt oder vom
Strome verfehlungen zu werben; die Mericaner lauer⸗
ten in ſtiller verbiffener Wuth; tüdifhe Mordluſt
grinste aus ihren ſchwarzen rollenden Augen; der
Der Legitime. I. 19
æ2 ⸗—
Neger hatte den Strick des Bootes um den Leib des
Mexicaners herumgeſchlungen, ver, „Misericordia!“
ſtoͤhnend, beide Hände an dad Boot geklammert,
wie ein Geſpenſt nachfolgte.
„ah, Mafia! Miguel ein guter Schwimmer ſeyn,
die Taufe ihm nicht ſchaden. Maſſa,“ brummte der
nie ruhende Schwarze nach einer Weile, „Maſſa nicht
vergeffen, fein Ruder mitzunehmen.“
„Und Pompey nicht vergeffen, das feinige ein
wenig fleißiger zu handhaben,“ entgegnete ihm Diefer.
Der Neger fuhr eine Welle Träftig in der ihm auf⸗
gegebenen Richtung fort, dann flierte er den Süngling
an, der bedenklich über ven Wafferfpiegel hinhorchte.
„AH, Mafia nicht forgen, die Milizen gut ſchla⸗
fen, der Sippi nur läͤrmen. Pompey wiflen die
Wege, Mafia Parker ihn nicht Triegen.«
Wieder verfloß eine Viertelftunde, die Kräfte der
Rudernden fingen an von ver flundenlangen Anſtren⸗
gung zu ermatten.
„Mafia nun bald die Ufer ſehen. Wir ſchon im
ſtehenden Waſſer,“ rief der Neger.
No dauerte es eine Viertelflunde, und dann er⸗
blickten fie das Ufer; der Britte fprang aus dem
—. 3 —
Boote, und der mit feinen Ketten belaftete Neger
kroch ihm nach, als die drei Mexicaner zugleich an
Beide heran kamen.
„Vergeßt Euer Boot nicht,» rief er ihnen drobend
entgegen. Statt ver Antwort ſchwirrte ein Dolch
herüber, der, mit ficherer Sand geworfen, ihm am
die Bruft fuhr, aber am Lederwammſe der Inpianerin
hängen blieb.
„Elende Meuchelmörber!“ ſchrie der Betroffene,
der die flache Hälfte feines Ruders abgebrochen und
mit der andern auf die Banditen losſtürzen wollte,
fich aber aus Leibeskraͤften vom Neger erfaßt ſah.
nMaffa Fein Narre ſeyn, Die Seeräuber no
mehr Dolche haben, gerne jehen, wenn Mafia nahe
fommen, ihn dann leicht todt machen.” Ä
„Du haft Hecht, Pompey,«“ verfegte Diefer, halb
lachend, halb ärgerlich über den zähnefletſchenden
Neger. „Die Hunde find nicht werth, daß ein ehr⸗
licher Mann fie tobt ſchlägt.“
Eine Weile hielten die drei Mordgeſellen noch an,
brüllten dann ein „Buen viage a los infernos!“ her-
über, und fprangen in ihr Boot, in das fle ihren Genoſ⸗
fen halfen, und in Nacht und Nebel verſchwanden.
48°
Siebennndzwanzigſtes Kapitel,
Iſt dieſer Vorgang gerecht und ehrhar?
Shakespeare.
Die vier Mordgeſellen hatten ſo eben ihr Boot
verlaſſen, das, in den Strom zurůckgeſtoßen, mit
den Wellen fortſchoß, und waren oberhalb des Bayou
dem Staͤdtchen zugeſchlichen, als ein ploͤtzliches Ge⸗
murmel vor dem Wachthauſe entſtand, das fie einen
Augenblick horchen und dann mit der Eile flüchtiger
Diebe ihrem Verſtecke, dem Estaminet oder der
Schenke zum Kaiſergardiſten, zueilen machte.
Ein Mann war athemlos aus dem Wachthauſe
auf den Gaſthof, in dem die Meeting gehalten wurde,
zugerannt, hatte ſich durch die vor dem Hauſe und
im Gange an der Thüre zuſammengepreßte Menge
hindurchgedrängt, und war in das Zimmer des Capi⸗
tains geftürzt.
„Sergeant William! Was gibt es?“ fragte Diefer.
„Der Spion iſt entwiſcht.“
Dem Offizier entfuhr jenes Kernwort, das nad
— 5 >
der Meinung des wibigen Figaro die Duinteffenz der
englifchen Sprache enthält und, von einem kraͤftigen
Munde ausgeſprochen, die Beine ſo flink in Bewegung
ſetzt. Raſch ſein Tſchako auf den Kopf werfend,
ſprang er, den Degen in der Hand, die Stiege hin⸗
ab, und drängte durch die Menge unaufhaltſam in
die Mitte des Saales vor, der ganz gefüllt war.
„Um Bergebung,” fiel er dem jo eben in der Rebe
begriffenen Sprecher ein. „Der Spion ift entwiſcht.“
„Wohl ;u — verfegte der General, der zur rechten
Seite des im Prafidentenſtuhle fitzenden Squire ſaß
und aufmerkſam dem Redner zuhorchte. |
„General!“ wiederholte ver Offizier, „ver ‚Spion
ift entwiſcht.“
„Dad Bataillon wird zufammenrüden und ihm
nachſetzen, ſobald die Meeting vorüber iſt,“ erwie⸗
derte der General, und wieder horchte er dem Redner.
Der Offizier knirſchte mit den Zähnen. „Es iſt
vor der Thüre und im Saale, — fprad er mit
wutherftidter Stimme.
„Am an den Berathungen Theil zu nehmen, u flüs
fterte ihm der General zu. |
er
„Nur zwanzig, breißig Mann,“ entgegnete der
Gapitein. °
„Vergeſſen Sie nicht, daß die Mannſchaft Bürger,
und zwar angefefiene, geborene und angefehene Bür-
ger, jet in der Ausübung ihres fouverainen Rechtes
begriffen find, Intereffen wahrzunehmen haben, für
die e8 morgen vielleiht zu fpät ſeyn dürfte. *
Der Capitain eilte aus dem Saale und flürzte auf
die Wade; die Trommeln rührten fi; die Wade
auögenommen, zeigte fich Feine Seele. Die Miligen
ſtanden wie eingewurzelt in athemlofer Stile vor ver
Thüre horchend.
„Mein lieber Capitain!“ prach Einer, „Ihr könnt
Euch das Gehör vertrommeln laſſen, und es wird's
doch Keiner hören. Wartet geduldig, bis die Mee⸗
ting vorüber iſt und das Wichtigere abgethan, und
dann wollen wir in die Rocky Mountains hinauf,
wenn ed Noth thut.“
„Capitain!“ ſprach der Sergeant, „es iſt nun ein⸗
mal ſo, und wenn, glaube ich, die Feinde anrückten,
fo. würde das ſouveraine Voll zuerſt bedaͤchtlich feine
Beſchlüſſe faſſen.“
287 ⸗—
„Hol der T—l das ſouveraine Volk! ich wollte
lieber heim Großtärfen kommandiren.“
„Pfui, Capitain!« rief ein Milige, „das ift nicht
die Stimme eined Amerikaners.“
Der junge Mann fah den Milizen betroffen an.
„Wenn Ihr über ven Bayon Sara Sumpf geht,“
ſprach ein Zweiter, „fo müßt Ihr feften Tritt haben,
fonft verfinft Ihr, und die Alligatoren freffen Euch.
Ihr ſeyd beinahe zu jung für einen Gapitain. «
Der Offizier verfchludte vie bittere Pille, murmelte
etwas zwijchen ven Zähnen und rannte dann, bes
gleitet von dem Sergeanten, vem Wachhaufe zu.
Es war Feine Spur vom Flüchtling zu jehen oder
zu hören ; aber an ver Außenwand fand man Schnüre
an ben Bretern befeftigt, die das Schwanfen und
Schnarren verfelben erklärten. Auch zwei Boote
wurden vermißt. Während diefer Unterſuchungen
Hatte die Meeting ihr Ende genommen und ver Capi⸗
tain eilte dem Sigungsfanle zu. Raſch trat er vor
den General.
„General Billow! Wollen Sie gefäigft Ihre Bes
fehle ertheilen?“
„Ste find ſchon gegeben ‚“ erwieberte Diefer.
— 288 —
Im nämlichen Augenblicke. rollten die Trommeln
wieder, und die Stimmen der herbeiftrömenden Mann⸗
ſchaft werfündeten, daß der Aufforderung derſelben
Folge geleiftet wurde. Der Capitain fland eine Weile
zögernd, fein Blick fiel auf die auf dem Tifche liegen⸗
den Papiere. on |
„Dieß find alfo die Beſchlüſſe?“ fragte er mit ver-
biffenen Lippen und einem bittern Lächeln.
„Sa, lieber Capitain,“ ermiederte der General
artig. „Wenn Sie wollen, fo können Gie fie noch,
bis die Mannſchaft beifammen tft, leſen.“
Der junge Offizier warf einen flüchtigen Blick auf
das Blatt und warf ed nach einer Weile unmillig hin.
„And Sie haben," fprach er zum Oberften, „dieſe
Nefolutionen gegen den General en Chef gefaßt, un«
ter.deffen Kommando Sie fich begeben wollen?”
„So haben wir,” erwieberte Diefer.
„Und erklären fein Betragen inconftitutionell und
tyranniſch, und mißbilligen es vor den Augen ber
Nation?" fragte der Gapitain.
„Wie Sie ſehen,« entgegnete Iener. „Wundert
Sie dieß? Es iſt doch nicht das erſte Mal, daß Bür⸗
ger der vereinten Staaten ihr Recht über Diejenigen
—— 9 ⸗—
üben, die fle zu ihren. Dienften beſtellt; -— daß fcheint
der General vergeflen zu haben, und. deßwegen war
es nöthig, ihm dieſes auf eine feierlich. ernfte Weife
ind Gedaͤchtniß zurädzurufen. Morgen können Sie
die Refolutionen gedrudt leſen.“
„Und do wollen Sie ſich unter ſeine Befehle bes
geben ?“
„Warum nit, wenn er innerhalb der Grenzen
der. ihm von der Bundesmacht ertheilten Vollmachten
verbleibt?“
„Und Wer ſoll der Schiedsrichter in dieſem Falle
ſeyn?“ fragte der Capitain kopfſchüttelnd.
„Er ſelbſt, « entgegnete ver Oberſt. „Hören Ste,
wenn fünfhundert und morgen tauſend Bürger ihm
ihr Verdammungsurtheil im Angefihte ver Nation
zurufen und fich zugleich unter feine Befehle flellen,
fo hoffen wir, wird dieß hinreichen, ihm die Augen
über den Abgrund zu Öffnen, dem er zuging. Und
dieß, Capitain, war unfere erfte Pfliht — unfere
innere Breiheit zu wahren. Daß die Bürger auch Ihre
zweite, unten gegen bie Feinde, erfüllen werben, da⸗
für bürge ih Ihnen. Wenn man mit und für Frei⸗
heit kämpft, dann ift der Sieg doppelt gewiß. Und
20 ⸗—
nun ſteht Ihnen das ganze Bataillon zur Verfolgung
des Spions zu Dienſten.“
„Nun er entwiſcht iſt,“ verſetzte der Capitain.
„Und wenn er's iſt, fo werden Sie es, hoffen wir,
Männern nicht übel nehmen, wenn fle über der Er⸗
haltımg ihrer angeerbten Nechte einen Gefangenen
überfehen‘,“ entgegnete ver Squire mit wahrer Prä-
fiventenwürbe. „Sollte mich jedoch wundern,“ fügte
er-binzu, „wenn fle ihm nicht ſchon nach find, ohne
auf Eure Befehle zu warten.”
Das Bataillon ſtand in Reihe und Glied, umd
nach dem fröhlichen Gemurmel zu fehließen, war eine
vortheilhafte Stimmung in der Mannfchaft eingetre=
ten. Daß flarre, fteife, mürrifchefinftre Wefen ver»
felben Hatte fih in Fröhlichkeit und Zuverficht umge-
wandelt, und fie begrüßten vie Offiziere mit einem
lauten jauchzenven Lebehoch; eine Verficherung, die,
nad den beſchwerlichen Uebungen des Tages und der
ganzen ſchlaflos durchbrachten Nat, von fünfhun-
dert Bürgern ausgesprochen, eine gute Vorbedeutung
zu größerer Ausbauer ſchien, und den jungen Capi⸗
tain zum Theil mit dem verſtockten Geifte ihres frü⸗
heren Benehmens wieder ausföhnte.
— 1 ⸗—
„Es handelt fi gegenwärtig,“ redete ſie ver Ge⸗
neral an, „bloß um zwanzig Volontairs, die mit den
Wegen, Päflen und Wäldern genau befannt ſind,
um den Spion wieder einzubringen.“
„Schon geſchehen,“ riefen fünfzig Stimmen, und
ein Sergeant trat mit einer ſteifen militairiſchen Ver⸗
beugung vor die Offtziere.
„Mit Gunſten, General Billow!“ ſprach der
Mann. „Es iſt zwar ein wenig gegen militairiſche
Regeln; da jedoch kein Befehl für die Nacht gegeben
war, fo glaubten die Männer eben fo wohl zu thun,
wenn fte nicht auf Befehle warteten. Kaum hatten
fie gehört, daß der Brite Neißaus genommen‘, fo
find fie ihm in allen Richtungen nad. Morgen zum
Erereiren werben bie Meiften wieder zurüd ſeyn.“
„Hab' mir's wohl gedacht,“ meinte der Squire,
„wo die Rafe und die Ohren General ſeyn mäffen,
würden Befehle nur Verwirrung anrichten. “
„Und welche Männer find es?“ fragteder General.
„Dreißig unferer beften Jäger,“ verficherte der
Sergeant, „bie den Bären auffpüren, wenn er zehn
Klafter tief in die Ozarks fich vergraben hätte; fie
—d 292 —
find fo eben fort, nachdem fie die Reſolution des
Meeting gehört hatten.”
„And welche Richtung Haben fie genommen ?*
- „Sechs find Hinüber über den Miſſiſippi, und
Hinab nah Point Coupe und hinauf in die Päffe.
Zehn find da hinauf’ auf die Bluffs und auf die Wege
nach Natchez, und eben fo viele find längs dem Ufer
auf Batonrouge zu; die Uebrigen durchſtreifen das
Städtchen. Es ſcheint ihnen in einer der Tavernen
nicht richtig.“
„Meint Ihr die Ausländer” fragte ver General.
„Shen Diefe; e8 find zmei Boote abhanden, und
der Spanier wurde hier herumfchleichend gefehen.
„And das ift auch Alles, was Ihr thun koͤnnt,“
ſprach der redſelige Squire; „wäre nicht ver Mühe
werth, die Männer eine Minute Tänger aufzuhalten.”
Noch wurden, auf ven Antrag des Capitains, die
Wache Geftandenen in Arreft genommen, und das
Bataillon dann bi8 zum Sonnenaufgang entlaſſen;
worauf der Oberft mit dem Squire wieder ven Weg
zum Bayou einfhlug, wohin ihnen ein fehmarzer
Diener vorleuchtete.
Die Meeting und die verfchiedenen Reden und
Meinungen, fo wie der harte Kampf, ven es gefoftet,
um ein enbliches Mefultat hervorzubringen, waren
natürlich wieder der Gegenſtand der Unterhaltung
der zwei flarren Nepublifaner, die, des entlaufenen
Britten kaum mit einer Sylbe gedenkend, dieſe für fie
höchſt wichtigen, für unfre Lefer aber vielleicht weniger
intereffanten Exrdrterungen erft im Dramingroom des
Oberften beichlofien.
Diefed Drawingroom oder Beſuchzimmer, dur
zwei große Wlügelthüren in zwei gleiche Hälften ge⸗
theilt, ſchien, die Wahrheit zu gefteben, um vieles
weniger republifanifch zu ſeyn, als fein fhlichter,
obgleich würdevoller Beſitzer, der Oberſt Parker.
Es war darinnen bei einem fürftlihen Reichthume
Thon jene Iururiöfe Eklektik zu fehen, und beſonders
in der hinteren Hälfte jene gefuchte ſcheinbare Nach⸗
läffigfeit, der das Heimifche nicht mehr zufagt, und
die in einem Raume von ſechsunddreißig Fuß Länge
und dreißig Fuß. Breite die Kunſtprodukte aller Na⸗
tionen in jenem Quodlibet von Meubles, Bagatelles
und Schnickſchnack zu vereinigen bedacht ift, die nun
einmal zum Enfemble eines wohl eingerichteten Haus
— I
ſes gehören, und das mit ver fhlichten Republikaner⸗
wohnung allenfalls in einem anſcheinend beſchei⸗
denern, aber im Grunde genommen nicht weniger
drückenden Berhältniffe flehen bürfte, als das ches
malige bethürmte Feudalſchloß zur demüthigen Bür⸗
geröwohnung, der ed feinen fogenannten Schuß
angeveihen ließ. Das jchärfere Auge der Mißgunſt
würde wahrfcheinlih darinnen, fo wie in der übrigen
Einrihtung des Hauſes, auch jenen ariftofratifchen
Geiſt erblistt Haben, der, geſchmackvolle Eleganz mit
zweckmäßiger Mebereinftimmung paarend, zugleich den
Eintretenden wohl ober weh anzufprechen berechnet
ſcheint, je nachdem Diefer zur Klaſſe der Auserwählten
ober der Proletaires gehört.
Selbſt unfer Squire ſchien ſich ein wenig unbehag⸗
lich in dem prachtvollen Salon zu fühlen, den ver⸗
ächtlichen Blicken nach zu fihließen, die er über die
da aufgehäuften Koftbarkeiten warf, und vie er gewiß
eben fo wenig beachtet Haben würde, wären fie ihm
im Gabinete eines Monarchen aufgeftoßen. Ohne ſich
im mindeften zu geniren, fing er an ſich ber verſchie⸗
denen Beſtandtheile feiner Garderobe zu entledigen,
indem er gleichſam zum Trotze feine Leggings oder
— 25 —
Knietlücher über einen Cachemirſhawl hinwarf, ver
nachläſfig die Lehnen eines Sopha zierte, feinen Hut
einer marmomen Niobe auffekte, feine Handſchuhe
auf einer porphyrnen Bafe und feine mit Blei gefüllte
Reitpeitiche am Roſaholz⸗Pianoforte Pla nehmen
ließ und, nachdem er fo über feine Mobilien dispo⸗
nirt hatte, fi ganz gemüthlich in einem Fauteuil vor
dem Kaminfeuer niederließ, und den Kamm aus der
Taſche zog, um fein Haar in Ordnung zu bringen.
ALS er dieſes Lieblingsgefchäft eines Achten Hintet⸗
mwäldlerd abgethan, war er zum Sideboard getreten,
um ſich ein Glas zu füllen.
Die Glocke am Parfgitter verfündigte noch die An⸗
funft eines nächtlichen Befuches. Die zwei Offiziere
ſahen fich ſchweigend an, als ein Milize, vom ſchwar⸗
zen Bedienten eingeführt, in den Salon trat.
„Oberſt Parker und befonderd Major Copeland
werden vom Capitain Perch erfucht, ſchleunigſt hinab⸗
zukommen, das Bataillon von Opelouſas iſt ange⸗
kommen.“
„Wohl! ſo ſoll er es bis Sonnenaufgang einquar⸗
tiren. Wir bedürfen einiger Stunden Ruhe.“
„Sie haben Indianer mit ſich,“ berichtete die Or⸗
—d 296 ⸗—
donnanz, „die von den Männern aufgebracht wurden,
die Major Copeland ausgefandt. ”
„Wißt Ihr, von welchem Stamme fie ſind?“
„Nein, Oberfter. Aber ihren Waffen und Aus-
feben nach zufchließen, find fie von einem martialifchen
Schlage. Alle mit Feuergewehren verfehen.”
„Hollah!“ rief der Major — „da müſſen wir hinab
und ſehen, was es gibt.” Und mit viefen Worten
lüftete er dad Haupt der Niobe wieder, und nachdem
er die Pieren feiner Garberobe angelegt, begab er
fih mit dem Oberften und dem Milizen neuerdings
an das Stromufer.
— 685 00
“